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Musikalische Vogelkunde: Buntspecht mit „großteils Kleinigkeiten“ // Review

Musikalische Vogelkunde: Buntspecht mit „großteils Kleinigkeiten“ // Review

(Hoanzl/VÖ: 23.02.2018)

Im Vogellexikon finden sich wahrlich glamourösere Exemplare als der Buntspecht, der mit seinen Eigenschaften „klein, unscheinbar, in Massen vorhanden“ eigentlich keinen Blumentopf gewinnen kann. Eigentlich, wurde der Buntspecht 2016 in der Schweiz zum Vogel des Jahres gekürt. Normcore ist eben angesagt, weswegen „Buntspecht“ gegenwärtig auch als Bandname im Trend liegt. Touché.

Unter diesem unprätentiösen Namen firmiert nämlich eine junge Wiener Band, die mit „großteils Kleinigkeiten“ nun ihr Debüt vorlegt. Ein Album, welches von Beginn an beweisen will, dass nicht nur das Verbreitungsgebiet des Buntspechts groß ausfällt, sondern auch der musikalische Rahmen der gleichnamigen, international zusammengesetzten Band (die Bandmitglieder kommen aus Österreich, Deutschland und Tschechien): So treffen bei Buntspecht nicht nur die typischen Melodielinien des Klezmer, also traditionell jüdischer Festmusik, auf die südamerikanische Sambaryhthmik des Bossa Nova, sondern auch eine große Portion Gypsy Jazz haben die sechs Musiker für „großteils Kleinigkeiten“ in ihrem Repertoire. Im Zentrum steht jedoch stets ein starker Wienerlied-Bezug, der jeden Song prägt.

Foto: Alexander Gotter

Auf ungemein leidenschaftliche Weise krächzt und singt sich Bandleader und Texter Lukas Klein mit einer Stimme, die wohl schon einige Packungen Zigaretten und noch mehr Gläser Whiskey abbekommen hat, durch das bunte musikalische Gerüst des Albums. Seine Lyrics versprühen den Duft des typischen Wiener „Schmähs“, dem bekanntermaßen reichlich morbide und zynische Schlagseiten anhaften und bei dem Lust und Schmerz oft keinen Gegensatz bilden. Diese sadomasochistische Gefühlswelt verleihen Buntspecht in „Brennnesseln“ Ausdruck, wünscht sich Klein hier schließlich die brennenden Pflänzchen „nackt auf die Brust gedrückt“. Fifty Shades of Buntspecht, oder so.

Zwischen Wiener Gossenromantik und freudigem Weltschmerz wandern auch Tracks wie „Das Lokal“ oder „Hinterkammerl“, auf dem der besungene Hauptprotagonist sich mit dem genüsslichen Rauchen eines „Glimmerstangerls“ in der dortigen Lokalität stressigen Situationen entzieht. Also eine Geschichte, die so nur direkt vom „Aschenbecher Europas“ kommen kann. Ganz bitterböse gibt sich Klein hingegen auf „Briefbomben“, in dem er als „grantiger Romantiker“ unter dem Vorwand kitschiger Liebesbekundungen explosiven Inhalt, der das „Herz zerreisst“, versendet. Egal, ob metaphorisch oder nicht: Ziemlich böse, was er und Band auf dieser Nummer anstellen. Daher ist es schon fast frech, wie grandios schwungvoll Buntspecht die „Briefbomben“ zusammenbasteln.

Buntspecht können aber auch ganz anders, wie der vielfältig interpretierbare Opener „Zirkus“ zeigt, dessen Intro gar den Eindruck erweckt, man hätte sich hier auf Tom Waits‘ famosem Album „Alice“ verirrt. Auch einen Sprechgesangs-Part bietet der Titel auf, was einerseits skurril wirkt, anderseits doch gut mit der treibenden Rhythmik harmoniert. Musikalisch ist „großteils Kleinigkeiten“ überhaupt in jeder Tonspur gelungen, beherrschen alle in der Band ihre Instrumente, egal ob Cello, Melodica oder Saxophon, mit einer nahezu skandalösen Selbstsicherheit. Man hört den Spaß an der Musik, der sich vor allem auf den schnellen, tanzbaren Tracks der Marke „Abrakadabra“ zeigt, bei jedem einzelnen Mitglied heraus.

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Ein unbestreitbarer Jamcharakter durchzieht die Songs, was jedoch nicht verwundert, wurde die Platte bei Sessions in einem Gartenhäuschen im 14. Wiener Gemeindebezirk aufgenommen. Auf dem letzten Track, dem teils englischsprachigen „Marsch“, haben sich gar Laute dortiger Vögel zwischen den musikalischen Tönen versteckt. Nicht die einzige Stelle, an der sich die Straßenmusiker-Sozialisation von manch Bandmitglied auf den Sound von „großteils Kleinigkeiten“ niederschlägt. Aber nicht nur: Die Musik auf dem Album klingt zwar ungemein locker und ungezwungen, weist gleichzeitig aber einen hohen Grad an durchdachter Raffinesse in der Songkomposition auf. Eine Mischung, die „großteils Kleinigkeiten“ zu einem äußerst hörenswerten Album macht.

Fazit: Buntspecht präsentieren mit „großteils Kleinigkeiten“ ein durchwegs sympathisches Release, das eine aufsehenerregende Stilvielfalt aufbietet, durch kluges Songwriting besticht und mit Lukas Klein einen charismatischen Sänger vorweist. Eigentlich alles Zutaten, die für viel Erfolg in der Zukunft sprechen. Buntspecht, ein Name, den man sich merken muss. Selbst, wenn man kein Ornithologe ist.

4 von 5 Ananas

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