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Bis jetzt und nicht weiter // Gastkommentar

Bis jetzt und nicht weiter // Gastkommentar

The Unused Word war bei den The Message Awards 2021 mit ihrem Album „Undanger“ in der Kategorie „Future Sound des Jahres“ nominiert. Seit Jahren ist sie ein fixer Bestandteil der Duzz Down San-Crew und war auf vielen Tonträgern und Veröffentlichungen zu hören. Ihr Talent ist abseits von Genregrenzen unbestritten. Einige Tage vor der Verleihung der Awards postete sie auf ihrem Instragam-Account ein ausführliches Statement. Sie erklärt darin, dass sie sich aufgrund der aktuellen Entwicklungen im Musikbusiness zurückziehen wolle und begründete dies mit einigen interessanten Gedanken. The Message bat sie darauf hin um einen Gastkommentar, in welchem sie diese Entscheidung weiter ausführt.

Selbstaufgabe, bis die Träume von der Blase der Karriere platzen? | Fotos: Florian Rainer

Kürzlich, an einem Jännervormittag, dachte ich mir einfach: ich will nicht mehr Musik machen. Nicht so. Und ich war plötzlich so zufrieden mit meinen Zukunftsaussichten, wie schon ewig nicht mehr – obwohl ich keinen konkreten Plan habe. Viel schlimmer, als ständig mehr auszugeben, als ich bekomme, kann es eh nicht werden.

Ich heiße Anna und ich will die aktuelle Artist-Ausbeutung nicht weiter unterstützen. Ich will nicht mitmachen und vorgeben, dass alles in Ordnung wäre! Deshalb habe ich mich entschieden, meine Solomusik von Spotify zu entfernen und danach eine musikalische Pause einzulegen. Gründe dafür gibt es viele. Zusammenfassend würde ich sagen, dass sich Musik als „Karriere“ für die große Mehrheit der Artists nicht auszahlt.

Das Gfret mit Spotify

Spotify zahlt den Musikschaffenden derart kleine Centfragmente für einen Play, dass es sich für die meisten nicht lohnt, überhaupt Lieder auf der Plattform zu veröffentlichen. Trotzdem tut es fast jeder Artist auf seinem Weg zur erhofften Berühmtheit. Der Grund ist wie damals bei Facebook: weil alle dort sind. Weil man überall gesehen werden muss, wenn man seine Daseinsberechtigung als Musiker*in nicht verlieren will. Spotify steht für mich für Zwang durch Monopolstellung. Diese Monopolstellung nützt die Plattform natürlich aus.

Nodstop: The Unused Word & Testa

Das wird durch die Konsument*innen weiter befeuert. Durchschnittliche User*innen zahlen einen „Premium“-Beitrag, der in Wahrheit nur bedeutet, dass man den Streamingservice in seiner absoluten Basisfunktion nutzen kann: nämlich ohne Werbung. Der Algorithmus funktioniert bei manchen toll, bei vielen aber überhaupt nicht. Der Content, der gepusht wird, ist natürlich hauptsächlich jener, hinter dem am meisten Infrastruktur, sprich Geld steht. Zu glauben, dass nicht etablierte Künstler*innen dagegen anhalten könnten, nur weil sie – wie alle anderen auch – Geld für PR ausgeben, wäre meiner Meinung nach illusorisch.

Auf der anderen Seite steht die Investition des Spotify-CEOs Daniel Ek in die AI-Rüstungsfirma ‚Helsing‘. Ek investierte im November 2021 100 Millionen US-Dollar in das Münchner Software-Startup. Das ist Geld, das Künstler*innen generiert haben und in die Waffenindustrie eingezahlt wurde. Die Reaktion einiger Artists, die das mitbekommen haben, war, ihre Musik von Spotify zurückzuziehen. Darunter der Münchner Skee Mask, dessen Labelheimat Ilian Tape den kompletten Katalog all seiner Artists von Spotify entfernt hat. Die Labeleigentümer, die Zenker Brothers, haben sich übrigens ein wenig irritiert geäußert, dass es große Plattformen wie Resident Advisor nicht geschafft haben, über die Rückzüge diverser Artists zu berichten. Vermutlich wollte sich dort niemand die Hände schmutzig machen.

Jedenfalls brauchen wir – überspitzt gesagt – keinen Lex Luthor der Musikindustrie, der das Geld, das die Musiker*innen für ihn einspielen, dafür verwendet, Leute umzubringen. Was stattdessen die meisten Musiker*innen bräuchten, ist faire Bezahlung. Und wir brauchen Musikkonsument*innen, die sich dieses Problems bewusst sind. Ich verstehe, wie praktisch Spotify ist und wie „wichtig“, alles an einem Ort zu haben. Ich verstehe auch, dass man es gewöhnt ist, Musik ohne all zu viele Gedanken oder Aufwand konsumieren zu können. Gerade weil in den letzten zwei Jahren selbst alltägliche Kleinigkeiten zu wohl überlegten Entscheidungen werden mussten. Bleibt die unangenehme Frage an sich selbst, ob man mit der Premiumgebühr nicht einfach sein schlechtes Gewissen abbezahlt.

Ich für meinen Teil jedenfalls kann nicht reinen Gewissens ein Album mit dem Titel „Undanger“ herausbringen und damit diese Art von Ziel unterstützen. Leider habe ich das mit der Rüstungsinvestition erst vor einiger Zeit erfahren. Ursprünglich wurde ich durch Neil Young, danach Joni Mitchell und India.Arie auf eine – zugegeben sehr kleine – Bewegung aufmerksam, die aus anderen Gründen Spotify boykottiert und ihre Musik von der Plattform zurückgezogen hat.

Zum Glück macht Spotify es mir extrem leicht: ich verliere im Endeffekt gar nichts. Die Premium-Gebühr kostete mich monatlich mehr, als ich in meinem ganzen Leben von Spotify zurückbekommen werde.

DER PR-DRUCK

Der PR-Zwang stört mich seit Jahren massiv. Er nimmt einen sehr großen Teil des Artist-Daseins ein, was vielleicht zu Beginn nicht allen Künstler*innen klar ist. Es ist normal geworden, viel mehr Zeit in Videos, Pressetexte, Fotos, grafische Layouts und Designs, Strategieentwicklung, etc. zu investieren, als man sich fürs Musikmachen nehmen kann. Der musikalische Kreativprozess soll dann nebenbei jederzeit abrufbar sein und zu gutem Material führen. Dieser Druck macht sich nicht selten in Form von Überlastung, Erschöpfung, Schlafproblemen bzw. umfangreichem Schlafverzicht, sowie gereizter Stimmung bemerkbar. All das, um den Stress des Erfolgstraums irgendwie auszuhalten. Man ahnt, dass das nicht weniger werden wird, je bekannter man wird. Und trotzdem wollen es alle wissen und selbst herausfinden. Absolut nachvollziehbar. Was viele lange nicht erkennen, ist, dass das ihr Alltag sein wir – sofern sie es schaffen.

Natürlich, es ist für – manchmal auch ein bisschen narzisstisch veranlagte – Musikschaffende erst einmal schmeichelhaft, wenn sie fotografiert, gefilmt, interviewt werden. Es ist schön, wenn man gehört wird.

Die Kehrseite ist, dass ständig neuer Content zur Pflicht wird, egal, ob sie gerade ausgelaugt oder gar depressiv sind – oder ob sie im Moment das Geld für einen fair bezahlten Videodreh haben. Es ist mittlerweile selbst für Beginner die Minimalanforderung, für ihren hustle alles an Geld, Zeit und Energie herzugeben, was da ist, und mit dem vollen Medienpaket anzurauschen.
Das wirkt sich auch auf alle beteiligten Kreativschaffenden aus, in Form von minderer Bezahlung bei diversen PR-Projekten. Das ist nicht glamourös oder romantisch, das ist Selbstausbeutung, für die einen niemand loben wird, und die die Grenzen des eigenen Schaffensbereiches übertritt. Diese Selbstausbeutung ist eine Testschwelle, ob du bereit bist, dich für das Business genug zu geißeln. Wenn nicht, gibt man die Aufmerksamkeit lieber wem Anderen.

Nodstop: The Unused Word & Testa

Seit ich meinen kleinen Sohn aufwachsen sehe, weiß ich für mich erstmals, wie es sich anfühlt, wenn sich etwas wirklich lohnt. Ich sage damit überhaupt nicht, dass Kinderkriegen das ultimative Ziel jeder Person sein soll (oder kann). Erfüllung durch das, was man macht, kann auf den unterschiedlichsten Wegen zu einer/m kommen, das weiß sicher jeder Mensch am besten für sich selbst. Ich kann nur für mich sprechen, wenn ich sage, dass mein Traum davon, von Musik leben zu können, nicht aufgegangen ist. Stattdessen war es ein ständiges Nachlegen und Spekulieren, und herausgekommen ist dabei zu wenig.

Vielleicht war ich mit meinen früheren Dauerdepressionen einfach nicht am richtigen Platz. Jedenfalls hat die dauernde Instabilität mit dem ständigen Auf und Ab von Aufträgen, Bezahlung (Ja/Nein/Wieviel?), den kreativen Phasen etc. mich extrem müde und ängstlich gemacht. Ganz viele Musiker*innen waren schon vor Covid daran gewöhnt, monatelang mit Durststrecken, sprich ohne Einkommen zu leben. Es war schon vorher nicht leicht. Reserven hat quasi niemand. Und wenn jetzt sogar die Radio Darlings, die diesen Platz absolut verdient haben, sagen: „Es geht sich nichts mehr aus!“, dann bestätigt mich das nur in meiner Entscheidung.

Wir haben das Problem zum Teil auch selbst mitgestaltet. Wir haben mitgemacht und so getan, als wär das ganze Unterfangen nicht viel zu undankbar. Es wird aber nicht besser. Ich habe eine Zeit lang so getan, als wäre das alles im Rahmen – und das war falsch! Manchmal kommt mir vor, alle mögen das Bild der depressiven, hungernden Artists, aber niemand möchte sich dann ihre Beschwerden anhören. Auch, weil das Leben für fast alle Konsument*innen schon schwer genug ist. Ich möchte als Musikerin jedenfalls nicht mehr dazu gezwungen werden, Geld zu zahlen, um überhaupt eine Chance zu bekommen, mitzumischen. Dieses System macht uns über kurz oder lang alle kaputt, und ich will nicht mehr mithelfen, es am Laufen zu halten, weil ich damit nicht nur mir, sondern auch meinen Kolleg*innen nichts Gutes tue. Außerdem bin ich einfach zu müde dafür.

Meine Nominierung für den Message Award in der Kategorie Future Sound könnte also vom Timing her kaum ironischer sein. Ich habe diesen Post nicht verfasst, um ein Mitarbeitsplus zu bekommen und eventuell meine Chance auf einen Gewinn zu erhöhen. Meine Entscheidung stand bereits fest, als mir mein Freund von der Nominierung erzählte. Ich hab mich total über diese Anerkennung gefreut. Für mich beinhaltet Future Sound auch, dass Artists überhaupt eine Zukunft in der Musik haben können, die sie nicht ausbeutet. Das wäre meine Idealvorstellung. Dafür müssen wir aber auch selbst etwas tun und Entscheidungen bezüglich ihrer Nachhaltigkeit überdenken. Da nehme ich vor allem Konsument*innen nicht aus.

Ob meine Collabo-Tracks bei Spotify online bleiben, bleibt meinen jeweiligen Mitmusiker*innen überlassen; ich mag mit meiner Entscheidung nicht über andere drüberfahren. Meine Solo-Releases sollten mittlerweile bereits verschwunden sein. Ab sofort wird meine Plattform der Wahl Bandcamp sein. Ich habe lange gedacht, Bandcamp geht nicht mit der Zeit und ist irgendwie nicht „dynamisch genug“ (mein Fehler, dass ich auf den Gedanken der ständigen Optimierung hereingefallen bin), aber ich finde es super, dass es dort zumindest die Möglichkeit gibt, Künstler*innen direkt finanziell zu unterstützen. Die Plattform ist schnörkellos und für Artists angenehm zu handhaben. Auf Soundcloud lasse ich die paar inoffiziellen Releases online, obwohl die Plattform einem Friedhof gleicht (danke, Mosch, für dieses treffende Bild).

Bei mir wird es im laufenden Jahr noch ein paar Releases mit befreundeten Artists geben, und dann ist erst einmal Ruhe. Ich möchte mich auf diesem Weg noch einmal kurz bei allen bedanken, die meine Musik jemals unterstützt, gebucht, fair bezahlt oder gepusht haben – bei allen, die Backstage für gutes Essen gesorgt haben, die sich Zeit für einen langen Soundcheck genommen haben. Bei allen, die zu meinen Konzerten gekommen sind, die mitgesungen haben, bei allen Interviewer*innen, Fotograf*innen (speziell Florian Rainer), Artwork designers, allen Konzert-Booker*innen – und bei der SKE, die mich mehrfach unterstützt hat, und dank deren Stipendium ich mir endlich eine Psychotherapie gegen die dauernde Panik leisten konnte.  

Riesen Dank auch an die Duzz Down San-Familie, die meinen Schritt willkommen heißt und unterstützt. Wer will, kann übrigens gerne Duzz Down San auf Insta folgen; dort werden normalerweise alle Releases gepostet.

Alles Gute, man sieht sich, und ich freu mich, wenn die Zukunft für Artists gut bzw. besser wird. 

See Also

Anna

Hier noch eine kleine Linksammlung zum Thema (Selbst-)Ausbeutung der Kreativen & Content Creators:

arte TRACKS: Was passiert mit den Streaming-Milliarden? (23.4.2021)

STRG_F: Jonas Ems, Gnu, LeFloid: Macht Social Media krank? (1.2.2022; Titel ein wenig irreführend, weil Fokus auf Content-Creator-Sicht)

Pitchfork (Englisch): Neil Young Tells Spotify Workers to Quit Their Jobs (7. 2.2022)

Pitchfork (Englisch): The Missed Opportunity of the Spotify Boycott (1.2.2022)


LINKS:

Bandcamp | Soundcloud | Soundcloud II (Yolo Ferrari) | Instagram | Instagram II (Yolo Ferrari)