"The hardest thing to do is something that is close…
Seit Kindheitstagen nimmt Musik im Leben der Valerie June Hockett, kurz Valerie June, eine bedeutende Rolle ein. Ein Resultat ihres Umfeldes, wuchs June als ältestes von fünf Kindern in einer musikaffinen Familie im ruralen Tennessee auf. Dort, wo unverändert stark die Kirche das Leben reglementiert und als wichtigster Ort zur sozialen Zusammenkunft fungiert. Die Kirche bekräftigte sogleich ihr Interesse an Musik, wie bei vielen afro-amerikanischen Künstlern aus den Südstaaten setzte Valerie June ihre ersten musikalischen Gehversuche im lokalen Gospelchor.
Ihr Talent blieb nicht lange verborgen und wurde von ihrem Vater gefördert, der sein Geld als Promoter für Künstler wie Prince und Bobby Womack verdiente. Ihren ersten Job im Musikgeschäft fand sie auch bei ihrem Vater vor, den sie beim Anbringen von Tour-Postern in der Stadt unterstützte. Der Traum von der Musik und einem Dasein als Künstlerin reifte während der Teenagerjahre, musste aber mühsam finanziert werden. So hielt sich Valerie June mit einer Reihe von 9-to-5-Jobs lange Zeit über Wasser, immer das Ziel vor Augen, eines Tages doch noch die Miete mit ihren eigenen Liedern bezahlen zu können.
Mühen, die sich spätestens 2011 endgültig auszahlten, als Dan Auerbach, Mastermind der Blues-Rock-Band The Black Keys, über den befreundeten Produzenten Kevin Augunas auf Valerie June aufmerksam wurde und gemeinsam mit Augunas die Produktion ihres dritten Albums „Pushin‘ Against a Stone“ vornahm. Thematisch sang sich Valerie June auf „Pushin‘ Against a Stone“ alle Rückschlage und Anstrengungen der vergangenen Jahre von der Seele, die in jedem Ton zum Ausdruck kamen. Allerdings taugte die Themenwahl kaum als Alleinstellungsmerkmal im Dickicht von Blues/Bluegrass-Platten, in denen vielfach die Tücken des Lebens den Kosmos der Songtexte abstecken.
„Pushin‘ Against a Stone“ war aber mehr als ein authentisches, makellos produziertes Americana-Album. Auffallend waren die Stilvielfalt im Soundbild und Valerie Junes nasales Organ – leicht quietschend, aber ohne dabei unangenehm in den Ohren zu liegen, keinem Alter zuordenbar und zudem von hohem Wiedererkennungswert gesegnet. Der Erfolg von „Pushin‘ Against a Stone“ (verkaufte sich in den USA über 60.000 Mal), mit dem sie sogar die damalige First Lady Michelle Obama erreichte, beruhte nur zu Teilen auf Dan Auerbach und Kevin Augunas. In erster Linie war Valerie June selbst dafür verantwortlich.
Also nur konsequent, wenn Valerie June auf der Nachfolgerplatte „The Order of Time“ ihre Person ungleich stärker in den Mittelpunkt rückt. Denn anders als auf dem Vorgänger, wo der Einfluss Auerbachs deutlich hörbar war, setzt Valerie June gemeinsam mit dem Produzenten Matt Marinelli nun ihre ganz eigenen musikalischen Visionen um. Die Einbeziehung einer großen Stilvielfalt hat sie sich bewahrt, gewohnt unaufgeregt verwebt sie verschiedene Musikgenres. Blues, Soul, Jazz, Bluegrass, Gospel und afrikanische Rhythmen sind die Hauptkomponenten des Soundbildes von „The Order of Time“, das mit dem Sujet der Zeit und dessen Einfluss auf das Leben einen durchgängigen thematischen Faden aufweist.
Dieser zeigt sich bereits im Opener „Long Lonely Road“, der fernab nostalgischer Blue-Collar-Romantik („Pops made his work in dust/But his hard-working hands fed us“) spiegelbildlich für alle Schwierigkeiten und Anstrengungen steht, die Valerie June für ihr Dasein als Künstlerin meistern musste. Eine ähnliche melancholische Stimmung entfacht June in ihrer Auseinandersetzung mit dem Themenkomplex Liebe, bei dem vielfach Töne der Resignation und Enttäuschung mitschwingen. Am stärksten verleiht June diesen Gefühlen auf dem Trennungstrack „The Front Door“ Ausdruck, in dem sie schließlich die zentrale Frage „How does it feel/To know that you can’t go on anymore?“ stellt. Abseits der unterschiedlichen Aspekte von Beziehungen widmet sich June, ganz ihren Gospel-Wurzeln entsprechend, der Spiritualität: Neben „Long Lonely Road“, das einige biblische Motive enthält, fällt „Astral Plane“ dahingehend auf – ein Track mit fabelhaftem Songwriting, der eigentlich für die Trip-Hop-Größen Massive Attack vorgesehen war.
Die auffallendste Komponente des Albums sind jedoch die afrikanischen Rhythmen. In einem der wenigen lauten Tracks des Albums, „Shakedown“, setzt Valerie June neben antreibenden Handclaps als Perkussion auf afrikanischen Wechselgesang – also etwas, mit dem einst afrikanische Sklaven versuchten, die harte Arbeit auf den Plantagen in den Südstaaten ein wenig erträglicher zu gestalten. „Shakedown“ ist aber nicht nur wegen des Einsatzes afrikanischer Rhythmik, die auf „Man Done Wrong“ dank der Wiedererfindung des Banjos als afrikanisches Instrument eine wesentliche Rolle spielt, ein äußerst gelungenes Stück Musik.
Bereits das Line-up weist hier besondere Qualitäten auf, featuret „Shakedown“ Norah Jones, Valerie Junes Brüder Jonas und Patrick sowie Gesangsspuren ihres im November verstorben Vaters Emerson. „Shakedown“ gleicht daher einem familiären Zusammentreffen auf Musikbasis, das auf gelungene Weise die Grundintention des Albums transferiert. Ein ähnliches Fazit lässt sich zum letzten Track der Platte fällen, der genauso schwungvoll gestaltet ist: „Got Soul“ fasziniert durch die hohe Bandbreite an Instrumenten (selbstverständlich ist das Banjo darunter), die in dem Track eingesetzt werden, und einem mitreißenden Chorus. „Yeah, I got sweet soul“, singt sie in diesem Song. Man kann ihr nicht widersprechen. „Got Soul“ ist der ideale Schlusspunkt eines großen Albums.
Fazit: Auf ihrem vierten Album zeigt sich Valerie June noch facettenreicher und kantiger als auf dem von Auerbach produzierten Vorgänger, ihren bis dato erfolgreichsten Album. „The Order of Time“ enthält erneut eine große Stilvielfalt, die aber noch ein Stück lückenloser ineinandergreift als auf „Pushin‘ Against a Stone“, das Songwriting zeigt sich ebenfalls gereift. Valerie June liefert mit „The Order of Time“ ein klug durchdachtes, packendes Blues/Soul/Bluegrass-Album ab, das vor allem noch einem klingt: nach Valerie June. Ein großes Kompliment.
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