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„Ich bin besessen“ // Def Ill Interview

„Ich bin besessen“ // Def Ill Interview

Def Ill

Release seines neuen Studioalbums „Lobotomie“, Videoveröffentlichung zur Single „Codein“ mit Afu-Ra, Digga Mindz & DRK, Live-Releaseshow via Onlinestream – am 06.06. gab es bei Def Ill ein üppiges Programm. Quasi ein ganz normaler Tag für den Linzer Mundartrapper und Produzenten, der seit mittlerweile gut einem Jahrzehnt ein enormes musikalisches Arbeitspensum aufrechterhält und nie zur Ruhe zu kommen scheint. Trotz laufender Releases ist „Lobotomie“ erst sein drittes vollwertiges Solo-Studioalbum, es tritt in die Fußstapfen der 2012 erschienenen LP „Reefa Mawdness“. Konzipiert als Endlosloop mit umgedrehtem Intro und Outro, ziehen sich die menschliche Psyche, gesellschaftliche Zustände und Experimente am Menschen als Überthemen durch die 20 Tracks – quasi ein Psychothriller in Rapform. Das Album ist vorerst digital via Duzz Down San erschienen.

Im Interview spricht Def Ill über Hintergründe zu „Lobotomie“, die Verschmelzung von Privatperson und Kunstfigur bei psychischen Struggles, seinen Hang zum Dystopischen und Morbiden, sein Leben als Workaholic sowie seinen Umgang mit Quellen in Tracks.

Def Ill
Fotos: Domas Schwarz

Interview: Simon Nowak & Daniel Shaked

The Message: Wurdest du schon oft für verrückt gehalten?
Def Ill:
Ja.

Worauf führst du das zurück?
Auf meine Inszenierung als verrückter Rapper und meine teils leicht verrückte und cholerische emotionale Persönlichkeit, vor allem bei Liveshows. 

Also vor allem aufs musikalische Schaffen bezogen?
In der Zeit, wo ich daheim war und auf meine Tochter aufgepasst habe, hat es mal geheißen, dass ich ein Junkie sei, weil ich in den Tracks so oft das Wort Crystal Meth verwende. Der Outcome bei den Leuten ist halt: Der rappt weirden Scheiß, der ist auch wirklich so drauf. Der hat den Psychoblick, nimmt jeden Tag Drogen und so weiter. Ich habe da ein Street-Ding von den Amis reflektiert, womit ich in Österreich gleich als voll abgestürzter Dude verstanden werde.

Ist es etwas, das du stehen lässt, weil es deine Kunstfigur ist? Oder brichst du es lieber, weil es irgendwo auch Inszenierung ist?
Ich bin ja wirklich bisschen verrückt (lacht). Meine Kunstfigur Ist mit mir verschmolzen, aber überzogen. Es geht bei „Lobotomie“ ja auch um Struggles mit psychischen Problemen. Wenn alles frei erfunden wäre, könnte ich nie so offen darüber rappen. Ich verarbeite teilweise schwere Sachen. Ich hoffe, dass die meisten Leute, die sich intensiv mit meiner Musik befassen von selbst erkennen, dass es teilweise zu überlegt und reflektiert ist, als dass ich wirklich so ein unreflektierter Psycho wäre.

Du baust gerne gesellschaftliche Dystopien aus Filmen und Serien als Referenzen in deine Tracks ein – etwa von Black Mirror oder A Clockwork Orange. Wie bist du beim Lobotomie-Überthema gelandet?
Ich war davon fasziniert, dass Lobotomie so lange gemacht worden ist, obwohl die meisten Leute schwere Schäden davongetragen haben – oder schwere Behinderungen wie Rosemary Kennedy. Es ist schockierend, wie Walter Freeman immer weitergemacht hat und die Methode verteidigt hat, weil sie hin und wieder erfolgreich war. Ich bin dann auf der Parallele zu unserem System, das lobotomisiert, hängen geblieben. Sie machen mit uns Experimente und es wird schon gutgehen, wir werden schon nicht verrückt werden. Das wollte ich nicht nur in einem Song abhandeln. Für mich war es ein Projekt mit einer gesellschaftlichen Komponente und etwas historisch Existentes.

Du spannst damit zeitlich den Bogen von Anfang/Mitte des 20. Jahrhundert in die Jetztzeit und die nahe Zukunft. Welche Parallelen siehst du?
Mich fasziniert, dass man kranke heilen will, indem man einen Teil des Gehirns rausschneidet. Dieses Experimentieren am Menschen über Medizin, wo es bis heute von Patientenbehandlungen über Pharmakonzerne teilweise Parallelen gibt. Ich bin im Nachhinein draufgekommen, dass es in vielen Filmen, die ich gesehen habe, auch um Lobotomie geht. Bei Sucker Punch geht es zum Beispiel darum, dass Waisenhauskinder lobotomisiert werden. Auch bei Einer flog über das Kuckucksnest geht es um Lobotomien. Auch die Ludovico-Therapie, die glaube ich eine leichte Anspielung auf die Lobotomie ist – da geht es ja auch darum, einen besseren Menschen zu machen. Ich habe mir im Vorfeld sicher 20 Filme zum Thema angeschaut und wochenlang Popkultur-Referenzen gesamplet.

Was fasziniert dich an diesen Versuchen am Menschen am meisten? Der Gottkomplex, den die ausführende Seite mit der Zeit oft entwickelt?
Mich hat schon auch die Überzeugung von Walter Freeman fasziniert. Leute, die böse sind, aber gar nicht erkennen, wie böse sie sind. Er wird als Horrorarzt dargestellt. Laut manchen wissenschaftlichen Berichten war er nur ein Arzt, der das sehr ernst genommen hat, aber zu sehr auf seiner Methode hängen geblieben ist. Aber der Gottkomplex ist das, was mich bei den auszuführenden Ärzten fasziniert hat, die das teilweise weitergemacht haben, als es schon verboten war. Dieses Festhalten an falschen Methoden kommt allgemein immer wieder zurück.

„Langsam verfliegt der jugendliche Idealismus.“

Hat sich dein Weltschmerz mit der Zeit verschärft?
Ja, ich bin pessimistischer als früher.

Auf „Reefa Mawdness“ waren auch Tracks mit einer positiven Message – zum Beispiel „I Can Cuz I Know“. Statt „I was, dass i no imma ois verändern kann“ rappst du auf „Riots“ „I was, dass i no imma nix verändern kann“. Was hat sich seither für dich verändert?
Das war früher auch dabei, weil ich auf einem Album was Positives für die Leute dabeihaben wollte. Mittlerweile scheiße ich drauf. Ich brauche nix Positives, wenn ich gerade nicht so viel Positives sehe, über das ich rappen könnte. Ich verstehe langsam diese gesellschaftliche Gleichgültigkeit an allem. Egal wie sehr ich mein Leben und mein Umfeld verändern kann, werde ich als Individuum nicht so viel verändern, wie ich es vorgehabt hätte. Der jugendliche Idealismus verfliegt und jetzt greife ich gerne auf, dass ich mit Parolen spiele und hoffentlich immer noch eine leicht optimistische Komponente in einem ironischen Kontext gieße. „Otto von Habsburg“ mit Fate ist eine fröhliche Nummer, aber handelt halt sehr von der Spaltung innerhalb der Linken.

„Das Parolen dreschen wurde mir langweilig“

Der jugendliche Idealismus ist weg, aber gleichzeitig hast du mit deinem Status als Künstler mehr Einfluss auf deine Hörer – damit sie vielleicht gewisse Strukturen und Handlungsweisen überdenken. Wie denkst du darüber?
Das ist das Ziel meiner Musik und ich will auch ich immer einen positiven Subtext im Hinterfragen von Problemen beibehalten. Nur weil ich den jugendlichen Optimismus aufgebe, werde ich nicht meinen Kämpfergeist lyrisch aufgeben. Ich finde, Kämpfen zahlt sich immer aus. Das Parolen dreschen wurde mir halt langweilig. Subtiles und Plakatives gibt es überall, überall gibt es Reproduktion – ich mache was anderes. Das ist mein Zugang. Ich ziehe die meiste Kraft aus negativer Musik. Wenn zum Beispiel das Herz gebrochen ist, hört man ein Lied, wo einer genau das besingt und zieht Kraft aus dem gemeinsamen Leid. Ich hoffe, dass meine Musik trotz allem einen positiven Impact auf die Hörer hat.

Was glaubst du macht das Album mit jemandem, dem es schlecht geht?
Beim Machen war meine größte Angst, dass die psychotischen Hörspiele und Therapie-Interludes Leuten, die psychische Probleme haben, nicht guttun. Dass es einen harten Impact auf eine angeschlagene Psyche haben kann und ich den Leuten vielleicht einen Schaden einehau.

Was wäre das schlimmste Szenario?
Das beste Szenario wäre, wenn ich wen aus der Massenpsychose – wie die derzeitig von QAnon meines Erachtens durch “Bots” gezüchtete rechte Massenpsychose aus Verschwörungstheorien – in eine Def-Ill-Psychose reiße. Ich weiß es nicht genau. Ich habe schon viel Angst vor der Macht meiner Musik, aber ich denke gar nicht mehr drüber nach – über die Dämonen, die ich da züchte (lacht).

Spielen wir folgendes Szenario durch: Österreichischer Rap läuft auf großen österreichischen Radiosendern – auch einer der „Lobotomie“-Tracks, wo es dann aber heißt, dass es nicht mehr geht, weil die Leute psychotische Gedanken oder Selbstmordgedanken entwickeln könnten.
Aber gegen Suizidgedanken spreche ich mich auf dem Album kontinuierlich aus – und allgemein. Wenn ein Radio mir das sagen würde, hätte ich kein Problem damit, dass sie es nicht spielen. 

„Ich habe einen Hang zum Dystopischen und Morbiden“

So eine Debatte hat es nämlich schon mal gegeben. Ö3 hat Ludwig Hirschs „Komm großer schwarzer Vogel“ damals aus der Playlist genommen. Der Track durfte ab 22 Uhr nicht gespielt werden. Die Argumentation war, dass es zum Selbstmord verleiten könnte.
Der letzte Track auf „Lobotomie“ – das „Intro“ – beruht auf dem Lied „Gloomy Sunday“. Eine der am meisten gecoverten Nummern, zu der laut Wikipedia in den 1930ern am meisten Leute Suizid begangen haben. Ich habe lange mit mir selbst gestrugglet, ob ich sie samplen soll und habe es dann doch gemacht.

Warum?
Ich weiß es nicht. Ich habe einen Hang zum Dystopischen und Morbiden. Mein innerer David Lynch siegt irgendwann. Zu meiner Verteidigung: Ich glaube, dass die wenigsten Leute das Sample erkennen – und dass das Erkennen alleine sie nicht in einen Suizid treiben würde. Es sind ja das Leben und die Umstände, welche einen dazu treiben, meist nicht ein Lied, das man dabei hört.

Wie bist du darauf gestoßen, dass sich die Leute zu diesem Song umgebracht haben?
Ich bin besessen. Ich mache den ganzen Tag Musik oder recherchiere Dinge. Ich suche Reime und dabei auch immer nach Wissen, dann vergleiche ich Literaturverzeichnisse und mache den ganzen Tag irgendwas Komisches. Und irgendwann entsteht dann sowas wie „Lobotomie“. Über diese Konsequenzen habe ich bisher schon nachgedacht, aber ich hoffe, dass der negative Impact nicht so groß ist.

Kaufst du dir für deine Recherchen auch Bücher oder passiert das alles online?
Ich muss zugeben, dass ich aktuell nicht mehr viel in Büchern lese. Gerade bei spezifischen Sachen, weil ich gerade eine Diplomarbeit schreibe, habe ich einiges an Literatur gehabt, aber ich habe mehr andere Arbeiten aus der Richtung recherchiert und zitiert, weil meine auch mit HipHop zu tun hat. Wenn man neuwertige Parallelen zwischen Kunst und Musik recherchiert, muss man aktuelle Arbeiten nehmen. Zum Teil eben auch nicht als Buch publizierte Diplomarbeiten im Netz.  

„Du kannst die Leute mit Angst benutzen wie du willst“

Allgemein sind Quellen und Motive hinter Websites, Einträgen und Co nicht immer ganz eindeutig. Wie prüfst du, ob es sich um Fakten, Halbwissen oder „Fake News“ handelt?
Es ist schwer zu erklären, ich habe einen inneren Filter. Auf Wikipedia prüfe ich unten, wer was geschrieben hat. Auf Blogs schau ich drei Mal nach, was für eine Seite das ist. Ich finde das neuartigste und gefährlichste Phänomen unserer Zeit ist dieses „Wacht auf“-Ding. Ängstliche Massen werden instrumentalisiert und in eine Massenpsychose mit dem absoluten Verschwörungswahn geworfen – um dann allen anderen vorzuwerfen, sie wären instrumentalisiert von einer falschen Realität und “Lügenpressen”. Wenn ich ein Album mache, schaue ich, dass die meisten Informationen, die ich weitergebe auf einer Arbeit, einem Vortrag oder einem literarischen Werk beruhen, was ich als erkenntliche Quelle sehe. Bei vielen Themen kann aber keiner beurteilen, ob die Quelle der Quelle der Quelle wirklich konkret ist. Ich filtere das Wissen, das ich für reflektiert halte und auf Tracks haue und das Wissen, das ich mir nur anschaue und nicht für plausibel oder erwähnenswert halte.

Bei „Do You Know“ mit Laima sage ich Sachen, die auf der Welt passieren, die von Kameras gefilmt sind. Das beruht auf TEDx-Talks, Vorträgen von Thomas Schmidinger, Filmdokumentationen, Riot-Reports und so weiter. Tracks wie „Nature of the Threat“ von Ras Kass haben mich als Jugendlichen beeinflusst und ich empfinde sie bis heute als Meisterwerke, aber es hat nicht alles gestimmt, da war einiges zusammengereimt. Es war halt aus einer Zeit vor Wikipedia und einem allgemein zugänglichen, kompakten historischen Wissen im Netz zusammengefasst. Das ist ein gefährlicher Impact von Rap, vor allem jetzt mit dem ganzen rechten Verschwörungswahn. Du kannst die Leute mit Angst benutzen wie du willst. Darum habe ich bei „Lobotomie“ geschaut, dass ich bei Knowledge-Rap das auch für mich als belegbare Knowledge stehen lassen kann. Man neigt zu Verschwörungen. Ich schaue, dass ich nichts weitergebe, was nur ich persönlich glaube. Außer ich führe es außerordentlich auf.

Du suchst viel nach belegbaren Quellen, baust in Exclusives aber auch gerne verschwörungstheoretische Denkansetze ein. Wie lässt sich das vereinen?
Wenn ich zum Beispiel auf „Pandemie 2“ rappe, was an Verschwörungstheorien wahr sein könnte, führe ich das über 16 Bars aus. Ja, in Wuhan gibt es Biolabore und ein Mensch könnte damit zu tun haben. Aber nein, du weißt nicht mehr, auch wenn du das und das googelst. Ich finde, man darf nichts in den Raum stellen, ohne dass man es aus allen Perspektiven reflektiert hat. Das ist mein Hauptanspruch, wenn ich Lyrics schreibe. Bei einem Thema, das schwierig ist, muss ich alles was mir dazu einfällt ausführen – darum sind meine Tracks teilweise anstrengende sechs Minuten lang. Damit im Subtext keine Fragen offen bleiben. Was ich für Fragen auslöse, ist mir bewusst, aber wenn man sich gut mit der Lyrik befasst, erkennt man hoffentlich, dass ich im Subtext eine Linie ziehe.

Ist dir die Hörtauglichkeit wichtig oder geht es dir in erster Linie darum, die Message zu transportieren?
Beim Album schon, bei Rap- oder Political-One-Takes im Hintergrund. Bei One-Takes muss es ein cooler Beat sein und viben, aberes geht vor allem um die Delivery. Sobald ich einen Take ohne Fehler habe, nehme ich den. Nur wenn ich mich verrappe, mache ich es nochmal.

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(c) Philip Pesic

„Ich kann nicht durchgehend verstört durch die Welt rennen“

Viele Musiker und Schriftsteller ziehen sich auch über Chronik-Teile von Boulevardzeitungen Geschichten, die teilwiese so skurril sind, dass du sie dir kaum ausdenken kannst. Liest du das manchmal als Stimulation?
Ja, schon auch. Aber ich lasse Nachrichten teilweise nicht an mich ran, wenn ich es psychisch nicht packe. Ich finde, dass Nachrichten einem den Tag meistens versauen. Es kommt selten was Gutes. Auch in der Anfangszeit von Corona war es so. Je mehr ich mich damit in der Quarantäne befasst habe, desto psychotischer und ängstlicher bin ich geworden. Ich musste Abstand gewinnen. Schon vorsichtig bleiben, aber mich selber von der Medieninformationsflut befreien. Beim Refugee-Album war es ähnlich. Ich habe mich so viel mit dem Leid anderer befasst, dass ich an nichts anderes mehr denken konnte. Da muss ich loslassen, weil ich auch ein Leben habe und nicht durchgehend verstört durch die Welt rennen kann. Vor allem als Vater.

Ist das Rappen für dich auch ein Ablenkungsmodus?
Ja. ich glaube, ich lenke und verarbeite Sachen, indem ich sie anderen weitergebe – und den Leuten in weiterer Folge keinen Schaden zufüge (lacht). Aber ja, Musik ist bei mir verarbeiten. Egal ob Informationen, Probleme, Struggles oder positive Emotionen.

Wie hat sich dein Rapper-Ego über die Zeit verändert?
Ich weiß nicht. Die meisten meiner Lieblings-MCs wie Papoose oder Cassidy sind Punchline-Rapper, die mich dazu anstacheln, im Competition-Ding mitzumachen. ich höre andere Rapper, wo ich mir denke: Oida scheiße, das ist der beste Rapper der Welt! Ich will dann noch besser sein und schreibe einen Part. ich habe diesen Competition-Zwang wie beim Sport.

Du lebst nicht von der Musik, aber es wirkt bei deinem Output so, als hätten deine Tage locker 48 Stunden. Wie geht sich diese Produktivität neben allen Verpflichtungen aus?
Ich weiß nicht, ich bin einfach ziemlich schnell. Bei mir gibt es keine Schreibblockaden oder Kreativpausen. Ich bin voll der Workaholic, kann nicht ruhig sitzen. Ich muss ein Video schneiden, einen Beat oder einen Track machen, für jemanden was Mischen, Beats verschicken oder mir irgendein Feature erhustlen. Ich habe immer Ideen und muss sie sofort umsetzen.

Hörst du dir die Sachen oft später an und denkst dir, dass du dir lieber mehr Zeit genommen hättest, oder ist es eh schon wie du es dir vorgestellt hast?
Man denkt sich nach jedem Release, dass es scheiße ist und es das nächste Mal geiler wird. Im Finalisierungsprozess hört man viele Fehler und kriegt kurz vor der Abgabe Stress. Bei „Lobotomie“ bin ich erstmals zufrieden, aber es kommt bei mir immer aufs Projekt an. Wenn es ein Exclusive-Track ist, wo ich eine Vision habe und sie direkt umsetzen kann, brauche ich nicht mehr Zeit, weil ich weiß wie es gehört. Beim Album habe ich für manche Tracks zwei Stunden gebraucht und in manche sicher 40 Stunden reingemischt, arrangiert und drübergearbeitet. Oder in Etappen über Jahre. Es passiert teilweise im Kopf vier Jahre Vorarbeit, bevor ich ein Projekt wie „Lobotomie“ angehe und eine Idee von der Zusammensetzung habe. Seit 2014 denke ich über ein Album nach, aber gemacht habe ich es dann relativ schnell, sobald ich den Vibe gehabt habe.

„Ich bin mir selbst lange im Weg gestanden“

Wann merkst du, dass der Vibe da ist? Gibt es einen bestimmten Trigger?
Ich glaube es hat immer viel damit zu tun, was ich gerade höre. In einer intensiven Boombap-Phase werde ich mehr Def-Ill-Sachen als englischen Ruffian-Rugged-Doubletime-Shit machen. Wenn ich viel Tech N9ne oder Twisted Insane pumpe, werde ich englischen Tripletime-Stuff machen. In einer Dancehall-Phase mache ich vielleicht nebenbei ein Mixtape für mein Soundsystem, weil es ein guter Ausgleich zum HipHop ist. Mittlerweile habe ich mehrere Stile zum Abrufen. Für „Lobotomie“ habe ich drei Jahre überlegt, was ich samplen könnte und wie es vom Sound her sein könnte. Ich wollte, dass es an den Vibe von „Reefa Mawdness“ und Ill Mindz anschließt. Da muss ich 50 Tracks machen. Die zu schnellen und zu verkopften fallen weg und es bleibt zum Beispiel bei denen, die ich catchiger finde – wie „Otto von Habsburg“ mit Fate oder meine Lieblingsnummer “Fetisch” mit Yolo Ferrari, die für sich stehen.

Def Ill mit seinem langjährigen Weggefährten Digga Mindz

Beim Ill-Mindz-Album und „Reefa Mawdness“ hat deine Aussprache oft recht genuschelt geklungen, ab den ersten Tracks danach viel klarer. Hast du bewusst daran gefeilt?
Nein. Es war circa die Zeit, als meine Kinder gekommen sind. Da habe ich nicht mehr so viele Tracks recordet und nur noch live oder im Studio gerappt. Ich war automatisch fokussierter, weil ich nicht mehr durchgehend Musik gemacht habe und die Zeiten nicht mehr so rauschig waren. Ich finde aber auch, dass es zu der Zeit professioneller geworden ist, weil ich nicht mehr so darauf geschissen habe. Davor war mir das echt wuascht. Aber auf „Lobotomie“ habe ich teilweise wieder Takes, wo ich mich fast verrede, weil ich so genuschelt habe. Ich habe es dann drin gelassen, weil es mich an die alten Tracks erinnert hat.

Die Struktur rundherum ist bei diesem Album um einiges professioneller geworden. War dir das ein Anliegen?
Ich habe mich mein Leben lang gegen Strukturen gewehrt. Ich habe immer viel Punk-Attitüde gegen quasi alles gehabt: Gegen die Industrialisierung, ich brauche keinen gscheiten Pressetext – es war Idealismus. Ich wollte auch jahrelang keine Streamingseiten, weil es Leute über Bandcamp kaufen sollen. Im Endeffekt ist mir Streaming-Geld durch die Lappen gegangen und meine Attitüde ist jedem wuascht (lacht). Ich bin mir selbst lange im Weg gestanden und wollte mit dem Album, dass wenigstens mehr Leute darauf aufmerksam werden, weil es echt viel Arbeit war.

Es gibt ja zwei Bonus-EPs, die nur als Lösung eines Rätsels zugänglich sind. Was hast du dir dabei überlegt?
Es gibt bei den Bonus-EPs „Old Brain“ und „New Brain“, ausgemistete „Lobotomie“-Demos. „Old Brain“ ist der Def Ill vor der Lobotomie, das war zu verkopft fürs Album und ist der Nerd-Shit für die Def-Ill-Hörer. „New Brain“ ist nach der Lobotomie trappig und battlelastig, da habe ich das für die Def-Ill-Hater weggelassen (lacht). Wenn man das Rätsel vom Album löst, muss man sich zwischen den beiden entscheiden. Es gibt nur einen Versuch, die IP wird gesperrt. Das hat am ganzen Konzept am längsten gedauert, weil ich mich wegen „Lobotomie“ intensiv mit Bandersnatch und Black Mirror auseinandergesetzt habe. Ich wollte es mit dem umgedrehten Intro und Outro als Hörspiel haben – wo das Album aufhört, fängt es an und so weiter. Da habe ich mich lange reinnerden müssen und Leute finden müssen, die es programmieren können.

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