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Clubmusik mit Spannungsbogen // Mieux Interview

Clubmusik mit Spannungsbogen // Mieux Interview

Mieux

Seit rund zehn Jahren im Duo aktiv, haben Mieux am 10. September ihr erstes Album „Rulers“ über Affine Records veröffentlicht. Dass sie zu den interessantesten Produzenten Österreichs zählen, ist keine vermessene Ansicht. Davon zeugten bisher mehrere EPs, Singles und Liveshows. Nun sorgen Christoph Prager und Felix Wolfersberger für ein Statement voller Selbstvertrauen in Albumlänge. Solo auch unter den Namen Minor Sick beziehungsweise Feux aktiv, verschmelzen sie im Kofferwort zu Mieux – und damit geht ihre spezielle Version von Electronic Dance Music einher. Basierend auf einem Potpourri an musikalischen Einflüssen, die den „Mieux-Filter“ passieren. Im Interview sprechen sie darüber, was es so schwer macht, ihren Sound zu definieren, wie freiwillig sie erstmals auf Vocal-Features setzen, warum es keinen Raum für Improvisation gibt und was es mit der Liebe zu Japan auf sich hat.  

The Message: Ab euren ersten Singles & EPs habt ihr über Boiler Room, Gilles Peterson und Blogs international Anerkennung bekommen, seid aber bis heute sehr nischig unterwegs. Löst dieser Umstand eine gewisse Enttäuschung aus?
Christoph:
Nein, ich glaube es hat einfach mit der Musik zu tun. Wir biegen sehr nischig ab und haben uns mit dem was wir machen gut gefestigt.

Also seht ihr das nicht als Problem der österreichischen Musiklandschaft? Dass es in London, L.A. oder sonst wo vielleicht anders ausschauen würde?
Christoph:
Nein, gar nicht.
Felix:
Das Schöne daran ist, dass es in sämtlichen Ländern auf der Welt Leute gibt, die es interessiert, die es verfolgen. Es war ja immer global gedacht. Wenn man instrumentale Musik macht, kann man die viel breiter denken.

Baut ihr auch deshalb in Europa weniger verbreitete Stile und Instrumente wie Steel Pans oder Gamelans in eure Musik ein?
Christoph:
Es kommt aus einer gewissen Experimentierfreudigkeit. Wir haben keine Angst, Sounds zu verwenden, die vielleicht nicht klischeehaft reinpassen. Obwohl wir sicher nicht Vorreiter sind. Wir haben genauso Sachen verwendet, die weit verbreitet waren. Aber wir sind in vieler Hinsicht musikinteressiert, das reflektiert sich in unserer Musik.
Felix: Es geht viel eher darum, so viel wie möglich aufzusaugen, es dann durch den Mieux-Filter zu lassen und schauen, was dabei rauskommt.

„Es gibt nicht diesen einen Mieux-Sound, auf den wir immer wieder zurückkommen“

Wie würdet ihr den Mieux-Filter definieren?
Christoph:
Es geht nicht um irgendwelche Plug-ins, die wir verwenden. Wir setzen alles in unseren Kontext. Wenn was phrasenmäßig ist, würden wir es nie eins zu eins kopieren. Wir haben vor allem harmonisch einen gewissen Stil entwickelt – mit offenen Chords und gewissen Ansätzen, wie wir arbeiten. Das transportieren wir, ohne Melodien und Harmonien aus anderen Instrumenten und Musikstilen zu übernehmen. Wir passen das an, ohne mit dem Sound Zitate rauszuziehen.

Könnt ihr ein Signature-Element in eurem Sound nennen?
Christoph:
Das ist für uns ein schwieriges Wort. Ich glaube die Signatures verändern sich mit der Zeit. Beim Album kann ich keine nennen. Wir haben früher viel versucht, Sounds zu vereinheitlichen, die sich dann durchziehen. Das hat sich jetzt bisschen verändert – obwohl es immer noch vorkommt. Zum Beispiel wie wir den E-Bass verwenden. Wenn man das Album durchhört, merkt man auf paar Tracks, dass wir den Bass zum Beispiel in einer anderen Funktion verwendet haben. Wenn man es nicht weiß, merkt man das vielleicht gar nicht. Aber ich will es trotzdem nicht als Signature bezeichnen. Es sind Phasen, aber es gibt nicht diesen einen Mieux-Sound, auf den wir immer wieder zurückkommen.

Bei der Online-Recherche ist mir ein Kritikpunkt untergekommen: Dass ihr das Komplexe zu sehr im Einfachen sucht. Wie nehmt ihr so etwas auf?
Christoph:
Ich sehe es nicht unbedingt negativ. Diese Klassifizierungen, ob es jetzt einfach oder komplex ist, das spielt echt keine Rolle. Wir haben Ansprüche nach Klängen, die uns interessieren und beschäftigen. Ob es ein Ton ist, der vier Minuten durchgeht oder komplexe Chord-Strukturen – kann beides sein. Komplexität ist kein Qualitätskriterium von Musik, das ich für mich gebrauchen kann. Aber es ist super, wenn sich Leute so mit unserer Musik beschäftigen und drüber nachdenken.

Ihr seid seit einem Jahr Teil von Affine Records, davor habt ihr eure Tracks vor allem über Newsletter nach außen getragen. War es vorher nie ein Thema bei euch, bei einem größeren Kollektiv/Label stattzufinden?
Christoph:
Wir haben davor schon einen Vertrieb gehabt und mit Labels Releases gemacht. Wir sind sehr selbstreflexiv und keine Artists, die das Band abgeben, wenn ein Release ansteht. Wir haben es gerne in der Hand und wollen unsere Ideen verwirklichen. Mit Affine haben wir einen Partner gefunden, wo wir das gut aufteilen. Es hat Vor- und Nachteile. Mit Label funktioniert es gut, dass man ein Release durchplant. Es gibt jetzt keine Vorgaben, dass wir schnell was rausbringen oder so. Diese Freiheit haben wir immer gemocht und deswegen schnell handeln können. Zum Beispiel bei der Videosingle „Shenzen“.

Das Album beinhaltet die ersten zwei Mieux-Tracks mit Vocal-Features. Im ankündigenden Newsletter hat es so gewirkt, als wäre das nicht ganz eure Idee gewesen – also ein herangetretener Wunsch. Wie ernst war das gemeint?
Christoph:
Nein, das war ironisch gemeint. Wenn man Instrumentalmusik macht, hört man öfter, dass sich Leute Vocal-Features wünschen. Es war bisschen ein Nod in die Richtung, aber dass wir es machen war unsere Intention. Bei „Unreal“ war es von vornherein geplant. Wenn wir Laura Groves nicht dafür gewonnen hätten, wäre der Track wohl nicht aufs Album gekommen. Bei „In My Prime“ sind wir in den Diskussionen mit Jamal (Betreiber von Affine Records, Anm.) draufgekommen, dass sich die Nummer gut eignen würde.

Da ist es ein Grime-Feature geworden. Ihr habt vorab eine Liste mit Kandidaten erstellt und am Ende Cadell angefragt, der das Feature gemacht hat. Wie ist das abgelaufen, was hat den Ausschlag für ihn gegeben?
Felix:
Skillz! (lacht)
Christoph: Wir haben Quellen in UK angezapft und in unser Community rumgefragt, wo es upcoming talent und Leute gibt, die interessante Sachen machen. Mit Jamal sind wir auch selbst auf die Suche gegangen und haben alle Vorschläge zusammengetragen. Dann hat jeder für sich alles durchgehört. Cadell war bei jedem ganz vorne, da gab es keine Diskussion mehr.
Felix: Cadell war begeistert davon, dass es eine elektronischere Produktion ist. Er hat gemeint, dass er mehr in diese Richtung gehen will und von Features mit anderen Produzenten gesprochen.

Felix, du hast 2009 das erste Mirac-Album „Mastaplan“ produziert. War es eine bewusste Entscheidung, dich danach auf Instrumentalreleases zu konzentrieren und keine weiteren Rap-Alben zu produzieren?
Felix
: Explizit habe ich nicht den Drang gehabt, mit Vokalist*innen zusammenzuarbeiten, das hat sich damals eher zufällig ergeben, weil der Demand da war. In der Myspace-Zeit konntest du fünf Beats raufladen. Da schreibt irgendwann jemand, ob du dir ein Feature vorstellen könntest. Wenn du offen dafür bist, fängt es an zu fließen und es passieren Dinge. So ist das Album mit Mirac entstanden.
Christoph: Mieux hat sich bei uns mit den ersten Singles als Hauptbeschäftigung gefestigt. Da ist alles andere in den Hintergrund getreten. Es hat sich schnell sehr richtig angefühlt, was wir gemeinsam machen, wie wir arbeiten und uns gegenseitig verstehen. Deswegen war Mieux immer bisschen losgelöst. Natürlich haben wir auch andere Sachen gemacht.

Mieux

Bei Live-Shows reist ihr jeweils mit einem Koffer an. Wie verändert das Setting euren Sound?
Christoph: Wir verwenden live einfach nicht dieselben Sounds. Die Limitierung ist, dass wir keinen Computer auf der Bühne haben und unser Studio nicht mitnehmen können.
Felix: Gewisse Sounds haben andere Strukturen, werden anders eingesetzt. Es sind andere Momente, aber es hat noch einen Wiedererkennungswert.

Ist es viel Vorarbeit oder eher improvisiert?
Christoph:
Schon viel Vorarbeit, also wir checken das vorher aus und lassen keinen Improvisationsspielraum.

„Es ist ja keine Clubmusik, die 40 Minuten durchballert“

Wäre es eine Option, das mehr einzubauen?
Christoph:
Mit Mieux ist es im Moment nicht geplant. Wir machen keine virtuose Musik, wo wir diese Elemente haben. Es ist im weitesten Sinne Club- und Tanzmusik, dafür ist sie auch gedacht. Daher ist es nicht geplant. Die Improvisation kommt eher in den Übergängen, oder wie wir es vom einen in den nächsten Song reinmixen, wenn sich das Publikum noch bewegt.

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Ist bei euren Tracks der Anspruch, dass sie im Clubkontext funktionieren?
Felix:
Es ist ja keine Clubmusik, die 40 Minuten durchballert. Es gibt einen gewissen Spannungsbogen. Wir haben uns gut überlegt, wann man das Publikum mit welcher Nummer konfrontieren kann.
Christoph: Unsere Musik ist schon im Clubkontext, aber es sind keine 6-Minuten-Nummern, die man ineinander mixt. Wir haben paar Ansätze in die Richtung gemacht, aber ich glaube nicht, dass eine unserer Nummern in Clubcharts Platz hätte. Von der Struktur, dem Arrangement her. Die Elemente sind in vielen Songs da – 4-to-the-floor-Bassdrums oder wo wir gewisse Sounds herholen. Wir finden immer den Weg hinein und wieder raus aus dem Club.
Felix: Es soll schon eher als Konzert wahrgenommen werden.

Habt ihr Liveshows in Aussicht?
Christoph:
Nein. Zum Album jetzt nicht.

Warum? Eher keine Lust oder keine Zeit?
Felix:
Bei mir ist es die Zeit, die man dafür aufwenden muss. Ich brauche es gerade nicht. Ich will mich lieber darauf konzentrieren, neue Musik zu machen. Ich glaube, dass an Künstler generell so viele Anforderungen gestellt sind. Du musst auf so vielen Plätzen aktiv sein. Natürlich ist der Livesektor für viele Leute wichtig. Ich persönlich konzentriere mich lieber aufs Musik machen. Das funktioniert für mich am besten.

Was anderes: Ihr habt mehrmals eure Sympathie für Japan und japanische Videospiele bekundet. Was hat es damit auf sich?
Felix:
Das kommt bisschen aus meiner Richtung. Es geht ums Versinken in diesen Welten. Es gibt paar Spiele, die sehr inspirierend waren. Shenmue zum Beispiel. Das ist ein Open-World-Game. Man könnte es mit GTA vergleichen, aber es ist eher ein Gegenpol zum aggressiven Baller-alles-weg-Ding. Ich mag das Spiel und ziehe mir viel raus, weil so viel Liebe zum Detail drin ist. Wie gewisse Stimmungen erzeugt werden, dass es für Charakter einen computersimulierten Tagesablauf gibt. Dann gibt es noch das Spiel Katamari Damacy. Vom Soundtrack her sehr crazy und schnell. Es gibt den König des Kosmos, eine gottähnliche Figur. Der baut betrunken Blödsinn, zerstört den Sternenhimmel und lässt den Mond verschwinden. Die Teile davon liegen auf der Erde. Du wirst als Prinz auf die Erde geschickt und hast einen Katamari. Das ist eine kleine Kugel, auf der Dinge kleben können, die noch kleiner sind. Du stehst damit in einer Stadt und saugst Dinge auf. Am Ende wirst du beurteilt. Der König des Kosmos sagt dann: ‚Ok, ist groß genug‘. Damit können wir wieder einen neuen Stern machen. Du wirst an dem was du leistest gemessen, aber bist niemals gut genug.

Wie bist du da reingekippt?
Felix: Aus Interesse. Ich biege immer ab, wenn mir irgendwas zu obvious ist und suche nach etwas, das ich noch nie gesehen habe. Das ist wahrscheinlich seit ich 0 bin so – und ich kann es auch nicht erklären (lacht).

Was hast du aus den Soundtracks mitgenommen?
Felix:
Bei Shenmue diese perkussiven Sounds, die eine gewisse Energie haben und die Beatmelodien machen. Wie beim „Akira“-Soundtrack.

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