"The hardest thing to do is something that is close…
Die Eskapaden vergangener Tag sind bei den Indie-Rap-Heroen von Atmosphere längst passé. Waren Rapper Slug und Produzent Ant früher in jeglicher Hinsicht keine Kostverächter, herrscht seit „The Family Sign“ ein anderer Tenor vor. Keine alkoholgeschwängerten Geschichten aus schaurigen Bars oder Fabeln über promiskuitive Gelüste mehr. Sondern Erzählungen aus dem Alltag eines Familienvaters. Der Wickeltisch hat die Bartheke ersetzt – und man bekommt den Eindruck, dass Atmosphere stolz auf diese Entwicklung wären. So selbstbewusst wie sie ihr neues Sub-Genre vertreten, das sie passenderweise „Dad-Rap“ tauften und eine Weiterentwicklung des Prä-Drakeschen-Emo-Rap darstellt, den sie vor „The Family Sign“ verkörperten.
Nach „The Family Sign“ (2011) und „Southsiders“ (2014) servieren Atmosphere 2016 mit „Fishing Blues“ die nächste Episode aus der Gedankenwelt eines rappenden Familienvaters. Erwachsene Töne sollen die 18 Tracks kennzeichnen. Leider wäre der Terminus „durchwachsen“ die bessere Wahl gewesen. Nach einem passablen Opener („Like a Fire“) präsentieren Atmosphere gleich mit dem zweiten Track den absoluten Tiefpunkt des Albums – vielleicht sogar der gesamten, über 20 Jahre andauernden Rapkarriere. Umso erstaunlicher, warum die Rhymesayers-Oberhäupter, die eigentlich für Geschmackssicherheit bekannt sind, die grotesk-peinliche „Falling Star“-Posse „Ringo“, für die sich sogar Macklemore schämen würde, als erste Videosingle auswählten.
Glücklicherweise stimmen die folgenden Tracks einigermaßen milde: „Pure Evil“, das sich mit dem Thema der Polizeigewalt aus der Sicht eines Polizisten auseinandersetzt, weiß ebenso zu gefallen wie die Identitätsannäherungen „Besos“ und „Perfect“ sowie die skurrile US-Rap-Antwort auf „Ham kummst“. Letztere nennt sich „Next to You“ und handelt von einem verzweifelten Slug, der nach einer durchzechten Nacht gerne Sex mit seiner Frau hätte, die aber bereits eingeschlafen ist und er deswegen über Masturbation nachdenken muss. Das klingt schrägt, ist jedoch ebenfalls „Dad-Rap“.
Verfügt die erste Hälfte des Albums trotz manch Lückenfüller und Skip-Kandidaten über ein für Atmosphere angemessenes Niveau, nimmt die Dichte an akzeptablen Tracks in der zweiten Hälfte rapide ab. Slug wiederholt sich, verfängt sich in reimtechnischer Simplizität und liefert einige seiner berühmt-berüchtigten „What the Fuck“-Lines. Beispiele hierfür sind „And don’t expect anything less than the kitchen sink/It feel like you’re still trying to lead a horse to drink“ aus „Won’t Look Back“ oder „I write songs that I’m living in, welcome to my sweatshirt“ aus „A Long Hello“.
Als hörenswert erweisen sich lediglich das countryeske, wie eine 2016er-Version von „Always Coming Back Home to You“ wirkende „Won’t Look Back“ und die jazzige Aesop-Rock-Kollabo „Chasing New York“. Wobei sich Aesop Rocks Arbeitsaufwand auf ein paar gesprochene Takte im Outro des Tracks beschränkt. Den Schlusspunkt setzen Slug und Ant mit dem Antitrennungssong „A Long Hello“ – eine sympathische Idee, nur mangelhaft ausgeführt. Wie viele der Inhalte auf „Fishing Blues“, das zumindest beattechnisch ansprechend geraten ist. Ant schmiedete einen gechillten Laid-Back-Sound inklusive live eingespielter Instrumente. Ein Sound, mit dem sein Kollege nur zu oft zu wenig anzufangen weiß.
Fazit: Mit „Fishing Blues“ können Atmosphere kaum neue Akzente setzen. Zwar beinhalten Ants Instrumentals auch auf diesem Album eine amtliche Qualität und Slugs Storytelling funktioniert stellenweise weiterhin wie gewohnt – über die Schwächen vieler Songkonzepte können beide Faktoren aber nicht hinwegtäuschen. Vielleicht brauchen Atmosphere neue Inspirationquellen. Sonst droht die Gefahr, dass sie sich mit ihrem „Dad-Rap“ in eine künstlerische Sackgasse bewegen.
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