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Tim Taylor & Dj Fine zelebrieren den gepflegten Absturz // Review

Tim Taylor & Dj Fine zelebrieren den gepflegten Absturz // Review

Absturztaktik_Cover
Häng Man Gang // VÖ: 08.03.2016

Nachdem Tim Taylor vier Alben lang Wein trank und über sein Leben, Politik und Philosophie senierte, führte Ihn eine schicksalshafte Fügung zum Hamburger 2-Getränke-Mann DJ Fine. Sie tranken … sie tranken erst mal. Zwei engagierte Suffbolde hatten sich gefunden und die Zeichen der Zeit standen richtig für ein Abenteuer„, heißt es im Pressetext zu „Absturztaktik“, dem neuen Album von Tim Taylor & DJ Fine. Die ersten Alben „Ein Hörspiel und ein Alboom“ (2003), „Tim der Mensch“ (2006) und „Der Mensch und die Anderen“ (2009) waren tatsächlich maßgeblich beteiligt an meiner späteren Rap-Sozialisation, dennoch gingen die (überaus hörenswerten) Hörspiele – die in der Form wohl einzigartig sind – und das 2013er-Release „Ein anderer Grund“ größtenteils an mir vorbei. Letzteres bekam zwar medial mehr Aufmerksamkeit, konnte trotz einzelner starker Tracks als Gesamtwerk meiner Meinung nach nicht an die vorherigen Releases anknüpfen. Umso schöner, dass er durch die Ankündigung von „Absturztaktik“ (VÖ: 08.03.16), das zusammen mit DJ Fine entstand und diesmal über die Hamburger Häng Man Gang veröffentlicht wurde, wieder die Aufmerksamkeit auf sich ziehen und einen Einblick in die Phasen des gepflegten Absturzes der letzten Jahre verschaffen konnte.

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„Nur um eins vorwegzunehm‘, weil ich so viel Dreck erzähl‘
Dein Lieblingspsychopath hat das Mikrofon nicht weggelegt
[…] Du willst wissen, was ich getan hab, wo ich die ganze Zeit war
Ich saß bei mir zuhaus‘ auf ner vergammelten Couch
Und hab‘ ein paar handliche Wasserstoffbomben gebaut
Terrorismus aus’m Underground
Wir gehen über Schnapsleichen für ’nen bombigen Sound“

(aus „Wenn ich rap“)

Nachdem er zu Beginn seiner mittlerweile fast 15 Jahre andauernden Laufbahn als Rapper Teil der Kasseler Crew Deadly Hyenas gewesen war, erschienen die darauffolgenden Alben erst über Starting Lineup, Gambit Entertainment/Groove Attack und schließlich über RZ-Recordings in Zusammenarbeit mit KWU und Sony. Da aus der damaligen Zeit nur noch wenige Rapkollegen aktiv sind, fand er seine neue musikalische Heimat also bei der Hamburger Häng Man Gang und scheint sich dort sichtlich wohlzufühlen.

Zwei Sachen ziehen sich durch die gesamte Diskographie: die selbstgestalteten, künstlerisch ausgefeilten Cover des Studenten der Bildenden Künste und die in der Musik verkörperte Antihaltung gegen gesellschaftliche Konventionen, Nüchternheit … und natürlich whack MCs. Diesmal mit der Unterstützung von DJ Fine, welcher für die passende musikalische Untermalung mit vielen Soul- und Jazzsamples sorgt, die gut mit Tims vielseitigen Stimmvariationen harmoniert. Selbstbeschreibung: „Deutschrapklassiker wie Unter Tage“ (aus „Absturztaktik“) und: „Das Ergebnis ist ein Underground-Sound vom Besten/ lass‘ uns besser gleich dran setzen, damit das Album die Welt rettet“ (aus „Shitlyfe Crysis“). Kein geringer, wenn auch nicht ganz ernst gemeinter Anspruch, weshalb das Ziel im „Schädel Skit“ wieder verworfen wird.

„Mein Konzept ist ausgereift
Denn die Gesellschaft hat mir alle meine Schwächen aufgezeigt
Es ist besser, wenn ich darauf scheiß‘, was ihr macht –
zwei Fäuste und ein Mic für die Unabhängigkeit“
(aus „Shitlyfe Crysis“)

Das Album umfasst 18 Tracks, wovon jedoch acht Skits/Interludes sind, welche – wie auch bei vorherigen Releases – beim ersten Mal ganz lustig sind und auch im Zusammenhang mit vorherigen bzw. nachfolgenden Tracks stehen, aber bei mehrmaligem Hören eher stören, solange sie nicht wie bei „Der Geist zwischen den Mauern“ zwingend notwendig für das Gesamtwerk sind. Als Ausgleich dazu zeigt sich Tim Taylor dafür auf den restlichen Tracks gewohnt stark (und trinkfest).

Neben gesellschaftskritischen, aber retrospektiv-lebensbejahenden Tracks oder Beschreibungen des Großstadtlebens lässt es der Titel schon erahnen, dass sich auf dem Album auch der ein oder andere Track zum Vorglühen-und-dann-doch-versumpfen mit den Homies am Freitagabend oder an jedem beliebigen anderen Tag finden lässt – mal mit altbekannten Weggefährten wie Knick Knack („Lyrikol Liquor“) oder G-Shok & Optimackz („Lichter der Stadt“), mal allein („Shitlyfe Crysis“, „Der letzte Tropfen“). Ebenfalls auf dem Album verteten sind Häng-Man-Gäng-Oberhäupter die dudes („T.I.T.T.S.“). Detailliertes Storytelling wie auf „Der Gärtner„, „Serwenas Sohn„, „Böses Erwachen“ oder „Das Rot der Sonne„, welche bisher bezeichnend für seine Alben waren, gibt es auf „Absturztaktik“ leider in dieser Form nicht mehr.

Viel geändert hat sich am Lifestyle also nichts, eher hat sich die Attitüde des Querulanten noch mehr manifestiert – was keineswegs negativ gemeint ist, sondern vielmehr als Blaupause für andere dienen soll, deren Musik sich im Laufe der Jahre der breiten Masse anpasst.

Früher hing ich mit ’ner Flasche Schnaps bei meinen Buddies ab
und rappte besser als jeder andere in der Stadt
Heute häng‘ ich mit ’ner Buddel Rum betrunken bei Kumpels rum
und rappe den allerbesten Stuff aus’m Untergrund
Mit jedem Tag, den ich auf der Erde bin
steigt die Zahl derer, die mich mal am Arsch lecken könn‘
Mann, es hat keinen Sinn, klarzukomm’n mit dem Tim
Ich hab‘ früh erkannt, dass ich etwas andersartig bin
(aus „Shitlyfe Crysis“)

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Fazit: Auf „Absturztaktik“ stellt Tim Taylor erneut unter Beweis, dass er defintiv zu den am meist unterschätzten Rappern gehört, der bei seinen ersten Alben seiner Zeit weit voraus war, auch wenn sein Talent nie wirklich gewürdigt wurde. Der Zug, mit Rap Geld zu verdienen, ist vermutlich schon abgefahren, aber das ist auch nicht das Ziel: „Mir ist immer noch ein netter Penner lieber/ als ein aufgesetzter, schmieriger, kleinkarierter Spießer/ der fierberhaft versucht, seinen Bossen zu gefallen/ für den Mercedes vor der Tür und einmal im Jahr nach Malle„. Das Wechselspiel verschiedener Facetten seiner Persönlichkeit kommen auch auf diesem Album zur Geltung: Einerseits der auf sich selbst besinnende Kerl, der sich am liebsten in sein Zimmer zurückzieht, um an seinen in Texte verpackten Alltagsbeobachtungen zu feilen – diese Seite überwog zum Beispiel auf „Ein anderer Grund“ mehr. Andererseits der dem Alkohol nicht abgeneigte Unruhestifter, der nach der ersten Flasche „Wolfschweiß“ alle zur Verfügung stehenden Mittelfinger an seine Mitmenschen verteilt, um anschließend wieder „die Schönheit des Abgrunds zu beleuchten„. Damit hat er natürlich das Rad nicht neu erfunden, aber konnte allen Fans seiner Musik trotzdem ein gelungenes neues Album liefern, von denen mich – auch dank der Beats von DJ Fine – einige Tracks noch länger begleiten werden.

Persönliche Anspieltipps:Lichter der Stadt (feat. Optimackz & G-Shok)„,  „Absturztaktik„, „Lyrikol Liquor (feat. Knick Knack)„, „Shitlyfe Crysis„,

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„Ihr seid mir zu artig, meine Kunst ist entartet

Typen meines Schlages hinterlassen Leute schweißgebadet
Und für meine Sache bleib‘ ich unerbittlich bis zum Schluss
Wenn ich untergeh‘, dann mit den Mittelfingern in der Luft“
(aus „Absturztaktik“)

3 von 5 Ananas
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