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Wenn sich der Tod lebendig anfühlt // Casper live

Wenn sich der Tod lebendig anfühlt // Casper live

Lichtgestalt Casper // Fotos: Alexander Gotter

Ein Konzert in der Stadthalle bedeutet bereits beim Eintreten in die Eingangshalle entgegenströmender Popcorngeruch, in Plastikbehälter gefüllte Bonbons und mit Bauchladen versehene Cornetto-Verkäufer, die auf der Suche nach Eisliebhabern ihre Kreise durch die Halle ziehen. Es ist die größte Location, die Casper jemals in Österreich bei einer Solo-Show bespielt hat, 5000 Menschen, vor allem Anfang 20er, sind dafür in den 15. Bezirk gekommen.

Als Vorgruppe hat Casper den Münchner Fatoni ausgewählt, er sei seine erste Wahl gewesen. Fatonis Kollabo-Album mit Dexter liegt zwar auch schon wieder zwei Jahre zurück, dafür erschien mit „Alle Liebe nachträglich“ kürzlich ein monothematisches Album mit Sängerin Mine. Für packende Liveshows ist Fatoni sowieso immer ein Garant, wie er erst im Mai gemeinsam mit Juse Ju im Flex unter Beweis gestellt hat.  Mit obligatorischem Hut, „Yo, Picasso“-Gemälde im Rücken und DJ V.Raeter an seiner Seite wurde er von Casper angeheuert, um das Publikum in „den richtigen Modus“ zu bringen. Gleich wie bei seinem Soloauftritt im Mai begleitet er sich für „Lassensiemichkünstlerichbindurch“ auf der Gitarre, springt zu „Gravitationswellen“ gleichauf mit der geformten „Wall of Death“ und geizt auch nicht mit seiner politischen Meinung. Zeilen wie „Du wählst die FPÖ, ja, ganz der Opa“ und Seitenhiebe auf HC Strache sorgen beim Publikum für Begeisterung und Szenenapplaus. „Wow, oida wow“ zitiert Fatoni da seinen österreichischen Kollegen Crack Ignaz, um sich kurz danach selbst ein bisschen im Autotune zu verlieren.

Kontrastprogramm dazu liefern da Kreislers „Taubenvergiften“ und Queens „Bohemian Rhapsody“ in der Umbauphase – angeblich von Casper selbst ausgewählt. Da macht das Warten sogar Spaß. Und gewartet haben wir lange, schließlich hatte Casper sein Album „Lang lebe der Tod“ und die dazugehörige Stadientour fast ein Jahr nach hinten verschoben. Weil er mit seinem Werk noch nicht zufrieden war, „die Schnauze voll hatte“ vom Popstarsein, nicht mehr unerkannt auf die Straße gehen konnte. Umso impulsiver ist er jetzt zurück und steht zum Soundtrack von „Die glorreichen Sieben“ wie eine Schattenfigur vor einem riesigen Stacheldrahtzaun aufgebäumt, der sein tiefschwarzes Album „Lang lebe der Tod“ widerspiegeln soll – eine interessante Kombination von Theatralik und Inszenierung, ehe mit „Alles ist erleuchtet“ eine knapp zweistündige (!) Show beginnt.

Die visuelle Komponente spielt bei Casper auch während des restlichen Konzerts eine tragende Rolle. Ein Wasserfall untermalt „Im Ascheregen“, entlanggleitende Bergrücken „Auf und davon“. „Ich bin überwältigt, so eine große Show in Österreich zu spielen“, kommentiert Casper zwischen den Songs das äußerst gut gelaunte Publikum, das sich seine „Alle Hände, alle“-Rufe zu Herzen nimmt. Dafür wird es mit einem Kanye-Moment belohnt, wenn Casper hoch über den Köpfen seiner Band auf einer Hebebühne das magenaushebelnde „Sirenen“ anstimmt. „Ich will jeden Einzelnen springen sehen!“, schreit der Rapper energisch und nimmt sich zwischen all den Abreiß-Tracks auch Zeit für ruhige Momente. Beispielsweise um eine Platte eines Gastes in der ersten Reihe zu signieren. Der Star von nebenan, der ja immer wieder betont, nicht der oft heraufbeschworene Messias sein zu wollen und können. Dafür hat er jedenfalls einige Hits zu bieten: „Der Druck steigt“, „So perfekt“, „Hinterland“, „Blut sehen“ – ein musikalisches Feuerwerk jagt das nächste. Unterstützt wird er dabei von seiner Band mit Gitarrenüberhang, mit der er bereits zu Unizeiten gemeinsam musiziert hat, und lässt dieser auch Platz für Soli. Zeit, die er sowieso braucht, um einige Tracks am hinteren Ende der Halle zu performen – Sympathiepunkte für den Künstler zum Anfassen.

Ein Wunder, dass Casper diese Philantrophie geblieben ist, immerhin spricht er selbst davon, dass er in der schwärzesten Zeit während der Albumproduktion nie wieder auf die Straße gehen wollte. Mehr noch: Nicht einmal die Tür wollte er öffnen, wenn es klingelte. Von diesen tiefen Selbstzweifeln ist bei der Show nichts zu merken. Selbstbewusst und energiegeladen nimmt Casper die Bühne für sich ein und unterhält 5000 Leute zwei Stunden lange, als wäre es erst seine Aufwärmübung. Dass er so große Shows mag, hat er schon öfters betont, denn da könne er auch unbekanntere, ältere Songs oder überhaupt B-Seiten spielen, die bei Festivals oder kleinen Clubshows nicht funktionieren würden.

Fazit: Casper-Show ist beste Show. Kaum ein anderer deutscher Rapper vermag es, in einer derartigen Intensität die autobiografisch-gesellschaftskritischen Texte mit Hang zur Depression auf solch epochale Art darzubieten. Und obwohl Casper von sich selbst behauptet, zwar privat ein politisch aktiver Mensch zu sein, aber seine Musik nicht als politisches Statement zu nutzen, konnte er es sich dennoch nicht untersagen, mit „Mittelfinger hoch“ für eine Welt ohne Rassismus, Sexismus und Faschismus einzustehen. Toleranz sei die Zukunft. Das Wiener Publikum bedankt sich für diesen emotionalen wie kraftvollen Auftritt mit Textsicherheit und Anerkennung.

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