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Zwischen Tapedeck-Nostalgie und moderner Soundästhetik // C´est La Nuit Interview

Zwischen Tapedeck-Nostalgie und moderner Soundästhetik // C´est La Nuit Interview

FreakinFreddy, LeoLex und L One kennen sich seit vielen Jahren. Sie waren Mitglieder des „Oida, das ist Rap aus München“-Untergrundkollektivs „All The People“ (ATP), das mittlerweile C´est La Nuit heißt. Vor einiger Zeit haben die drei das Label FASTFORWARD gegründet. Warum das nötig war, wie Manu (L One) beim Beatbauen vorgeht, welche Momente für Leo (LeoLex) wertvoll sind und warum es Freddy (FreakinFreddy) wichtig ist, sich in seinen Texten verletzlich zu zeigen, erzählen sie im Interview.

The Message: Beschreibt doch bitte einmal, warum ihr Rap liebt und lebt.
Leo: Es ist einfach wahnsinnig erfüllend, eine Ausdrucksform gefunden zu haben und gemeinsam mit guten Freunden Musik zu machen und Konzerte zu spielen. Seitdem ich angefangen habe, meine Tracks auf Bühnen zu performen und mit Leuten zu connecten, dreht sich alles nur noch um die nächste Studiosession, das nächste Projekt oder den nächsten Gig. Obwohl es teilweise richtig stressig ist, alles unter einen Hut zu bekommen mit Family oder Daytime-Job, kann ich mir im Moment nicht vorstellen, damit aufzuhören.

Manu: Ich persönlich schreibe nicht so konstant wie die anderen. Mein Platz war immer mehr bei der Musik selbst, und da ich früh von Hip-Hop beeinflusst war, ist das Genre meine erste Wahl. Die Ausdrucksform fern von akademischer Musiklehre oder Lyrik und die offenen Grenzen in alle Stilrichtungen, vor allem durchs Sampling, haben mich immer fasziniert.

Freddy: Rap ist für mich eine Form, Erlebtes zu verarbeiten und meine Gefühle und Ideen, aber auch Kritik, Liebe und Hass mit eigenen Worten auf den Punkt zu bringen. Er war schon immer Ausdruck von Rebellion und Selbstermächtigung und hat mich dazu gebracht, Gegebenes zu hinterfragen. Heute versuche ich, diesen Aspekt der Kultur in meinen Projekten weiterleben zu lassen.

Freddy, Manu und Leo bei einem Auftritt. Foto: Kipp Kruger

Ihr wart Mitglieder der ATP Crew aus München, die ihr in C´est La Nuit umbenannt habt. Warum das Ganze?
Alle: Der Crew-Zusammenhang hat sich in den letzten drei Jahren stark verändert. Ein paar der Gründungsmitglieder sind nicht mehr dabei, wir sind mittlerweile über mehrere Städte verteilt. Anfang 2023 haben wir uns entschieden, ein neues Kapitel aufzuschlagen, einerseits die Crew in C´est La Nuit umbenannt und andererseits das Label FASTFORWARD gegründet. C´est La Nuit ist eine Anlehnung an unser erstes Mixtape „C´est La Vie oder was?“. Ein Teil wird also weitergetragen, aber unter neuem Namen. Die Besetzung besteht, neben uns dreien, aus R.Mano, La Lucía, Mona Mi und MC Zeus.

Manu, du hast kürzlich ein Tape mit Beats aus der ATP-Zeit veröffentlicht. An welche Crew-Momente hast du dich beim Zusammenstellen der Instrumentals erinnert?
Ich wollte einfach Beats zusammenstellen und in ein „neues“ Gewand hüllen, um das ATP-Kapitel abzuschließen. Dass ein Großteil davon SP1200 Beats sind, war mir erst nach der näheren Auswahl aufgefallen. Das Tape ist damit auch ein Tribut an den Drumcomputer. Erst, als alles fertig war, ist mir klar geworden, wie viele Erinnerungen in den Instrumentals stecken. Ich könnte wahrscheinlich zu jedem eine Anekdote erzählen, aber vieles erinnert mich vor allem an bestimmte Orte wie ehemalige Studio-Locations, WGs oder Abende an der Corner. Es ist für mich ein bisschen wie ein Tagebuch, an vielen Stellen überfällt mich die Nostalgie, ich bin aber auch froh, dass manche Zeiten vorbei sind. Wahrscheinlich könnte ich eine ganze Serie an ATP-Instrumental-Tapes machen, aber ich schätze es bleibt doch eine einmalige Sache.

Wie entstehen deine Beats – gibt es am Anfang eine konkrete Idee, an die du dich strikt hältst, oder arbeitest du rein intuitiv?
Am Anfang steht immer die Frage, ob ich am Computer oder an einer Maschine, also einem Drumcomputer Schrägstrich Sampler, oder vielleicht an beidem arbeite. Das Feeling ist zwar sehr unterschiedlich, die Herangehensweise aber relativ ähnlich. Über die Zeit habe ich schon ein bestimmtes Prinzip entwickelt, um schnell zu einem Ergebnis zu kommen und während des kreativen Prozesses möglichst wenig nachdenken zu müssen. In Sachen Boom Bap fange ich zum Beispiel oft mit dem Grund-Sample an, alles andere wird drumherum gebaut. Vor allem Drumsounds und Timing müssen meiner Meinung nach zum Sound und Vibe des Samples passen, um ein organisches Soundbild zu schaffen. Oft aber stören mich diese festgefahrenen Strukturen. Deswegen ist es umso spannender, wenn ich es schaffe, sie zu brechen. Nur ist dann nicht immer garantiert, dass dabei Hip-Hop rauskommt. Über die Jahre habe ich Ausflüge in alle möglichen Richtungen gemacht, wobei Hip-Hop schon immer die Konstante war. Seitdem wir unser gemeinsames Studio haben und die Sammlung der Instrumente stetig wächst, kommen wir immer öfter vom reinen Sampling weg und spielen vieles selbst ein. An dieser Stelle gehen Grüße raus an ditu für die produktiven Abende und Inspiration. Vielleicht kann ich in ein paar Jahrzehnten von mir behaupten, ich wäre Multi-Instrumentalist und dass sich jeder Track in einem anderen Genre bewegt.

Vor Kurzem habt ihr das neue Label FASTFORWARD gegründet. Das klingt erst mal nach einem Widerspruch – zumindest hört man aus euren Texten heraus, dass ihr mit der Schnelllebigkeit in der Welt zu hadern scheint.
Alle: Wir wussten, wir brauchen eine Art Labelstruktur unabhängig von der C´est La Nuit Crew, um unkomplizierter Solo-Projekte oder Kollaborationen zu veröffentlichen und die Plattform auch für andere MusikerInnen aus unserem Umfeld zu öffnen. Im Moment kümmern wir drei uns selbstorganisiert und unabhängig um die Label-Arbeit. Das ist zwar ein permanenter Hustle, aber wir inspirieren, motivieren und supporten uns immer wieder aufs Neue. Es hat lange gedauert, bis wir wussten, wie die Veränderung konkret aussehen soll, und am Ende hat ein Name gefehlt. Wir haben uns auf FASTFORWARD geeinigt, weil es den Moment des Aufbruchs widerspiegelt. Nach Jahren des gefühlten Stillstands waren wir alle heiß darauf, nach vorne zu preschen, Musik zu machen und zu veröffentlichen und das Ganze auf ein neues Level zu pushen. Gleichzeitig sehen wir FASTFORWARD als Bindeglied zwischen Tapedeck-Nostalgie und moderner Soundästhetik.

Kommende Releases der Crew erscheinen künftig über FASTFORWAD. Logo: Romeo del Nilo

„Die schönsten Momente liegen oftmals in der Mitte“, hast du mal geschrieben, Leo. Welche sind das für dich und wie fühlen die sich an?
Schöne Momente sind für mich, wenn ich Zeit mit meinen Freund*innen, meiner Family und mit mir selbst verbringen kann. Ohne Zeitdruck, Unruhe oder Sorgen um den nächsten Tag. Wenn ich innerhalb einer Woche, neben der Arbeit, noch zweimal ins Studio gehen, mir ein Konzert ansehen, genug Schlaf bekommen, mit meinem Kind Basketball spielen und sonntags noch an der Isar abhängen kann, dann bin ich glücklich. Im Moment läuft das gut. Doch oft sind die Wochen krank durchgetaktet, zu viel liegt auf dem Tisch, Überforderung und Erschöpfung machen sich breit, der Selbstwert ist im Keller. Ich versuche, so achtsam wie möglich zu sein, dass die Hochs und Tiefs nicht zu extrem werden. Eine konstante Mitte ist einfach am entspanntesten und bildet die Basis dafür, dass ich mein Leben selbstbestimmt gestalten kann. Ich denke, ich schreibe mir teilweise selbst so Mantra mäßige Tracks, um mich daran zu erinnern, was mir guttut, weil ich es in der Hektik des Alltags immer wieder vergesse oder schleifen lasse.

Im August ist nach „International Waterz“ dein nächstes Übersee-Projekt erschienen. Was erwartet die Hörer:innen diesmal?
Das Album heißt „Crow Bref“ und ist eine Kollaboration mit NorthernDraw, einem US-amerikanischen Beatproduzenten, Künstler und sehr gutem Freund aus Portland, Oregon. Wir haben uns 2009 in Portland kennengelernt. In den vergangenen drei Jahren hat er in München gelebt und in dem Zeitraum haben wir Tracks gesammelt. Am Ende hatten wir 22 Tracks und Interludes mit 20 Feature-Gästen, unter anderem aus München, Portland und London. Es ist komplett von NorthernDraw produziert und durch seine vielseitige Sample-Auswahl musikalisch ziemlich abwechslungsreich geworden. Durch den Westcoast-Beatscene-Einfluss ist es definitiv lockerer und mehr laid back als das boom bapige und düster gehaltene „International Waterz“-Album. Unser Ziel war eine Art „Madvillainy“-Album zu machen, mit vielen Interludes und rudimentären Songstrukturen. Das war ein hoch gestecktes Ziel, aber wir finden, dass wir das auf unsere Art gut hinbekommen haben. Die Releaseparty fand im August in Portland statt. Seit Mitte September gibt es das Album auf Tape und zum Streamen sowie eine zwei Track starke Vinyl.

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(c) Philip Pesic

Im Rap grenzt man sich gerne ab von dem, was gerade angesagt ist oder allmählich zum Hype wird, so scheint es. Gehört das ausschließlich zur Battle-Attitüde oder gibt es in der Hinsicht noch irgendetwas anderes – ein Gefühl oder eine Erfahrung – das viele Rapper:innen eint?
Manu: Ich persönlich fühle die Musik am meisten, bei der ich den KünstlerInnen abkaufe, was transportiert wird und es in irgendeiner Form mit meiner eigenen Lebensrealität zu tun hat. So unterschiedlich unsere Realitäten sind, so verschieden ist auch der Rap, der gemacht wird. Es gibt viel Sound, den ich nicht abfeiere, aber respektieren kann. Wirklich haten tue ich nur, wenn menschenverachtende Inhalte transportiert werden, was leider noch oft passiert. Vielleicht höre ich deshalb hauptsächlich Instrumentals. Da gibt es keinen Interpretationskonflikt – und es zählt nur das Gefühl.

Freddy: Hip-Hop ist und war eine Männerdomäne, auch wenn sich inzwischen einiges geändert hat. Wir waren schon immer konfrontiert mit Machtansprüchen, diskriminierenden Inhalten, aber auch einer kapitalistischen Verwertungslogik, die keine Schwächen oder Andersartigkeiten zulässt und fördert. Wir von C´est La Nuit haben immer den Anspruch gehabt, was anderes zu pushen. Dass wir dabei auch an unsere Grenzen stoßen oder mit einer Realität konfrontiert sind, die das schwer macht, ist Teil davon. Mir persönlich ist es wichtig, mich verletzlich zu zeigen und mit meinen Emotionen und Erfahrungen offen umzugehen. Ich kann zwar verstehen, wenn sich Menschen dazu entscheiden, ihr Innerstes in ihrem kreativen Output nicht offenzulegen. Ich glaube aber, dass die vorherrschende Dynamik, die ein perfektes, abgeklärtes, kaltes und erfolgreiches Subjekt verkörpert – und dabei kein Halt vor „feministischem Rap“ macht – toxisch für unser soziales Miteinander ist. Das mache ich auch in meinen Songs zum Thema. Dabei wird mir immer wieder gesagt, dass ich das alles nicht so ernst nehmen soll. Ich für meinen Teil habe allerdings keine Lust, eine KünstlerInnen-Rolle einzunehmen, die nichts mehr mit mir als Person zu tun hat. Ich will ernst genommen werden für das, was ich anspreche.

Welcher Song auf deinem Album „Endless“ bedeutet dir am meisten und warum, Freddy?
Das ist echt schwer zu sagen. Jeder der Songs spiegelt einen anderen Aspekt meines Lebens wider. Während einzelne Lieder wie „Mitten in der Stadt“ oder „Rambazamba“ gut nach vorne brettern, ist der Großteil des Albums eher von einer schwierigen Zeit meines Lebens geprägt. Von meiner Entwicklung her würde ich sagen, dass der Titeltrack des Albums „Endless“ schon etwas Besonderes ist, da er in einer Art Gedichtform geschrieben ist, die ich bisher so nicht angewandt hatte. Generell habe ich die Hoffnung, dass es noch ein paar Leute gibt, die sich ein solches Album komplett durchhören, denn ich habe viel Wert auf die Vielseitigkeit der Tracks gelegt. So findet sich neben einem auf Englisch gesungenen Klavierstück ein düsterer Trap-Banger.

Könntest du auch ältere Songs auf der Bühne spielen, in die du dich vielleicht nicht mehr so gut einfühlen kannst, weil du dich als Mensch weiterentwickelt hast?
Natürlich verändern wir uns im Laufe unseres Lebens, und da bin ich auch ganz froh drum. Ich stehe trotzdem nach wie vor hinter allem, was ich veröffentlicht habe und hoffe, dass das so bleibt. Meine Diskografie kann man als Biografie verstehen – mit ihren Höhen und Tiefen und meinen Stärken und Schwächen. Ich habe eigentlich kein Problem damit, uralte Songs live zu rappen, teilweise wird das ja gewünscht. Es ist aber so, dass ich für die aktuellen Projekte mehr Feuer habe. Im Moment spiele ich viele Konzerte mit Yung Ullrich, einem Rapper aus Freiburg, mit dem ich gerade ein neues Album über FASTFORWARD veröffentlicht habe.

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