Xavier Naidoo ist einer der erfolgreichsten Sänger Deutschlands – aber auch einer, der tief im Verschwörungstheorien-Sumpf versunken ist. Trotz seiner verqueren politischen Ansichten gibt es im Deutschrap aber weiterhin keine Berührungsängste mit Naidoo.
Xavier Naidoo ist ein Teil meiner Kindheitserinnerungen. Meine Mama hörte seine Songs neben jenen von Max Herre und Max Mutze. Die ersten Songs, die ich auswendig mitsingen konnte, die ersten Songs, die ich damals auf meinen ersten eigenen iPod gespielt habe, waren von Xavier Naidoo. Meine Kindheitserinnerungen an Xavier Naidoo sind aber nicht nur positiv. Das erste Mal fiel mir Xavier Naidoo 2012 negativ auf. Damals war ich bereits mit meinen pubertären 14 Jahren leidenschaftlicher Deutschrap-Fan, damals hatte ich bereits Gänsehaut bei „2010“, als sich Sido offiziell in einem Song bei Bushido entschuldigte, als der jahrelange Beef zwischen den beiden erst einmal auf Grundeis gelegt werden sollte.
„XAVAS“ heißt das gemeinsame Projekt von Xavier Naidoo und Kool Savas, „Gespaltene Persönlichkeit“ heißt das gemeinsame Album, das Savas‘ melancholische Rap-Strophen mit dem souligen Gesang eines Xavier Naidoos kombiniert. Der letzte Song des Albums, „Lied vom Leben“, dauert eigentlich nur etwas mehr als drei Minuten, danach folgt eine fast einminütige Pause, bis der Hidden Track namens „Wo sind sie jetzt?“ einsetzt. „Ich schneid euch jetzt mal die Arme und die Beine ab/Und dann fick ich euch in den Arsch, so wie ihr’s mit den Kleinen macht“, startet Xavier Naidoo direkt.
Es geht um pädophile Männer, die Kinder vergewaltigen, um Selbstjustiz. „Warum liebst du keine Möse, weil jeder Mensch doch aus einer ist?“, singt Naidoo weiter. Lines, die in unserer heutigen Zeit schlichtweg homophob sind, nicht mehr und nicht weniger, da gibt es auch nicht viel zu diskutieren. Xavier Naidoo möchte Selbstjustiz an Pädophilen begehen. Dabei redet er von „unseren Helfern“, „unseren starken Männern“, „unseren Führern“ und fragt sich, wo diese seien. Damit deutet er an, kein Vertrauen in die Staatsgewalt zu haben und spricht zugleich dem Rechtssystem seine Funktionalität ab. Xavier Naidoo will sich persönlich rächen, ironischerweise betont er im Song jedoch noch: „Ich bin nur traurig und nicht wütend/Trotzdem will ich euch töten“.
Begegnungen mit dem rechten Rand
Im Oktober 2014, zwei Jahre nach obig genannten problematischen Aussagen, sprach Xavier Naidoo persönlich bei einer Demo am deutschen Nationalfeiertag vor dem Berliner Reichstag. Es sei eine Premiere für ihn, normalerweise schreibe er einen Liedtext oder gehe auf einen LKW, wenn er sich äußern möchte, so Naidoo. „Wo wart ihr denn? Habt ihr das nicht gesehen? Spätestens nach dem September 2001, das war der Warnschuss. Wer das als Wahrheit hingenommen hat, was darüber erzählt wurde, der hat den Schleier vor den Augen. Ganz einfach“, sagte er. Naidoo erntete Applaus. Im Publikum sogenannte Reichsbürger, die Demonstration wurde von Rüdiger Klasen und Thomas Mann veranstaltet.
Rüdiger Klasen (seit 2015 Rüdiger Hoffmann) betrieb zu dem Zeitpunkt das Projekt „staatenlos.info“ und wurde 1994 als damaliges NPD-Mitglied wegen versuchten Mordes verurteilt. Gemeinsam mit Thomas Mann, der als „Regierungsmitglied“ dem „Freiheitsstaat Preußen“ dient, fand am 3. Oktober 2014 der „Sturm auf den Reichstag“ statt, wo eben auch Naidoo anwesend war. Laut YouTube-Videos stand Xavier Naidoo an diesem Tag einige Stunden später erneut auf der Bühne – diesmal vor dem nahegelegenen Bundeskanzleramt bei den sogenannten „Friedensmahnwachen“. Mit einem schwarzen „Freiheit für Deutschland“-T-Shirt erschien er auf der Bühne. „Mir muss es um die Liebe gehen“, betonte er immer wieder, nebenbei sprach er sich gegen deutsche Kriegsbeteiligungen aus.
Das Politikum Xavier Naidoo
Im Jahr 2017 veröffentlichte Xavier Naidoos Band Söhne Mannheims den Song „Marionetten“. Darauf singt Naidoo: „Wie lange wollt ihr noch Marionetten sein, seht ihr nicht, ihr seid nur Steigbügelhalter /Merkt ihr nicht, ihr steht bald ganz allein, für eure Puppenspieler seid ihr nur Sachverwalter“. Er stellt Politiker als Marionettenspieler dar: „Alles nur peinlich und so was nennt sich dann Volksvertreter/Teile eures Volkes nennen euch schon Hoch- beziehungsweise Volksverräter“. Aussagen, die klarer nicht sein könnten, die die Kritik, die über die Jahre hinweg an Naidoos Worten und Taten geäußert wurde, bekräftigen. Der Song fand Anklang in der rechten Szene, wurde von der NPD Mannheim auf Facebook geteilt. Der Grünen-Politiker Volker Beck sah in dem Song ganz klare Tatbestandsmerkmale von Volksverhetzung. Naidoo selbst lieferte ein Statement, er habe „im Rahmen einer künstlerischen Auseinandersetzung bewusst überzeichnet“.
Verschwörungstheorien, Selbstjustiz, homophobe Andeutungen, Sympathisieren mit rechtsideologischen Persönlichkeiten, ein ähnliches Vokabular wie das der Reichsbürger, der rechten Szene. Die Indizien haben sich gehäuft, wurden stärken, wurden deutlicher. Der Radiosender Bremen Vier boykottierte aufgrund der Vorwürfe Xavier Naidoos Musik, die kritische Berichterstattung einiger Medien hält glücklicherweise noch an. Mit dem Format „Sing meinen Song“ setzte der Fernsehsender VOX trotzdem jahrelang auf den Mannheimer, eine wirkliche Konsequenz für sein mehr als fragwürdiges Verhalten scheint es nie gegeben zu haben. Und auch in der Rapszene scheint man sich nicht akribisch mit Naidoos Positionierung auseinandergesetzt zu haben.
Wo bleibt die Sensibilität?
2019 befindet sich ein Chefket, der nicht müde wird, auf Rassismus in unserer Gesellschaft aufmerksam zu machen, der sich stets für ein friedliches multikulturelles Miteinander einsetzt, als Featuregast auf Xavier Naidoos neuem Album, wie auch ein MoTrip und Kontra K. Auf Jujus Debütalbum gastiert Naidoo auf „Frei sein“, auf Shirin Davids Album auf dem Track „Nur mit Dir“.
Das mediale Interesse hält sich gering, fast niemand zeigt Verwunderung darüber, dass Rapperinnen und Rapper mit Naidoo gemeinsame Sache machen. Features sind viel mehr als nur eine kurzweilige Zusammenarbeit auf musikalischer Ebene. Durch gemeinsame Projekte sympathisiert man als Musiker mit seinem Feature-Partner, man begegnet sich auf Augenhöhe. Ich kann es leider einfach nicht verstehen, warum Artists wie Juju oder Chefket kommentarlos mit Xavier Naidoo Songs machen. Shirin David hat sich auf Instagram zumindest dazu geäußert, mit ihrem Statement „Ich mache Musik und mein Song mit ihm gemeinsam handelt von Liebe und Zusammenhalt. Nicht mehr und nicht weniger“ macht sie es sich aber auch sehr einfach. Dabei möchte ich nicht die Künstlerinnen und Künstler an sich beschuldigen und ihnen Unwissen oder Ignoranz dem Thema gegenüber vorwerfen, denn ich sehe die Verantwortung zwar bei den Artists selbst, aber auch bei Managern, bei Labels, bei Medien, bei anderweitig Beteiligten.
Natürlich ist die gesamte Thematik weitaus komplexer und eine Bewertung Naidoos Positionierung schwierig. Seine Aussage, bei genannten Demonstrationen eher zufällig gewesen zu sein, weil er „sich das mal anschauen wollte“, ist für mich eher weniger stichfest, seine Handlungen jedoch schon etwas mehr. So engagierte er sich bei „Rock gegen Rechts“, spielte mit Söhne Mannheims in Tel Aviv. Xavier Naidoo lässt sich nicht eindeutig der rechten Ecke zuordnen, das wäre zu plakativ, zu einfach. Ende September 2019 befasste sich das Oberlandesgericht Nürnberg mit dieser Thematik – eine Mitarbeiterin der Heidelberger Amadeu-Antonio-Stiftung warf Xavier Naidoo Antisemitismus vor. Nachdem das Landesgericht Regensburg jedoch in erster Instanz Naidoos Klage auf Unterlassung zustimmte, ging die Mitarbeiterin nun in die zweite Instanz.
Trotzdem, nach all den Indizien, die Xavier Naidoo über all die Jahre hinweg geliefert hat – seien es nur rein hypothetische und provozierende Aussagen, unter dem Deckmantel der Kunstfreiheit versteckt, oder nicht – bin ich fest davon überzeugt, dass sich gewisse Rapperinnen und Rapper mit einigen Statements Naidoos eher ungern identifizieren lassen wollen. Wer mit wem zusammenarbeitet, bleibt im Endeffekt jedem selbst überlassen, deswegen möchte ich mich nicht für ein Verbot von Songs oder Features aussprechen. Viel eher bedarf es jedoch einem kritischen Diskurs. Und ich bin es mittlerweile einfach mehr als leid, ein weiteres Feature von einem x-beliebigen Rapper mit Xavier Naidoo kommentarlos hinzunehmen.
Ich kann es nicht mehr nachvollziehen, nicht mehr verstehen, nicht mehr rechtfertigen. Denn Rap ist dafür bekannt, auf Missstände aufmerksam zu machen, ungehörten Persönlichkeiten in unserer Gesellschaft eine Stimme zu geben, politisch oder gesellschaftskritisch zu sein. Ich wünsche mir einfach nur ein bisschen mehr Aufmerksamkeit dem Thema gegenüber. In der Sexismus-Debatte im Deutschrap versprachen viele, von nun sensibilisierter an die Thematik heranzugehen, bei Songs genauer zuzuhören und bei Bedarf lauter zu sein, weniger einfach so hinzunehmen. Und genau das wünsche ich mir auch für dieses Thema.
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