Bereits 2014 äußerte sich „Der Standard“-Redakteur Christian Schachinger eher oberflächlich und negativ zu Haftbefehls Album „Russisch Roulette“, daraufhin folgten weitere Artikel, die nur verdeutlichten, dass Herr Schachinger wohl Rap nicht zu seinem Lieblingsgenre zählen dürfte. Umso unverständlicher wirkt es dadurch, dass sich Schachinger dennoch weiterhin dieser Thematik annimmt. Auch stellt sich die Frage, warum Der Standard im Vergleich zu anderen Medien wie beispielsweise Die Zeit für solch eine Berichterstattung nicht auf Gastbeiträge jener zurückgreift, die sich auch willig zeigen, sich mit der Materie tiefgründiger und unvoreingenommener zu befassen. Dabei scheint RAF Camora nach einigen Berichten für Schachinger sowieso keine Unbekannte der mysteriösen Rap-Gleichung mehr zu sein. Kritischer Journalismus ist ein unerlässlicher Bestandteil unserer Demokratie, daran sei nicht zu zweifeln, Schachingers Berichterstattung liest sich jedoch eher wie ein wütender User-Kommentar.
In seinem jüngsten Beitrag berichtet Schachinger vom Launch des „Karneval Vodkas“ – einer Spirituose made by RAF Camora und Bonez MC. Darin schreibt er: „Das hat sicher nichts damit zu tun, dass der Schnaps im Vergleich zu anderen gängigen Sorten nur 38 Prozent Alkohol und nicht 40 Prozent aufweist. Für einen Gangster ist der Karneval sozusagen ein Damenkracherl“. Was genau Herr Schachinger mit der Bezeichnung „Damenkracherl“ für den Vodka meint, wird nicht weiter erläutert, mag jedoch nicht unbedingt weniger sexistisch sein als etliche Textpassagen von RAF und Bonez, an denen sich Herr Schachinger reibt. Aber wen interessiert überhaupt der Alkoholgehalt im Detail? Die unzähligen treuen Fans, die laut Instagram-Story von RAF Camora das Kontingent auf Amazon binnen weniger Minuten leer kauften, vermutlich nicht.
Aber es kommt noch besser. Fast zeitgleich zum Launch des Vodkas gibt es den gleichnamigen Free-Track dazu – RAF und Bonez haben Promo eindeutig verstanden. Vodka und Song werden somit schnell zum Selbstläufer, Herr Schachinger stört sich jedoch scheinbar auch am Songinhalt. So meint er: „In dem werden laut Text Drogen genommen, Schwänze geblasen, es wird Nutten auf den Bauch gespritzt, mit dem Mercedes herumgekoffert und eben Vodka gesoffen, bis die Polizei kommt“. Definitiv der richtige Ansatz, den Herr Schachinger hier vielleicht verfolgen möchte, falls er auf die mögliche Problematik der Textpassagen wie „Spritz der Nutte auf den Bauch / Entschuldigung, das hab‘ ich mir erlaubt“ zu sprechen kommen mag, aber leider die falsche Umsetzung. Denn anstatt sich weiter mit den kritischen Inhalten auseinanderzusetzen, holt Herr Schachinger direkt weiter aus: „RAF Camora ist jetzt 35 Jahre alt. Hoffentlich wächst sich die Sache dann einmal in der Pubertät noch aus“.
Wir wissen – Rap ist nicht jedermanns Sache. Ironie und Satire sind stilistische Mittel und werden als Grundlagen der journalistischen Arbeitsweise verstanden, das ist klar. Irgendwie ist es ja auch lustig zu sehen, auf welches Unverständnis manche bei ihrer Konfrontation mit Rap stoßen und auch immer noch stoßen wollen. Ein bisschen traurig ist es jedoch, wie manchen Rappern durch genau solche Artikel großer Medien immer noch Relevanz und verdienter Respekt abgesprochen werden. Es wirkt so, als mache man sich hier schlichtweg über die beiden lustig – nicht mehr und nicht weniger.
Und es ist nicht das erste Mal. Im „RAF Camora ABC“ von Schachinger meint dieser unter anderem: „In RAF Camoras Texten kommen viele Drogen vor. Teilweise auch harte. Immerhin ist RAF Camora der härteste deutschsprachige Rapper“, in seiner Konzertkritik des ausverkauften „Palmen aus Plastik 2“-Gigs in der Wiener Stadthalle fällt sein Urteil nicht milder aus. Aber eine Frage bleibt dann doch unbefriedigt unbeantwortet: Welche „Sache“ genau soll sich denn bei RAF Camora hoffentlich in der Pubertät auswachsen, Herr Schachinger? Seine utopischen Chartplatzierungen, seine ausverkauften Konzerte oder seine über zehn Jahre Erfahrungen im Musikbusiness?
Ach, wenn wir schon dabei sind: Wo genau werden denn im Song Schwänze geblasen, Herr Schachinger?
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