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Paula Hartmann pflückt böse Blumen: „kleine Feuer“ // Review

Paula Hartmann pflückt böse Blumen: „kleine Feuer“ // Review

Es ist kein farbenfrohes Bild, das Paula Hartmann (22) vom Gen-Z-Großstadtleben auf ihrem zweiten Studio-Album „kleine Feuer“ malt. Dort bilden Darstellungen von Selbstentfremdung, innerer Leere, Hoffnungslosigkeit und Grenzüberschreitungen verschiedenster Art das Gerüst. Für Paula Hartmann kein gänzlich neues Terrain, bewegte sich schon ihr Debüt „Nie verliebt“ (2022) in diesen Gefilden. Dennoch ist im Vergleich zum Vorgänger einiges anders.

So war der Hang zur Melancholie auf „Nie verliebt“ stärker, der Kontrast zwischen ihrer unschuldig wirkenden, beinahe kindlichen Stimme und den gar nicht so unschuldigen Texten kleiner. Irgendwo zwischen „Nie verliebt“ und „kleine Feuer“ scheint Paula Hartmann – real name, no gimmicks – ihren Buntstift verloren zu haben. Ein märchenhafter Charakter wohnt ihren Erzählungen immer noch inne, nur: Der Fokus liegt nun auf den dunklen, albtraumhaften Seiten, die ein Märchen aufbieten kann. Das Album wirkt daher wie der düstere Zwillingsbruder von „Nie verliebt“.

Unverändert sind es aber weiterhin die lyrischen Raffinessen, die Paula Hartmanns Musik zu einem großen Teil ausmachen. An diesen mangelt es auf „kleine Feuer“ nicht. In ihren Schilderungen beweist sie ein exzellentes Auge für Details, etwa, wenn sie von den (Berliner) Schauplätzen ihrer Geschichten oder den vorhandenen Gefühlsregungen erzählt. Paula Hartmann ist eine geübte Beobachterin mit dem Talent, wie ein Schwamm Eindrücke um sich herum aufzusaugen und diese in poetische Worte zu kleiden.

Denkwürdige Lyrik wird an vielen Stellen geboten. Mit „Jedеr scheiß Sonn’nstrahl verfehlt mich, starr‘ blaue Löcher in den Smog/’n Nagel reicht, der Fallschirm reißt, bin nicht schüchtern, nur kein’n Bock“ drückt Paula Hartmann etwa gekonnt ihre Gemütsödnis auf „Disney“ aus. Gar für Sprachlosigkeit sorgt sie mit „Seit Schuhgröße 20 in mir diese Dunkelheit/Das Mündungsfeuer muss das Licht am Ende vom Tunnel sein“ auf „zwischen 2 und 5“, wo es einem kalt den Rücken hinunterläuft. Nur einige der vielen Zeilen, die sich ins Gedächtnis einbrennen.

Paula Hartmann und die Brutalität der Großstadt

Geht es um Großstadt, sind Suchtmittel oft nicht weit. Charles Baudelaire, der französische Pionier der Großstadt-Poesie, nannte in seinem zentralen Werk „Die Blumen des Bösen“ (1857) den „Wein“ als das großstädtische Mittel zur Elendsflucht. „Berauscht euch!“, lautete seine Empfehlung. Eine Perspektive, die im Grunde nicht aus der Zeit zu gefallen scheint.

Paula Hartmann bietet schließlich ähnliche Beobachtungen auf wie Baudelaire im Paris des 19. Jahrhunderts: Dem Zeitgeist entsprechend, ist auf „kleine Feuer“ das Eskapismus-Mittel auch in Pillen- und Pulverform konsumierbar. Wie bei Baudelaires „starkem Balsam“ versprechen diese Mittel den Himmel. Dort kommen die Konsument*innen aber nicht an. Oft droht stattdessen der Fall in den Abgrund.

Unter anderem davon handelt das Herzstück des Albums, „7 Mädchen“. Großstadt-Ennui, Disco-Lichter, weiße Kreide – und für eine der Protagonistinnen endet der Abend auf der Trage. Das wirklich Brutale aber die Gleichgültigkeit, mit der die Freundinnen ihrem Schicksal begegnen. Unter den „Kreaturen der Nacht“ hat das darwinistische Prinzip Hochkonjunktur.

Die Abwärtsspirale dreht sich auch in „sag was“, das einen überragenden Part von T-Low aufbietet: „Steh‘ am Ende, los, jetzt stoß mich in den Himmel, ja“, fleht er im suchtgeprägten Beziehungsdrama, das an die Liaison von Harry und Marion in Darren Aronofskys „Requiem for a Dream“ (2000) erinnert. T-Low und Paula Hartmann wanken ihrem Schicksal entgegen, wirken wie Ertrinkende, denen die Kraft fehlt, den zugeworfenen Rettungsring anzunehmen.

Vom Exzess handelt auch „gebrochenes Glas“, wo Paula Hartmann im Verbund mit Domiziana und Verifiziert den Schmerz mit reichlich Hochprozentigem lindern will. Wenn Paula Hartmann von Liebe singt, ist ein Happy End immer ganz weit weg; egal, ob im Post-Relationship-Opener „Das Gespenst“, in der Levin-Liam-Kollabo „Crossfades“, dem Trettmann featurenden „Atlantis“ oder in „schwarze SUVs“. Nur konsequent, dass Paula Hartmann konstatiert: „DLIT“ – die Liebe ist tot. 

Musikalisches Schrottwichteln

Der Sound auf „kleine Feuer“ schlängelt stilsicher an der Linie zwischen zeitgenössischem HipHop und Pop entlang. Sogar ein wenig Straßenrap wurde eingestreut, wofür Lucio101 und Nizi19 sorgen, die auf „Disney“ in Erscheinung treten; ein Track, für das Biztram und DaJu das altbekannte Isaac-Hayes-Piano-Sample aus „Ike’s Mood 1“ (1970) verwendeten, das schon Azad für „Zeit zu verstehen (This Can’t Be Everything)“ (2007) benutzte.

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Für das Album hat Paula Hartmann mit ihrer Stimme experimentiert, wie sie im Interview mit Aria Nejati erzählte: So hätten die Aufnahmen im Dunkeln und im Schneidersitz stattgefunden. Unkonventionell, aber in Anbetracht des Ergebnisses eine geglückte Aufnahme-Methode. Geglückt ist auch das größte Song-Experiment in Form des Titeltracks, der sich als aggressiver Trap-Brecher mit Pyroman*innen-Anstrich erweist. Paula Hartmann nimmt es sich hier auch nicht, gegen die Kolleg*innenschaft auszuteilen – indem sie zum Schrottwichteln am Release-Friday ausruft.

Das Album mündet schließlich im sehnsuchtsvollen Gänsehaut-Closer „Snoopy“, wo es heißt „Das Schwarz der Nacht macht zwischen Mauern aus/Einem blassen Mädchen ’ne graue Maus/Und aus grauen Mauern macht ein Dach ein Haus/Darin tauschen wir Enttäuschungen ein Leben lang aus“. Falls Paula Hartmann hiermit ihre musikalische Karriere wirklich beendet, womit sie schon kokettierte: Es wäre der perfekte Abschluss. Nach dem Hören von „kleine Feuer“ kann man aber nur hoffen, dass es beim Konjunktiv bleibt.

Fazit

Paula Hartmanns „kleine Feuer“ ist eine Wucht von einem Album. Die Instrumentals, die poetischen Texte, die Featuregäste: Alles fügt sich zu einem eindrucksvollen, faszinierenden Gesamtbild zusammen. „kleine Feuer“ ist Paula Hartmanns Version von Baudelaires „Die Blumen des Bösen“; ein Album, welches das Lebensgefühl großer Teile der Generation Z wie kaum ein deutschsprachiges Musikalbum zuvor ausdrückt. Oder, in TikTok-Länge: ein großer Wurf!

4,5 von 5 Ananas

Am 20. April 2024 spielt Paula Hartmann im Wiener Gasometer.