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Shantel – Greetings from Planet Paprika

Shantel – Greetings from Planet Paprika

Als Kostverächter des Genmanipulierten schlägt er dem musikalischen Einheitsbrei ein Schnippchen. Shantel hat ein neues Album, „Planet Paprika“, veröffentlicht. Exotic, erotic, europäisch. „Es ist ein bisschen die Antwort auf diese blöde Balkan-Schublade“, sagt Shantel im Interview, indem sich nicht nur seine Beziehung zu Wien widerspiegelt, sondern das auch das kecke Lebensgefühl hinter seiner Musik erahnen lässt.

TM: Ich habe Dir ein Geschenk mitgebracht.
Shantel: Obwohl ich einmal Grafik-Design studiert habe, kann ich gerade nicht entziffern, was da drauf steht.

TM: The MESSAGE. Hip Hop & Rare Groove Magazin.
Shantel: Für die Backspin habe ich auch ein Interview gegeben.

TM: Ah, die interessieren sich also auch für dich.
Shantel: (blättert die Ausgabe durch) Die Katharina Weingartner kenne ich. Ich kannte auch den Werner Geier. Die Stadt Wien ist ja nach wie vor für mich eine besondere Schnittstelle! Zu Beginn meiner internationalen Karriere (lacht), war die erste Einladung überhaupt, nach Wien zu kommen! Das war 1995. Mich hat damals der Werner Geier eingeladen. Ich habe meinen ersten Auftritt im Flex gemacht. Allerdings nicht als Bucovina Club oder Disko Partizani-Vertreter, sondern als jemand, der gerade sein erstes Album, „Club Guerilla“, veröffentlicht hatte.
Das war eine Produktion, die sich mehr oder weniger in diesem Trip Hop- Instrumental- Hip Hop- Dub- Reggae- Electronica- Freestyle-Spektrum verortet hat. Das war damals die spannende Experimentierfläche. Da war auch immer eine Brücke zum Hip Hop.
Hip Hop hat uns immer begeistert, wegen der Konsequenz der Beats, dem Minimalismus und vor allen Dingen wegen des Grooves und weil es Midtempo war. Als Vehikel der Information war der Rap für mich immer sekundär. Ich kam aus der Tradition von Underground-Clubs und als ich anfing, mich in Frankfurt und Berlin überhaupt mit der Clubkultur auseinanderzusetzen, habe ich eher mit Instrumentalstücken agiert und die dann gemixt. So wie man das damals so rudimentär machen konnte. Ich habe Hip Hop-Platten gekauft, aber immer mehr die B-Seiten gespielt.

TM: Wie ist der Werner Geier auf dich aufmerksam geworden?
Shantel: Werner Geier ist damals auf mich aufmerksam geworden, weil er sich das erste Album gekauft hat, bzw. er hat es bekommen. Er hat damals noch die Sendung gehabt bei Fm4 und hat auch ein Interview mit mir gemacht. Dementsprechend war ich so ein Protagonist in diesem Spektrum Jugend- und Popkultur, Underground und darüber hinaus.
Der Werner hat dann auch später bei Veröffentlichungen von mir, den ein oder anderen sehr schönen Covertext geschrieben. Weil man wusste eigentlich nie genau, was für eine Kategorie das ist, was ich mache. Es war nicht wirklich konsequent Downtempo. Es war auch nicht diese Dub-Reggae-Variante. Es gab immer diese exotischen Zitate in der Musik. Für viele war ich immer auch so ein bisschen Hippie, weil es nicht konsequent dieses Maskuline, Heruntergekühlte war. Kruder und Dorfmeister war immer sehr cool. Sehr sharp. So war ich nie. Bei mir war es am Anfang immer sogar ein bisschen verzärtelt in dem Sinne. In dieser Männerdomäne der DJs und Producer war ich immer so ein bisschen…

TM: Das Weibliche? (schmunzelnd) Scherz.
Shantel: Exotisch. Ja doch! Aber der Werner hat es immer sehr gut rezipiert und auf den Punkt gebracht. Er hat mich immer verstanden. Ich war einmal beim Werner zu Hause, da hatte er einen Sender eingestellt und wir haben konsequent den ganzen Tag nur indische Musik gehört. Werner war immer mein Seelenverwandter. Auch als es losging mit „Bucovina Club“. Ich habe mit ihm noch das Video zu „Disko Partizani“ angeschaut. Ich habe ihn ja besucht, da ist er vier Wochen später gestorben. Werner konnte immer sehr gut verbalisieren, was in meinem wirren Kopf an Gedanken so herumgeschwirrt ist.

TM: Wie reagieren Leute aus dem HipHop-Kontext auf dich?
Shantel: In Frankfurt oder in Berlin sind in den Studios, in denen ich gearbeitet habe, immer Leute, die aus dem Hip Hop-Kontext kamen, abgehangen. Also in Frankfurt gibt’s ja den D-Flame oder den Tone. Die haben alle einen so genannten Migrationshintergrund. Und die sind von Anfang an total eingestiegen auf diesen Sound! Die fanden das höchst credibel und supercool und hatten nie Berührungsängste.
Es gibt ja diese Kategorie „Balkan-Pop“ oder „Balkan-Beatz“. Das war ja eine Schublade, die irgendwie einmal entstanden ist, um diesen Sound zu definieren. Es hat sich sehr stark auf mich bezogen. Ich habe das auch bewusst thematisiert, weil es ist natürlich ganz normal, wenn du anfängst an einem so polarisierenden Thema zu arbeiten – und es ist von Anfang an polarisierend gewesen, weil es nicht die geschmeidige Kaffeehaus-Variante ist, dann entstehen solche Schlagzeilen oder solche Begriffe. Ich finde aber rückwirkend, ist diese Kategorie „Balkan-Pop“ oder „Balkan-Beatz“ losgelöst von einem Land, einer Region oder von einer ethnischen Entsprechung, sondern es beschreibt mehr ein Lebensgefühl. Es ist eine gewisse Form von Anarchie, von Romantik und Emotionalität. Auch eine Antwort auf den doch sehr durchorganisierten, entmenschlichten und auch emotionslosen Pop- und Rockmusik-Diskurs, der ja sehr dominiert ist von angloamerikanischen Produktionen. Hier war zum ersten Mal eine Musikform, die ihren punktuellen Siegeszug von Kontinentaleuropa aus, also vom Osten, von Mitteleuropa, ausgezogen hat nach Westen hin. Vorher war es immer umgekehrt! Vorher ging es immer um New York, London, Paris…

TM: Aber in New York hat sich ja auch was getan, oder? Ich denke da zum Beispiel an „Balkan Beat Box“.
Shantel: Balkan Beat Box sind zu mir gekommen, weil sie völlig mittellos und visionslos ihr Zeug nicht veröffentlichen konnten. Deswegen sind sie dann auf „Essay Recordings“ erschienen, weil ich natürlich auch sehr dankbar war, dass es Leute gibt, die in der weltweiten Diaspora mehr oder weniger ähnliche Ambitionen haben. Bei Balkan Beat Box war es so, die haben ihren kulturellen Ursprung in New York gehabt, haben auch vieles von New York adaptiert, aber haben in New York überhaupt keine Homebase gehabt.

TM: Was hat dich bewogen „Bucovina Club“ zu starten?
Shantel: Sagen wir mal so: als Teenager habe ich mich mehr oder weniger musikalisch ausschließlich damit beschäftigt, irgendwelche angloamerikanischen, westlichen, interessanten Musikstile zu kopieren. Punk, Rock, Reggae. Als es mit Jazz und Hip Hop losging, fand ich das unheimlich spannend. Ich habe gebastelt und Tracks gemacht und so. Irgendwann stellte sich die Frage, was hat das eigentlich mit mir zu tun?! Bin ich jetzt Sounddesigner und bastle ich immer an dem neuesten Trend, der von Übersee kommt und versuche ich den quasi für Europa und meinen Dunstkreis kompatibel zu machen? Oder habe ich musikalisch auch selber etwas zu sagen? Ich will ja kein Durchlauferhitzer sein! Zufällig war das zu einer Zeit, als ich als DJ einige Gastspiele in Russland hatte.
In meiner Naivität habe ich mir so vorgestellt, dass Russland gar nicht so weit von der Bucovina entfernt liegt. Ich habe mich aber getäuscht. Wien ist zum Beispiel viel näher an der Bucovina dran als Moskau. Nichtsdestotrotz habe ich dieses Abenteuer auf mich genommen in die Bucovina zu reisen und war natürlich voller Vorfreude diesen sagenumwobenen Mythos Bucovina zu entdecken, den ich ja kannte aus Erzählungen meiner Großeltern. Dieser quirlige, kosmopolitische Vielvölkerstaat im friedlichen Miteinander der Kulturen und Religionen – das wollte ich sehen! Ich war dann in der Bucovina. Ich war in der Stadt Czernowitz und habe schnell festgestellt, dass dieser ganze Mythos Bucovina eigentlich gar nicht mehr existiert. Das heißt dieser Nährboden wurde eigentlich unwiederbringlich ausradiert. Und da ist auch nichts mehr nachgekommen.

TM: Wie ist es da heute?
Shantel: Da leben eigentlich nur noch Russen. Es gehört heute zur Ukraine. Es geht um die ukrainische Nationalität, die es offiziell eigentlich erst seit 1991 gibt. Du wirst hören Ukraine, Ukraine, Ukraine. Und wenn du nachfragst, wie war das denn damals….

TM: …war ja auch mal Teil der Habsburgermonarchie!
Shantel: Genau! Deswegen begreife ich mich eigentlich auch indirekt als Österreicher!
Aber wenn du mit solchen Statements dort bist, wirst du eher Unverständnis ernten. Also die Leute haben schon einen Bezug zum historischen Erbe, weil die Stadt natürlich sehr pittoresk und sehr schön ist. Sie sieht aus wie ein kleines Wien. Ist quasi so geschrumpft dort gebaut. Da haben auch mal viele Juden gelebt. Aber diese ganze kulturelle Vielfalt, auch diese Art von Spirit oder Lebensgefühl, das findest du dort überhaupt nicht mehr. Und es wird auch nie mehr wieder so sein. Das hat mich natürlich enttäuscht, weil ich als alter Romantiker auf der Suche war. Ich bin dann enttäuscht wieder nach Deutschland gereist. Aber das hat bei mir so das Bedürfnis ausgelöst, zu sagen, ich habe jetzt einen Teil meiner eigenen Identität entdeckt und gefunden. Ich habe dann auch unzählige Bücher gelesen und Gespräche mit meiner Mutter geführt.

TM: Haben deine Großeltern noch da gelebt?
Shantel: Nein, die mussten ja raus. Damals als es von Nazi-Deutschland okkupiert wurde, sind die aus Czernowitz geflüchtet. Zuerst nach Rumänien und nach dem Krieg haben sie sogar eine Zeit lang in Wien gelebt. Sie wollten dann nach Amerika, sind dann aber in Deutschland hängen geblieben. Ich habe mich dann sehr damit beschäftigt, und fing dann an, auf musikalischer Ebene zu experimentieren. Bezugnehmend auf allgemein traditionelle, osteuropäische Musik in Kombination mit dem, was ich mir als Skills sowieso schon vorher raufgearbeitet hatte. Das war erst mal kurios und gewöhnungsbedürftig. Da gab es so eine Evolution, es hat sich quasi Schritt für Schritt fortgesetzt. Bis ich so das Gefühl hatte, das hat jetzt einen Sound – damit kann ich rausgehen. Ich habe auch zwei Jahre lang wirklich nichts Anderes gemacht. Völlig für mich, nach außen hin abgeschottet. Ich war auch als DJ nicht mehr aktiv und so. Das war so ein bisschen harte, saure Gurkenzeit, wo ich in einer kleinen Studentenwohnung vor mich hingebastelt habe.

TM: Wem hast du es dann das erste Mal vorgespielt?
Shantel: Ich habe dann eine Einladung nach Graz zum Spring Festival bekommen. Und da saßen diese ganzen Helden der elektronischen Clubkultur. Es waren irgendwie 20 verschiedene Parties an einem Abend, aber eigentlich hat alles gleich geklungen. Jeder DJ hat mehr oder weniger dieselben Hits gespielt. Das war ja auch das Dilemma mit Kruder & Dorfmeister später – der Sound ist dann quasi austauschbar geworden. Und da habe ich dann angefangen meine Mixe offensiv vor Publikum zu spielen. Es war provokativ.

TM: Hat es in Graz funktioniert?
Shantel: Es hat super funktioniert. Ich war dann auch sehr schnell in Wien. Da habe ich eine der ersten Bucovina-Parties gemacht. Da ist dann gleich um halb eins die Polizei gekommen! „Du Burschi!“ Das war super! (lacht). Es war eine unglaublich krasse Party und es hat sich natürlich die komplette Nachbarschaft beschwert. „Wos isn des für eine Türken-Disco da unten?“ Und so. Und die haben mich dann auch mitgenommen. Ich habe dann eine Anzeige bekommen.

TM: Was?! Du warst dann auf der Polizeistation? (lacht)
Shantel: Ja ja, sicher. Das war eine einschlägige Erfahrung.

TM: Müssen da nicht eigentlich die Veranstalter herhalten?
Shantel: Die haben sich alle verpisst! Da war keiner mehr da. Aber ich bin für solche Späße immer zu haben. Ich dachte mir, man kann das gut instrumentalisieren. Das waren so die „Aha-Erlebnisse“. Dann habe ich eigentlich ziemlich Gas gegeben und habe angefangen sofort die erste Bucovina Club-CD zu produzieren. Es war ja eher so eine Art Compilation mit Remixen, die ich gemacht habe und dann auch ein paar eigene Sachen. Und dann ging es so los. Dann war einmal große Empörung und Irritation. „Wie kannst du deine Karriere so aufs Spiel setzen mit diesem komischen Folklore-Zeugs?“

TM: Wer hat so was gesagt?
Shantel: Alle. Alle meiner bisherigen Partner.

TM: Auch Daniel Haaksman?
Shantel: Ich halte sehr viel von Daniel. Wir sehen uns ja auch öfter. Ich glaube rein physikalisch ist das so gewesen: Die Geburtswehen des Bucovina Club waren heftig, langwierig und auch mit ökonomischen Abstürzen verbunden. Die Firma ist ja nach der ersten CD fast pleite gegangen. Die haben wir ja mit völligem Irrsinn produziert. Einfach das Geld, was wir hatten, komplett hinaus geblasen für ein schönes Cover und so. Ich dachte, wir geben jetzt einfach mal Gas! Da war die Firma eigentlich am Ende. Die lag am Boden.
Nachdem es dann eine Dynamik angenommen und so einen Impact bekommen hat, war zum Beispiel jemand wie Daniel, der ja auch eher den administrativen Teil übernommen hat, mit nichts Anderem mehr beschäftigt. Das heißt seine ganze Ambition auch selber kreativ zu agieren und zu forschen, lag brach. Denn er hat nicht mehr die zeitlichen Kapazitäten sich darum zu kümmern. Deswegen war es klar, dass es schlussendlich irgendwann eine Veränderung geben musste. Man muss sich entscheiden – entweder bin ich Macher oder ich bin derjenige, der die Struktur herstellt. Beides zusammen ist eine ganz schlechte Kombination. Das ist wie Musikmachen und Musikjournalist sein. Das ist immer grenzwertig. Klar, er war auch skeptisch, aber er hat auch gesehen, was passiert ist. Er hat gespürt, was für eine Dynamik sich freisetzt. Ich habe dann da an der Ecke weitergemacht und er hat dann für sich dieses Phänomen Baile Funk im ersten Schritt entdeckt und natürlich darüber hinaus. Neulich hat er mir auch von anderen Varianten aus Südamerika erzählt.
Es ist, glaube ich, unser beider Faszination für das Undogmatische agieren in dem Fundus Musikgeschichte und Popkultur. Also dass man wirklich alles nehmen kann, was dann funktioniert auf einem Festival oder so. Es gibt ja Leute, die machen Musik mit einem moralischen Anspruch oder fast schon mit einem puristischen Ansatz. Man hat ja mir auch vorgeworfen, ich würde Raubbau an der Tradition betreiben oder ich würde das Original verwässern oder verkommerzialisieren. Das kann ja alles sein. Aber du kannst Musik nicht aus einem moralischen Ansatz heraus machen. Es gibt auch nicht die Wahrheit über Musikmachen. Musik ist eine Sache, die lässt sich nicht festnageln. Es ist quasi ein Bastard, der halt seine eigenen Wege geht. Du kannst ihn nicht kontrollieren.

TM: Wie ging es nach der ersten Bucovina-Compilation weiter?
Shantel: Es gab dann die Bucovina 2 und dann war natürlich die Frage mache ich Bucovina 3 und bin ich dann irgendwann bei Bucovina 29? Das ist ja wie Buddha Bar oder so. Und darin sah ich auch nicht den Sinn, weil ich denke, es ist auch für mich persönlich eine Sackgasse, der Botschafter, Vermittler oder Compiler von irgendeiner sentimentalen, südosteuropäischen, traditionellen Musik zu sein. Ich bin ja kein musikalischer Völkerkundler. Ich hatte ja für mich selber kreatives Potential und wollte einfach auch was machen. Für mich war die Arbeit an Bucovina- Club als Compilation sicher ein Herantasten an eine Thematik und Forschung. Die Zeit war noch nicht reif mit so was Herauszukommen wie „Disko Partizani“. „Disko Partizani“ wäre ohne Bucovina Club nicht möglich gewesen, weil da wurden erstmal Ohren geöffnet. Und „Disko Partizani“ war dann erstmal so der nächste Schritt, der mich auch viel Nerven gekostet hat, weil die Produktion anstrengend war. Weil ich auch unsicher war und nicht wusste, ist das jetzt das Richtige? Ist das der richtige Weg? Ist es der Sound, den du machen möchtest? War ein Experiment und ich habe am Anfang auch viel verbale Prügel bekommen. Schlussendlich sind die Sounds, die eigentlich am meisten kritisiert wurden, richtige Hits geworden. „Disko Partizani“ oder „Disko Boy“ sind international durch die Decke gegangen. Für mich war einfach klar, die Geschichte ist noch nicht zu Ende erzählt.

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TM: Die Geschichte wird jetzt mit „Planet Paprika“ weitererzählt?
Shantel: „Planet Paprika“ war ein bisschen so die Antwort auf diese blöde Balkan-Schublade.

TM: Die meist auf eine Region, also geographisch festgemacht wird?
Shantel: Genau. DIE Frage von Journalisten lautet meistens: „Wo kommst du eigentlich her?“ Ich passiere diesen Ort, wo ich Musik mache, ohne Pass! Da braucht auch niemand ein Visa. Das ist für mich dieser Planet Paprika! Ist natürlich ein bisschen frech, ironisch und auch so eine Art Slapstick-Titel. Ist aber wiederum auch ein wunderbarer „Agent Provokateur“, der einerseits eine Verortung herstellt, und andererseits Aufmerksamkeit erregt. Wir sind ja jetzt nicht in dem Dunstkreis von langlebiger Musik, sondern es gibt eine permanente Reizüberflutung. Es gibt eine kurze Halbwertszeit, es passiert viel, es ist ein popkulturelles Phänomen, also bediene ich mich bewusst, popkulturell relevanten Mitteln. Ich mache auch Videoclips oder Konzertmitschnitte.

TM: Das ist ja auch nichts Verwerfliches.
Shantel: Ja und auch nichts Revolutionäres, aber in dem Genre war es etwas Ungewöhnliches am Anfang. Zu Downtempo oder Freestyle-DJ-Zeiten hat man keine Videos gemacht. Schon gar keine Songs mit 3 Minuten.

TM: Das hat sich doch durch YouTube und diese ganzen Plattformen geändert. Früher konnten Videos ja nur über das Fernsehen laufen und jetzt kann es jeder im Internet anschauen. Da zahlt es sich auch aus ein Video zu machen.
Shantel: Genau. „Disko Partizani“ hatte 4000 Clicks bei YouTube. Das Ding habe ich im öffentlich-rechtlichen Fernsehen nicht untergebracht. Bis auf ein paar Lifestyle- oder Kultursendungen.
Wir haben auch öfter den Versuch gestartet mit dem Goethe-Institut zu arbeiten. Bei denen stehe ich circa auf Platz 198 der persönlichen Wunschliste. Die schicken lieber irgendwelche Electronica-DJs nach Ramallah in die Westbank. Sie sagen halt, du bist kein Repräsentant deutscher Kultur! Und das finde ich eigentlich als das viel Krassere!
Mittlerweile sage ich bewusst, ich bin deutscher Musiker und Produzent! Ich bin kein besserer Sänger, weil ich eine rumänische Großmutter habe. Ich kann auch nicht besser Gitarre spielen, weil mein Großvater Grieche ist. Das ist fuck egal! Diese Debatte um Identität und Nationalität interessiert mich nicht. Ich bin Europäer oder von mir aus Planetarier Paprika! Vielleicht repräsentiere ich das andere Gesicht Deutschlands. Das Neue, das Mosaik, das Patchwork-Gesicht Deutschlands. Und eben nicht diese gewöhnliche teutonische Blaupause. Ich meine sorry, Leute wie Jan Delay oder diese tradierten Pop-Größen in Deutschland machen ja nichts Anderes als einen Retro-Sound zu adaptieren und mit deutschen Texten zu unterfüttern! Aber kulturell ist es null-komma-null Prozent eine Reflektion ihrer Kultur und ihres Umfeldes. Und ich sage halt, mein Umfeld ist halt so geprägt, wie meine Musik klingt. Sie ist eigentlich Ausdruck eines Lebensgefühls. Das ist eine neue Variante von Pop-Kultur, die ihren Ursprung in Deutschland hat.

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TM: Vielleicht wäre es anders, wenn du auf Deutsch singen würdest. Vielleicht ist es die nicht-deutsche Sprache, die es für die Verantwortlichen zum Beispiel des Goethe-Instituts nicht möglich macht.
Shantel: Sag’ mir mal, was du davon halten würdest, wenn ich tatsächlich einen Song auf Deutsch machen würde!

TM: Hmm…Na ja, jetzt sind ja die meisten Texte auf Englisch oder halt in den Originalsprachen der Länder, woher die Musik stammt. Ich kann es mir jetzt schwer vorstellen, aber es wäre vielleicht eine Möglichkeit!
Shantel: Es ist eigentlich die logische Konsequenz. Vielleicht werden wir hier in zwei Jahren sitzen und über Planet Gurkensalat debattieren (lacht). Okay, so schlimm wird’s nicht sein. Ich weiß es nicht. Ich habe für mich die deutsche Sprache als dahinfliegende Poesie fürs Musikmachen noch nicht entdeckt. Ich habe keine Ahnung, aber es ist interessant.

TM: Wofür steht „Paprika“?
Shantel: Meine Großmutter hat immer, wenn ihr eine Situation zu bürokratisch oder „zu quadratisch, praktisch, gut“ war, gesagt, diese Situation oder dieser Mensch hat zu wenig „Paprika“. Paprika ist eigentlich ein Symbol für…

TM: Schärfe, Würze, Feuer unterm Arsch?
Shantel: Genau, genau. Einerseits. Und es ist auch ein Gemüse, das man sehr schlecht genmanipulieren kann(lacht).
Also die meisten musikalischen Projekte sind ja quasi nur eine Mutation von irgendeinem gängigen, erfolgreichen Pop—Produkt. Ich war heute beim Frühstücksfernsehen, da hat man mir die drei Anwärter für den Amadeus-Award in der Sparte Pop vorgespielt und ich sollte quasi einen Tipp abgeben. Ich habe im Prinzip dreimal dieselbe genmanipulierte, herausgeputzte Singer-Songwriter-Variante präsentiert bekommen. Gut, die Eine war so ein bisschen Madonna, die Andere so ein bisschen mehr gitarrenlastig. Aber verstehst du, es war völlig austauschbar! Es hätte auch irgendein englisches Myspace-Wunder sein können.

TM: Welchen Tipp würdest du solchen Musikern geben?
Shantel: Ich gebe keine Tipps ab. Ich bin ein ganz schlechter Ratgeber und ich bin auch kein allwissendes Orakel. Überhaupt nicht. Ich kann dir nicht sagen, was nächste Woche sein wird.

TM: Es ist also nicht nur das Essen genmanipuliert, sondern auch die Musik. (lacht)
Shantel: Ist ja nur ein Symbol.

TM: Ja klar.
Shantel: Es gibt sicher Idioten, die das jetzt wieder wortwörtlich nehmen. Einer sagt so, „Paprika wird ja in Ungarn sehr viel gegessen, kann man jetzt mehr ungarische Einflüsse auf der Platte hören?“. Da versteht jemand die Metapher nicht. Vorher fragte mich auch jemand, „Es gibt ja Texte, die sind lustig. Bist du lustig? Bist du ein lustiger Typ?“
Also ich finde ja, Humor ist viel schwieriger zu kreieren als Ernsthaftigkeit. Ich habe die Biographie von Groucho Marx von den Marx Brothers gelesen und der sagte, dass es unglaublich anstrengend und selbstquälend gewesen sei, lustig oder humorvoll zu sein. So sehe ich das auch, wenn man einen Song macht, der quasi eine ironische Note hat. Ich finde es schwierig. Aber es ist auch immer eine Frage des Charakters…Ich lache lieber über mich selber, als über Andere. Und ich gehe mit Problemen lieber humoristisch um, als in tiefe Melancholie und in Depression zu verfallen. Ich muss nicht zwanghaft lustig sein. Das ist was Anderes. Lustig ist, glaube ich, was Anderes. Meine Großeltern, die zum Beispiel viel Unangenehmes erlebt haben…

TM: …haben immer noch ihren Humor behalten?
Shantel: Ja einen ganz sarkastischen, kreativen Humor. Finde ich als Überlebensstrategie gar nicht so unangenehm.

TM: Du hast lustige Socken an. Die sind lustig! (lila-heidelbeer-farbene Socken zu weißen Jeans)
Shantel: Passend zum Cooperate Design der CD!

TM: Stimmt! Stylingmäßig geht es jetzt ein bisschen in eine andere Richtung, oder? Die Haare sind ab.
Shantel: Um ehrlich zu sein, es gibt zwei Gründe: Zum Einen habe ich, in dem Moment als ich anfing mit Bucovina-Club, mich eigentlich nach und nach von diesen ganzen Style-Attitudes verabschieden. Man gewöhnt sich so etwas an – einen Stil oder ein Image. Ich hatte immer diese langen Haare, diese Locken. Das war gut, das war so von Haus aus. Irgendwann habe ich gemerkt, nachdem ich viel getourt habe und viel unterwegs war, dass ich einen Koffer voll Kosmetika, Conditioner für Haare und so dabei habe. Irgendwann hatte ich dazu keine Lust mehr. Ich habe mich einfach von vielen Dingen, konsequent und ohne Sentimentalitäten verabschiedet. Auch von meinen Haaren. Ich war irgendwann im brütenden Sommer in Izmir und bin zu einem alten türkischen Barbier gegangen. Das war ein super Erlebnis. Wie ein Initiationsritual! Sonst hat sich nicht so viel geändert. Findest du die Socken ungewöhnlich?

TM: Ein bisschen. Ist aber nicht schlecht! Passt eh! (lacht) Das weiße Sakko auf dem Cover ist mir auch sehr aufgefallen!
Shantel: Auch wenn ich auf die Bühne gehe und vor Publikum spiele, putze ich mich heraus. Da kommen die Leute, die zahlen Eintritt. Man ist so ein bisschen in der Pflicht.
Ein Freund, ein türkischer Schneider, hat mir zwei weiße Anzüge gemacht. Im Gegenzug habe ich posiert für Fotos, die er gebraucht hat, für sein Portfolio. Parallel dazu haben wir Fotos für das neue Cover gemacht. Die Fotos waren fürchterlich. Händeringend habe ich danach gesucht, was ich für das Cover nehme. Und dann habe ich mir das Ausschussmaterial von dieser Modesession angeschaut und da war das dabei!

www.myspace.com/shantelbucovinacluborkestar

Interview & Text: Carmen Feichtinger