Yassin steht mittlerweile seit zehn Jahren mit seinem Kumpanen Audio88 auf der Bühne, zusammen haben die beiden insgesamt sechs Kollabo-Alben veröffentlicht. Eine Zeit, die zusammenschweißt. Trotzdem hat Yassin den Schritt in die Selbstständigkeit gewagt und heuer sein Debütalbum veröffentlicht. „YPSILON“ ist ein sehr persönliches und reflektiertes Album, an dem unter anderem der Hamburger Produzent Farhot, der für Hits wie „Chabos wissen wer der Babo ist“ verantwortlich ist, und Dienst&Schulter, die viel für Goldroger produziert haben, beteiligt sind. Auch bekannte Features kommen auf Yassins Erstlings-Solo-Werk nicht zu kurz, so finden wir hochkarätig besetzte Kollabosongs mit Audio88, Casper und Mädness. Wer so lange Teil der Szene ist, kennt eben auch die anderen Ikonen des Deutschrap.
Auf den zwölf Songs erzählt uns Yassin ganz ungeniert, wie das denn so ist mit ergrautem Haupthaar, („Haare grau“) wie die Liebe einzuschlagen vermag („Meteoriten“) und wie denn dieses Musikerdasein überhaup zustande gekommen ist. Das Werk ist geprägt durch ein sehr eigenes und spezielles Soundbild, das vielleicht nicht jedermanns Sache ist, aber beweist, das Yassin keinen Trends hinterhereifert, sondern einfach er selbst ist.
Es scheint so, als hätte Yassin sich alles vom Herzen geschrieben. Jeden Gedanken an die Vergangenheit, das Jetzt, die Zukunft und an seine Wünsche. „Und ich erreich meine Ziele, will wie du eine Familie„: Im Song „1985“ erzählt uns Yassin von seinen Eltern, seiner Kindheit und seinem Werdegang. Er schildert von seiner Liebe zur Musik, die wohl eine Hass-Liebe zu sein scheint. Die Frage, ob die Musik wirklich die richtige Wahl war, steht in dem Track präsent mit einem großen Fragezeichen im Raum.
Wir schwammen niemals im Geld und Papa sah ich nur noch selten.
Doch meine Eltern schenkten mir eine Welt,
als sie ein Keyboard in mein Kinderzimmer stellten
Yassin Fans, die sich auf seinen altbekannten Zynismus gefreut haben, den er gemeinsam mit Audio88 auf die Spitze getrieben hat, gehen hier leer aus. Auch der Einsatz von Autotune dürfte für alte Fans erstmal ein ziemlicher Überraschungseffekt gewesen sein. Sieht man es positiv, könnte man sagen: Yassin hat sich weiterentwickelt und ist nicht auf dem Sound, den er schon seit einem Jahrzehnt macht, hängen geblieben. Frisch wirkt „Ypsilon“ dennoch nicht, eher melancholisch und schwer, was sicher auch mit dem Tiefgang der Lyrik zu tun hat. Ein Album, das sich nicht einfach nebenbei hören lässt, keines, zu dem man den Drang zu tanzen verspürt.
Es scheint fast so, als hätte sich Yassin mit diesem Album selbst therapiert, und mit der Vergangenheit aufgeräumt, so erzählt er uns in dem Song „Junks“ davon, Freunde zum Koksen anzustiften und dem Weg raus aus der Spirale talwärts.
Wer braucht Freunde, wenn man sich mit ihnen kein Gramm teilen kann?
War zu feige, die Scheiße einfach alleine zu ziehen
Brachte sie drauf und redete mir ein, ich teile mit ihnen
Habe ein paar die Erste gelegt, die meisten war’n Freunde
Ich hab es euch nie gesagt, aber bereu‘ es bis heute
Der Künstler selbst sagt über das Album in einem Interview: „Ich bin da drinnen konserviert für die Ewigkeit, wenn man das in 20 Jahren von mir öffnet, so als Zeitkapsel, ist alles cool.“ Das Zitat „Dieses Grab bringt mich unter die Erde“ kommentiert Yassin mit: „Es hat sich zwischendurch danach angefühlt, weil es halt das erste Mal war, dass ich selber entscheiden musste, ob das die besten Worte sind für das, was ich da ausdrücken will, und ob ich das für immer so stehn’ lassen will“ Zwischenzeitlich muss sich Yassin wohl so gefühlt haben, als würde ihm seine zweite musikalische Säule in Form von Audio88 fehlen. Jedenfalls wusste er, was mit dem Release seines ersten Debütalbums auf dem Spiel stand. Und es hat funktioniert.
Fazit: Wer auf der Suche nach persönlichen und politischen Zeilen ist, und dem Künstler durch diese näherkommen will, ist hier genau richtig. Das Album ist etwas anderes, als das, was wir sonst so die ganze Zeit um die Ohren geschlagen bekommen. Es hat Tiefgang und setzt mich mit den verschiedenen, oft auch nicht so schönen Facetten des Lebens auseinander. Dinge, die man als 36-Jähriger eben oft schon erlebt hat. „Ypsilon“ klingt nach einem Künstler, der komplett zu sich gefunden hat, im Reinen mit sich selbst ist und Fehler eingestehen, und offen darüber sprechen kann. Technisch und Textlich ist das Werk auf einem sehr hohen Niveau und zählt zu den Releases 2019, die man gehört haben sollte.
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