"The hardest thing to do is something that is close…
Bei Little Simz weist bereits der Titel ihres dritten Albums auf eine scharfsinnige Beobachtungsgabe hin. „GREY Area“, das passt. Drückt sich darin nicht nur die Gefühlswelt einer ganzen Generation an Mitt-20ern im Schwebezustand zwischen Adoleszenz und Erwachsensein aus. Der Titel taugt ebenso gut zur Beschreibung der eigenen Karriere.
Klar, Little Simz spielte schon europaweit Konzerte in den ganz großen Hallen. Aber eben nur als Unterstützung für die Gorillaz. Klar, Little Simz wurde für die Rolle als technikaffine Prinzessin von Wakanda in der aufsehenerregenden Comicverfilmung „Black Panther“ gecastet. Die lukrative Rolle hat nur nicht sie, sondern die befreundete Letitia Wright bekommen. Und klar, ihre bisherigen beiden Alben „A Curious Tale of Trials + Persons“ (2015) und „Stillness in Wonderland“ (2016) ernteten Kritikerlob und verleiteten einen Kendrick Lamar zu schwärmerischen Worten. Kommerziell machte die 25-jährige Londonerin allerdings keine großen Sprünge. Höchstens Sprüngchen. Ein Schicksal, das ein wenig an Rapsody erinnert: Die Amerikanerin ist ebenfalls eine begnadete Rapperin, deren Platten von Kritikern geliebt werden. Kendrick Lamar darf sie auch zu ihren Fans zählen. Dennoch bewahrt sie das alles nicht vor einem Dasein abseits der breiten Rap-Öffentlichkeit.
Diese monochrome Gegenwart ist jedoch nicht in Stein gemeißelt. Little Simz weiß das. Im Verbund mit Kindheitsfreund und Produzent Inflo kämpft sie auf dem zehn Tracks umfassenden „GREY Area“ für die verdiente Anerkennung. Auf dieser Mission klingt sie selbstbewusst, fokussiert, angriffslustig, aber auch nachdenklich und reflektiert.
Im Opener „Offence“ benennt sie ohne Umschweife ihr Anliegen. Über einer groben, aggressiven Basslinie, die sich ihren Weg in den Gehörgang hineinsprengt, spuckt Little Simz Nörglern metaphorisch ins Gesicht. „I’m Jay-Z on my bad days/Shakespeare on my worst days“, rappt sie ausdrucksstark. Doch wer will ihr widersprechen? Die besten Argumente legt sie selbst vor: Beeindruckend, wie sie auf „Offence“ mit Wörtern jongliert und die Flows spielerisch leicht wechselt. Der Konkurrenz lässt sie sofort wissen, was ihr auf „GREY Area“ blüht.
Auf diese Attitüde, stellenweise mit einer Prise Zorn angereichert, greift Little Simz immer wieder zurück. Beispielsweise auf dem nachfolgenden „Boss“, das erneut mit einer rabiaten Bassline aufschlägt. In der Hook des Songs kommt einem ein punkiges, lautes „I’m a boss in a fucking dress“ entgegen, im ersten Part ist ihre Stimme rotzig verzerrt. Davon löst sie sich im zweiten Part, den sie quasi mit der Zeile „I disregarded all opinions and continued my mission“ einläutet. Daran bestehen keine Zweifel.
Grimmig erklingt die Bassline auch in „Therapy“, wo Little Simz mit Amy-Winehouse-Reminiszenz in der Hook klarstellt, dass sie keine Therapie benötigen würde. Auf „Venom“ rappt Little Simz in TGV-Geschwindigkeit über das Instrumental, ohne inhaltliche Abstriche zu machen: „It’s a woman’s world, so to speak/Pussy you sour/Never givin‘ credit where it’s due ‘cause you don’t like pussy in power“, stellt sie fest und widmet sich gesellschaftszersetzenden Giftstoffen wie Sexismus und Rassismus.
Doch Little Simz bietet auf „GREY Area“ nicht nur Megafon-Songs. Diese halten sich die Waage mit entspannteren, jedoch thematisch nicht minder dichten Nummern. „Selfish“ (mit Singer-Songwriterin Cleo Sol in der Hook) ist Selbstkritik auf einem souligen Feel-Good-Beat, „Sherbet Sunset“ handelt von einer gescheiterten Beziehung und das mit Fernost-Computerspiel-Beat ausgestattete „101 FM“ ist eine Nostalgieabfahrt mit verschiedenen Abzweigungen: Little Simz erzählt in dem Track, wie die Inhaftierung eines Jugendfreundes das Heranwachsen genauso prägte wie die Videospiele „Crash Bandicoot“ und „Mortal Kombat“. Jugendjahre, die nicht schwarz oder weiß waren, sondern grau.
Eigene Erfahrungen verarbeitet Little Simz auch in ihren durch und durch politisch gehaltenen Songs „Wounds“ und „Pressure“. „Wounds“ mit einem Feature von Reggae-Künstler Chronixx thematisiert die virulente Waffengewalt in Großbritannien. Im dritten Part des Songs webt Little Simz die persönliche Geschichte eines erstochenen Freundes ein. Das geht sehr nahe.
Nur die Little-Dragon-Kollabo „Pressure“ schlägt emotional noch stärker auf. Zugegeben: Zeilen wie „Same motherfuckers that be killin‘ off the planet/Are the same fuckers advising you/But true, this stuff is surprising too/See them profit just off of depriving youth“ sind natürlich Binsenweisheiten. Aber Little Simz transportiert solche Inhalte mit derart glaubwürdiger Inbrunst, der Eindruck eines tiefen persönlichen Anliegens entsteht. Und faktisch falsch sind solche Zeilen sowieso nicht.
Abgeschlossen wird die Platte mit dem jazzigen, „To Pimp a Butterfly“-Feeling verströmenden „Flowers“. Dafür sorgt die Beteiligung des Produzenten Astronote, der auch bei besagtem Kendrick-Lamar-Album mitwirkte. Gesangliche Unterstützung kommt von UK-Crooner Michael Kiwanuka, der diese Aufgabe mit Bravour erledigt. Little Simz referenziert in „Flowers“ an die tragischen Größen des „Club 27“ und blickt mit Selbstzweifeln in die Zukunft. „One more hit before my eyes close“, singt dazu Michael Kiwanuka. Ein ideal gesetzter Schlusspunkt.
„GREY Area“ brilliert schließlich aus zwei Gründen: Der erste liegt bei Little Simz selbst, die sich wie ein Wirbelwind durch die Instrumentals bewegt, ausgeklügelte Wortspielereien aufbietet und inhaltlich keine Schwächen zeigt. Stets gehaltvolle Verse, die aus ihrem Mund kommen und hervorragend inszeniert werden. Das führt sogleich zum zweiten Grund, warum „GREY Area“ ein rundum gelungenes Album geworden ist. Inflo, bereits für The Kooks, Portugal. The Man oder Michael Kiwanuka tätig, knüpfte für Little Simz einen imposanten, detailreichen Soundteppich.
Neben den bereits erwähnten Basslines sind es Details wie die Streicher und die Querflöte im Opener, die Videospiel-Synthies in „Boss“, die Horrorfilm-Strings und der mächtige Beatdrop in „Venom“, das melancholische Piano und die Lasersythnies in „Pressure“ oder die unterkühlte Gitarre in „Wounds“, mit denen die Beats auf „GREY Area“ ausgesprochen lebhaft wirken. Die stellenweise mächtigen Drums kommen noch hinzu. Viele dieser Instrumente wurden live eingespielt, was sich in der Dynamik des Sounds widerspiegelt. Obwohl sich viel auf „GREY Area“ ereignet, gelingt es Inflo, das Soundbild kohärent und nicht überladen wirken zu lassen. Ein Kunststück, da auch Little Simz‘ Präsenz am Mikrofon viel Raum einnimmt.
Fazit: Nach zwei ambitionierten Alben legt Little Simz mit „GREY Area“ ihr inhaltlich und raptechnisch ausgereiftestes Werk vor. Wofür ihr Produzent wesentlich beiträgt, der ihre Skills so ausgezeichnet zur Geltung kommen lässt: Mit Inflo hat sie einen kongenialen Partner an ihrer Seite, dessen breites musikalisches Wissen in einem stilistisch bunten Sound mündet. Bisschen punkig, gerne soulig, gerne jazzig, dennoch passt alles zusammen. „GREY Area“ muss daher der „Tipping Point“ für Little Simz sein, um das graue Nirgendwo zu verlassen. Damit sie in Zukunft wieder in den großen Hallen spielen kann. Dann ohne Gorillaz.
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