Was bei Musik zählt, ist die Qualität. Da das aber leider nicht immer so ist, highlighten wir hier diejenigen, die im übrigen Geschäft wenig oder schiefe Aufmerksamkeit bekommen. Dieses Round-up soll speziell Frauen und queeren Personen einen Platz bieten, die im vergangenen Monat releast haben. Und deren Musik von Qualität ist. Stay tuned! Da zuletzt ein wenig Hörstoff verpasst wurde, beschränkt sich diese Edition nicht ausschließlich auf den März.
Little Simz – Venom
Little Simz zeigt im Berliner Colors-Studio, wie tief die Musik in ihr vibriert. Sie zeigt einen stürmischen Flow, der sich mit ausgefallener Taktik über arrangierte Beats und Samples zieht. Den Rhythmus hört man nicht nur, man sieht ihn auch. Ohne ausgefallenes Outifit oder Entourage bleibt das Augenmerk auf der ausdrucksstarken Mimik und Gestik des britischen Jungtalents. Little Simz zeigt, welche Emotionen sie mit dem Song verbindet. Was die Hintergründe von Venom sind, erklären wir mit dem „Gift der Gesellschaft“ . „Venom“ ist auch auf dem kürzlich erschienenen Album „GREY Area“ vertreten, am 11. Oktober spielt Little Simz im Wiener WUK.
CELESTE COLLINS – Dance for Me
Celeste aus Wien macht mit ihrem Bruder Gabe Isaac Grunge-Musik auf leichten Trap-Beats. „Dance for Me“ ist die erste Single und Video-Auskopplung der beiden. Celeste selbst kann man bereits seit Längerem auf diversen Soundcloud-Features hören. Das Video vereint den Style der HipHop-Szene (inklusive ausgefallener Markenkleidung) mit trippy Visuals, die man fix auch so ähnlich auf Tumblr finden kann. Der melancholische Sound und die unkonkrete Beschreibung einer Liebesnacht erinnern an den Stil von Lana Del Ray.
https://www.youtube.com/watch?v=EwWSNgVSoxw
IAMDDB – Swervvvvv.5
Mit elf Tracks, davon nur einem Song über drei Minuten, dafür aber mit mit einer ordentlichen Storyline, ist dieses Mixtape das durchdachteste der bisher fünf „Volume“-Tapes von IAMDDB. Nach einigen Danksagungen erklärt uns die junge Britin in ihrem Interlude: „If you can’t swim, you gotta learn to surf the waves.“ Sie meint damit zwar die Ups and Downs des Lebens, zieht aber eine ironisch-passende Verbindung zu ihrer Musik. Die meist trappigen, vom Londonder Drae Da Skimask produzierten Beats sind wavy. Und ähnlich wie das Surfen versetzt IAMDDBs souliger Sprechgesang einen in Trance. Diana De Brito, wie sie bürgerlich heißt, nimmt uns mit auf eine musikalische Reise ins All. Der Planet Erde langweilt sie eben. Es braucht einen „Space Break“, in der das „Eternal Being“ auf harten Club-Beats Dampf ablassen kann. Mit einem „Mellow Down“ kommen wir zurück auf den Boden. Im zweiten Interlude beschreibt IAMDDB, wie sie ihren Stil Urban Jazz definiert: „To create some form of a memory, a feeling, a mixture of then and now/Tell them girls, adaptable to all genres, but there’s just a certain type of texture feeling temperature that keeps you truly connected to urban jazz„.
DDB ist zu Hause im Urban Jazz. Ihre Musik spielt mit Jazz-Elementen in Trap, Soulgesang im Rap und wird trotz nebliger Atmosphäre nie fad. Während der Klang ihrer sanfter Stimme einen umhüllt wie der Rauch ihres Spliffs, haben die Beats doch Potenzial, einen ab und zu wieder in die Realität zurückzuholen. Nicht erst mit „I’m Home“ wird klar, dass „Swervvvvv.5“ nur der Weg zum Ziel war. Wir sind zwar wieder auf der Erde gelandet, aber keine Sorge. IAMMDDB sagt „Brb“, sie sei in „Album mode“.
Lady Leshurr – It’ll Kill You
Lady Leshurr rappt Auf-die-Schnauze-Lines mit Stil. Bekannt wurde sie vor allem durch ihre Reihe „Queen’s Speech„, in der sie unter anderem gegen das hypothetische Konzept Mann austeilt und dabei nicht nur technisch überzeugt. Sympathie erweckt die britische Rapperin, DJane, Produzentin und Schauspielerin auch mit ihrem jüngsten Release. Nachdem Cadet am 9. März bei einem Autounfall ums Leben gekommen ist, stellten einige Rapper-Kollegen des Briten Freestyle-Videos ins Netz, um ihm Tribut zu zollen. Auch Lady Leshurr drückte so ihren Respekt aus und veröffentlichte nur wenige Tage später den gesamten Song mit Video. Sonst eher im aggressiven Stil des Grimes unterwegs, zeigt Lady Leshurr ihre Anteilnahme sehr simpel und bedächtig. Sie spricht ihr Beileid für die Familie aus, drückt ihre eigene Angst vor einem Unfall aus und zeigt ihre Wertschätzung für Cadet. Weitere Tracks in Cadets Ehren gibt es etwa von seinem Cousin Krept sowie Deno, mit dem Cadet auf seinem letzten Track “Advice“ kollaborierte.
Doja Cat – Amala Deluxe
Doja Cat ergänzt drei Songs zu ihrem im vergangenen Jahr erschienenen Album „Amala“ und macht es damit „Deluxe“. Der Track „Moo“ ist schon ein paar Monate alt, wird aber trotz schläfrigen Cloud-Beats nicht langweilig. Doja liefert eine amüsante One-Woman-Show, bei der einem das Wasser im Mund zusammenläuft, und eine eingehende Message: „Bitch, I’m a cow!“. Die mit Trap-Elementen versehenen Boombap Beats von „Juicy“ wurden auf Dojas aktueller Album-Tour schon live performt. Keine große Überraschung ist der Track aber auch hinsichtlich der immerwährenden „Sexplicity“ der body-positiven Rapperin und Produzentin. Doja landet mit „Tia Tamera“ featuring Rico Nasty einen „sticky“ Hit und bedankt sich bei ihren Fans mit „Spank you very much“. Eine Zeile, die gut den Kern Dojas Arbeit beschreibt. Weed, ungebremste Sexualität und viel Humor. Wie die Anspielung auf die ehemalige Reality-Show „Tia & Tamera“, bezieht sich der gesamte Track auf Brüste, denn auch Boobs seien Twins, erklärt Doja im Genius Verified Video. Im Video meint Doja auch, dass sie „not too great in making Beats“ wäre. Wer sich vom Gegenteil überzeugen will, sollte auf jeden Fall in Dojas unkommerzielle Beat-Sammlung auf Soundcloud reinhören.
addeN – 15K
addeN aka Griselda Blanco aus Neukölln ist schon lange dabei. Sie nimmt kein Blatt vor den Mund und teilt oft mit harten Worten aus. Sie verzichtet dabei auf schon oft gehörte Reime und beschränkt ihre Gesellschaftskritik nicht auf Schimpfwörter. Vergangenes Jahr noch präsentierte sie sich im Handyvideo zu „Hurensöhne“ mit Fellmütze am Kopf, 2019 hat sich addeN zumindest videotechnisch ein wenig angepasst. Mit dickem Auto und Mädchen im Bett bedient sie das Gangster-Rap-Klischee, ohne dabei auf einen eigenen Stil zu verzichten. Zwar sind die „Schimpfwörter weg, damit Mama sich freut“, gegen die Deutschrap-Szene wird aber trotzdem ausgeteilt. „Was ist das plötzlich für Deutsch, die Älteren schämen sich für euch. Das Wort Kahba hat die ganze Szene verseucht“. Kahba ist ein türkisches Schimpfwort (eigentlich kahbe) und heißt auf Deutsch so viel wie Hure. Szenetypisch geht es aber dann auch bei addeN um Ott-Ticken und Frauen, die sich für ein Gucci-Parfum hergeben. Und die Männer, die sich darauf einlassen. Griselda Blanco hat eine große Klappe und viel dahinter, auch wenn sie zugibt: „Ich mach‘ kein Album, weil ich richtig faul bin.“ Vielleicht reichen die „15K“, die die Rapperin aus einem Kilo macht. Hoffentlich finanziert sie sich damit aber ein paar weitere Veröffentlichungen.
Dounia – Lowkey Grl
Up-Beat-R’n’B von Dounia wird stets durch von ihr selbst produzierte Musikvideos ergänzt. Im aktuellen Video zu „Lowkey Grl“ zeigt sich Dounia erst im silber glänzenden Seidenkleid und mit auffällig funkelnder Glitzertasche. Später sehen wir sie in Farbe und gemütlicher gekleidet als „Moroccan Doll“ – ein Alter Ego, für den ihr Twitter-Account Namensgeber war. Dounia wurde in Queens geboren, wuchs aber in Marokko auf, bevor sie wieder zurück nach New York zog. Im neuen Song singt sie auch einige Zeilen auf Arabisch und Französisch und bleibt dabei gar nicht lowkey. Es geht um einen Mann und seine Unsicherheit gegenüber starken Frauen: „He said he want a lowkey girl, no you don’t. You know you want her popping on the cover of Vogue.“
Mit einem „Poppin‘ Girl“ kommt der Betroffene aber auch nicht zurecht, denn er weiß nicht, wie man mit einem „Bboss“ umgeht. Was im arabischen Part passiert, ist für mich leider unklar. „Moroccan Doll“ macht aber klar, nicht lowkey, sondern „mauvais“ (schlechter) und „khatar“ (gefährlich) zu sein.
Snoh Aalegra – I Want You Around
Just vibin around, nennt es Snoh Aalegra, wenn sie mit zarter und doch bestimmter Stimme über Keyboard-Tunes improvisiert. Anfang März veröffentlichte sie die Single „I Want You Around“ inklusive Musikvideo im Analog-Stil. Mit dem ersten Track nach dem im vergangenen Sommer erschienenen R’n’B-Album „FEELS“ bleibt Snoh ihrem Stil treu und lässt Background-Vocals und Keys auf einem sanften Beat schweben. Die Stimmung ist romantisch. Dass Snoh Aalegra den Soul spürt, merkt man auch in einer spontanen Acoustic-Version des Tracks aus Youtube. In Jogginghose sitzt sie auf der Couch in einem Raum, der nach Keyboard-Verleih aussieht. Zu sehen und zu hören ist außer ihr nur der Mann an den Keys.
Sevdaliza – Darkest Hour // Artist’s Mourn
Sevdaliza spricht darüber, wie sie sich selbst als Künstlerin wahrnimmt. Und als Frau. Anlässlich des Welt-Frauentags veröffentlichte sie einen offenen Brief, in dem sie den „Artist’s Mourn“ beschreibt, die Klagen einer Künstlerin. Sie spricht das „Imagination Age“ an, in dem alles möglich zu sein scheint. Und das Patriarchat, das zwischen den Kindern dieser Zeit und ihren Träumen steht. Drei weitere Seiten des Briefs erzählen über die Rolle, die Sevda Alizadeh in ihrem Schaffen eingenommen hat. Viel Trauer steckt in diesen lyrischen Zeilen, aber auch Akzeptanz und Hoffnung. Auch die „Darkest Hour“ erholt sich von anfänglicher Melancholie. „It’s a perfect world, I’am the perfect girl“ singt Sevdaliza erst unterlegt von Klaviertönen, dann von elektronischen Upbeats. „The darkest hour ist just before the dawn“ – ein Sprichwort, das betont, dass Dinge oft am schlimmsten wirken, bevor sie besser werden.
Yugen Blakrok – Picture Box
Bei Yugen Blakrok aus Südafrika dominiert ein gewisser Oldschool-Flavour. Die Beats auf ihrem aktuellen Album „Anima Mysterium“ stammen von ihrem Hausproduzenten Kanif The Jhatmaster, der Sound ist geprägt von experimentellem Boombap und einer Prise Punkrock. Yugens Stimme klingt tief und rau. Das Video zu „Picture Box“ zeigt mehrere, sehr divers gekleidete Menschen, die sich um einen roten Sessel und einen Röhren-Fernseher, die Picture-Box, bewegen. Textlich hat Yugen einiges zu verarbeiten, vor allem beobachtet sie, wie der Fernseher die Menschen in seinen Bann zieht. Dabei birgt diese Faszination auch Gefahren – „TV hosts invading living rooms like haunted houses, sewing words without content, spoken out of context.“ Ähnlich düster fällt auch das ganz frisch releaste Video zu „Gorgon Madonna“ aus.
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