Mit „Athen“ veröffentlichte Max Herre ein Konzeptalbum, weg von Playlisten-Hits und einfachen Melodien. Mit dem neuen Album begab er sich auf eine musikalische Reise, Athen dabei stets ein Zufluchtsort, ein Ort des Liebens und Scheiterns, wie die Stadt in unserer Review zum Album betitelt wird. Kurz vor seinem Konzert in Wien sprachen wir mit Max Herre über den Stellenwert von Kunst, das Vater-Sein und warum es gut ist, wenn Abstände der Releases kürzer werden.
The Message: In unserem letzten Interview meintest du, dass deine Platte damals etwas politischer war, weil es auch die damalige Zeit war. Würdest du sagen, dass deine Musik im Vergleich zu 2012 nun insgesamt politischer geworden ist?
Max Herre: Ich glaube schon, dass es aktuell viele dringliche Fragen gibt. Natürlich gibt es durch die sogenannte Geflüchteten-Krise, durch Black Life Matters, durch Fridays For Future eine positive Entwicklung junger Leute, hin zu offenem Aktivismus, die ich auch toll finde. Aber ich glaube, jede Zeit ist politisch. Ich trenne nicht wirklich zwischen privat und politisch, wir Menschen sind ja nicht isoliert von gesellschaftlichen (…) Prozessen. Wir sind ein Teil politischer Entwicklung, ob wir das nun wollen oder nicht. In der Musik gab es für mich diese Trennung auch nie, es gibt zwar Bereiche, die behandeln eher Privateres, genauso gibt es aber auch immer den Blick in die Welt und den Abgleich mit dem, was um mich herum passiert.
Kunst liegt in deiner Familie, dein Vater Architekt, dein Opa ebenso Architekt und Designer. Inwieweit hat dich das geprägt? War es dadurch einfacher für dich, deinen eigenen Zugang zur Kunst zu finden oder warst du einem größeren Druck ausgesetzt?
Druck habe ich keinen empfunden. Natürlich hat mein familiäres Umfeld eine Offenheit für Kunst, Architektur und Design produziert und einen bestimmten Blick auf Dinge geschult. Kunst war in der Familie immer ein großes Thema, Musik in der Kernfamilie weniger. Meine Mutter hat zwar gesungen, mein Vater hat viel Musik gehört. In der Großfamilie wurde viel musiziert, vor allem klassisch. Aber die Musik, die ich angefangen habe zu hören, die habe ich in meinem eigenen Kosmos gefunden – in Freundeskreisen, bei Bekannten, bei den Eltern von Bekannten.
Dein Sohn rappt selbst. Bist du dadurch – weil du selbst auch Musiker bist – voreingenommener oder skeptischer?
Ich habe natürlich die Befürchtung, skeptischer zu sein. Ich bin bestimmt auch skeptischer als meine Frau, aber ich finde es toll, dass er es macht und dass auch ein Feedback von außen kommt, denn das objektiviert die Sache natürlich. Er ist sehr talentiert, aber wie er da weitergeht muss er für sich selbst sehen und entscheiden. Das ist so, wie ich das in dieser Angelegenheit auch mit meinen Eltern erlebt habe, wir halten uns da eher raus. Wir kommen aber immer wieder zusammen, es läuft viel Musik bei uns, wir hören gemeinsam und gleichen uns ab. Ich lerne dabei auch immer viel Neues.
„Ich habe mich nie ganz zwischen Gesang und Rap entschieden, und auch eine klare Genreabgrenzung gab es nicht für mich“.
Dein Album ist ein Konzeptalbum. Gab es Ideen oder Skizzen, die du gerne auf dem Album gehabt hättest, die dann aber aus dem Konzept gefallen sind?
Es gibt natürlich immer viel mehr Musik, als nachher auf der Platte ist. Wir sind ein Produktionsteam namens KAHEDI, machen sehr viel Musik und forschen dabei auch in alle Richtungen. Im ersten Jahr der Albumproduktion bin ich in eine ganze andere Richtung gegangen, damals wollte ich noch viel mehr Spiritual- und Ethio-Jazz in die neuen Songs integrieren. Diese Skizzen lagen ewig rum, jetzt wird ein Instrumental-Album daraus, gemeinsam mit Roberto Di Gioias Jazz Quartet Web Web. Was das Texten betrifft – ich habe mich schon auch in andere Richtungen ausprobiert, aber mich dann entschieden, dass es in den Athen-Komplex nicht reinpasst. So wie das Album jetzt ist, finde ich es rund.
Ich habe nicht das Gefühl, dass etwas fehlt. Man geht bei einem Konzeptalbum auch strukturierter ran und fragt sich, was für Songs komplementär noch passen würden. „Terminal C“ entstand zum Beispiel relativ am Ende, weil ich wollte, dass dieser Roadtrip mit dem Song an dritte Stelle im Album noch weitergeht. Mit „Das Wenigste“, dem letzten Song, wurde für mich dann der Zyklus geschlossen.
Auf dem Album erzählst du deine persönlichen Geschichten, aber auch die anderer. Was fällt dir einfacher?
Von sich selbst auszugehen ist immer einfacher, weil man sich selbst am besten kennt und sozusagen einen 360-Grad-Blick hat und erst einmal jeder Gedanke, jedes Gefühl richtig ist. Wenn man die Geschichten anderer erzählt, dann muss man sich wirklich mit ihnen befassen, sich mit ihnen unterhalten, sich in Dinge reinlesen und vor allem erst einmal zuhören.
„Mich hat auch nie Rap, der sich nur um Rap dreht, interessiert“.
Durch private Geschichten macht man sich aber auch viel angreifbarer, oder?
Das Studio ist ein sehr geschützter Raum und auch die Musik ist ein Ort, an dem ich mich mir selbst annähere. Ich will mit meiner Musik etwas machen, das wahrhaftig ist. Es soll keine Erfindung sein, ich möchte die Gefühle, die ich habe, in die Musik geben. Die Konsequenz daraus ist, dass man sich öffnet. Ich weiß nicht, wie angreifbar man dadurch ist, das müssen andere sagen. Ich selbst habe das Gefühl, dass es uns allen irgendwie gleich geht. Es gibt verschiedene Lebenssituationen, die wir alle durchleben und es gibt emotionale Phasen, in denen wir uns alle mal wiederfinden. Ich betexte das, was ich gerade fühle. Aber dabei glaube ich nicht, dass ich da in Bereiche vorstoße, die exklusiv nur meine sind. Ich thematisiere Situationen, die wir alle kennen. Aber wie gesagt, ob ich mich angreifbar mache, kann ich selbst nicht sagen. Wie siehst du das denn?
In erster Linie macht man sich prinzipiell schon angreifbarer, wenn man Privates preisgibt, als wenn man die Erlebnisse anderer schildert.
Ich fühle mich nicht anders als andere. Wir haben alle Eltern, die älter werden, wir haben Kinder, die erwachsen werden. Wir alle kennen verschiedene Beziehungen, die mal toll laufen, mal nicht so toll laufen. Wir haben alle ähnliche Wünsche und Ängste Aber natürlich gibt es einen Unterschied, zwischen Privatsphäre und sich dem emotional zu öffnen, darauf achte ich auch.
„Kunst war in der Familie immer ein großes Thema“
Dein Album ist jetzt schon längere Zeit draußen. Wie war die Resonanz darauf?
Für mich überwiegend sehr positiv. Ich weiß, dass „Athen“ ein Album ist, auf das man sich einlassen muss und für das man Zeit braucht. In Zeiten von Streaming war das ein Wagnis. Vielen Leuten gefällt genau das daran. Es ist eben keine Playlist, sondern ein Album mit einem übergeordneten Narrativ.
Gab es Missverständnisse?
Eigentlich nicht, das Album ist ja in großen Teilen sehr bei mir, da gibt es nur meine Perspektive und auch kein richtig oder falsch. Songs wie „Dunkles Kapitel“, die weg von mir gehen, sind eher politisch, da gibt es sicher Menschen, die sagen, sie finden alles völlig falsch und furchtbar. Das sind aber auch die Menschen, mit denen ich dann eher nichts zu tun haben möchte.
Deine Musik wird von mehreren Generationen gehört. Kannst du festmachen, wer deine Zielgruppe ist? Beziehungsweise: Für wen machst du Musik?
In erster Linie probiere ich etwas zu machen, wofür ich stehen will, was für mich beim Machen eine Dringlichkeit hat. Ich versuche etwas zu finden, was mir gefällt, in den Möglichkeiten die ich habe, mit den Optionen die es gibt. Der erste Parameter ist, eine Richtung zu finden, die ich selbst gut finde. Es gibt Leute, die kennen mich seit Freundeskreis-Zeiten, die sind mit mir erwachsen geworden. Vielleicht bin ich für die dann auch ein Abgleich ihrer Lebenssituation und sie finden es spannend, mit mir gemeinsam erwachsen zu werden. Natürlich gibt es auch jüngere Leute, die durch Songs wie „Villa auf der Klippe“ dazukommen. Alles in allem sind das sicher meist Hörer, die einen Fuß in urbaner Musik haben und trotzdem sehr offen sind.
Und wenn du mich fragst, zwischen welchen Künstlern ich es schön finden würde stattzufinden beziehungsweise zwischen welchen Alben ich gerne stattfinden würde… Ich glaube, wenn man eine Solange-Platte mag oder auch die letzte Tyler-The-Creator-Platte, vielleicht auch eine J.-Cole-Platte, oder eine Bon-Iver-Platte … Vielleicht hat man aber auch das Tua-Album oder das von Trettmann gehört… Dann ist eine Max-Herre-Platte auch nicht falsch.
Früher gab es häufig die Diskussion, ob eine Musik denn noch Rap sei. Hast du das Gefühl, dass diese Debatten weniger geworden sind?
Mich hat diese Diskussion bereits vor 20 Jahren nicht interessiert. Mich hat auch nie Rap, der sich nur um Rap dreht, interessiert. Was mich interessiert hat war, dass man sich durch die Sampling-Kultur mit der Musik befasst hat, die davor da war. Man ging in den Plattenladen und hat sich das angehört – Jazz, Soul und so weiter. Uns ging es immer darum, die Musik, die davor da war oder parallel da ist, in unsere Musik zu integrieren. Ganz ursprünglich komme ich auch aus dem Gesang, mit 15 Jahren war ich Sänger in meiner ersten Band.
Ich habe mich nie ganz zwischen Gesang und Rap entschieden und auch eine klare Genreabgrenzung gab es nicht für mich. Ich habe Songs, die sind melodischer, manche Songs sind komplett gesungen, andere gerappt. Ich finde es schön, dass sich mittlerweile auch im Mainstream die Vorstellung davon, was ein Rapper machen muss, um ein Rapper zu sein, aufgelöst hat. Drake ist da ein gutes Beispiel. Inzwischen ist vieles, was als Rap identifiziert wird, eigentlich Gesangsmusik.Das tut der Entwicklung total gut, weil es einfach musikalischer wird.
Zwischen „Athen“ und deinem letzten Studioalbum liegen sieben Jahre. Ist es dir wichtig, sich so viel Zeit wie notwendig zu lassen, ohne dabei an den Druck von außen zu denken?
Ich kann es irgendwie nicht anders. Ich arbeite so lange an Alben, bis sie mir gefallen. Manche sind da vielleicht auch schneller. Das Gute am Streaming ist, dass die Abstände der Releases kürzer werden, weil man eben auch mal nur einzelne Songs oder eine EP releasen kann. Ich empfinde das als eine Befreiung, denn ich komme aus einer Zeit, in der man warten musste, bis man ein Album mit 10 bis 15 Songs fertig hatte.
Also bist du Playlist-Konzepten zum Beispiel nicht abgeneigt?
Nein, ich finde das auch spannend. Wie gesagt, ich komme aus einer Zeit, in der man sehr in Alben gedacht hat, auch was Artwork und Konzepte betrifft. Aber ich finde dennoch: Wenn man etwas Tolles rumliegen hat, dann kann man das mittlerweile auch einfach mal releasen.
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