Auch abseits des neuen Gloriettenstürmer-Albums „808 Herzschmerz“, über das wir im Rahmen eines Interviews gesondert berichtet haben, ist in den vergangenen Wochen einiges erschienen – wie gewohnt im neuen Austro Round-up zusammengefasst.
Text: Simon Nowak & Lisa Lubena
Releases
Kreiml & Samurai – Auf olle 4re (Remix Edition)
Es scheint alles fast bisschen surreal. Über ein Jahr ist es mittlerweile her, dass Kreiml & Samurai mit „Auf olle 4re“ ihr gemeinsames Album mit Brenk Sinatra veröffentlicht haben. Der weitere Verlauf? Eh schon wissen. Die Pandemie hat dem Schweinehund inmitten der Tour vor der geplanten Rekordkulissen-Show im Wiener Gasometer und einigen Deutschland-Gigs über dem Weißwurstäquator gehörig eine aufbrennt. Die neue Realität haben die beiden im Sommer für die „Kurzarbeit“-EP mit Katharsis genützt. Nebenbei haben sie einige Weggefährten und Bekannte für ein Remixprojekt zu „Auf olle 4re“ angehaut und für die Jubiläumsversion eine illustre Runde an befreundeten und geschätzten Produzenten vereint.
Als Kontrastprogramm zu den Brenk-Signature-Beats liefern nun 12 Produzenten 12 Remixes. Digga Mindz, Illeagle, Wolfi F., Stixx, Buzz, Austrian Apparel, B.Visible, Trishes, Schieber, Testa, Fid Mella und food for thought sorgen für einen bunten Mix an Sounds und Stimmungsbildern. Auch physisch gibt es Neuerungen. Während das Original auf Vinyl erhältlich ist, gibt‘s die Remix-Version in Tape-Form. Und irgendwann wird es dann garantiert auch noch was mit der „Schauma moi daun seng ma eh„-Tour. Der Name scheint aktuell nicht nur auf Tourebene das Motto von Kreiml & Samurai zu sein. Denn aktuell sammelt das Duo wieder Beats und bastelt an Texten für neue Tracks – bis dato aber noch, ohne konkret auf ein Release hinzuarbeiten.
Mahagoni – Minotaur
Halb Mensch, halb Stier – für den Titel und einige Metaphern auf seinem neuen Album hat sich Mahagoni in der griechischen Mythologie bedient. Der Linzer kann sich, no na ned, gut mit dem kämpferischen Mischwesen identifizieren. Er verknüpft damit seinen erlernten Umgang mit Problemen, die ihm als dunkelhäutigen Mann in Oberösterreich mitunter widerfahren. Ein Großteil der Tracks fällt persönlich aus, die Texte drehen sich um Mahagonis Werdegang, das Durchkämpfen mit der Hustler-Mentalität und sein „Halb Mohr Halb Nord“-Selbstverständnis – wobei der Rapper gezielt darauf geachtet hat, weniger als bei seinem vorherigen Album zu fluchen. Die Gesangseinlagen, die neben den Rapparts immer wieder zum Einsatz kommen, dürften sich derweil zu einem seiner Markenzeichen entwickeln.
Der Nachfolger des 2018 erschienenen Debütalbums „Fresh aus Instinkt“ kam eigentlich schon im Dezember raus, flatterte uns aber erst kürzlich rein. Mahagoni, der zwar schon lange in der Linzer Rapszene aktiv ist, aber was Releases angeht noch wenig vorzuweisen hat, konnte dabei auf ein eingespieltes Team setzen. Er hat erneut beim Label C.O.C. seines langjährigen Weggefährten K.S.Kopfsache angedockt, Hausproduzent Def Ill hat sich um Beats und Mastering gekümmert und den Sound insgesamt auf ein sehr ordentliches Level gehievt.
Johnny Messer & Hoes’n’pza – Tape #2
Wenn Johnny Messer ans Mic steppt, sind tiafe, rauschige, politisch unkorrekte, aber zugleich unterhaltsame und energisch gerappte Punchlines gewöhnlich nicht weit. Der Innsbrucker trat bisher vor allem im Haudrauf-Style in Erscheinung, nicht zuletzt bei den Singles „Vorstadtcasanova“, „Halt mi Zrugg“ und dem „Shutdown MT“ sein „Leben zwischen Gottkomplex und Mindestsicherung“ zelebriert. Für sein „Tape #2“ hat der „Hallodri vom Tankstellenstehtisch“, wie er sich im Intro bezeichnet, fünf neue Tracks – vier davon seinem Stammproduzenten Hoes’n’pza, einen auf Pirmin-Beat – vereint.
Gewohntes Programm also? Nicht wirklich, denn Johnny Messer liefert diesmal mehr Abwechslung, hat stumpfe Punchlines über weite Strecken gegen Inhalte eingetauscht. Selbstverwahrlosungs- und Versager-Lines auf einer weniger ins Lächerliche gehenden Ebene, mit „Ketaminprinzessin“ ein solider Storyteller und mit „Hasse diese Tracks“ Johnnys bisher eindrucksvollste Nummer, bei der er viel aufgestaute gesellschaftliche und politische Wut rauslässt. Gegen Rechtsextreme, Kapital-Goldgräber, die immer noch prekärer werdenden Verhältnissen für Mittellose, Obdachlose und Asylwerber, aber auch Teile der heutigen Linken, die Johnny zu selbstgerecht und realitätsfremd sind. Ihm gehen etwa die zur Schau gestellte moralische Überlegenheit, das „Einbubblen“ auf Twitter und das Verrennen in Nebensächlichkeiten gegen den Strich. Starker Tobak für vier Minuten Laufzeit, ein heißer Kandidat für den nächsten Protestsongcontest – da kann Johnny Messer „solche“ Tracks sonst noch so hassen.
Mefju – Masken ab
Nach eigenen Angaben schon lange aktiv ist Mefju. Dass der Rapper aus Wien-Floridsdorf – obwohl mit „Masken ab“ erst Ende Februar sein erstes Release erschienen ist – schon länger im stillen Kämmerlein an Musik gefeilt hat, ist den sechs Tracks anzuhören. Raptechnisch auf gutem Level, scheint sich Mefju dabei auch einiges von der Seele geschrieben zu haben. Aus der Sicht des Gemeindebaubuam, der zwischen Parkbank und Wettbüro pendelt. Umgeben von Rauschmitteln, Brüdern und falschen Schlangen, fehlenden Perspektiven und der schiefen Bahn. Was sich hier klischeehaft liest, klingt auf der EP wie ein durchaus authentischer Auszug aus einem turbulenten Leben. „Unkontrolliert aggressiv, bin dauerfett und nachtaktiv, Polizei in meiner Stiege weil der Nachbar wieder Drama schiebt, doch jeder Amnesie, denn keiner will reden, was für El Patrón? Gemeindebauleben“ Mefju bewegt sich dabei zwischen Rap der härteren Gangart und melancholischem Singsang – also irgendwo zwischen Streetrap und Pop. Ein stimmiges und durchaus interessantes Debüt.
Videos
Kerosin95 – Futter
Nächste Woche ist es so weit: Kerosin95 releast das Debutalbum “Volume 1” via Ink Music. Mit “Futter” gibt uns Kathrin Kolleritsch, so der bürgerliche Name, einen Vorgeschmack auf die verspielte Ernsthaftigkeit, die sich durch das gesamte Album zieht und spiegelt die zwei Konträren der pronomenfreien Kunstfigur wider: einerseits Stärke, aber zugleich durch die Ehrlichkeit auch Zerbrechlichkeit. In den scharfen Lyrics von „Futter“ transportiert Kerosin95 Kritik am Patriarchat, lockert diese allerdings ab der Hälfte des Tracks durch verspielte elektronische Elemente auf. Musikalische Unterstützung liefert einer der momentan heißesten Producer Österreichs: Marko Kleebauer. Im Video zu “Futter” findet man Kerosin95 unter anderem auch in gewohnter Umgebung – der Turnhalle, in der bereits das Video zum Video zu „Who“ von My Ugly Clementine entstanden ist. Jener Indie-Band, bei der Kathrin Kolleritsch primär an den Drums aktiv ist. Die Location ist zwar bekannt, doch der Look ist ein anderer – denn für das Video hat Kerosin den schwarzen Hoodie gegen einen pinken Minirock getauscht und erstrahlt, passend zum anstehenden Albumrelease, auffälliger denn je.
Dynomite feat. Average – Vorbye
„Waun i doch nur die Zeit zruckdrehn kennt“ – ein Satz, der häufig fällt, wenn die Jugend vorbeigezogen ist oder einschneidende Ereignisse das Leben negativ beeinflussen. Average und Dynomite könnten sich auch gut mit dem Vorspulen arrangieren – Hauptsache diese abgefuckte Zeit geht vorbei. „Leben derzeit fühlt sich an als hätt‘ ich den Pilotenschein / Doch jemand sagt ich muss für unbestimmte Zeit am Boden bleiben“, rappt Average etwa. Es klingt schon bisschen nach Katharsis und Beschäftigungstherapie, wenn sich der Linzer Wahlwiener und der Favoritner Rapper, vor allem als Sieger des Protestsongcontest 2020 bekannt, auf einem Beat von Johnny Cashless über diese Turbulente Zeit austauschen. Trotz der mittlerweile einjährigen Pandemie, ihren Auswirkungen auf die Gesellschaft und die Psyche der Menschen verdeutlichen sie, dass es ihnen immer noch verhältnismäßig gut geht. Schöner Track.
Sidney – 100 KMH
„Keinen Plan, Hauptsache ich komm‘ voran“ – dass Sidney was weiterbringen möchte, macht er auf „100 KMH“ mehrmals klar. Wurscht wie viele Hürden sich auftun, der Wiener möchte sie alle überwinden. Doch bei all der Motivation gilt es, nicht den Spaß an der Sache zu verlieren. Und dieser scheint ihm keineswegs zu fehlen, wie die Good-Vibes im Track und im dazugehörigen Video verdeutlichen. Sidney und seine Akashic-Crew bauen dabei auf ein bewährtes Konzept. Der Track bietet dank des Beats von Jerry Divmond und der gewohnt eingängigen Rap-Gesangs-Melange von Sidney viel Hitpotenzial. Nur das mit dem mit 100 km/h durch die Stadt fahren sollten sie vielleicht besser nicht wörtlich nehmen.
Gazal – Irgendwann
Anfang 2020 bei einem Auftritt bei Sookees Abschiedstour im Wuk zum ersten Mal auf der Rap-Bühne zu sehen, war Gazal anlässlich der Wien-Wahl vergangenen Herbst erstmal auf einem Track zu hören – auf „Wien Oida“ gemeinsam mit Kid Pex. Auch das Datum ihres ersten Solotracks ist bewusst gewählt. So präsentierte die Rapperin pünktlich zum Weltfrauentag am 08. März den ersten Vorboten ihres Debütalbums. „Er ist für alle, die die Pfiffe und Sprüche leid sind. Für alle, die das Irgendwann nicht mehr hören wollen. Für alle, die Banden bilden wollen. Join us!“, schreibt die 2016 von Linz nach Wien gezogene Rapperin zum durchaus gelungenen Frauenpower-/Gleichberechtigungstack. Während Gazal mit einigen Mitstreiterinnen im Penzinger Skatepark posiert, zeugt der ein oder andere Haus-Maus-Reim noch ein wenig von der fehlenden Rap-Routine. Die kräftige, soulige Stimme sticht dafür schon umso mehr heraus. Neben dem ersten Album soll heuer auch das gemeinsam mit Sookee herausgegebene Buch „Awesome HipHop Humans“ erscheinen und sich linksfeministischem HipHop jenseits des Mainstreams widmen.
D.A.R.I.O. feat. Khuli Chunauti, Marrcello & Nika – Machand
Dass Berlin ein Schmelztiegel ist und sich bestens zum Connecten unter Musiker*innen eignet, sollte bekannt sein. Das verdeutlicht auch der Track „Machand“, bei dem vier Künstler*innen aus vier Nationen aufeinandertreffen. Vertreten sind der Schweizer Rapper D.A.R.I.O., der aus Mumbai stammende Khuli Chunauti, der „echte“ Berliner Marrcello und die in Vorarlberg aufgewachsene Rapperin/Sängerin Nika. Gemeinsam bilden sie die 9Ts Clique. Auf einem drückenden Beat mit indischem Soundvibe sorgt das Quartett für einen durchaus gelungenen, bilingualen Representer. Das dazugehörige Video ist im Multikultibezirk Moabit entstanden.
Spilif – Scheinwerferlicht
Mit „All Eyez On Me“ hat 2Pac eine turbulente Phase musikalisch eingefangen – als er den Titeltrack seines erfolgreichen Albums aufnahm, war er frisch aus der Haft entlassen worden, bei Death Row gesignt, der East-West-Beef nahm langsam seinen Lauf – kurzum: er war im Scheinwerferlicht. Das gleiche Grundmotto, wenngleich natürlich ohne delinquenten Rap-Star-Background und in weit ruhigerem Setting, gilt im gleichnamigen neuen Spilif-Video. Die Innsbrucker Rapperin sinniert dazu auf einem LoFi-Beat von Beatmund Noise emotional über das Seuchenjahr 2020 und welche Spuren es auf persönlicher, psychischer und musikalischer Ebene hinterlassen hat. Berührende Zeilen über kontaktlose Zeiten.
strange – Samt und Seide
Mit dem Track „samt und seide“ macht der Grazer Rapper strange Lust auf mehr – und das soll es auch bald geben. Noch dieses Jahr soll sein Debütalbum „Spiegelscherbe“ erscheinen. Bis dahin gibt es in samt und seide sanfte Töne und Lyrics, die von Beginn an auf ein Liebeslied deuten lassen. Das Musikvideo erinnert an Lyric-Filme und ist ein Zusammenschnitt aus den verschiedensten Orten in der Stadt, so wie am Land. Die menschenleeren Aufnahmen können als ein Spiegel der momentanen Situation gesehen werden und unterstreichen die ruhigen Beats und die philosophischen Lyrics.
NoTees – Scrabble
Ende 2020 erstmals mit dem Track „Afterparty“ in Erscheinung getreten, machen die NoTees nun mit „Scrabble“ quasi nahtlos weiter. Erneut liefert das sichtbar junge Salzburger Quartett auf einem treibenden Beat einen klassischen Crew-Representer – und kann dabei aufzeigen, denn von der Produktion über die Raps bis hin zum Video präsentieren sie sich schon auf einem beachtlichen Level. Auch wenn natürlich noch Luft nach oben da ist. Die Rapper Filo und Kusa und ihre Produzenten MeCX und Lil imou wirken jedenfalls schon wie ein eingespieltes Team, das seit geraumer Zeit an Tracks mit Hit-Potenzial schraubt.
Canto – Get Schwifty | Boost Pad
Zwischen Telfs und Berlin bewegt sich Canto, der sich nun offenbar in der großen Welt durchbeißen möchte. Auf „Get Schwifty“ gibt der Rapper eindrücklich zu verstehen, dass ihm ein Nine-to-five-Job herzlich am Arsch vorbei geht – tja, lässt sich eben nicht mit dem Rockstarleben vereinen. An diesem werkelt er seit einiger Zeit mit Singles – und unterstreicht, dass Skills, Angriffslust und ein gewisser Style bei ihm definitiv vorhanden sind. Es wirkt schon außergewöhnlich arrogant und gelangweilt, wie Canto auf diesem Track seine Lines dahinrappt. Um einiges sympathischer und melodischer präsentiert er sich dagegen auf „Boost Pad“. Schwer einzuordnen, aber definitiv zwei interessante Singles.
Chaoz & Lenny420 – Hättiwadi
Im neuen Jahr bislang ähnlich umtriebig wie 2020 zeigen sich die Bluntkartell-Buam. Für das jüngste Video hat sich die Linzer Rap-Crew im eingenebelten Welser Schlachthof versammelt – und die Posier-Power hochgeschraubt. Zu hören sind diesmal Chaoz und Lenny420 auf einem Beat von Coffee Sounds. Die Brüder liefern mit „Hättiwadi“ Mundart-Raps und Representer-Material in gewohnter Qualität und stimmen mit dem mittlerweile vierten Vorboten auf das Album „Wach oba grod“ von Chaoz ein, das für 14. März angekündigt ist.
Weitere Videos
Amadi – „Coldest Summer“
AUTsiderz – „2021“
Jamal52 – „Raus“
Koarli Unda – „Stepstep“
makko & Sadi – „Uno“
MCP – „Mond“
Mieze Medusa & Tenderboy – „Schlaflos“
Nouv – „Skelly Boy“
Sweetboyblondey – „Wenn der Schnee fällt“
TripFace – „Kobe & De Bruyne“
Von Seiten der Gemeinde x Da Kessl – „Die Gedanken sind frei“
Tracks
An Exciting Kind of Average – „Funeral“
David Emanuel – „Eiskalt“
Dirtysanchez & food for thought – „Self Care“
Faces & Mirac – „Too Far“
fface128 & Zerotonin128 – „Moonwalk“
HipHop Joshy, Dirtysanchez, Tom Gnsr & Melonoid – „AFK“
L.ias – „Fliang“
Schakal & Flip – „Schwarze Tage“
Sketches on Duality – „Blessed“
Wal de Mar & LazySwan – „Seltsam“
xsip & Flohzirkus – „Vielleicht“
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