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Beef auf die Wiener Art // Tatort Review

Beef auf die Wiener Art // Tatort Review

„Deine Mutter“: Am Sonntagabend ermittelten beim „Tatort“ Moritz Eisner und Bibi Fellner in der Wiener HipHop-Szene. Mit dabei unter anderem Jugo Ürdens und KeKe.

Angesichts der Schreckensmeldungen über das Hochwasser im Osten Österreichs war der sonntägliche Tatort auf ORF 2 eine Randnotiz. Für die, die sich ablenken konnten und wollten, eignete er sich aber durchaus zum Eskapismus. Die Folge mit dem Titel „Deine Mutter“ spielt nämlich in einem Milieu, von dem das Tatort-Kernpublikum bisher wenig Notiz genommen hat. Das gilt auch für das Ermittlerduo Bibi Fellner (Adele Neuhauser) und Moritz Eisner (Harald Krassnitzer), denen die Wiener HipHop-Szene bislang ebenfalls fremd war. Um den Mordfall aufzuklären, müssen sie sich erst in die Materie einarbeiten und haben mit einigen Anlaufschwierigkeiten zu kämpfen.

Der „Baba“ und die Venusfliegenfalle

Ermordet wird New-Wave-Rapper Ted Candy, überzeugend gespielt von Aleksandar Simonovski aka YUGO/Jugo Ürdens. Der Hauptverdächtige ist sein Label-Boss Akman Onur aka Akman47, gespielt von Murat Seven, dessen Duktus frappierend an PA Sports erinnert. Bei Ted und Akman prallen zwei Welten aufeinander: Auf der einen Seite Ted Candy, den Simonovski in einem ARD-Interview in die Nähe von Lil Peep und Yeat rückt, auf der anderen Seite Akman47, der Stereotyp des mütterbeglückenden, testosterongeschwängerten Gangsta-Rappers. Die beiden liegen im Clinch, weil Ted sich von Akmans Label Syndikat trennen und zum Major Pulse Music wechseln will. Ein realistisches Szenario – wahrscheinlich hat Akman Ted auch noch auf seiner Couch schlafen lassen.

Im Laufe der Ermittlungen stellt sich heraus, dass Akman47 nur ein kleines Rädchen im Getriebe ist und auf seinen „Baba“ hören muss. Bei diesem „Baba“ handelt es sich um den im Rotlichtmilieu tätigen Gangster Igor Slavin (Hary Prinz), der – passend zum Bösewichtimage – beim Füttern einer Venusfliegenfalle in seiner Villa gezeigt wird.

Regisseurin Mirjam Unger hat das Drehbuch von Franziska Pflaum und Samuel Deisenberger rasant umgesetzt; ein Drehbuch, das eine Reihe relevanter Themen aufgreift, die sich im Deutschrap anno 2024 abspielen: die Nähe zur organisierten Kriminalität, im Deutschrap liebevoll „Rücken“ genannt, die immer noch vorhandene Homofeindlichkeit, ein verschrobener Ehrbegriff – und die wichtige Rolle der sozialen Medien. Schließlich hat Ted Candy 250.000 Follower, und die wollen unterhalten werden.

Im echten Leben ist’s noch ekliger

Für den 0815-Tatort-Sehenden mag das alles absurd klingen. Wer aber tiefer in die HipHop-Materie einsteigt und nach Deutschland blickt, lernt schnell: Die Realität ist noch bizarrer, das Gezeigte im Tatort wirkt in Anbetracht der aktuellen Auseinandersetzungen („Beefs“) zwischen (holt Luft) Bero Bass/Bözemann und Farid Bang, Manuellsen und unter anderem Animus sowie Sun Diego und Mois/Zois keineswegs übertrieben – und bei einem Blick in die Vergangenheit stößt man auch noch auf die existenzvernichtenden „Da Vinci Codes“ von Al-Gear, die den Ekel-Peak darstellen.

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Im Vergleich dazu geht es im Wien-Tatort trotz eines Porno-Erpresser-Videos weniger verstörend zu. Der Mord hier entpuppt sich schließlich auch gar nicht als Mord. Involviert dabei aber die Rapperin KeKe als Dalia, die auch kurz beim Performen im „Pillow Club“ (im echten Leben das „Flex“) zu sehen ist. Insgesamt ein sehenswerter Tatort – und dass Phrasen wie „Voll krass alter“ unangenehm wirken, wenn sie aus dem Munde von Moritz Eisner stammen, war wohl intendiert. 

Tatort in der Mediathek

Bis 14. März 2025 ist der Wiener Tatort „Deine Mutter“ noch in der Mediathek des ORF verfügbar.