"The hardest thing to do is something that is close…
Der häufig kursierende Vorwurf, dass sich Rapper bei steigendem kommerziellen Erfolg von ihren musikalischen Wurzeln entfernen, geht im Falle Kurdos bisher ins Leere. Rappt dieser doch weiterhin mit jener Geisteshaltung, die ihm schon 2011 zu grenzgenialen Reimen wie „Drei, zwei, eins und halt mal dein scheiß Mund/Kurdo, mein Name ist ’ne Länderbezeichnung“ oder „Schulklo sauber halten, was für Regel des ist/Jedes Mal hab ich extra daneben gepisst“ („Wir sind nicht wie du“) verhalf. Aber warum sollte er auch etwas an seinem Stil ändern? Liegt doch darin das Erfolgsgeheimnis, mit dem sich Kurdo innerhalb weniger Jahre und Alben in der Champions League des deutschen Gangstaraps etablierte. Im Gegensatz zu vielen zweifelsfrei talentierteren Wortakrobaten, die ihr ganzes Rapperleben im YouTube-Dickicht verbringen müssen.
Musikalisches Talent scheint zunächst auch als der falsche Ansatz, um die kommerziellen Erfolge von Kurdo zu erklären. Zunächst, denn eine elementare Stärke zieht sich durch das Œuvre des Rappers: Kurdo benötigt nur wenige Worte, um seine erlebte Realität zu beschreiben. Shisha, Kahba, Bayern München, Kalash, Kurdistan – das sind die Eckpfeiler jedes Tracks. Das klingt in höchstem Maße redundant, setzt sich aber unweigerlich in den Hörgängen fest. Ein Vergleich mit DMX lässt sich hier ziehen, dessen Wortschatz ebenfalls stets überschaubare Ausmaße annahm (der dafür aber schön knurren kann). Zwar verfügt Kurdo in seiner Musik nicht über die Intensität eines DMX. Der ähnliche Schwenk zur einprägsamen Simplizität ist aber eine Erklärung, warum gerade sein Stil auf so große Resonanz stößt. Wofür in zweiter Linie auch die Stilisierung der eigenen Rapper-Persona sorgt: So finden sich in Kurdos Werken nicht nur stets Bezüge zu seiner Heimatregion, die mit viel Pathos aufgeladen werden. Kurdo inszeniert sich vielmehr als kurdischer „Braveheart“, der sein Volk in der Deutschrap-Szene vertritt. Eine Strategie, die voll aufzugehen scheint.
Trotz des erfolgreichen Rezeptes hat Kurdo auf seinem neuen Album „Vision“ für manch leichte Veränderung gesorgt. Der Sound ist zwar immer noch stark von orientalischen Klängen durchzogen, die aber von diversen Trapelementen in den Hintergrund gedrängt werden. Autotune darf da natürlich auch nicht fehlen. Alles gewohnt und bekannt im Deutschrap anno 2017. Atypisch und aus dem Rahmen fallen aber das melancholische, von einer E-Gitarre getragene Instrumental zu „Mag sein“ beziehungsweise die Funk-Elemente auf „Ist schon ok“, die dennoch weniger den Esprit eines breiten musikalischen Horizonts verströmen, sondern schlichtweg unpassend und anbiedernd wirken. Selbiges gilt für das Instrumental der Chartattacke „Ya Salam“, dessen penetrante Fröhlichkeit an Beats diverser YouTube-Rapper erinnert. Zusammenfassend erfinden Produzenten wie Abaz oder KD-Beatz das Rad auf „Vision“ weder neu noch können sie dem Trap-Sound, der seit einigen Jahren auf beinahe jedem Deutschrap-Release stattfindet, bisher ungehörte Facetten hinzufügen. Selbst die Vermischung mit allerlei orientalischen Sounds ermüdet. Das ist summa summarum nicht wirklich schlecht gemacht, Begeisterung will sich trotzdem nicht einstellen.
Ähnliche Euphorie – nämlich gar keine – herrscht bei Kurdos Rap vor. Seinen Flow passt er notwendigerweise an die Trap-Instrumentals an, aber sonst? Passiert wenig. Textlich traut sich Kurdo auf „Vision“ mehr als zuletzt, wobei die inhaltliche Tiefe nicht davon profitiert. Die ist auch auf dem vierten Album nicht vorhanden. Diesmal gibt es wenigstens Abwechslung beim Vokabular zu hören, nicht jeder Part besteht aus der gleichen Ansammlung seiner Lieblingswörter. Bisschen mehr als Kahba, Shisha, Bayern gibt er auf „Vision“ schon von sich. Das typische Spuckgeräusch macht Kurdo aber immer noch häufig und mit leidenschaftlicher Hingabe, keine Sorge.
Seinem politischen Bildungsauftrag kommt Kurdo auch nach. Zumindest nominell, in Form des Tracks „Stalin“, wofür er sich tatkräftige Unterstützung von Bühnenverteidiger Kollegah und dem ständigen Kaffeehaus-Gast Farid Bang holte. Wer bei dem Titel an einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Diktator Stalin dachte, irrt jedoch. Der Titel ist genauso politisch wie „Barack Osama“ von Fler. Der Name „Stalin“ klingt einfach hart und provoziert. Da ist es auch egal, dass der Track nur einen äußerst stumpfsinnigen Representer auf einem Trapbeat darstellt, über den man eigentlich nicht viele Wörter verlieren sollte. So langweilig klingt „Stalin“. Nur Kollegah schafft es mit der Zeile „Ich bang‘ in der Freizeit Sluts/Ramm‘ ihnen Schwanz wie’n LKW rein und ihr Schambereich wird zum Breitscheidplatz“ aufzufallen und für hochgezogene Augenbrauen zu sorgen. Die Disses der beiden Featuregäste, natürlich gewohnt mutig in Form giftiger Zeilen an MOK und Ferris MC stattfindend, bedürfen hingegen keiner ausführlichen Thematisierung. Neben dem „Jung, brutal, gutaussehend“-Duo assistieren GENETIKK Kurdo auf einem Track. Doch Karuzos Part auf „Made in Germany“ stellt lediglich eine Ansammlung unausgegorener, belangloser Zeilen dar, dagegen wirken Kurdos Alaba–Ribéry-Referenzen richtig durchdacht („Hinter Ribéry wie Alaba/Goldene OCB-Waraqa“).
Als weiterer kapitaler Fehlschlag entpuppt sich das romantische „Rendezvous“, eine Orgie an kitschtriefenden Zeilen, die für ein ungutes Gefühl in der Magengegend sorgt. „Du bist der Grund, warum ich bis heute einsam blieb/Denn ich glaube dran, dass man nur einmal liebt“ – oje. Die konzipierten Sommerhits „Ist schon ok“ und „Ya Salam“ sorgen für ähnliches Unwohlsein. Denen mangelt es nicht nur an jeglicher musikalischer Relevanz, beide Tracks zeigen auch eindrucksvoll auf, was gerade alles im Deutschrap schiefläuft. Besonders peinlich berührt die Zeile „Illegal vom Block in den Lambo/Ayayaye, Coco Jamboo“ auf „Ya Salam“. Derartig unästhetische Schandtaten finden normalerweise auf dem Ballermann ihren verdienten Platz. Wer danach seiner Neigung verfällt, das Projekt „Vision“ vorzeitig zu beenden, würde jedoch das Outro verpassen. Dieses betitelte Kurdo mit „Best of“. Seine üblichen Inhalte kaut er darauf noch einmal durch und teilt abschließend gegen Angela Merkel aus. Die in gewohnter Manier als „Kahba“ bezeichnet wird: „Yeah, das waren meine ersten Parts, denkst du wirklich, dass ich nichts über Merkel sag? Mein Fluchtweg nach Deutschland, über Bagdad/Scheiß auf Politik, Merkel Kahba!“ Stalin scheint hingegen cool zu sein. Alles klar.
Fazit: Auf „Vision“ zieht Kurdo sein gewohntes Programm zum vierten Mal durch, nur die Beats und die Wortwahl haben sich ein wenig verändert. Überzeugen kann Kurdo mit seinem Musikentwurf aber immer noch nicht. Wird ihm aber alles egal sein, da die Verkäufe stimmen. Und „Helal Money“ ist eben das beste Money, wie er zu rappen pflegt.
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