Deschek vom Message. Gebts ma an grünen Avatar heast!
„Da wird man noch angeschmunzelt, wenn man was Vegetarisches bestellt. Sehr wienerisch“, kommt Cid Rim nach dem Bestellen selbst ins Schmunzeln. „Die Kellner sind alle cool. Die anderen zwei sind relativ konstant, der von heute kann aber auch ur böse und hart sein. Er ist entweder gut oder schlecht aufgelegt. Heute hat er einen fantastischen Tag“, ergänzt er. Wir befinden uns in einer Traditionsgastwirtschaft in der Wiener Josefstadt. Jenem Bezirk, in dem für den Schlagzeuger und Produzenten aus dem Affine Records-Dunstkreis alles begonnen hat. Längst ist der Schlagzeuger und Produzent auch über die Grenzen hinaus ein Begriff. Er verbringt viel Zeit in London und veröffentlicht seine Musik über das von Hudson Mohawke mitbegründete Label LuckyMe.
Am Freitag ist sein neues Album „Songs of Vienna“ erschienen – das er am 13. Jänner 2022 live im Porgy & Bess präsentieren wird. Mit seinem zweiten Longplayer geht Cid Rim neue Wege. Ausgehend von analogen Synthesizer-Ideen, vermengt er diesmal nicht nur jazzig-elektronische Klänge mit seinen charakteristischen Drums, sondern ist auch mit eigenen Texten und Vocals zu hören – quasi in Anderson Paak– und Phil Collins-Manier. Im Interview spricht er über die Motivation hinter diesem Schritt, was die Wiener von der Londoner Musikszene lernen können und umgekehrt, die Traurigkeit des Skifahrens und einiges mehr.
The Message: Wie schnell langweilen dich deine Tracks, wenn du sie im Nachhinein hörst?
Cid Rim: Es kommt drauf an, wie gut sie sind. Wenn ich aus dem Studio rausgehe, hör ich mir am Heimweg gern die Ideen, Sketches und Loops an – manche nur einmal. Wenn es was wird und eine fertige Nummer entsteht, dauert es länger. Es kommt auch die Zeit, wo man die Sachen gar nicht mehr anhört, oder erst viel später wieder. Vor paar Monaten habe ich meine allererste Platte auf LuckyMe nach Ewigkeiten wieder angehört. Ich fand es total witzig mit neuen Ohren.
Was waren deine Eindrücke, als du wieder reingehört hast?
Dass es ein ganz anderer Zugang war. Man merkt, dass ich viel mehr im Club gespielt und aufgelegt habe. Es waren Sachen, die auch mitten in der Nacht am Dancefloor funktionieren können. Es hatte weniger Songwriting-Zugang. Ich habe damals die Gratwanderung versucht, dass die Nummern im Club funktionieren, aber sie so sind wie ich sie gern hätte und dass immer spannende Sachen passieren. Ein zweiter Teil, eine Bridge und nicht nur einen Takt, der sieben Minuten mit einem Filter drüber rennt. Die Skills beim Mischen und Produzieren haben sich über die Jahre entwickelt, auch technisch mit neuen Plugins. Im Nachhinein denke ich oft: Coole Nummer, aber nicht gut gemischt.
Funktionieren clubtaugliche Nummern in London anders als in Wien?
In London bewegen sich die Strömungen ultraschnell. Die Leute wissen genau, was gerade in der Jazz- oder House-Szene von South London passiert. Sachen werden schnell gehypt, aber wenn du eine Nummer ein Jahr später spielst, ist sie voll das alte Eisen und interessiert die Leute nicht mehr. Wenn man was macht, das nicht klar einem Subgenre oder einer Szene zuordenbar sind, gilt das vielleicht nicht so.
„Da wird man noch angeschmunzelt, wenn man was Vegetarisches bestellt. Sehr wienerisch“
Wie versuchst du, dich mit deiner Handschrift davon zu lösen?
Ich habe früh gecheckt, dass ich nicht nur in einem Tempo oder in einem Genre Musik machen kann. Ich versuche alles abzudecken was mir taugt und mich mehr über eine Handschrift von Melodien, Akkorden oder Schlagzeugsound zu definieren. Was witzig ist, weil man das eher über Feedback von außen merkt. Gerade bei Drumsounds – elektronisch oder aufgenommen. Da schaue ich, dass ich immer neue Sachen entdecke und es verändert sich meiner Meinung nach immer. Trotzdem behaupten manche, dass sie jeden Track von mir am Schlagzeug-Sound erkennen. Es ist eine schwer zu definierende Handschrift.
Wie kam es dazu, dass du als gelernter Drummer plötzlich auch singst?
Da waren schon Sketches und paar Nummern fürs Album fertig. Ich wollte für ein, zwei, drei Nummern Vocal-Features im Studio aufnehmen. Davor habe ich angefangen, Pilotspur-mäßig Vocals von mir aufzunehmen. Ich habe es pro forma gescheit gemacht, was bei der Stimme ausgebessert und es gemischt, damit man sich was vorstellen kann und es nicht ganz so kryptisch ist. Bei einer Nummer hatte ich eine Idee, über was man singen könnte. Dann habe ich einen Text geschrieben und mir gedacht: Warum nicht bei alle Nummern, bei denen ich Vocals haben will? Ich hatte einen neuen Zugang zu meiner Stimme, abseits der Produzentensicht. Ich habe mit der Art zu singen und den inhaltlichen Ideen was anfangen können und gedacht: Ich mach es einfach mal, es kann immer noch wer anderer einsingen.
Hast du den Leuten am Anfang dazugesagt, dass du singst oder hast du es verdeckt gehalten?
Ich habe es nicht dazugesagt. Manche haben es erkannt, manche nicht. Es war gut, weil ich eh schon happy war. Ich habe viel rumprobiert, es macht ja total Spaß. Bei „We Drums Two“ habe ich zur Gaude den Autotune aufgedreht und hintennach ur viele Effekte eingebaut, einen Take aufgenommen und der ist am Ende geblieben. Das hat in dem Moment die voll gute Energie gehabt, auch ohne Text mit Reinschreien und Freestylen. Das war der Startschuss.
Hattest du kein Problem mit deiner Stimme?
Ich habe mich schon zamraufen müssen. Aber der Druck war nicht so groß, weil ich nicht mit der Intention reingegangen bin, der perfekte Sänger werden zu müssen. Mit mehr Detailarbeit, der Wahl des richtigen Mics, dem Abstand und der Art zu singen hatte ich bei einer meiner Pilot-Versionen den Aha-Effekt. Es war nicht mehr das weirde Gefühl, wie wenn du dich das erste Mal im Radio reden hörst.
Ist das Texten leicht von der Hand gegangen?
Manchmal schon, manchmal nicht. Bei paar Nummern hatte ich Textideen, manchmal kommen intuitiv Worte mit einer Bedeutung raus. Bei anderen hatte ich ein Konzept. „Last Snow“ war ein Thema, das mich länger beschäftigt hat. Dass man nicht für immer Skifahren können wird. Als Kind war ich sehr viel, mittlerweile gehe ich nur noch ein, zwei Tage im Jahr. Aber irgendwann ist alles weg, nur noch eine braune Suppe – und wahrscheinlich ist das gar nicht so weit weg. Das hab ich nicht mehr aus dem Schädel bekommen. Seitdem ist Skifahren für mich auch bissl was Trauriges. Ein anderer Zugang war, mit verzerrter Autotune-Stimme ohne Text über einen ruhigen Klavierloop zu gehen. Das ist aus dem Moment heraus entstanden und hat dann super zusammenpasst.
Gibt es ein Livekonzept, wo du gleichzeitig spielst und singst?
Es ist gerade ein Prozess. Es geht halbwegs, ich kann gleichzeitig singen und Schlagzeug spielen, aber die technische Umsetzung ist schwierig. Du brauchst das richtige Mic, damit du die Stimme hörst, aber das Schlagzeug nicht zu sehr im Stimmen-Mic drin hast. Ich bräuchte eigentlich eine Plexiglaswand dazwischen (lacht). Das muss ich noch austüfteln.
Du hast seit rund zehn Jahren eine Connection nach London, wohnst seit einiger Zeit überwiegend dort. Wie viel bist du noch in Wien?
Überwiegend stimmt eigentlich nicht, ich würde eher sagen es ist Hälfte-Hälfte. Es kommen auch andere Sachen dazwischen. 2019 war ich drei Mal für paar Wochen in L.A. Ich pendle sehr viel. Mein Studio ist in London, mein Proberaum in Wien, es ist bissl kompliziert (lacht).
Kennst du sowas wie Heimweh?
Schon, aber in beide Richtungen. Wien und London sind sehr unterschiedlich. Es gibt bei beiden Sachen, die man irgendwann vermisst. Aber ich bin generell recht statisch bei sowas. Ich stelle mich mental auf etwas ein, wenn es wirklich passiert. Vielleicht ist es eine gewisse Grundflexibilität, die ich mir beigebracht habe. Dass es oft gar nicht so gut ist, wenn man zu viel plant und dass es meistens genauso gut funktioniert, wenn es bissl spontaner ist.
Aber du hast Wien im Albumtitel. Die meisten Artists wollen Wien eher verschweigen, wenn sie weggehen. Warum machst du quasi den Gegenmove?
Ich merke immer mehr, dass es unveränderliche Dinge gibt. Ich werde kein Ami und kein Londoner mehr. Eine Zeit lang war ich so auf: Es ist spannend, ich mache in deren Tempo und Lifestyle mit. Aber das bin ich nicht. Ich bin ein Wiener. Je mehr ich weg bin, desto mehr komme ich auf diese Grundentspanntheit und die Privilegien, die es in Wien gibt. Wenn ich in London mit 20-Jährigen, die produzieren oder singen ins Studio gehe, haben die einen Plan. Nicht nur einen Karriere- sondern auch einen Businessplan. Dort kannst du dich nicht eine Zeit lang treiben lassen, weil dich die Miete auffrisst. In Wien haben alle Leute, die ich kenne in ihren 20ern ein entspanntes Leben. Du studierst vielleicht, hast ein, zwei Nebenjobs und legst bissl auf. Du kannst schauen, ob dir das Musik machen taugt, ob du gut genug bist und ob du mit dem Stress klarkommst. Diesen Komfort kenne ich nur aus Wien. Das macht in der Entscheidungsfindung einen großen Unterschied. Es funktioniert alles angenehmer. Ich will nicht das Lebensqualität-Ranking ausgraben, aber es ist so. Das Wasser ist besser, die Mieten niedriger, es schaut meistens schöner aus, es funktioniert. Das Wichtigste für mich ist, dass man Zeit hat. Dann merkt man, wie viel das Wert ist. Ich war ab dem ersten Lockdown gezwungenermaßen für ein halbes Jahr in Wien. Vorher waren es Tracks, Sketches, Ideen oder ein Gefühl, in welche Richtung es geht. Aber hier war der Knackpunkt, dass ich zum Singen gekommen bin und das Album Form angenommen hat.
Du hast die ersten Sachen, die du ursprünglich fürs Album geplant hattest, verworfen und neu angefangen. Warum die Entscheidung?
Das waren paar Fusion-Geschichten, die sind vorm Sommer als Singles rausgekommen. Da wird in Zukunft eh noch mehr passieren. Es war ein Experiment – ur viele Leute einladen, jammen und aufnehmen. Es war super, aber ich bin draufgekommen, dass es zu weit weg vom Songwriting ist. Ich habe viele Teile aus den Sessions verwendet, aber als Grundkonzept fürs Album wollte ich eher Songs als lange improvisierte Sachen.
Zurück zum Wien-Punkt: Warum schafft man es heute trotz vieler sehr talentierter Musiker*innen nicht, international auf die Landkarte zu kommen? Hat es mit einem gewissen Selbstbewusstsein in der österreichischen Gesellschaft und bei den Artists zu tun?
Es hat sicher was mit der Mentalität zu tun, dass man Sachen kleiner redet als sie sind, sie weniger wertschätzt, dass gegrantelt wird und man sich eher beschwert. In London ist alles viel schwieriger, aber niemand beschwert sich. In britischer Höflichkeit und Contenance ist es eher ein: ‚Ich will niemandem meine Sorgen ablassen‘. Es ist das Gegenteil. Du musst nachfragen, wie es den Leuten wirklich geht, auch wenn man sieht, dass es ihnen nicht gut geht. Vielleicht ist es gar nicht so schlecht, wie es in Wien ist.
„Es hat sicher was mit der Mentalität zu tun, dass man Sachen kleiner redet als sie sind“
Ist Wien zu gemütlich?
Ich würde nicht sagen zu gemütlich, aber es geht sich aus. Vielleicht ist es so, dass es in sich hier gut funktioniert und dass es das nächste Level gar nicht braucht. Es kann auch was Schönes sein, wenn man mit dem zufrieden ist, was man hat. Ich werde jetzt über Umwege zufrieden mit dem was ich hatte.
Warum schaffen es Leute wie Wandl nicht aus Österreich?
Gute Frage. Er ist eh gut connected in Berlin, produziert mit Torky Tork.
Aber als Solokünstler – das sind Nummern von Weltformat. Ist es das fehlende Glück, dass es noch nicht die richtige Person gehört hat?
Ich habe letztens immer wieder Grundsatzdebatten geführt. Wie groß ist der Anteil des Managers am Erfolg eines Artists? Da kriegst du als Antwort alles – von 0 bis 100 Prozent. Du kannst es schwer definieren. Ein Teil sagt: Wenn die Musik gut genug ist, kommt sie von alleine durch. Das ist aber oft nicht der Fall. Wenn die Musik schlecht ist, kann der Manager auch nix machen. Das geht aber manchmal trotzdem auf. Was in der Diskussion oft nicht behandelt wird ist der banale Faktor Glück, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Wenn sich was ergibt und es einen life changing moment gibt. Es ist ein Faktor. Ich mache mir bei Wandl keine Sorgen. Der Output ist konstant von Weltformat. So erhöhst du die Chancen – wenn jede Nummer geil ist, muss nur eine irgendwie durchkommen.
In London scheint die Jazzwelt seit Jahren konstant zu florieren. Wie viel kriegst du davon mit und wie hast du es absorbiert?
Nicht alles, aber ich habe es am Schirm und es gibt Berührungspunkte. Ich finde in der South Londoner Jazzszene spannend, dass sie nicht abgegrenzt ist. Es gibt Direktverbindungen in alle Richtungen. Die Leute landen schnell in Popstudios oder bei elektronischen Produzenten. Es sind paar Crews, aber es ist eine offene Szene. Man kennt es in einem breiteren, populäreren Rahmen. Das ist einer der Unterschiede. Ich finde es witzig, weil es mich an 90er-Jahre-Acid-Jazz, aber auch an die Broken-Beats-Szene aus Westlondon erinnert. Alles bisschen slick und poliert, was jetzt nichts Schlechtes ist. Ich habe das Gefühl, dass viele Club- und House-Einflüsse in der Jazzszene drin sind. Es sind Leute, die mit HipHop und Clubmusik aufgewachsen sind und dann den Weg zum Instrument gefunden haben. Es ist ein Remasuri aus spannenden Geschichten. Oder das Umfeld um Mica Levi, Kwes und Tirzah. Mica Levi macht mega Soundtracks wie bei „Under Your Skin“ mit Scarlett Johansson, ein riesen Hollywood-Film. Bisschen eine andere Ecke, aber auch sehr spannend.
Ganz andere Ecke: Du hast vor paar Jahren im Interview den Wiener Komponisten Erich Wolfgang Korngold erwähnt. Was hast du von seinen Sachen und der Ära der Modernen Klassik mitgenommen?
Dass es generell voll die spannende Schnittstelle von Klassik und Filmmusik ist. Korngold war soweit ich weiß ein ganz normaler Komponist, der fliehen musste und nach L.A. gekommen ist. Dort waren schon die fettesten Studios und er hat dann Filmmusik gemacht. Ich finde auch die Schnittstelle Klassik und Moderne Klassik, die nicht nur absichtlich schräg, falsch und kompliziert ist spannend. Olivier Messiaen aus Frankreich, oder Satie, da kann man sich gut reinflashen. Vor allem wenn man denkt, wie schräg man mit der Musik werden kann. Dann hört man sich an, was die in den 1920er- oder 30er-Jahren gemacht haben und denkt: Es geht noch viel mehr und viel wilder.
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