"The hardest thing to do is something that is close…
Haftbefehl hat es geschafft – längst berichten nicht nur einschlägige Rapmedien über den Offenbacher Rapper, sondern auch das Feuilleton. Die Qualität der Berichterstattung variiert hierbei – wie erwartet – stark: Während die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ sich eindrucksvoll und gut recherchiert auf fremdes Terrain wagte, vollbrachte der Wiener „Der Standard“ nur einen gewaltigen Schuss vor den Bug.
Klar, irgendwann musste auch Der Standard das Thema für sich entdecken. Zwar reichlich spät aber doch, lieferte Christian Schachinger einen kurzen Bericht über Aykut Anhan ab, der eine kühne These nur allzu deutlich zu belegen vermochte: Deutschrap ist für viele weiterhin eine Tabula Rasa. Die Peinlichkeit des Artikels beginnt dabei schon mit der „BILD“esken Einleitung: Haftbefehl unreflektiert in die Nähe des Tugce-Schlägers Sanel M. zu stellen, wirkt schon sehr fragwürdig und lässt Böses für die nächsten Zeilen vermuten (endlich gibt es wieder eine Diskussion über die Korrelation zwischen Musik und Gewalt. Hatten wir schließlich noch nie). Und so kommt es auch: Unreflektierte Plattitüde folgt auf unreflektierte Plattitüde, als Highlight stellt sich die obligatorische „Ich mach dich Krankenhaus“-Zeile heraus, die nur dazu dienen soll, den Künstler der vollen Lächerlichkeit preiszugeben. Hat ja einst schon bei Bushido vorzüglich geklappt.
Traurigerweise gewinnt man ab Zeile eins den Eindruck, Christian Schachinger habe sich gar nicht näher mit Haftbefehl auseinandergesetzt, sondern lediglich a) den Namen mal schnell gegoogelt und b) auf YouTube ein paar Videos angeklickt. Eine kritische, fundierte Auseinandersetzung mit dem Thema gestaltet sich nun mal anders – viel mehr stellt sich Schachinger unfreiwillig selbst in die Nähe des deutschen Handelsblatt, das auf ähnliche Weise vor wenigen Tagen ihre beeindruckende Unwissenheit über Deutschrap präsentierte.
Natürlich ist es legitim, die Musik Haftbefehls zu kritisieren – nur bedarf es dazu auch dem nötigen Wissen, um ein Album wie „Russisch Roulette“ in den richtigen Kontext setzen zu können. Ein Gangstarap-Album kann nicht nach den gleichen Maßstäben wie ein Album von Marteria bewertet werden, zählen hier doch ganz andere Faktoren. Haftis Flow, die erzeugte Atmosphäre, welche an Mafiafilme von Martin Scorsese erinnert und der kreative Gebrauch der deutschen Sprache, die teilweise komplett umgestaltet und mit unzähligen Wörtern aus dem Arabischen, Türkischen oder Serbokroatischen angereichert wird, finden in Schachingers Abhandlung keine Nennung. Nicht einmal die hervorragenden Beats eines Bazzazian, die den Vergleich zu US-Produktionen keineswegs scheuen müssen, werden im Text ansatzweise erwähnt. Die schwammige Bewertung der lyrischen Leistung auf „Russisch Roulette“ fußt vielleicht auch in Verständnisschwierigkeiten, stellen doch die Wörter und Floskeln, die im HipHop gang und gäbe sind, für viele ein allzu großes Rätsel dar. Es zählt aber auch hier die Regel: Wer sich nicht die Mühe macht, herauszufinden, um was genau es in den jeweiligen Texten geht (ein manchmal etwas mühsamer Prozess), sollte selbige auch nicht kritisieren. (das Dieter Nuhr-Zitat spare ich mir jetzt, ihr wisst schon, was ich meine).
Es hat sich also über all die Jahre wenig verändert. Gangsta- oder Straßenrap bleibt weiterhin in der Klischeefalle stecken, positive Entwicklungen in einem Genre, welches in den letzten Jahren einen großen Qualitätssprung nach Vorne vollbrachte, werden vielerseits noch immer negiert. In Deutschland ist man (natürlich auch mit Ausnahmen, aber doch) hier schon einen Schritt weiter, in Österreich hingegen wird es noch einige Zeit dauern. Bis es soweit ist, gilt immer noch das alte Kool Savas-Zitat: „Du hast nix mit Rap zu tun, Rap hat dir nix getan, lass ihn in Ruh‚“. Ist manchmal besser so.
Haftbefehl im „Spiegel„, „Frankfurter Allgemeine Zeitung„, „Welt„, „Die Zeit„.
(thomki)
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