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Bira mit Hollywood-Life // R.I.P. XATAR (1981–2025)

Bira mit Hollywood-Life // R.I.P. XATAR (1981–2025)

Am Freitag, dem 9. Mai 2025, wurde bekannt, dass XATAR, bürgerlich Giware Hajab, im Alter von nur 43 Jahren gestorben ist. Der Rapper zählte zu den prägenden Figuren des Deutschraps der vergangenen Dekade – sowohl am Mikrofon als auch in seiner Rolle als Geschäftsmann. Ein Nachruf.

XATAR beim Telefonieren
XATAR 2015 // (c) Daniel Shaked

Es war 2008, als der Name XATAR einem größeren Publikum zum ersten Mal begegnete. Deutscher Gangsta-Rap war damals in einer kreativen Ödnis gefangen. Auch kommerziell befand sich das Genre nach den Hochzeiten von Aggro Berlin und ersguterjunge in einer Trockenperiode. Dass ausgerechnet XATAR dem Genre neues Leben einhauchen würde, dachten wohl nur wenige, die damals seinen ersten Fernsehauftritt sahen.

Auch wenn es Anzeichen gab, die darauf hindeuteten, dass dieser XATAR aus Bonn anders war als die meisten seiner damaligen Kollegen. In der wenig glorreichen RTL2-Reality-Show „Der Bluff“ mimte XATAR den Rap-Coach für (den komplett überzeichneten) Literaturstudenten Christian. Der sagte über seinen Lehrer XATAR: „Ich finde, der eignet sich als Lehrer gar nicht so schlecht. Er hat eine Art, die kann mal herzlich sein, dann kann sie wieder grimmig und robust sein. Aber so sind die Lehrer heutzutage.“ Eine unerwartet treffende Charakterisierung, wie sich später noch zeigen sollte.

Beim „Bluff“ wurde XATAR mit dem Video zu „Platz ins Geschäft“ vorgestellt, wo der Name Programm ist. Das kostspielige Video zeigte: Hier meint es jemand richtig ernst. „Der ist auf seine Art völlig echt“, sagte Literaturstudent Christian. Und wieder sollte er Recht behalten.

Der Mann mit dem Gold

Trotz dieser Promo blieb das 2008 erschienene und im Februar 2010 indizierte Debüt-Album „Alles oder Nix“ im Mainstream weitgehend unbeachtet. Aber musikalisch war viel Hörenswertes vorzufinden. Das große Potenzial von XATAR – der Name bezieht sich auf den kurdischen Begriff für Gefahr – war auf diesem Album deutlich zu erkennen.

XATAR hatte hier bereits eine enorme Präsenz am Mic, Charisma und Humor – Eigenschaften, die im deutschen Gangsta-Rap Ende der 2000er-Jahre definitiv oft zu kurz kamen. Der G-Funk-Track „Ich will hier nicht weg” mit Samy entwickelte sich zu einem Untergrund-Hit. XATAR positionierte sich auch politisch und wurde so zu einer Identifikationsfigur für Kurd*innen in der DACH-Region. Diese Position verstärkte sich 2009 durch seinen Feature-Part auf dem Track „Blick Richtung Sonne” von Bero Bass.

Doch all das Talent sorgte zunächst nicht für die gewünschten Schlagzeilen. Die Assoziationen, die mit dem Namen XATAR verbunden wurden, waren bald andere. Schuld daran war der sagenumwobene Goldtransporter-Raub im Jahr 2009, bei dem XATAR gemeinsam mit drei Mittätern (darunter Sänger Samy) einen Goldtransporter mit Zahngold in der Nähe von Ludwigsburg ausraubte. Der Wert der Beute belief sich auf 1,7 Millionen Euro.

Es folgte eine abenteuerliche Flucht, zunächst nach Moskau und schließlich ins kurdische Gebiet im Irak. Dort wurde er vom kurdischen Geheimdienst Asayîş gefoltert. Da die deutschen Behörden mit Asayîş ein Auslieferungsabkommen abschließen konnten, wurde XATAR 2010 wieder nach Deutschland überstellt. Vor dem Landgericht Stuttgart legte XATAR ein umfassendes Geständnis ab und wurde zu acht Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Wegen guter Führung konnte er die Justizvollzugsanstalt allerdings nach vier Jahren verlassen.

Vom Fila-Anzug zum Mantel

Was im Normalo-Leben einen ziemlichen Knick in der Biografie bedeutet, ist im Gangstarap ein Glücksfall. Imagetechnisch erwies sich der Goldraub als Goldgriff, der später noch eifrig ausgeschlachtet wurde. Im Gefängnis nahm er mit einem Diktiergerät sein zweites Album „Nr. 415“ (2012) auf, dessen Titel auf seine damalige Häftlingsnummer anspielt. Zu dieser Zeit entstand auch der Feature-Part zu „Besuchstag“ von Celo & Abdi, wo XATAR detailreich das Gefühlsleben eines Insassen beim Besuch der Mutter beschreibt: „Heute endlich wieder Besuch/Hab‘ grad‘ geduscht/Trag‘ mein‘ Fila-Anzug“ – ein Part, der sich in das Deutschrap-Geschichtsbuch eintrug. Weil auf diese Weise nur jemand davon rappen kann, der das selbst erlebt hat. Weil dieser XATAR auf seine Art völlig echt ist.

Selten wie zuvor ging auch eine Solidarisierungswelle durch die Deutschrap-Szene. Der Hashtag #FREEXATAR war über Monate hinweg omnipräsent. XATAR wurde zweifellos als Hoffnungsträger für Deutschrap auserkoren, da er in Zeiten verlorener Glaubwürdigkeit die Authentizität zurückbrachte – so absurd es für Außenstehende auch anmuten mag.

Nach „Nr. 415“ folgte 2015 mit „Baba aller Babas“ sein künstlerischer wie kommerzieller Höhepunkt. Mit Mantel bekleidet wirkte XATAR auf den BoomBap- und G-Funk-Beats wie ein Pate, jemand, der mit den großen Haien in Kontakt steht und sich nicht mit dem Verticken von Gras an der Ecke begnügt. Die taufrischen Instrumentals von Reaf und XATAR selbst bilden zusammen mit XATARs druckvoller Stimme eine mitreißende Gesamtkomposition. „Baba aller Babas“ funktioniert so gut, weil XATAR sein großes musikalisches Verständnis bei der Komposition der Songs ausspielen konnte: Der Sohn eines Musikprofessors beherrschte mehrere Instrumente, darunter das Klavier. Dieses Verständnis ist hörbar.

Auch marketingtechnisch machte er auf dem Album alles richtig. Das Gimmick mit der Goldzahn-Kette als Inhalt der Deluxe-Box war eine weise Entscheidung. Gerüchte, dass sich in einigen Boxen echte Goldzähne befänden, förderten den Verkauf zusätzlich. XATAR landete mit diesem Album zum ersten Mal auf Platz eins der deutschen Album-Charts. Seine unglaubliche Geschichte hat er danach auch in Buchform gegossen: „Alles oder Nix: Bei uns sagt man, die Welt gehört dir.“, so der Titel des Bestsellers. Sein Label „Alles oder Nix“ mit SSIO und Schwesta Ewa entwickelte sich zu einer tonangebenden Größe im Deutschrap. Kurzum: Es lief für XATAR blendend. Am stärksten kommt seine mächtige Paten-Aura zu dieser Zeit aber auf seinem Feature-Part für „Ebbe & Flut“ von GZUZ zum Ausdruck. Selten hat deutscher Gangsta-Rap mehr nach Mafia-Film geklungen.

Als das Mojo verloren ging  

2016 folgte ein Kollabo-Album mit Haftbefehl, dem zweiten Rapper, der den deutschen Gangsta-Rap damals wachgeküsst hatte. Gemeinsam firmierten sie als Coup. Die Erwartungen an deren Album „Der Holland Job“, zu dem auch ein dreiteiliger Kurzfilm gedreht wurde, waren riesig. Retrospektiv ist das Album besser gealtert als zunächst gedacht, bei der Veröffentlichung konnte es den riesigen Erwartungen jedoch nicht ganz gerecht werden.

Seltsamerweise stellt „Der Holland Job“ sowohl für XATAR als auch Haftbefehl einen Wendepunkt in ihren Diskografie dar, ging ihnen ab diesem Album ihr Mojo verloren. XATARs folgendes Solo-Album „Alles oder Nix II“ (2018) erwies sich als durchwachsene Angelegenheit. Alles war zu sehr auf Zeitgeist gepolt: Trap-Instrumentals und Tracktitel wie „Zinedine“ (mit Capital Bra) und „Gaddafi“ erweckten den Eindruck, dass AoN den Trends hinterherhechelte, anstatt schnurstracks das eigene Ding durchzuziehen. Das passte alles wirklich nicht zu XATAR. Immerhin konnte sich „Alles oder Nix II“ noch die Spitzen-Position in den Album-Charts sichern, im Gegensatz zum Nachfolge-Album. Das 2021 erschienene „HRRR“, ein gänzlich auf TikTok gepoltes, eine Spieldauer von lediglich 27 Minuten aufweisendes Kurzwerk, floppte kommerziell und konnte sich nicht in den deutschen Album-Charts platzieren.

See Also

Mittlerweile hatte sich auch der Eindruck verstärkt, dass die eigene Musik für XATAR nur eines von vielen Geschäftsfeldern geworden ist. Tatsächlich war die Liste an Bereichen, in denen sich XATAR betätigte, beeindruckend. Dazu gehörten unter anderem eine Shisha-Bar, ein Köfte-Imbiss oder eine Tabak-Marke. Im Deutschrap-Metier hatte er mit Mero und Sero el Mero zwei äußerst erfolgreiche Künstler unter seine Fittiche; Künstler, mit denen XATAR auf ein jüngeres Publikum abzielte. Die enorm hohen Klickzahlen (teilweise mehrere Millionen innerhalb von 24 Stunden) dieser Künstler sorgten für eine Kontroverse: Aufgrund einer Dokumentation des Y-Kollektivs stand der Vorwurf im Raum, dass bei den Klickzahlen ein wenig nachgeholfen wird. Das wurde von XATAR entschieden bestritten.

Dass sein Leben irgendwann auf der Leinwand zu sehen sein würde, war dann keine große Überraschung. Unter der Regie von Fatih Akın entstand 2022 der Film „Rheingold“ mit dem Upcoming-Hollywood-Schauspieler Emilio Sakraya in der Hauptrolle. Doch zeitgleich zogen dunkle Wolken über das Imperium XATARs auf.

XATAR wird fehlen

Im Jahr 2023 mussten fünf Gesellschaften seiner Unternehmensgruppe Goldmann Insolvenz anmelden. 2024 wurde die Insolvenz von „Alles oder Nix” bekannt gegeben. Harte Rückschläge. Doch wenn jemandem zuzutrauen war, hier wieder aufzusteigen, dann war es XATAR. Auch traute man ihm zu, wieder musikalisch an die Glanzzeiten anknüpfen zu können.

Das ominöse „G-Tape Vol. 1“, das für Dezember 2022 angekündigt wurde, hätte genau diesen Schritt bedeuten können. Es ist gut möglich, dass es posthum erscheinen wird und man darauf noch einmal den XATAR hören wird, der einst zum Rapstar wurde. „Jetzt zu sterben wäre scheiße“, sagte XATAR im „Feelings“-Podcasts des Komikers Kurt Krömer Anfang April 2025 – und ja, es ist scheiße, dass er nicht mehr da ist. Ruhe in Frieden, Bira.

XATAR auf der Bühne
XATAR 2016 // (c) Alexander Gotter

The-Message-Interview mit XATAR