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„Wir waren immer schon Sturschädeln“ // Da Staummtisch Interview

„Wir waren immer schon Sturschädeln“ // Da Staummtisch Interview

Da Staummtisch lebt die Linzer Raptradition und ist längst ein Garant für erwachsenen Mundartrap mit gutem Beatgeschmack. Das setzt die Crew aus dem Hause Tonträger Records mit dem aktuellen Album „Nirwana“ fort. Zum Gespräch in einem Wiener Kaffeehaus erscheinen die Crewmember Antrue und Freistil, Roleee Solo entschuldigt sich. Wir unterhalten uns über Abschiede, Befreiungsmomente, die Entwicklung von Subkulturen und Punchlines.

The Message: „Nirwana“ ist das letzte gemeinsame Album mit Concept. Er möchte den Fokus mehr aufs Produzieren und auf Soloprojekte legen. Ist das Soloding für euch als Rapper nach all der Zeit auch ein Thema? Antrue hat das bisher als einziger verfolgt. 
Freistil:
Als Antrue damit begonnen hat, habe ich mit dem Gedanken gespielt, es lässt sich aber mit meiner Selbstständigkeit, Family und Co kaum einrichten. Da Staummtisch und die TTR Allstars gehen sich gerade noch aus. Selbst das ist manchmal schwierig. Bock hätte ich, aber es ist denke ich nicht zwingend notwendig, weil es beim Staummtisch vom Sound her schon das ist, was mir am meisten taugt. Ich habe nicht das Bedürfnis, mich woanders mehr auszuleben.

Antrue: Ich glaube für Roleee Solo gilt dasselbe.

Freistil: Durch die neue Situation ohne Concept kommt bei ihm vielleicht dazu, dass er wieder mehr Energie ins Produzieren steckt.

Welche Auswirkungen wird der Ausstieg von Concept sonst haben? Er hat erneut einen Großteil des Albums produziert. Da geht eine Qualität verloren.
Antrue: Definitiv. Seit „Eldorado“ hat er sicher zwei Drittel unserer Beats produziert. Er war ein vollwertiges Mitglied und hat einen großen Impact gehabt.

Da reden wir über seine Produktionen. Aber was ist eine Crew ohne DJ?
Antrue: Heutzutage ist es vielleicht irgendwo egal, aber uns als HipHop-Puristen schmeißt das natürlich zurück. DJ Dan fängt das jetzt mal bei den Liveshows auf. Es kann sich ja wieder ändern. Eine andere Geschichte ist das Studio, das wir jahrelang betrieben haben. Concept wird es allein weiterführen, wir suchen uns was Neues.

Freistil: Wenn wir ganz weit in der Bandgeschichte zurückgehen, waren wir gar kein fixes Kollektiv. Zuerst war Profan unser DJ, dann Hooray. Als Hooray gesagt hat, dass er mehr auflegen möchte, ist Concept dazugestoßen. Am Anfang waren wir vier MCs. Es hat sich extrem viel getan.

Seid ihr die beste DJ-Ausbildungsstätte?
Freistil: Schwierige Frage. Es kommen ja kaum junge DJs nach.

Antrue: Turntableism ist praktisch gestorben.

Freistil: Zumindest im Bandbereich. Aber es gibt in unserem Umfeld genug Leute, die Bock aufs Live spielen haben und auch gern mit uns unterwegs sind.  

Antrue: Es ist natürlich die Ironie des Schicksals. Wir haben immer viel Wert auf Cuts und Scratches gelegt und waren eine der wenigen Crews in Österreich, die das HipHop-Ding so aufgefasst haben, dass der DJ keinen unwesentlichen Teil ausmacht.

Alle Fotos: Robert Maybach

Ihr habt euer sechstes Album „Nirwana“ genannt. Schwingt da ein bisschen ein Abschiedsgedanke mit? Oder gar ein Gefühl der Bedeutungslosigkeit?
Freistil: Es haben schon ein paar Leute gesagt, dass der Titel so endgültig klingt. Wir haben ihn aus einem anderen Grund gewählt. Wir sind auf einer lokalen Ebene immer mehr draufgekommen, dass es bisschen eine Evolution weg von einer Crew hin zu einem Orientierungspunkt war. Wenn uns Leute erzählen, dass sie teils mit unserer Musik groß geworden sind oder dass es in wichtigen Lebensphasen die richtigen Lieder von uns gegeben hat. Der Sound funktioniert vielleicht im Zeitgeist nicht mehr so gut, logisch. Wir wissen, dass wir in einer Nische daheim sind, aber wir haben es uns gemütlich gemacht und fühlen uns wohl. Dieses Feedback und der Umstand, dass wir für einige Leute noch so relevant sind wie vor ein paar Jahren waren eher Gründe für die Nirvana-Metapher. Es ist ja eigentlich dieser körperlose Zustand, wo du nichts mehr hast außer die Seele und die Ewigkeit.

Oder wenn der Rücken nicht mehr kann.
Freistil: Genau. Dann ist es gut, wenn man keinen Körper mehr hat und dir nichts mehr wehtut (lacht). Ein bisschen wie es die Buddhisten interpretieren, du hast diesen Weltschmerz nicht mehr und kannst auf karmischen Überlegungen verzichten. Bin ich gut? Bin ich schlecht? Wie ist mein Status? Klickt wer auf mein Video? Das ist in diesem Zustand völlig egal. Das war immer unser Ziel als Band. Wir wollen Teil der Szene sein, konstant Musik machen und Spuren hinterlassen. Das haben wir, glaube ich, mit dem Album erreicht. Wir haben uns weitgehend davon freigemacht, was andere denken oder was der Markt verlangt. Wir waren immer schon Sturschädeln.

Aber ihr rappt noch darüber, was der Markt verlangt.
Freistil: Absolut. Wir berappen eine persönliche Entwicklung. Man stellt sich natürlich die Frage, wie kann es sein, dass extrem wacker Rap chartet und man selbst, obwohl man viel Herzblut hineinsteckt, eine Randerscheinung bleibt. Es ist immer eine Blickwinkel-Angelegenheit. Aus unserer Perspektive haben wir alles, was wir zum Glücklichsein brauchen.

Beim Vorgängeralbum „Zucker“ war das Dolce Vita der Aufhänger. Gab es vorher diesmal auch Grundüberlegungen?
Antrue: Eher im Laufe der Produktion und als die ersten Tracks da waren, die wir voll gespürt haben. Dass wir irgendwo im musikalischen Nirvana angelangt sind und sagen können, das ist der Sound, mit dem wir uns wohlfühlen und den wir uns vorgestellt haben. Wenn es das letzte Album wäre, würde es für uns passen. Die musikalische Vollendung wäre großkotzig, aber die Zufriedenheit mit dem Schaffen ist spürbar.

Das klingt ja doch ein bisschen nach dem letzten Album.
Freistil: In unserer Lebensphase können wir nicht sagen, dass es fix noch ein Album oder fix kein Album mehr geben. Du kannst uns nicht festnageln. Im Tun hat sich herausgestellt, dass es ein Album wird, bei dem strategische Überlegungen – was könnte die perfekte Single sein – nicht im Vordergrund sind. Die Rückmeldungen waren auch, dass es unser ehrlichstes Album, eine Visitenkarte ist. Es deckt ziemlich alle Stile ab, die wir gerne haben. Inhaltlich und von den Beats her. Das Einzige, was wir aktiv gemacht haben, um der Nirvana-Metapher gerecht zu werden, war, dass wir uns ein paar Jugendträume erfüllt haben. Über die Features – Leute, die wir seit Ewigkeiten feiern. Gerade wenn wir bei David P. und Holunder sind: Wir haben damals unsere ersten Freestyles auf Instrumentals von Main Concept gekickt. Der Freestyle-Vibe der Töpfe hat im Prinzip dazu geführt, dass es den Staummtisch überhaupt gibt. Die Anfangszeit war ja reines Freestyle-Battlen, Sessions machen und abhängen.

David P. wäre jetzt eher kein dankbarer Gegner, oder?
Freistil: Er hat uns im Backstage eh fertig gemacht (lacht). Wir wollten bei der Releaseshow in Linz auch auf der Bühne freestylen und eine gemeinsame Session machen, aber sind da schon ein bisschen raus.

Antrue: Nachdem der Block von Holunder und David P. in der Mitte war, hat Flip uns gesagt: „Jetzt braucht’s eigentlich nicht mehr freestylen“ (lacht). Wir haben es im Vorfeld beim Dan ein bisschen geübt und werden es vielleicht irgendwann wieder aktivieren.

Wärt ihr manchmal lieber in den 90er-Jahren oder frühen 00ern aktiv gewesen?
Freistil: Ehrlich gesagt ja. Aber das liegt allgemein am Zeitgeist. Es hat sich die ganze Fortgehkultur, genauso wie die Konzertkultur verändert. Es hat sich alles ein Wengerl zum Oberflächlicheren hin entwickelt. Da kann man natürlich nur von früher reden, so blöd es klingt.

Antrue: Wir haben ja Kinder, die in diesem Alter sind, wo sie die Sachen selbst herausfinden – oder auch nicht. Für uns war es glaube ich einfacher.

Freistil: Wenn ich mir denke, dass meine 15-jährige Tochter jetzt Raf Camora hört und wir streitert werden, hätte ich vor paar Jahren schon was anderes gehört. Es ist der Lauf der Dinge.

Antrue: Manchmal fühlt man sich in der Szene, die es jetzt ja eh nicht mehr so gibt, zumindest in Linz, ein bisschen wie ein Dinosaurier.

Freistil: Dass man HipHop als Jugendkultur bezeichnet, stimmt so nicht mehr. Es ist eh immer noch auch eine. Aber früher war es eine reine Jugendkultur. Mittlerweile sind die Fans so alt wie wir oder vielleicht älter. Es gibt 50-Jährige, die EPMD pumpen. Bei uns stehen sicher nicht nur die Jungen. Weil es allein von den Themen her wahrscheinlich viel zu uncool ist.

Habt ihr euren Kindern das Album gezeigt?
Antrue: Ich habe zwei Kinder, der Kleine ist jetzt acht. Er ist mein größter Fan. Nicht nur weil ich der Papa bin, sondern weil es ihm taugt. Sein Lieblingsrapper ist aber Kroko Jack. Er hat heute am Telefon super Lines aus „Kraunknstaund“ oder „Bledsinn“ zitiert. Meistens ist es eh so, dass die Kinder die Leidenschaft der Eltern irgendwann nicht teilen oder sich gegensätzlich entwickeln.

Das kannst du auch mit zu viel Input verpfuschen, oder?
Antrue: Sicher. Wenn du zu energisch oder verkrampft rangehst.

Freistil: Wenn sie unbeeinflusst in dieses Spiel einsteigen, werden sie gewisse Band nie erfahren. Wenn ich meiner Tochter nicht teils ur alte Sachen zeige, die mir taugen, wird es schwer. Ich habe ihr vor kurzem „The „Bizarre Ride II the Pharcyde“ vorgespielt, eines meiner absoluten Lieblingsalben. Sie hat mich gefragt, ob das Zirkusmusik ist. Mein Opa hat damals viele Platten gehabt und viel Jazz gehört. Er hat mich so weit beeinflusst, dass ich ein Interesse für Jazz entwickelt habe. Sonst hätte ich vielleicht nie eine Jazzplatte gehört. Es ist wichtig, dass man ihnen zeigt, was einem taugt. Aber man merkt, dass der Zeitgeist extrem schnell voranschreitet. Bei den Kids kommt die Reizüberflutung dazu. Wenn du in gewissen Bubbles hängst, wirst du zugekleistert mit Infos und Musik, dass du eine Leidenschaft in einer speziellen Richtung entwickeln musst, um tiefer zu graben oder in die Vergangenheit zu blicken.  

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Antrue: Wobei durch Tiktok immer wieder coole Songs von früher aufgewärmt werden. Beatnuts & Method Man mit „Se Acabo“ zum Beispiel. Die Nummer geht voll steil und wahrscheinlich sehen sie gerade mehr Geld als je zuvor (lacht).

Was wären aus eurer Sicht die besten drei Einstiegsalben?
Antrue: Als Linzer auf jeden Fall ein Texta-Album, „So oder so“ oder „Gegenüber“. Bei meinen Kids sehe ich, dass Eminem sehr gut ankommt. Eh wie bei vielen Generationen davor. Wahrscheinlich, weil er diesen Emo-Touch hat. Mein Lieblingsalbum von ihm ist die „The Slim Shady LP“, wobei die „The Marshall Mathers LP“ für die Kinder wahrscheinlich zugänglicher ist.

Freistil: Bei mir wäre noch ein Album von A Tribe Called Quest dabei, weil es zeitlos ist. Die Blaupause für einen Sound, den ich immer hören kann, der nie fad wird. Meine Tochter hat mich mal gefragt, was Rap genau ist. Da kannst du ihr mal die ganze Bandbreite zeigen. Dann zeigt sie mir drei, vier Nummern, die ich nicht kenne und die für mich weniger mit Rap zu tun haben. Drake oder so. Eh, es funktioniert, ist cool und ich verstehe, warum Leute es feiern, aber was ist daran Rap und Flow? Es ist gut, diese ganze Vielfalt zu zeigen, die die jungen Leute immer schwieriger mitbekommen, weil alles in einem sehr ähnlichen Fahrwasser ist, über Hypes oder Trends.

Hat man sich vor 20 Jahren nicht auch schon eher aktiv die Nischen suchen müssen?
Freistil: Logisch, das war schon immer so. Ich will es meinen Kindern gar nicht aufs Aug drucken. Es muss jeder seinen eigenen Weg finden, die Selbstfindungsphase durchspielen.

Antrue: Ich hoffe, dass der 12-Jährige zum Skaten anfängt. Es war bei uns Ende der 90er-Jahre das Fenster zu jeglicher Subkultur. Egal ob Punk oder HipHop. Wir haben das bisschen Abgeranzte gefeiert.

Funktioniert das heute noch so?
Antrue: Skatevideos waren damals die Mixtapes der Subkultur. Da hast du dann VHS-Kassetten mit Musik gehabt. Oder wenn du in einem Skateshop warst, hat der Rudi Kirchmayr aus Linz die neuen Skatevideos gespielt. Du bist dagesessen, hast dir die Tricks abgeschaut, aber noch mehr auf die Musik geachtet. Es war komplett gemischt – von Fugazi über Wu-Tang.

Freistil: Es hat sich natürlich viel verändert. Du musst nicht einmal mehr vor die Tür gehen. Wir sind damals aufs Rad gestiegen, durch die Siedlung gefahren. So entstehen Subkulturen. Da drehst du gemeinsam die Zeit runter, kommst auf gute oder nicht so gute Ideen.

Ist die aktuelle Zeit subkulturfeindlich?
Freistil:
Ich glaube, Subkulturen wird es immer geben, aber die Attitude hat sich gewandelt. Ich sehe allein in der Klasse von meiner Tochter viele Leute, die politisch schon mega engagiert sind, sich reinhängen und eine Motivation an den Tag legen, die ich in meiner Generation nicht gesehen hätte. Dabei geht es gar nicht nur um den Klimaschutz. Da sind wir damals im Vergleich eher im gemachten Bett gelegen. Ich glaube, das kann man nicht verallgemeinern.

Ihr seid Teil der letzten Linzer Rap-Generation, die den Texta-Film weiterträgt. Wart ihr zu wenig Rolemodels für nachfolgende Rapper?
Antrue: Wir sind sicher nicht die großen Persönlichkeiten oder Role Models wie zum Beispiel ein Huckey. Das sehe ich jetzt weder negativ noch positiv. Man kann nichts darstellen, was man nicht ist. Wir haben sicher weniger Leute beeinflusst, als die vorigen Generationen uns beeinflusst haben. Wir sind 2006 herum richtig aktiv geworden. Das war eine ganz andere Zeit und ein anderer Sound. Da hat uns Chakuza, mit dem wir jetzt gut auskommen, als Rucksackrapper belächelt. So war der Zeitgeist. Wir haben den Zeitgeist der Generation vor uns weitergelebt. Wir haben uns, dank unseres Backgrounds und persönlicher Connections, am Texta-Weg orientiert.

Freistil: Aber nicht ausschließlich. Battlerap war damals ja echt noch ein Ding, es war eine ganz andere Competition am Start. Als diese Phase abgeflaut ist, sich alles zerlegt, zerteilt hat und die kompakte Linzer Schlagkraft im Battlerapding weg war, haben wir gemerkt: Wenn die Competition fehlt, ist die Motivation nicht mehr so hoch. Deshalb hat es sich bei uns bisschen in Richtung Storytelling und andere Themen gedreht. Es ist irgendwann mehr ums Leben und das Verarbeiten des Alltags gegangen als um die beste Punchline.

Antrue: Wir sind sicher braver geworden. Auch dem Leben allgemein geschuldet. Am Anfang hat man noch gesagt, dass wir die Härteren sind. Vielleicht waren wir da ein bisschen im Spannungsfeld zwischen Texta und Sodom & Gomorrah. Das sieht man auch an unseren Fans, die waren früher anders.

Wie viel Spaß bereiten euch Punchlines noch?
Antrue:
Sehr viel. Sie müssen nicht aggressiv sein, wir spielen ja eher mit der Sprache, durch lustige oder unerwartete Reime. Das ist schon nach wie vor unser Steckenpferd, auch wenn wir mehr Inhalt transportieren wollen.

Freistil: Ohne Punchlines gibt es keine Dramaturgie, das ist auch im Kabarett so. Wir haben irgendwann gemerkt, dass es uns wichtiger ist, dass wir einen guten Schmäh in den Nummern haben. Nicht immer, aber wo es angebracht ist. Wir sind irgendwann draufgekommen, dass dieses Game zu einer WWF wird, wo jeder seine Charaktere hat – der eine hat ein rosa Outfit an, der andere ein gelbes. Der eine ist der Totengräber, der andere hat die Rolle. Eigentlich ist dieses Spiel so affig. Wir würden sofort aufblattlt werden, wenn wir versuchen etwas zu sein, das wir nicht sind. Wir haben uns zu konsequenter Ehrlichkeit entschlossen.