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Alles möglich, nix vergeblich // Average & David Raddish Interview

Alles möglich, nix vergeblich // Average & David Raddish Interview

„Vale Tudo“ – alles gilt. So nennt sich das am 5. April erschienene Album von Average & David Raddish. Der titelgebende Begriff, der aus dem Kampfsport stammt, ist bewusst gewählt. Die zwei in Wien lebenden Oberösterreicher möchten möglichst frei von vorgefertigten Mustern Musik machen. Seit einer Zusammenarbeit mit der folkshilfe beim Song „Schewan“ 2019 experimentieren sie viel gemeinsam im Studio. Auf den Produktionen von David Raddish rappt Average gewohnt emotional und lebensnah, er setzt zudem intensiver als zuvor auf Songwriting-Elemente und französische Einflüsse.

Im Interview sprechen die beiden über aufeinanderprallende Welten, nötige Arschtritte, den Kampf um die Sprache, den Soloalbum-Elefanten im Raum bei Average und die Ursprünge seiner Connections nach Südfrankreich.

The Message: Average, bist du schon öfter als ewiges Raptalent bezeichnet worden?
Average:
Höre ich manchmal, ja (lacht). Vor allem höre ich immer wieder, dass ich gemeinsam mit Def Ill irre lang als Nachwuchs-Hoffnung in Linz gegolten habe. Bis lange Zeit später wieder ein wirklicher Schwung an jungen MCs gekommen ist. Es hängt sicher damit zusammen, dass ich damals das Album nicht gemacht habe. Die Zusammenarbeit mit David war für mich, der lange seinem ersten Soloalbum hinterherhechelt, eine Chance. Er arbeitet sehr professionell und motiviert mich, Sachen fertigzustellen. Das brauche ich auch.

David Raddish: Ich bin es gewohnt, schnell zu arbeiten. Für mich ist jedes Album eine Phase. Ich bin froh, wenn eines fertig ist und Platz fürs Nächste ist. Ich glaube, man kann von jedem fertigen Album oder Projekt etwas fürs Nächste mitnehmen. Dann wird es immer leichter, loslassen zu können. Es heißt glaube ich nicht umsonst Release.

Average: Es ist wichtig, am Ball zu bleiben. Das habe ich für mich gelernt und es ist eine schöne Sache. Es hat länger gedauert, aber wir waren in der Zwischenzeit sehr aktiv. David hat für verschiedene Leute produziert, ich habe paar Singles und Features gemacht, war beim TTR Allstars-Album dabei und habe eine Tour gespielt.

David Raddish (l.) & Average (r.) haben verschiedene Blickwinkel.

Du sagst, dass du deinem ersten Soloalbum hinterherhechelst. Ist dieses Kapitel mit „Vale Tudo“ abgehakt?
Average:
Ich sehe „Vale Tudo“ als Kollabo-Album und nicht als Soloalbum. Ich finde, man hört extrem, dass zwei Welten aufeinandertreffen. Für mich ist das Erfrischende am Album, dass man beide Ansätze voll spürt und raushört. Wenn ich mir Beats schicken lassen würde und mit Leuten arbeiten würde, mit denen ich sonst arbeite, würde es ganz anders klingen.

Ist das Solo-Debütalbum noch ein Thema?
Average: Es gibt schon ein anderes, aber es ist noch nicht fertig. Das Gute ist, da spielt der Zeitgeist mit, dass es glaube ich den meisten Leuten wurscht ist. Erstens wartet keiner mehr auf das eine Album und zweitens ist es glaube ich fast egal, wie man es betitelt. Es gibt Leute, die freuen sich, wenn eine Nummer kommt und umso mehr, wenn ein Bündel an Nummern kommt. Aber ob es jetzt das Average-Soloalbum ist, das ich so lange angekündigt habe oder nicht, beschäftigt mich selbst am allermeisten. Ich habe eine extrem hohe Messlatte gehabt und den Zeitpunkt verpasst, an dem ich es bringen hätte sollen.

„Es ist meine Arbeitsweise, dass ich mir zu viel Druck mache und extrem verkopft bin“ (Average)

Angekündigt, dass du an einem arbeitest, hast du schon 2014 oder so.
Average: (lacht) stimmt. Ich möchte es eh als nächstes raushauen. Ich habe von damals noch Songs, die ich draufpacken möchte. Es ist wohl einfach meine Arbeitsweise, dass ich mir zu viel Druck mache und extrem verkopft bin.

Textlich dringt auf “Vale Tudo” viel Alltagsstress durch. Was war dein Approach?
Average: Ich habe es textlich gehalten wie mit allen meinen Releases: Versuchen, authentisch zu bleiben. Es klingt nicht umsonst so. Ich bin mit meinem Brotjob, wenn auch nur Teilzeit, und als Papa eines sechsjährigen Sohnes schon eingespannt. Das ist der beste Job von allen. Das Album von David und meinem Sohn wird sicher schneller fertig (lacht).

David Raddish: Er hat eh schon ein Feature.

Average: Stimmt. Das Skit vor „Kids“ ist entstanden, als David am Klavier gespielt hat. Mein Sohn hat einfach darauf gefreestylt, als er drei Jahre alt war. Ich habe es nicht vorausgesehen.

Ein anderer Track, „Sprache“, klingt wie ein politisches Statement. Die Macht der Worte, wie sie instrumentalisiert werden. Gab es einen konkreten Auslöser?
Average:
Was einem ins Auge fällt, wenn man durch die Straßen geht und entsprechende Parteiplakate sieht. Und generell, was Leute mit Sprache anrichten. „Habts scho Mittaggessen, jo, jo?“ ist ein Satz, der für ganz lange Zeit steht. Er ist für mich ein Sinnbild von Ablenkung und davon, wie man Leute verarschen kann oder sagen kann: „Ihr seid mir scheißegal, aber wählt’s mich!“ Der Song ist natürlich sehr politisch. Mir geht es gleichzeitig darum, dass Sprache positive Wirkungen haben kann. Das kommt im Track zugegebenermaßen nicht so raus.

David: Ziel des Instrumentals war, dass es ein bisschen kämpferischer ist. Dass ein Song mit diesem Thema nicht resignativ wird, sondern eine Ansage ist.

Average: Sprache ist eine Waffe, die man für vielerlei Dinge verwenden kann. „Nein, das ist nicht unsere Sprache“ ist die Hoffnung, dass die Mehrheit doch noch anders denkt. Es ist nicht die Sprache der Allgemeinheit, es ist eure Sprache mit Nazi-Codes und Rumgeschwafel von Leuten, die oben sitzen und keinen Bezug zur Realität und zur wirklichen Basis haben.

Hast du den Eindruck, dass Nazi-Codes wieder päsenter geworden sind?
Average: Eher allgemein, dass sie normal werden. Egal ob das von FPÖ-Politikern oder zum Beispiel Leuten aus der identitären Ecke kommt. Das sind ja nicht nur dumme Leute. Sie wissen, wie sie die Wörter und Zahlen einschleusen. Es sind ja bekannte Codes.

David: Zuerst ist es der Kampf um die Sprache. Auch wie man Menschen mit Migrationshintergrund bezeichnet. In der NS-Zeit war es ja auch so. Wenn Leute als Ungeziefer, Mist oder so ähnlich und nicht mehr als Menschen bezeichnet werden, dann ist der Weg, Ungeziefer zu töten, nicht mehr weit. Deswegen ist Sprache, auch wenn es nur Wörter auf Plakaten sind, brandgefährlich. Und darum geht es: Den Kampf um Sprache.

„Seine Texte sind scheißgut, aber ich will auch, dass sie jeder versteht“ (David Raddish)

Ein paar Tracks sind sehr energiegeladen, das kämpferische Element ist auch bei „Generation Maximum“ sehr präsent. David, wolltest du mit den Instrumentals die Emotion rauskitzeln?
David:
Eher umgekehrt. Ich habe nie sagen müssen, dass ich mehr Schub brauche. Ich habe eher versucht, die herzgeöffnete, weiche, ehrliche Seite ohne Filter rauszukitzeln. Deswegen mag ich den Song „Alles“ so. Da klingt seine Stimme auch ganz anders.

Average: Es ist sinnbildlich. Normalerweise geben sich Leute mit meiner Art zu rappen schnell zufrieden. Alles verständlich, on point gerappt, Strophe fertig. David ist sehr kritisch und genau, was Verständlichkeit und Aussprache angeht. Da habe ich viel dazugelernt. An Energie mangelt es sicher nicht. Ich glaube, man muss mich eher bremsen. 

David: Seine Texte sind scheißgut, aber ich will auch, dass sie jeder versteht. Es ist kein Cloudrap oder so, es geht um etwas und darum, dass die Emotion, die hinter dem Text steht, transportiert wird. Ich bohre gerne nach. Was ist die Intention? Für wen sagst du das? Bei „Kids“ habe ich gesagt: „Stell dir vor, du sagst das jetzt deinem Buam.“ Dann war es ganz was anderes.

Du hast die Perspektive gelenkt?
David:
Genau. Es waren viele Songs so persönlich. Ich wollte, dass die Emotion über die Stimme gut rauskommt.

David Raddish fordert Average heraus.

Ihr habt auch viel mit dem Stimmeinsatz und Melodien rumexperimentiert, oder? In paar Momenten habe ich mich gefragt, ob das überhaupt du bist, Average.
Average:
David ist extrem gut, wenn es ums Mixen und Editieren der Vocals geht.

David: Die Melodien in den Hooks und so weiter waren immer voll schnell da. Er schreibt ja auch so, dass zuerst die Melodie kommt – Fantasie-Französisch. Wenn eine gute Melodie da ist, will ich, dass sie gut dasteht. Da dopple ich auf, pitche und experimentiere.  

Was hat es mit dem Fantasie-Französisch auf sich?
Average:
Es hat sich irgendwann etabliert, dass ich so an viele Refrains rangehe. Dadurch, dass ich fast nur französische Musik konsumiere, ist es bei mir automatisch von der Phonetik her im Kopf. Bei „Visage“ war mein erster Gedanke „Visage“. Dann bilde ich den Refrain herum. Auf Deutsch, aber ich versuche manchmal, dass meine Sprache ein bisschen Französisch klingt.

Du hast mal gesagt, du möchtest in keiner Sprache Musik machen, die du nicht zu hundert Prozent beherrscht. Auf „Spezies“ gibt es eine französische Hook. Wie gut kannst du Französisch?
Average:
Stimmt. Für einen Österreicher sehr gut. Ich hab’s studiert. Bei „Spezies“ hat es gut reingepasst, es war aber eine Ausnahme. Ich war tatsächlich vor einem Jahr mit einem Rapper aus Marseille und DJ Djel von der Fonky Family im Studio. Ich habe auf Französisch an Hooks gearbeitet. Ich habe ihn gefragt, ob er noch drübergehen will, aber er hat sie geil gefunden und wollte sie gleich so nehmen. Es war zugegebenermaßen eine sehr simple Hook. Jeder Französisch-Maturant wird sie verstehen (lacht). Sonst gilt die Regel noch immer. Ich kann Hochdeutsch und Mundart, weil ich damit aufgewachsen bin. Alles andere traue ich mich nicht. Ich würde keinen Text auf Englisch oder auf Französisch veröffentlichen, weil es meinen Ansprüchen nicht gerecht wird.

Ist es nicht ein Qualitätszeichen einer Hook, dass sie gut klingt und eingängig ist?
Average:
Stimmt. Und das, du hast recht, im Deutschen ist dann oft zu verkopft.

David: Wenn man auf Deutsch einfache Texte nimmt, ist es halt Schlager. Die Assoziationen im Deutschen sind schlager- oder deutschpopbedingt schnell plump. Es ist eine hohe Kunst, eine einfache Hook auf Deutsch zu machen, die nicht plump ist und trotzdem catcht.

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(c) Philip Pesic

Average: Das ist vielleicht da das Positive, weil ich mit einem anderen Anspruch rangehe. Ich will, dass es grammatikalisch korrekt ist und Inhaltich stimmt.

„Spielt OM wo, wo es mich interessiert, fahre ich hin“ (Average)

Nochmal zum Frankreich-Ding: War es für dich mal ein Thema, nach Marseille zu ziehen?
Average:
Als ich Matura gemacht hab, hab ich mir überlegt, nach Marseille zu ziehen und dort zu studieren.

Und dann hast du in Wien Französisch studiert?
Average:
Genau (lacht). Aus einem einfachen Grund: Ich habe mir gedacht, dass das, was ich zu dem Zeitpunkt am liebsten gemacht habe, wegfallen würde: Durch Österreich ziehen und für irgendwelche Leute eine Stunde lang rappen. Das wollte ich nicht aufgeben.

Mit 19 waren die Kontakte nach Marseille vielleicht noch weniger. War das ein Faktor?
Average:
Nicht unbedingt. Ich habe Soprano früh kennengelernt, seit ich bei einer Tour für ihn übersetzt habe. Im Rahmen dieser Tour haben wir in Linz den „Grotesk“-Song fürs Texta-Album gemacht. Aber natürlich hab ich noch nicht so große Kontakte nach Marseille gehabt wie jetzt.

Wie ist es, mit den Gs aus Marseille im Studio zu hängen? Wie kommt man in solche Kreise?
Average:
Großes Shoutout an meinen Freund Medhi aus Marseille. Ein Typ, der wahnsinnig connected ist. Ich habe ihn in Wien kennengelernt. Ich habe 2010 einen Song über Olympique geschrieben („OM“, Anm.). Er hat mich kontaktiert und in viele andere Kreise reingebracht. Er kommt aus der Kurve in Marseille.

Wo liegt der Ursprung deiner Leidenschaft für Olympique Marseille?
Average:
Als ich 13 war, hat meine Schwester mir einen OM-Schal von ihrem damaligen Freund geschenkt. Das war prägend, wie es bei vielen in dem Alter mit anderen Vereinen ist. Ein bisschen später habe ich mich in die französische Sprache reingeflasht und bin nach Marseille gefahren. Meine zwei Welten, Fußball und Rap, sind dort so gut repräsentiert wie nirgendwo anders, wo ich je war. Ich habe mich sofort verliebt. Ich bin immer wieder dort, habe einen Freundeskreis und bin nach wie vor bei den Fanatics de Marseille quer durch Europa dabei.

Auch bei den Auswärtsspielen im Block?
Average:
So gut wie immer. Vor ein paar Wochen war ich in Hamburg und hab mir Shakhtar Donezk gegen Olympique Marseille angeschaut. Letztes Jahr war ich in Frankfurt, bei Arsenal, in den Niederlanden, oft in Deutschland, in der Slowakei und in Tschechien.

David: Oag, das hast du mir nie erzählt (lacht).

Average: Das ist mein geheimer Außendienst. Da fahr ich immer mit. Ich liebe es, die Stadien in Europa zu sehen. Spielt OM wo, wo es mich interessiert, fahre ich hin.

Bist du in Wien mit anderen OM-Fans connected?
Average:
Ich habe ein paar Freunde, mit denen ich im Pub Spiele schaue oder teilweise durch Europa fliege. 2012, 2013 war es arg, da waren immer Leute mit OM-Trikots auf meinen Gigs. Heute kommt es nicht mehr so oft vor. Ich schlachte es auch nicht mehr so aus. Als Red Bull Salzburg in der Europa League gegen Marseille gespielt hat, bin ich von zwei französischen Fußball-Magazinen interviewt worden. Ich habe es witzig gefunden, dass sie auf mich gestoßen sind. Ich habe mit ihnen über Licht- und Schattenseiten von Red Bull und über Fußball-Rap-Schnittstellen in Österreich gesprochen.

Wenn wir bei Schnittstellen sind: Du hast 2022 das Format Table Ronde gestartet. Ein Talkformat, das Linzer Rapper*innen aus diversen Camps und Generationen an einen Tisch bringt.
Average:
Genau. Die Idee war, Leute an einen Tisch zu bringen, die sonst vielleicht nicht an einem Tisch zusammenkommen würden. Ich habe einen Drang gehabt, etwas zurückzugeben und Leute zusammenzubringen. 

Du hast mittlerweile vier Ausgaben moderiert. Ist das ausgeschöpft, oder könnte es eine Fortsetzung geben?
Average:
Ich glaube, ich hätte noch Personen für drei Ausgaben. Es müssen Leute sein, die nicht unbedingt meinen Geschmack treffen, aber einen Mindestanspruch an Technik erfüllen. Ich hätte auch gerne eine Österreich-Tour gemacht. Ich bin kein gelernter Moderator, aber mir macht es irrsinnig Spaß. Ich hätte auch Bock, eine Politiksendung zu moderieren. Man muss natürlich viel reinstecken. Ich habe versucht, mir was zu überlegen und andere Themen aufzugreifen. In der letzten Folge haben zum Beispiel alle auf ihre Art und Weise Marketing gemacht und waren im Werbebereich aktiv. Ich hätte auch Lust, eine Wiener-Neustadt- oder Innsbruck-Ausgabe zu machen. Es ist auch eine Frage der Finanzierung. Natürlich kann ich mich mit meinem Handy irgendwo hinsetzen und abfilmen, aber dann kriegst du es nicht so geil hin, wie es Dorf TV gemacht hat.