Es war ein kleiner Hinterhof-Laden mit dem Namen „Kiox“, den Jan Kummer vor vielen Jahren im Chemnitzer Stadtteil Sonnenberg eröffnete. Ein kuscheliger Plattenladen, in dem sein damals noch kleiner Sohn Felix seine Liebe zur Musik entdeckte. Nachdem das Geschäft in den 90er-Jahren die Pforten schließen musste, erlebt es heute eine kleine Renaissance. „KIOX“ heißt nämlich auch das am 11. Oktober erschienene Album von Felix Kummer, der seiner eigentlichen Berufung als preisgekrönter Kraftklub-Frontmann kurz den Rücken kehrt. Darauf erzählt er uns nicht nur Autobiografisches rund um seine komplizierte Beziehung zur Heimat Chemnitz, sondern wird auch ungeniert politisch. Mit Kummer scheint er nach seinen Projekten Bernd Bass, Felix Brummer und Carsten Chemnitz nicht nur seinen Namen, sondern auch sein Herzensprojekt kreiert zu haben.
Für das Album erwachte das Chemnitzer Platten-Gschäftl für drei Tage lang tatsächlich zum Leben. Die Platten, CDs und Kassetten gab es nämlich nur im Plattenladen in der Karl-Liebknecht-Straße, den Kummer extra dafür herausputzte. Ein zur Platte passendes Konzept, das in Zeiten von Modus Mio als die ultimative HipHop-Krönung aufhorchen lässt.
Echte Männer sind Gewinner, echte Männer weinen nicht // Und auf jeden Fall machen sie keine verweichlichte Befindlichkeitsscheiße wie ich – „Nicht die Musik“
Während also alleine der Titel sehr viel Geschichte und Mühe mit sich bringt, thematisiert Kummer auf jedem der zwölf Tracks expressive Storys – über überzogene Männlichkeit in Kollegah-Manier, Neonazis in der Heimat, Pessimismus und Hass, Depressionen, Liebe und den Verlust eines Freundes. Dabei schmiegen sich die Beats, hauptsächlich produziert von BLVTH und den Drunken Masters, meist schön an Kummers Erzählungen ran. Mal mit ganz düsteren Synthies oder niederschmetternder Trap-Hymne, oft mit prägender Snare-Drum.
Kummer schmeißt auf „KIOX“ unbeirrt das hin, was ihn schlichtweg ankotzt. Er perfektioniert das Spiel mit Verzweiflung und Wut und verpackt das, was ihn umtreibt, in schlaue Punchlines, die stellenweise trotz ihrer Einfachheit so passend sind, dass man gerne applaudieren würde. Der Platte merkt man die Passion, Nachdenklichkeit und Sorgfalt in jeder der 37 Minuten an. Eigentlich sollte man immer etwas vorsichtig damit sein, ein Album zum Werk des Jahres zu küren. Doch hier eine kleine Beruhigungspille vorweg: Bei Kummer kann man diese Vorsicht ein wenig dämpfen. Wer mit so einem von Herzblut triefenden Projekt um die Ecke kommt, darf sich gerne für diesen Titel anstellen. Sofern dem bodenständigen und sympathischen Chemnitzer sowas überhaupt wichtig ist.
Dein Song juckt null im Gegensatz zu meiner Neurodermitis – „Aber nein“ (feat. LGoony, KeKe)
Kritisch zu sein scheint Kummer aber besonders am Herzen zu liegen. Bei jemandem, der mit seinen Bandkollegen ein riesiges #wirsindmehr-Konzert als Zeichen gegen Rechtsextremismus auf die Beine stellt, scheint das aber nicht überraschend zu sein. Auf Tracks wie „Schiff“, „9010“, „Wie viel ist dein Outfit wert?“ oder „Nicht die Musik“ verteilt Kummer ein paar ordentliche Watschen aus und gibt seinem Aktivismus einen Soundtrack. Gegen „echte“ Männlichkeit und schlechte Rapper mit Selbstoptimierungszwang im „Bosstransformation“-Format („Nicht die Musik“, „Aber nein“) oder verwöhnte Rich Kids, die 600-Euro-Shirts von Balenciaga, Gucci und Co. stolz auf Instagram präsentieren, ohne sich Gedanken zu machen, wer eigentlich ihre Schuhe näht („Wie viel ist dein Outfit wert?“).
Ein thematischer Schwerpunkt ist aber vor allem Kummers schwierige Beziehung zu seiner Heimat, die er auf „KIOX“ verarbeitet zu haben scheint („9010“, „Schiff“). Eine Identität, die irgendwo zwischen „gebrochenem Lokalpatriotismus“ und der Bemühung, das braun angemalte Image zu bekämpfen, liegt.
Life ist super nice, da wo man die Schuhe trägt // Life ist nicht so nice, da wo man die Schuhe näht – „Wie viel ist dein Outfit wert?“
Neben verpackter Kritik wird der Kraftklub-Frontmann in manchen Tracks hoch emotional und persönlich. Während er in „26“ mit monotoner und trauriger Stimmlage über den Verlust eines Freundes erzählt, verpasst Kummer in „Es tut wieder weh“ einen Tritt in die Magengrube und berichtet über Depressionen und Dealer, die ihr Dasein unter dem Arztkittel verstecken. „Alle Jahre wieder“ zeigt sich als bedrohliche Aufzählung von Sagern, die einem beim Treffen mit Verwandten der älteren Generation entgegengeschleudert und bei Kummer mit einem Abriss-Sound im Refrain auseinandergerissen werden. Im Gegensatz dazu beinhaltet „Bei dir“ eine beinahe schon kitschig-süße Liebeserklärung mit Ohrwurmpotenzial und sehr gelungenem Video; in „Okay“ rappt Kummer über misanthropische Anwandlungen und kommt zum Schluss: „Aber vielleicht, so im direkten Vergleich mit dem Rest der Menschheit, bist du okay.“
Es ändert sich ja nichts, weder die Anschrift noch dein Anblick // Du bist noch nicht einen Tag gealtert, für immer 26 – „26“
In Sachen Features hielt sich der Rapper etwas zurück, mit an Bord sind KeKe, LGoony und, fast schon unheimlich gut passend, Max Raabe. Während Raabe den Track „Der Rest meines Lebens“ mit dem Refrain perfekt abrundet, zeigt sich KeKe in „Aber nein“ deutlich stärker als LGoony. Die Features sind so divers, wie sich auch die Grundstimmung des Albums zeigt. Vorwerfen könnte man hier lediglich, dass sich Kummers spezieller Rap-Stil stellenweise zu sehr ähnelt, was jedoch stilistisch gesehen nicht weiter störend ist. Kummer bringt bei jeder seiner Geschichten eigene Beats und Elemente mit, die einen tief in das Erzählte hineinziehen. Am Ende ist es auch genau das, was das Album derart stark macht.
Fazit: „KIOX“ ist ein fast durchgehend gelungenes Album mit einzigartigem Vibe und schlauen Lyrics. Mit seiner „Befindlichkeitsscheiße“ verzichtet Kummer nicht nur auf alle Regeln der Kunst, sondern kritisiert die bestehende Gesellschaftsordnung von toxischen Männlichkeitsvorstellungen bis hin zu rechtem Gedankengut. In Zeiten, in denen andere männliche Rapper ungeniert auf Instagram ihre Misogynie verbreiten (Stichwort Al-Gear) und Workshops für „echte Männer“ anbieten, ist das ein mehr als nur starkes Zeichen. Deshalb: Gerne mehr davon – diese Platte ist nämlich ganz schön okay.
Am 3. Dezember holt Beat the Fish Kummer nach Wien ins – mittlerweile ausverkaufte – WUK und am 16. März 2020 dann nochmal in die Arena Wien.
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