Kannst Du kurz erzählen, wie „Brasilintime“ und das Vorgängerprojekt „Keepintime“ damals entstanden?
B+: Es begann mit einem Foto-Shoot, oder besser einer Idee dafür. Die Idee war, die Schlagzeuger hinter klassischen Drumbreaks – die Basis der Auswahl war „Ultimate Breaks & Beats“ – mit Spitzen-Turntablisten zum Jammen zusammenzubringen. Ich hatte einige Jahre davor ein Video für DJ Shadow gemacht, „Midnight In A Perfect World“ und wir hatten damals die Authoritätsfigur für dieses Video gesucht und fanden in Earl Palmer den perfekten Mann, auch wegen seiner Verbindung zu Axelrod und dessen Sample. Als ich ihn zum ersten Mal traf, dachte ich mir: „Wow, was für ein Charakter.“ Auch die verrückten Geschichten und die Art, wie er sich kleidete – er war wie aus einer anderen Zeit. Dann schrieben wir dann außerdem noch Roy Porter, Paul Humphrey und James Gadson auf die Wunschliste und warteten darauf, dass jemand den Shoot finanzieren würde. Ein paar Jahre später bot mir dann ein japanisches Magazin an, das zu übernehmen. Während wir den Foto-Shoot vorbereiteten, kamen dann auch J-Rocc und Babu dazu. Babu hatte ich zuerst gefragt, aber er wollte es nicht alleine machen. Wir kamen dann auf die Idee, das Ganze zu filmen, ursprünglich für die Website des Magazins. Heraus kam dann ein 13-minütiger Film namens „Keepintime“, der irgendwie der Start von all dem war und viel mehr bewirkte, als wir je gedacht hatten. Heute, fünf Jahre später, ist das quasi mein Zweit-Job.
Nachdem der Film fertig war, lud uns die Red Bull Music Academy nach London, um ihn vorzustellen. Es ergab sich eine Interessante Diskussion über den Dialog zwischen Generationen und warum es davon so wenig gibt. Sie waren beeindruckt und wollten mehr solche Diskussionen führen, also luden sie uns zur nächsten Ausgabe nach Brasilien ein. Wir hatten einige Shows in L.A. gemacht, wo zuerst der Film lief und es dann eine Live-Session gab, aber nichts in der Größenordnung von dem, was später die „Brasilintime“ Show werden würde. Bei der Vorbereitung fiel mir auf, dass es zwischen brasilianischer und nordamerikanischer Musik einen jahrzehntelangen Austausch gegeben hatte, der nie ernsthaft thematisiert worden war. Während ich also all diese Musik entdeckte, keimte in mir der Wunsch, einen Film darüber zu machen. Es dauerte vier Jahre, aber das Resultat ist eben „Brasilintime“.
In gewisser Weise ist „Brasilintime“ aber auch ein Reisefilm geworden. Eigentlich könnte man dieses Konzept an anderen Orten weiterführen, Afrika zum Beispiel.
B+: Klar. Nigeria, Ghana, Äthiopien… Bei „Keepintime“ dachten wir, das ist ein L.A.-Ding, aber man könnte dasselbe auch in Detroit machen, oder Miami, New York, Chicago oder Atlanta. Aber wenn sich die Musikindustrie nicht dafür interessiert, Projekte wie dieses zu unterstützen, dann kann man da wenig machen. Leider wird da gerade zuviel Augenmerk auf 3-Minuten-Downloads gelegt. Aber wir machen eh schon Fortschritte…
Wird „Brasilintime“ auch richtig in die Kinos kommen?
B+: Wir versuchen es. In Sao Paulo lief der Film nach dem Release zwei Wochen lang und ging auch sehr gut. Das Gute ist, das man ihn sich mehrmals ansehen kann und immer neue Dinge entdeckt. Jaki [Liebezeit] meinte „Ich habe ihn jetzt viermal gesehen, und will noch mehr, weil mir jedes Mal neue Sachen auffallen.“ Deshalb dauerte es auch so lange. Normalerweise ist es bei Dokumentationen so, dass man eine Idee hat, und diese ausdrücken will und dann die Aufnahmen dementsprechend zusammenschneidet. Wir haben einen sehr gegensätzlichen Zugang gewählt: Wir wollten, dass sich die Geschichte und die Verbindungen organisch entwickeln. Und das hat sich ausgezahlt.
Oft wirkt es wie freie Assoziationsketten, zum Beispiel der kurze Einschub über den „Apache“ Break.
B+: Genau, man weiß erst garnicht was passiert, und erst später wird es erklärt. Das sieht man nicht so oft im Film, obwohl es schon eine Tradition gibt. Ich habe mich schon in jungen Jahren für die Filme von Chris Marker und Agnès Varda interessiert. Sie nennen das nicht Dokumentationen, sondern „essayistischen Film“. Er ist zwar dokumentarisch, aber legt sofort seine Sichtweise dar. Dadurch befreit er sich von einer linearen Erzählweise und kann zum Beispiel zur Spirale werden. Das habe ich meinem Cutter immer gesagt „Wir machen keine gerade Linie, sondern eine Spirale.“ Wie die Tonspur auf einer Schallplatte ja auch eine Spirale ist.
Da kommt völlig unvermittelt Will.I.Am von den Black Eyed Peas ins Bild, spricht über Jorge Ben und dann kommt sein Track, der „Comanche“ sampelt.
B+: Ja, es enthüllt sich langsam. Uns ist es teilweise ähnlich gegangen. Als wir Joao [Parahyba] interviewten, wusste ich, daß er auf „Comanche“ gespielt hatte, aber nicht, daß er selbst der namensgebende „Comanche“ war, was mich komplett verblüffte. Das Lustige ist: Ich war mit Will.I.Am gut befreundet, als er damals „Fallin‘ Up“ machte. Eines Tages spielte er mir den Song vor und fragte mich, ob er das Sample klären sollte. Ich meinte nur, dass diese Frage wohl doch eher Interscope beantworten sollte. Ich kannte den Song damals nicht und damals konnte man bei obskureren Samplequellen durchaus riskieren, nicht zu clearen, was heute ja eher nicht mehr geht. Es war also ein größerer Assoziationskreis, der sich in diesem Moment schloss, das war sehr schön.
Wieviel brasilianische Musik kannten die HipHop-Leute, bevor ihr mit dem Film angefangen habt?
B+: Ich denke jeder hatte ein paar Bossa Nova Platten, die ihm gefallen, aber niemand war so in die Materie vertieft, wie man das vor Ort tun kann. Außer Madlib. Wie er im Film erklärt, hatte er in jungen Jahren Zugang zum Vinylarchiv einer Radiostation in Santa Barbara und gelangte so an sehr, sehr viele brasilianische Platten. Und er hatte früh einen Azymuth-Fetisch. Ich hatte, und das habe ich auch mit Mamão besprochen, ihre Platten jahrelang in den Dollarkisten gesehen, aber sie nie richtig gehört. Ich weiß nicht, ob du das kennst, mir ging es mit den elektrischen Platten von Miles Davis die längste Zeit genauso. Meine Freunde sagten immer: „Willst du das Ultimative hören? Dann hör die ‚Agartha‘ oder ‚Live Evil‘ an!“. Jahrelang hörte ich hin, hörte aber nicht, was sie meinten. Und eines Tages machte es „Ding!“. Oh mein Gott!
Mit Azymuth war es ähnlich, es war mir mal zu cheesy, mal zu Fusion oder ich mochte den Klang der Drums nicht. Und eines Tages bemerkte ich, daß das eigentlich die fantastischste Musik ist und konnte es nicht glauben. Und es war Otis [Madlib], der mir das eröffnet hat. Ich sage ihm immer: „Danke nicht nur für die neue Musik, sondern auch für die neuen Ohren, die Du mir gegeben hast!“ Jemand wie er kann dir Dinge näherbringen, die du alleine nicht verstehen würdest, weil er dir ein Fenster gibt, um sie zu sehen. Otis war also die treibende Kraft, und dann DJ Nuts auf der anderen Seite, da unten. Aber die Jungs mussten wir überreden, zu fahren…
Die Drummer?
B+: Nein, die waren sofort dabei. Sie fragten nur: „They got some pretty bad drummers in Brazil – wofür brauchst Du uns?“ „Weil ihr Paul Humphrey und James Gadson seid!“ Die DJs waren hingegen alle irgendwie busy oder hatten schon Bookings. Das war aber, bevor in den letzten Jahren ein gewisser Brasilien-Hype aufkam. So wie davor z.B. Kuba modern war. In Europa war das vielleicht schon früher, in den USA erst in den letzten Jahren dank Nike, City of God und dem Snoop Dogg Video in Rio.
Wer hat die brasilianischen Percussionisten und Drummer ausgewählt?
B+: Eigentlich ich. Mamão kam von Otis, beziehungsweise versprach ich ihm von Anfang an, den Drummer von Azymuth einzuladen, noch bevor ich seinen Namen kannte. Und auch, bevor wir herausfanden, daß sie es dort nicht „Asimuth“ aussprechen, sondern „Asimuchi“ – was anfangs zu lustigen Situationen führte. Joao haben die Music Acadamy Leute gebracht, weil er sehr offen für elektronische Musik ist und in Sao Paulo lebt. Und Wilson [Das Neves] fanden wir über die Platten. Ich hatte nach meinen Recherchen eine Liste von Leuten, die für das Projekt interessant wären. Und er war einer davon. Und alle, die wir fragten, rieten uns, von dieser Liste ihn zu nehmen. Mamão ist mit ihm befreundet und arbeitet viel mit ihm zusammen, also war das eine Sache von wenigen Stunden. Nachdem wir Joao erreicht hatten und ihm klargemacht hatten, um was es geht, ergab eines das andere.
Der Grundgedanke beider Filme war ja, daß HipHop im Prinzip durch die indirekte Zusammenarbeit zwischen Drummern und DJs entstand…
B+: Ja, das ist ein Teil der Geschichte. Die Typen, die die originalen Breaks eingespielt haben, und ihre Beziehung zu den Typen, die diese Breaks dann abspielen und manipulieren, das ist ein wichtiger Teil des kulturellen Geflechts namens HipHop. Aber niemand hat das davor so ausgesprochen, obwohl wir es alle irgendwie wissen. Deshalb war es mir wichtig, das zu sagen, und mir fiel kein besserer Weg ein, als die „Apache“ und “Comanche“ Geschichten. Aber eigentlich braucht es den ganzen Film, um das zu formulieren. Denn die Worte allein bedeuten nicht soviel, aber mit Bild und Ton kann man diesen Punkt besser aufzeigen.
Und die im Film getätigte Aussage, daß verhaute DJ-Übergänge in Brasilien „Samba“ heißen?
B+: Das stimmt. Wirklich verrückt. Brasilianer haben eine komplizierte Beziehung zu Samba. Die Musikindustrie dort veröffentlicht unter dem Namen jede Menge kitschige Musik – gerade auch für den internationalen Export. Für brasilianische HipHop Fans ist das deshalb fast schon ein Wort des Hohns – „du verkackst!“ Für unsere Erzählung war dieser kleine Fakt natürlich hochinteressant. So haben wir im Prinzip diesen Film gemacht: Wann immer mit etwas auffiel, daß die zwei Kulturen verlinkte, schrieb ich es auf. Es gab am Anfang also nicht mal wirklich ein Skript, sondern nur 10 Seiten wirrer Beobachtungen. Leute wie Tom Zé, Chico Buarque, Vinicius de Moraes, Paulo Gomes, Glauber Rocha – von all diesen brasilianischen Intellektuellen versuchte ich soviel Zeug wie möglich zu finden. Und es ist Wahnsinn, wir leben in einer Kultur, die viel zu eurozentrisch ist. Ich bin Ire in den USA, also fällt mir das besonders auf. Es war also sehr interessant, die parallelen Traditionen und Denkschulen im 20. Jahrhundert zu sehen. Der konkrete Poet Mario de Andrade z.B ist ein James Joyce-artiger Charakter, aber er ist auch Ethnomusikologe. Es ist also, als würde James Joyce über Musik schreiben, und er sagt sehr smarte Sachen.
Wie schwierig war es für dich als Fotografen, plötzlich einen Film zu machen?
Der interessanteste Aspekt am Fotografieren waren für mich immer Bilderabfolgen. Eric [Coleman, B+’s Partner bei mochilla.com] ist viel mehr natürlicher und intuitiver Fotograf als ich. Ich hatte eher generelle Ideen, und es stellte sich heraus, daß Fotografie der einfachste Weg ist, sie zu verwirklichen. Aber es hätte auch ganz einfach Film oder Video oder Malerei sein können – mein College-Abschluss ist in Malerei. Deshalb war das garnicht schwer für mich. Es dauerte ewig lange, aber das ist ja bei allen Dingen so: Wenn ich lange keine Bilder mehr entwickelt habe, dann kann das schon mal eine Woche dauern, bevor ich wieder in den Schwung komme. Ich brauchte also gute 6 Monate vollster Konzentration, um mich mit dem Medium Film richtig anzufreunden.
Was für Equipment habt ihr verwendet?
Super simpel. Der Film ist komplett mit digitalen Kameras und einem Powerbook zuhause entstanden. Die zwischendurch reingeschnittenen Fotos hingegen ist komplett analog, selbst entwickelt.
Gab es für so einen Rhythmus-dominierten Film auch ein rhyhmisches Konzept für den Schnitt?
Wir hatten verschiedene Konzepte für verschiedene Teile, wobei die Ausnahmen dann oft wichtiger waren, als die Regeln. Sobald wir eine solche aufstellten, fiel uns auch schon wieder ein Grund ein, sie zu brechen. Das Grundprinzip ist, das der Film visuell genauso kraftvoll wirken soll, wie die Musik. Es sollte also auch genauso für sich selbst stehen können. Die Musik, von Show und der Probe, war sehr kraftvoll, deshalb war das eine große Herausforderung.
Was mir an Deinen Fotos von früher bis heute auffällt ist, daß die abgebildeten Menschen immer sehr natürlich wirken. Wie bringst Du das zustande?
Ich gebe keine Anweisungen, das ist es. Es wäre irgendwie peinlich, jemandem zu sagen: „Schau doch mal so! Hebe deinen Arm!“ oder sowas. Es ist eine Aufzeichnung zwischenmenschlicher Kommunikation. Wenn du Dich dabei nicht wohlfühlst, wird das auf dem Foto auch so rüberkommen. Das ist zumindest ehrlich. Obwohl „ehrlich“ natürlich so ein Wort ist, wo man jetzt lange darüber philosophieren könnte, gerade im Zusammenhang mit Fotografie heutzutage. Ehrliche Fotografie ist heute sehr, sehr selten, genau wie ehrlicher Journalismus. (lacht) Eric und ich haben schon viel Zeit damit verbracht, super high zu werden und darüber zu sprechen, wie man mit unseren Mitteln sinnvolle Fotografie machen kann. Das ist ethisch eine sehr wichtige Frage für uns und deshalb bin ich froh, daß es dir aufgefallen ist.
Mir wäre aber noch nie ein Foto von Dir aufgefallen, wo sich die Fotografierten nicht wohlzufühlen schienen…
Das ist dann wohl eine gewisse soziale Fähigkeit, die man mit der Zeit entwickelt. Ich war eigentlich immer eher introvertiert, aber ich versuche mich auf die Menschen einzulassen und offen zu sein. „Es geht um Dich und Du sollst Dich wohlfühlen! Wir müssen garkeine Fotos machen, wir können auch eine Stunde warten und reden oder was auch immer.“ Diese hektische Kommandiererei anderer Fotografen interessiert mich nicht. Lustigerweise sehen die Menschen dann manchmal die Fotos und meinen dann, ich hätte sie enttarnt. Und ich frage dann: „War das nicht der Grund, warum wir das gemacht haben?“ Manche Menschen glauben, Fotografie wäre dazu da, sie gut aussehen zu lassen. Ich bin mir nicht sicher, ob ich damit übereinstimme. Ich will Dich nicht schlecht aussehen lassen, aber ich glaube auch nicht, dass es mein Job ist, dich gut aussehen zu lassen. Aber vermutlich machen Eric und ich deshalb auch keine Millionen als Fotografen. (lacht)
Was gibt es abschließend für weitergehende Zukunftspläne? Und wie stark hängen die vom Erfolg von „Brasilintime“ ab?
Ein Projekt wie „Brasilintime“ könnte ich kein zweites Mal als Eigenproduktion machen, das ist zu viel Arbeit. Natürlich bin ich froh, es gemacht zu haben, aber ich möchte es nicht nochmal machen müssen. Es gibt sicher Platz für diese Art von Film. Daß er sein Publikum findet, davon bin ich überzeugt, und dann muss man nur das Geld aufstellen, um etwas Neues zu machen. Die Musiker sind jedenfalls sehr dankbar. Ich wusste nicht, ob das mit Jaki funktionieren würde, nichtmal nach der gestrigen Probe. Aber nach der Show meinte er: „Ich habe mich musikalisch seit den Siebzigern nicht mehr so gut gefühlt.“ Er ist nicht gerade eine extrovertierte Person, aber man merkte, daß er richtig glücklich war. Er hat Joao und Mamão für heute in sein Haus eingeladen, vielleicht nehmen sie ja etwas gemeinsam auf. Und wenn ich sowas höre, dann ist das schon fantastisch. Mit dieser Art von Unterstützung und Großzügigkeit der Musiker steht einer Fortführung eigentlich nichts im Wege.
Interview: Stefan „Trishes“ Trischler (extra questions courtesy of DJ Samir & Daniel Shaked)
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