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„Deutschland wird sich verändern“ // OK Kid Interview

„Deutschland wird sich verändern“ // OK Kid Interview

Raffi, Jonas und Moritz (v.l.n.r.) von OK Kid im Queen-Fieber.

Besonders seit ihrem letzten veröffentlichten Video zu „Es ist wieder Februar“ wird OK Kid zunehmends als politisches Element in der deutschen Musikbranche gesehen. Darin dokumentieren die drei Musiker deutsche Burschenschaften und die gängige Praxis der Mensur  eines streng reglementierten Fechtkampfs. Doch auch davor galt die seit elf Jahren bestehende Band als gesellschaftskritisch, wenn sie auf „Gute Menschen“ unsere Doppelmoral aufzeigt oder auf „Mehr Mehr“ das nicht enden wollende Streben nach Größerem anprangert. Im Interview vor ihrem Auftritt in der Arena Wien sprechen Raffi, Jonas und Moritz über die Herausforderung, mit neuen Menschen leben zu müssen und warum es wirtschaftlich sinnvoll ist, Flüchtlinge aufzunehmen. Außerdem berichten sie über ihre Erfahrung mit Burschenschaften und wie falsch es ist, diesen mit Vorurteilen zu begegnen. Davor dreht sich aber noch alles um die HipHop-Anfänge in deren Heimatstadt Gießen und das spätere Abgrenzen von genau dieser Szene.

Interview: Julia Gschmeidler & Catherine Hazotte
Fotos: Alexander Gotter

The Message: Im Zuge der Recherche stößt man immer wieder darauf, dass Sänger Jonas früher als Freestyle MC unterwegs war. Was hat es damit auf sich?
Jonas:
Oh ja! So habe ich angefangen, aktiv Musik zu machen und herauszufinden, wie ich mich artikulieren kann. Ich habe in Gießen angefangen, auf Freestyle Jams zu rappen, allerdings nie auf Battles. Raffi (Schlagzeuger der Band, Anm.) hat damals auch Beats gebaut, so haben wir uns damals kennengelernt. Er hat die Beats in den Holzpalast einen Jugendtreff, bei dem man einmal die Woche rappen konnte  mitgebracht und so fing das alles an.

Seid ihr die Einzigen aus dieser Jugendtreff-Zeit, die heute noch aktiv Musik machen?
Raffi:
Ne, ich glaub nicht. Aber die Szene, so wie sie damals existierte, gibt es nicht mehr. Ein paar machen schon noch Musik, aber es ist nicht mehr die gleiche Gruppendynamik wie damals.

Jonas, du meintest mal, dass du damals mit Rap aufgehört hast, weil es nur diese „Studenten-Rapper“ und diese „Gangster-Rapper“ gab und du konntest dich mit beiden irgendwie nicht identifizieren.
Jonas:
Das ist schon so lange her! Irgendwann kam Kool Savas, so um 2000 mit „Schwule Rapper“ und das fand ich sehr strange. Danach kam dann die ganze Aggro-Sache. Und das wäre ja extrem blöd gewesen, wenn man da auf einmal angefangen hätte, irgendwie aggro zu rappen. Das war auch nicht unsere Lebenswelt. Auf der anderen Seite war der 90er-Jahre-HipHop auch einfach eingestaubt und nicht mehr cool. Weil es auch nichts Neues mehr gab. Und mitte der 00er-Jahre fand ich Deutschrap auch extrem langweilig. Weil es gab entweder nur die harte Sachen, die ich nicht erzählen konnte und wollte, weil sie einfach nicht wahr sind, und auf der anderen Seite diese blumenhafte Studentenrap-Sache mit Double Rhyme. Das war auch nicht spannend.

„Die Deutschen adaptieren immer als Erstes“

Dafür wart ihr aber doch sehr in dieser Szene verankert, habt Jams und Graffiti-Events veranstaltet.
Raffi:
Ja, aus diesem Jugendtreff hat sich ein Verein heraus gegründet. Unsere Veranstaltungen wurden immer größer und wir haben damit auch Geld gemacht. Irgendwann haben wir in Hessen ein dreitägiges HipHop-Festival organisiert. Mit Leuten wie Lords of the Underground und Torch. Das war schon richtig groß. Aber die Szene wie damals gibt es nich mehr.

Raffi, du meinstest schon öfters, dass ihr euch sehr für Deutschrap interessiert und ihr zum Beispiel privat LGoony hört. Wie seht ihr die jetzige Entwicklung im deutschsprachigen HipHop?
Raffi:
Ich hör nach wie vor gerne viel Rap. Vor allem neue Sachen. Aber ich finde es stagniert gerade etwas, aufgrund dieses Trap-Dings. Ich finde das cool und feiere das auch. Aber ich höre auch echt viel Zeug aus England. Und dann merkt man, dass die ihre Hörer mit ganz anderen Sachen konfrontieren. Das gibt es in Deutschland nicht. Die Leute, die Soundbilder prägen, kommen nie aus Deutschland. Das fällt mir immer wieder auf. Die Deutschen adaptieren immer als Erstes. Das ist auch cool, aber es ist nie so, dass mal eine Innovation aus Deutschland kommt. Das finde ich schade. Aber es gibt viele Leute, die viel Unterschiedliches machen, zum Beispiel Leute in Köln, die man eigentlich gar nicht auf dem Schirm hat und die recht wenige Follower haben.
Jonas: Gerade im Rap ist es vollkommen normal, dass die Kultur immer adaptiert wird. Trap und Cloud sind etwas, dass sich nach einem einzigen Ding anhört, weil es so viele machen. Das ist auch cool, weil die jungen Kids das gerade sehr feiern. Aber das ist auch das, was Raffael meinte – da hat man dann auch sehr schnell eine Stagnation an frischen Sachen. Man kann immer was klauen und kombinieren, so entsteht ein eigener Stil. Das war im HipHop immer so.

Raffi in seinem Metier am Schlagzeug

Was glaubt ihr, wie viel Potenzial gibt es noch, etwas vollkommen Neuartiges zu erschaffen?
Raffi:
Das geht immer. Man muss natürlich dazusagen, dass die musikalische Bandbreite von Rap allgemein schon sehr klein ist. Man ist immer im 4/4-Takt, es darf nicht so mega schnell sein und es muss irgendetwas sein, das sich wiederholt. Das wird selten durchbrochen. Aber ich bin der Meinung, dass man immer was Neues machen kann.

Wie würdet ihr euch selbst in der HipHop-Szene einordnen? Welchen Stellenwert gebt ihr euch selbst?
Raffi:
Ich glaube, wir spielen da gar nicht so rein. Wir haben Rap als Teil unserer Musik, aber wir beeinflussen nicht groß. Weil wir nicht nur auf Rap limitiert sind. Unsere Hörerschaft kommt viel aus der Rap-Szene, aber eben auch als anderen Bereichen. Wir bekommen aber gutes Feedback aus der Rap-Szene. Sowohl von den Medien, als auch auf den Festivals wie auf dem Splash. Das ist cool und macht Bock, weil wir so großen Support bekommen.
Jonas: Das Schöne ist, dass wir da gar nicht mitspielen müssen. Wir müssen uns nicht mit anderen Rappern oder Beat-Produzenten vergleichen. Wir sind eine Band, die es seit elf Jahren gibt. Von uns dreien hat jeder seinen eigenen Stil miteingebacht und daraus ist das entstanden, was es jetzt ist. Wir haben unser eigenes Ding aufgebaut.

Ihr habt mal getwittert, dass jeder Künstler, der etwas auf sich hält, einen großen Bogen um die Echo-Preisverleihung machen muss. Was hat es damit auf sich?
Jonas:
Der Echo ist ein Preis, der sich dadurch definiert und Leute auszeichnet, die am meisten Platten verkaufen. Wer darauf Lust hat, kann auch hingehen und vielleicht ist es ja auch cool, wenn man auf so Branchendinge steht. Aber da geht es nur um Verkaufszahlen – nicht um Innovation. Es gibt keine Jury. Dazu sind Leute nominiert in Kategorien, wo Frei.Wild und Böhse Onkelz drin sind. Auch wenn ich nicht sagen würde, dass jeder Hörer dieser Musik rechts ist, es sind trotzdem Bands, die im rechten Spektrum extrem angesehen sind. Ich verstehe da Künstler nicht, die darauf stolz sind, in der gleichen Kategorie wie diese Bands nominiert zu sein. Es gibt viele Bands, die das genauso sehen und ebenfalls nicht hingehen.

Aber sagt das nicht auch einiges über die Musiklandschaft aus, wenn solche Bands jedes Jahr nominiert sind? Weil sie einfach extrem viel verkaufen und viele Fans haben?
Jonas:
Aber dann muss man doch viel mehr dafür tun, dass andere Bands ausgezeichnet werden und es nicht nur um Verkaufszahlen geht. Es ist vielleicht einfach Zeit, die Leute zu erziehen, damit sie andere Musik hören und cool finden.
Moritz: Das is genauso wie mit dem Radio. Im Radio in Deutschland hört man nur das, was die meisten Leute annehmen. Und man hört nicht die experimentelle Musik, bei der die Radiohörer erzogen werden oder neue Sachen vor die Nase gesetzt bekommen. Es ist eher der Versuch, das was gefällt, zu spielen und die Quoten aufrechtzuerhalten.

Aber wie ist das mit den staatlichen Radiosendern? Diese haben ja nicht diesen Zwang, sich an Reichweiten orientieren zu müssen und können sich auch in Nischen hineinwagen?
Moritz:
Es gibt auch diese Nischen-Shows oder Zeiten, zu denen man experimentelle Sachen spielt. Aber wenn man sich die große Radiolandschaft anschaut, dann herrscht zu 95 Prozent dieser Einheitsbrei.
Raffi: Es gibt in Deutschland nicht so etwas wie FM4. Es gibt ein paar kleine Sender, die echt geil sind und gerade wachsen – aber ansonsten gibt es echt fast nichts. Nichts, wo man das Tagesprogramm anmachen könnte und trotzdem auch neue Sachen hört.

„Davor hat Deutschland einfach Angst“

Das ist wohl die Angst vor Veränderung. Jonas, du meintest in einem Interview, dass genau diese Angst vor Veränderung etwas typisch Deutsches sei. Und dass Deutschland in den nächsten 20 bis 30 Jahren ein anderes Land sein wird. Worauf hast du dieses Aussage damals bezogen?
Jonas:
Wir haben den größten Flüchtlingsstrom nach der großen Gastarbeiterwelle. Deutschland wird sich verändern und wir werden mit neuen Menschen leben müssen. Das ist eine Herausforderung, die ich sehr cool finde. Weil sich mal wieder was verändert und Kulturen sich mischen und neuer Wind reinkommt. Davor hat Deutschland einfach Angst. In Österreich wird es ähnlich sein. Diese Angst ist für mich nicht nachvollziehbar. Weil ich generell Menschen und Heimat nicht nach Staatstrennlinien ausmache. Sicher ist das eine große Herausforderung, das anzugehen, weil man nicht weiß, was einen erwartet und wie man das im Allgemeinen anpacken soll. Es gibt ja keinen Fahrplan. Aber der erste Weg ist schon einmal, es positiv anzugehen.

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Glaubt ihr, der Zuspruch von rechten Parteien wie der AfD wird noch größer in solchen ungewissen Zeiten, oder wird dieser wieder abflauen?
Jonas:
Es kommt darauf an, was in nächster Zeit alles passiert. Wenn ein Terroranschlag passiert, bin ich überzeugt davon, dass die AfD davon profitieren wird. Und das wäre schlimm. Momentan ist der Trend ja weg von den Populisten.
Raffi: Es hängt auch sehr viel davon ab, wie sich die anderen Parteien positionieren. Die großen Volksparteien in Deutschland stellen die ganze Flüchtlingsthematik so dar, dass man das schafft – aber es wird viel zu wenig dazu gesagt, dass Deutschland aufgrund der Altersstruktur darauf angewiesen ist, neue Leute ins Land zu holen. Das wird gar nicht gesagt und das verstehe ich nicht. Das wäre meiner Meinung nach ein Argument für eine sinnvolle Integration und das kommt leider viel zu wenig zur Sprache. Damit kann man Parteien wie der AfD den Wind aus den Segeln nehmen. Die Leute in Deutschland müssen erkennen, dass es wirtschaftlich sinnvoll ist, Flüchtlinge aufzunehmen.

Sänger Jonas beim Auftritt in der Arena Wien

Zurück zur Musik. Ihr schafft bewusst Anknüpfungspunkte zwischen euren Alben. Was ist die zentrale Überlegung dahinter und wie kann man sich in so einem Konstrukt trotzdem als Band weiterentwickeln?
Moritz:
Beim ersten Album ging es vor allem darum, dass wir Sachen aus unserem Umfeld beobachtet haben. Beim zweiten Album haben wir den Blick auf uns selbst gerichtet, egoistischer gedacht und die Vogelperspektive eingenommen. Es war die Entwicklung, die wir in dieser Zeit durchgemacht haben. Wir haben das erste Album vor sechs, sieben Jahren geschrieben und da war es auch einfach so, dass wir uns voll auf das Musik-Ding konzentriert haben und gleichzeitig in der Luft hingen. Uns war vieles noch nicht klar und wir haben uns viele Fragen gestellt. Beim zweiten Album war es dann relativ klar, wo wir hingehören, als wir uns vor drei, vier Jahren entschieden haben, nur noch Musik zu machen. Und jetzt leben wir davon.

„Nur wenn ich schlechte Zeiten durchlebe, kann ich Glück richtig schätzen“

Was inspiriert euch dazu, eure Texte in den Kontext politischer Videos zu packen?
Raffi:
Für uns ist die visuelle Kunst genauso wichtig wie die Musik selbst. Es ging für uns immer um mehr, als dass man uns drei performen sieht und die Kamera auf uns gerichtet ist. Es geht uns vor allem darum, auch eine eigene visuelle Sprache zu entwickeln. Bei OK Kid stehen wir drei als Personen nicht besonders im Vordergrund, sondern lassen viel mehr unsere Musik sprechen. In unseren Videos haben wir selbst eine eher untergeordnete Rolle. Es macht unglaublich Spaß, sich eine eigene Story zum Video auszudenken und die erstmal nichts mit Text und Bild zu tun hat, aber auf einer übergeordneten Ebene thematisch für uns zusammenpasst. In „Es ist wieder Februar“ geht es darum, dass man durch eine harte Zeit gehen muss, um danach wieder neue Kraft zu gewinnen, um stärker für sich selbst zu sein. Um auch zu wissen, dass die schlechten Zeiten genauso dazu gehören, wie die guten und positiven. Nur wenn ich schlechte Zeiten durchlebe, kann ich Glück richtig schätzen. Das ist die Aussage von diesem Song. In der Sicht des Verbindungsstudenten ist das ähnlich. Die Mensur hat ja etwas sehr „Ehrenhaftes“ und Traditionelles. Der Protagonist muss durch die Mensur gehen, um sich stark fühlen zu dürfen in dieser Gemeinschaft. Oder um sich eben auch als Mann fühlen zu dürfen. Wir wollten das Thema so authentisch wie möglich darstellen.

Das Verbindungshaus war ein echtes, die Mensur allerdings nicht?
Raffi:
Ja, genau. Wir haben sie nachgestellt. Eine Mischung aus Schauspielern und Studenten, die gefochten haben. Die Burschenschafter wurden allerdings im Video nicht gezeigt. Aber der Teil des Fechtens war echt, mit Stuntdoubles.

Wie überredet man eine schlagende Studentenverbindung, in ihren Räumlichkeiten ein solches Musikvideo zu drehen? Burschenschaften gelten generell als recht medienscheu.
Moritz:
Wir sind einfach dort hin und haben gefragt. Das ist nicht sofort auf positive Resonanz gestoßen, weil sie sind sehr skeptisch, wenn Leute von außen kommen und eine solche Thematik wie eine Mensur darstellen wollen. Da besteht oft die Gefahr, dass das negativ dargestellt wird. Aber in diesem Fall hat uns die Verbindung vertraut, da es nicht unser Ziel war, dem Ganzen eine Wertung zu geben. Wir haben die Mensur und auch das Fechten nicht als negativ dargestellt, sondern den Typen, der diesen innerlichen Kampf durchlebt, in den Vordergrund gerückt. Genauso auch wie im Song.

Was sind eure persönlichen Bezugselemente zu diesem Thema? In Wien sind Burschenschaften gerade im Jänner zu Zeiten des WKR-Balls, zu dem sich die ganze rechte Szene in der Hofburg trifft, ein großes Thema.
Jonas:
Wir persönlich haben keine direkte Verbindung. Wir kennen solche Häuser aus Gießen. Dort sieht man immer die Deutschlandfahne draußen hängen und man fragt sich oft, was eigentlich hinter den verschlossenen Türen passiert. Natürlich hat man auch krasse Vorurteile bei allem, was man über Burschenschaften hört. Nach wie vor ist eine Burschenschaft keine Sache, die wir cool finden  aufgrund wie die Menschen dort Probleme lösen. Das sind Dinge, die wir nich verstehen, trotzdem haben wir dort auch Leute kennengelernt, die normale Jungs sind und mit denen man sich gut unterhalten konnte. Das hat uns gezeigt, dass Vorurteile generell schlecht sind. Egal in welche Richtung. Das sind Leute, die eine andere Meinung haben, aber so wie wir sie kennengelernt haben, waren sie nicht rechts, sondern einfach konservativ und haben andere Werte. Das war für uns schon eine krasse Sache, sich mit Dingen zu beschäftigen, die so weit entfernt von unserer Lebenswelt liegen.

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