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Im Osten geht die Sonne auf: „Dorfdisko“ von Finch Asozial // Review

Im Osten geht die Sonne auf: „Dorfdisko“ von Finch Asozial // Review

(Walk This Way Records/VÖ: 8.3.2019/Fotoquelle: Label)

Als Michail Gorbatschow vor mittlerweile fast drei Jahrzehnten das Ende der DDR durch die Politik der Glasnost einläutete, hätte wohl kein Mensch in Ost- oder Westdeutschland damit gerechnet, dass die DDR im 21. Jahrhundert eine ästhetische Wiederauferstehung feiern würde. Schuld an diesem Wunderwerk des Marketings ist der aus dem anderen Frankfurt stammende Nils Wehowsky, besser bekannt als Finch Asozial.

Wie schon bei Karate Andi oder Capital Bra unternahm Finch seine ersten musikalischen Gehversuche bei der Berliner Battlerap-Plattform Rap am Mittwoch, die bis vor kurzem noch von Ben Salomo ausgerichtet wurde. Optisch fehlte bei Finch zwar noch der Vokuhila. Inhaltlich verschrieb er sich aber schon damals einer derben, unter die Gürtellinie gehenden Attitüde. Mit dieser rappte Finch aus der Perspektive des handwerklich begabten, dem Alkohol nicht abgeneigten Ostprovinzlers, mit dem Hang zur sexueller Übergriffigkeit. Eine Charakterzeichnung, die bis zum heutigen Zeitpunkt nur weiter ausgemalt und bunter ausgestaltet wurde.

Und so steht uns im Jahr 2019 ein hochgewachsener Mann mit gut sitzendem Vokuhila und gepflegten Porno-Balken gegenüber, der einen Karriereweg hingelegt hat, den ihm wohl nur die wenigsten zugetraut haben. Grund hierfür war ein feines Gespür für die noch nicht gefüllten Lücken im Deutschrapmarkt und die Bereitschaft, Risiken einzugehen. Mit Release des Debütalbums „Dorfdisko“ befindet sich die Aktie „Finch Asozial“ auf einem Rekordhoch. Ein guter Zeitpunkt, den Marktwert ebendieser zu evaluieren.

„Dorfdisko“ beginnt mit einem Intro in vermeintlich epischer Ästhetik: In messianischer Manier wendet sich Finch an seine Suffkumpanen, ’tschuldigung, Zuhörerschaft, und verkündet die frohe Botschaft „ich beuge mich nur vor Vodka“. Der Themenkreis ist schnell abgesteckt und die Niveau-Latte auf Kniehöhe gehängt. Im Osten nichts Neues.

Auf Liedern mit so wunderbar anmutenden Titeln wie „Goldi & Korn“, „Heckspoilermucke“ oder „601“ poliert Finch Asozial Lied für Lied aufs Neue sein Image und schafft es dabei erstaunlich gut, die Grenzen des guten Geschmacks zu übertreten – allerdings mit nur einem Fuß, wird nicht im gleichen Maß wie früher über die Stränge geschlagen. Was nicht heißt, dass es Finch Asozial mittlerweile ruhiger angehen würde: Nils Wehowsky setzt schließlich die Wege fort, die auch schon beim letzten Tape „Fliesentischromantik“ vorzufinden waren.

Er traut sich aber auch, über den musikalischen Horizont der teilweise so beschränkten Deutschrapszene hinauszuschauen. Das Ergebnis sind durchaus hörbare Genre-Hybriden wie „Abfahrt“, „Der letzte echte Macho“, „Landleben“ oder „Wir sind hier“. Mal wird sich im Country-Bereich bedient, mal ist es Gabba, Schlager oder die 80ies. Wirklichen Tiefgang gibt es über weite Strecken nicht. Diesen hebt sich der Wessi-Schreck bis zum letzten Track des Albums, für das introspektive „Wenn ich geh“, auf.

Auch bei der Auswahl seiner Featuregäste beweist Finch Asozial ein feines Händchen. Neben einer Fortsetzung des Kollaboration mit der Ostrap-Größe Plusmacher erwartet die Zuhörerschaft eine Zusammenarbeit mit der Kölner Hantellegende Big Mike oder Schlagerthronfolger Achim Petry. Gewiss, mit „Dorfdisko“ hat Finch Asozial das Rad keinesfalls neu erfunden. Allerdings hat er es noch ein wenig runder gemacht. Das Album ist in sich stimmig, hat ein gutes Gesamtkonzept und wird in den kommenden Monaten wohl auf einem Großteil aller Klassenfahrten als auch Partymeilen im deutschsprachigen Raum (auch Ballermann, Freunde!) zu hören sein.

Humoristisch ist das Machwerk irgendwo in der Nähe von alten Badesalz-Kassetten und dem „Sexurlaub“-Album von DJ Reckless, Manny Marc und Corus86 anzusiedeln. Massenuntauglichere Produktionen (wie „Supernasen“ mit King Orgasmus One) wurden geschickt auf die parallel erschienene EP mit dem passenden Titel „Vorglühen“ ausgelagert und auch Geschmacksexperimente wie der dritte Part von „Fick mich Finch“ hat sich der Ossi verkniffen.

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Fazit: Lange war kein Album so fortschrittlich und doch so konservativ, so überraschend und doch so vorhersehbar. „Dorfdisko“ trifft den Zahn der Zeit und kann durch die Ästhetisierung des Proletentums und allgemein fragwürdiger Rollenbilder durchaus als Antithese zu Gender-Politik und Political Correctness betrachtet werden. Wer also Bock auf ein Album hat, das man tendenziell nur in männlichen Freundeskreisen mit mehr als einem Bier intus hören kann, der wird hier fündig werden. Hackedicht macht die „Dorfdisko“ nämlich so richtig Spaß.

FiNCH ASOZiAL spielt übrigens am Donnerstag, 15. August, am Frequency in St. Pölten.

3,5 von 5 Ananasse