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Nichts mehr erzwingen // TTR Allstars Interview

Nichts mehr erzwingen // TTR Allstars Interview

Mit den TTR Allstars ist die Supercrew aus der ersten HipHop-Hauptstadt Österreichs zurückgekehrt. Fünf Jahre nach dem Album „Chefpartie“ haben diverse Artists aus dem Roster von Tonträger Records erneut gemeinsame Longplayer-Sache gemacht. Genau genommen Texta, Average, Kayo, Da Staummtisch und Hinterland. Das im Februar digital und auf Vinyl erschienene Album nennt sich „In unsam Haus“. Die Linzer halten es real, sie fahren mit Stil und Anspruch den eigenen Film weiter, öffnen gleichzeitig die musikalische Haustür für den ein oder anderen überraschenden Feature- und Beatgast. Während die TTR Allstars selbst im März in der Wiener Arena zu Besuch waren, haben wir sie zwischen Pizza-Großbestellung und Soundcheck zum Gespräch getroffen.

Keine Fakes: Ein Teil der TTR Allstars im Arena-Backstage.

The Message: Es ist das Jahr der Jubiläen – 30 Jahre Texta, 25 Jahre Tonträger Records, fünf Jahre seit dem letzten TTR Allstars Album… 
Flip: 50 Jahre HipHop. 
Kayo: 25 Jahre Kayo & Phekt. 
Sam: Hinterland gibt’s glaub ich auch schon 20 Jahre. 
Flip: Mei Bua wird heuer sechs Jahre alt, noch ein Jubiläum (lacht). 

Bevor es eskaliert: Wie bewusst findet das Release von „In unsam Haus“ in diesem Jubiläumskontext statt?  
Kayo: Das Zeitliche war eher eine beiläufige Fügung. Der Hauptanspruch war, dass wir wieder Liveshows spielen können. Das Album war zu einem Zeitpunkt zu 80 Prozent fertig, an dem wir nicht vernünftig gewusst haben, wie es weitergeht und ob wir in drei Monaten live spielen können. Wir haben das oft genug gemacht – die Alben von Da Staummtisch und von mir haben wir rausgeschossen, als das nicht gegangen ist. Das hat das Releasedate mitbestimmt. 

Flip: Wir spielen alle 12 Tracks live und es ist keiner dabei, der nicht funktioniert. Im Gegensatz zum vorigen Album.  

Kayo: Was schön ist und wo ich mir nicht sicher war: Dass österreichischer Rap sehr appreciated wird. Mundartrap ist von der Quantität her bissl am absteigenden Ast, bei den jungen nicht mehr ganz so im Kurs. Aber man spürt voll, dass es wertgeschätzt wird, dass man dranbleibt. Das war eines meiner Learnings beim Album. 

War euer Zugang generell lockerer als bei „Chefpartie“?  
Flip: Es war mehr Band-Spirit. Ein Ziel war, dass jeder Track ein Posse-Track ist. Bei „Chefpartie“ haben die in Wien wohnenden Member viel in Wien gemacht, manche Nummern sind in Wien, andere in Linz losgekickt worden. Am Schluss hat man alles zusammengefügt. Diesmal haben wir de facto jede Nummer bei einer Session im Studio angefangen. Klar haben einzelne Mitglieder später noch Parts geschrieben, aber die Ideen, Hooks, Themen und Beats sind in Sessions festgelegt worden. Das ist wahrscheinlich der größte Unterschied.  

Kayo: Wir wollten, dass es eher ein Crew-Album als ein Labelsampler wird. 

Zu erwähnen ist, dass die TTR Allstars geschrumpft sind. Huckey ist leider 2018 verstorben, Akinyemi ist nur noch minimal vertreten und fehlt auch auf den aktuellen Pressefotos. Hat er sich zurückgezogen? 
Sam: Er macht noch Musik und produziert. Er ist auf zwei Nummern vertreten, was dem langen Produktionsprozess geschuldet ist. Aber er nimmt sich gerade eine Auszeit – und wird stärker zurückkehren.  

Kayo: Du kannst dazuschreiben: Alle schauen zweifelnd in den Raum (Gelächter). 

In einem Artikel zum Album hat Kayo gesagt, dass ihr versuchen wollt, Altes und Neues zu verbinden und euch von den Jungen inspirieren zu lassen. Wie ist das konkret gemeint? 
Average: Das würd mich auch interessieren (lacht). 

Kayo: Man kann nie für alle sprechen. Ich glaube es macht uns interessant, dass viele verschiedene Geschmäcker und Charaktere zusammentreffen. Max (Average, Anm.) und ich sind neben Roleee Solo die Wiener, die den Anspruch haben, dass wir nicht wie vor 10, 15 Jahren klingen, sondern Dinge ausprobieren, ohne uns an Trends anzubiedern. Mir taugt das partiell. Diesen Zugang wollen wir mit Dingen, die wir schon lange machen, verbinden. Musik entwickelt sich weiter, irgendwo macht man das selbst auch. Alles nur zu konservieren wäre nicht meine Herangehensweise. 

Average: Es ist das Normalste auf der Welt, dass man sich Inspiration von Jungen holt. Das steht für mich nicht zur Debatte. Nur so geht es für mich im Rap, das ist der Kern davon. 

Flip: HipHop ist eine Sportart, die immer wieder die alten Helden killen muss und sich selbst hochhebt. Wenn man zurückblickt, ist es total schnell gegangen. Die erste Oldschool-Generation war 1982 mit dem Aufkommen von RUN DMC antiquiert. Als Rakim und Boogie Down Productions 1987 gekommen sind, war RUN DMC antiquiert. Dann De La Soul, Native Tongues, N.W.A und so weiter. Wir haben alle paar Jahre Wechsel erlebt, wo der vorher dominante Sound weg war. Jetzt sind wir in einer Phase, wo alles parallel existieren kann. Wir haben ein Klima, in dem auch die Alten existieren können. Die Oldschool kriegt gefühlt wieder mehr Respekt als vor 20 Jahren. Ich rede von Funky 4 + 1, Grandmaster Cas, Melle Mel. In den USA gibt es das HipHop-Museum und Feierlichkeiten um 50 Jahre HipHop. Die Szene besinnt sich mehr auf die Roots. Nur weil etwas jung und neu ist, ist es nicht automatisch fresh. Wir haben eh eine austarierte Szene. Ein Kamp kommt nach 13 Jahren zurück und wird respektiert, wenn das Album dope ist. Es gibt Leute von früher, die ihn super finden, aber er kann auch Junge erreichen. Jede Generation hat Fähigkeiten in gewissen Richtungen. Die Fähigkeiten, die wir gehabt haben, haben viele Junge vielleicht nicht mehr. Das kritisiert man schnell mal. Sie haben dafür andere Skills, die wir nicht haben. Ich kenne viele junge Leute aus der BMX-Szene, die hören nur 90s-HipHop, keinen Apache207 oder Capital Bra. Das finde ich wieder cool. Ich finde es ist wichtig, dass man das macht, was man fühlt und nicht, dass man auf was aufspringt und sich als offen darstellt. Das ist ein Irrtum, dem viele unterlegen sind. Wer hinterherhechelt, um fresh zu sein, wirkt für mich erst recht antiquiert. 

Darauf wollte ich vorher hinaus: Das Album klingt weniger gezwungen, als müsstet ihr niemandem etwas beweisen. 
Antrue: Es hat seine Zeit gebraucht. 

Average: Das Album will nichts. Wenn man es sich anhört, klingt nichts erzwungen. Das ist für mich der größte Unterschied zum vorigen Album. Da war meine Mission, auf Biegen und Brechen Autotune reinzubringen. Ich habe danach von Haus aus gesagt, dass ich das nicht mehr mache. Es passt auch als Linz-Album – wir machen das, was wir können und das auch ganz gut. Das kommt glaube ich bei den Leuten an.  

Kayo: Die Sturm-und-Drang-Zeit hat man tendenziell eher in jüngeren Jahren. Das heißt nicht, dass man den Hunger verliert, aber der Geltungsdrang wird weniger, weil man gewisse Sachen erfahren oder gekriegt hat, die man vielleicht gebraucht hat. Damit man bisschen zufriedener rangehen kann. 

Laima: Dass wir uns als TTR Allstars nichts mehr beweisen müssen ist etwas, das alle beim neuen Album kapiert haben. Wir werden keine Tausender-Hallen füllen und keine hunderttausenden Klicks haben. Aber es ist trotzdem mit allem bergauf gegangen. Man sollte mit dem, was man hat, zufrieden sein. 

Kayo: Man sieht an den kleinen Achtungserfolgen, dass wir irgendwo wieder eine Nische besetzen, in der ein Vakuum existiert. Ich glaube das, was wir machen, macht keiner – zumindest nicht in einem so großen Kollektiv.  

Was interessant ist, ist das Chakuza-Feature. Ihr habt jahrzehntelang aneinander vorbeiexistiert, er war bis zum aktuellen Album auf keinem Tonträger-Release zu hören. Hat es etwas Versöhnliches? 
Laima: Er hat in der Kapu Konzerte gespielt und man hat sich gekannt. Ich würde auch sagen, dass man sich vielleicht respektiert hat – aber mehr nicht. Man hat parallel nebeneinander existiert. Sie waren mehr am Idiotenhügel, das war eine Proletendisko in ihrer Hood im Süden.  

Was hat es mit dem Idiotenhügel auf sich? 
Average: Den Begriff verwendet heute eigentlich keiner mehr. Es ist ein Einkaufszentrum in Linz-Süd, Neue Heimat. Da waren früher oage Diskos, wo auch der Xzibit aufgetreten ist. Bisschen so, wie man es bei Saturday Night Fever gesehen hat. 

Antrue: Chakuza wohnt seit längerem wieder in Linz. Das heißt nicht, dass man sich viel über den Weg rennt – eher im Gegenteil. Ich habe ihn 2022 zufällig auf einem Campingplatz in Pettenbach getroffen. Aber es ist so, dass wir ihn grundsätzlich als Rapper gut finden, seinen lyrischen Zugang feiern. Man kann sachlich und nüchtern zusammenarbeiten. Der gemeinsame Track ist eine versöhnliche Geste. Er war auch beim Releasekonzert im Posthof und ihm hat es voll getaugt, genauso wie uns auch. 

Flip: Der Unterscheid ist: Ich habe damals seine Band mit Big J, Verbale Systematik, zu vielen Jams gebucht. Wenn ich in Berlin bin, besuche ich einen Stickle immer wieder. Einen Chakuza hat man auch immer wieder gesehen. Es war eher 2005/2006, als sie nach Berlin gegangen sind, die Attitude von Chakuza, dass er unseren Zugang wack gefunden hat.  

Kayo: So wie wir Ersguterjunge wack gefunden haben. 

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Flip: Er hat sich damals am harten Berliner Rapsound orientiert, den wir nicht so leiwand gefunden haben. Persönlich hat es aber nie Beef mit ihm gegeben. Es waren zwei musikalische Welten, die man nicht krampfhaft zusammenpferchen hat müssen – aber er hat sich weiterentwickelt, ist nicht mehr so verbissen und reifer geworden. Es war ein schönes Zeichen, dass er mitgemacht hat. Er hätte auch ablehnen können oder sagen, dass ihn das nicht interessiert. Aber er hat sich voll gefreut.  

Freistil: Durch den Albumtitel „In unsam Haus“, den Ansatz, dass wir als Chefpartie freundschaftlich enger zusammengewachsen sind, durch Huckey und alles, was war, haben wir eine neue Entspanntheit reingekriegt. Wir haben versucht, die Tür aufzumachen und Verknüpfungen zu schaffen, mit denen keiner rechnet. In diesem Fahrwasser ist Chakuza ins Gespräch gekommen, aber genauso ein Dynomite und auf Produzenten-Ebene Johnny Cashless und Boba J.  

Sam: Ich habe eine andere Versöhnungsgeschichte mit Chakuza. Wir haben als Hinterland immer wieder mit Verbale Systematik gespielt. Ich wollte ein Feature mit ihnen machen, Akinyemi und ich haben mit ihm geredet. Er hat mir gesagt: ‚Ja gern, aber ohne dich.‘ (alle lachen) 

Flip: Da reden wir aber von 2004, 2005.  

Noch etwas Ungewohntes: Black Milk ist mit einem Beat vertreten – damit Linz das Detroit von Österreich ist? 
Flip: Wenn wir schon oft davon reden, dass Linz das österreichische Detroit ist, braucht man auch mal wen von dort. Die Connection Stahlstadt zu Motor City hat mitgespielt. 

Antrue: Ich habe im Vorfeld mit Flip darüber geredet, ob wir mal einen Ami-Produzenten ins Boot holen, damit man einen anderen Vibe und Drive reinbringt. Durch Flips Connections waren Leute wie Apollo Brown, Exile oder Marco Polo im Gespräch. Das hat sich nicht ergeben. Dann habe ich Black Milk angeschrieben. Weil er ein Produzent ist, den zumindest früher alle von uns gefeiert haben. Er verbindet die Schule von Dilla mit neuerem Sound. Für uns ist es ein Wahnsinn, auf einem Beat von ihm zu rappen. Er hat ja auch das letzte Album von Cypress Hill produziert. 

Ein zentraler Track ist „H.U.C.K.E.Y.“ – mit der zeitlichen Fügung, dass Def Ill kürzlich ebenfalls einen Tribute-Track veröffentlicht hat. Nach dem Motto, wie er ihn Huckey mit 13 Jahren vor der Kapu gerne vorgerappt hätte, hat er seine Rolle als Förderer herausgestrichen. Wie habt ihr diese Rolle wahrgenommen und wie maßgeblich hat er die nachfolgenden Linzer Rapgenerationen mitgeprägt? 
Laima: Er war immer so ein Mensch. Als ich in die Punkszene gekommen bin, war er der erste, der mit mir geredet hat. Es war sein Wesen, dass er alle für hundert Prozent voll genommen hat, sich angehört hat, was sie sagen. Es hat gar nicht so viel mit Musikförderung zu tun. Darum war er für viele Leute die erste Bezugsperson – egal ob Rap, Punk, Politik oder Fußball.  

Flip: Huckey war der Kommunikator, ich der Organisator. Auf die Kapu-Bühne habe eher ich die Leute gebracht. Zwischen 2004 und 2007, 2008, wo die nächste Generation mit Average, Hinterland, Selbstlaut und Da Staummtisch schon ins Label reingewachsen ist. Da war mir aber alles zu viel mit Auseinandersetzungen mit Markee, dann mit Oh-Vo. Alles ist implodiert und da ist es sich mit meiner Energie nicht ausgegangen. Dann hat Huckey mit Average „Ganz schön hässlich“ gemacht und wir haben gesagt, wir bringen es auf Tonträger raus. Der heutige Kern – mit Ausnahme von Texta und Kayo – ist als dritte Linzer Rapgeneration im TTR-Umfeld peu à peu reingewachsen. Davor gab es schon das erste TTR Allstars Album und das Unsichtbaren-Album. Die kommunikative Rolle, die Huckey gehabt hat, war gerade für die Jungen wichtig, weil er ihnen das Gefühl vermittelt hat, ernstgenommen zu werden. Er hat die Fähigkeit gehabt, dass er auch um vier Uhr in der Früh im Rausch mit den Leuten eine Stunde vor der Kapu geredet hat. Die Qualität geht ab in Linz.  

Freistil: Er hat immer extrem vorurteilsfrei mit den Leuten geredet. Auch wenn er immer seinen Kopf gehabt hat, aus dem er heraus gedacht hat. 

Flip: Das haben wir versucht, in die paar Zeilen reinzubringen. Wobei es von jedem nur ein Fragment ist. Wir haben geschaut, dass im Track jeder einen anderen Bereich abdeckt – inklusive DJ Dan, der die letzten Stunden beschreibt.  

Der Klimatrack „Augen zua“ mit Yo!Zepp sticht ebenfalls heraus. Ein Dampfablassen aus dem Ohnmachtsgefühl heraus? 
Kayo: Der Beat ist schon lange rumgelegen, ich habe ihn aufgefrischt und in einer Session laufen lassen. Er hat diese Dringlichkeit, vielleicht sind wir so auf das Thema gekommen. Es ist immer eine Herausforderung, eine explizite politische Botschaft cool zu verpacken, ohne Zeigefinger. Wir haben den selbstironischen Zugang gewählt, das ist uns glaube ich gut aufgegangen. Im Nachgang sind wir draufgekommen, dass eigentlich ein Tiroler rauf muss – genau das Ding von Yo!Zepp.