Liebt deutschsprachigen Rap und Taylor McFerrin. In jeder freien Minute…
Nicht nur mit seiner Technik sorgt Def Ill immer wieder für regelrechtes Staunen, auch inhaltlich hat der Linzer viel Gehaltvolles mitzuteilen. Er geht schließlich dorthin, wo es wehtut – und greift in seiner Musik regelmäßig politische Sachverhalte auf, die das jeweilige gesellschaftliche Klima in Österreich prägen. Ein solcher Sachverhalt ist die sogenannte Flüchtlingskrise, zugleich Ausgangspunkt seines neuen Mixtapes „RAF“ („Refugees Ain’t Fugitive“), das mehr einer Dokumentation gleicht als einer bloßen Ansammlung von Tracks. Wie viel Stoff sein neues Werk für Diskussionen bietet, beweist das folgende Gespräch über Medienkritik, die Unterdrückung von Frauen und das skeptische Verhalten gegenüber neuen Mitbürgern. Dabei belässt Def Ill es aber nicht nur bei Worten, denn sämtliche Einnahmen aus dem Download kommen dem Verein Flucht nach vorn zugute, um Sprachkurse und Freizeitangebote für geflüchtete Jugendliche zu finanzieren. Live ist Def Ill im Rahmen der 20-Jahr-Feier von The Message am 10. Juni in der Grellen Forelle in Wien zu hören.
Interview: Julia Gschmeidler & Thomas Kiebl
Fotos: Daniel Shaked
The Message: Was regt dich derzeit am meisten auf?
Def Ill: (lacht) Ich bin mit der Gesamtsituation unzufrieden. Ich reg mich ja gar nicht mehr so oft auf, aber die letzten zwei Jahre, in denen ich die Platte gemacht hab, hab ich ständig Aggressionen gehabt. Diese Empathielosigkeit der Nation. Und dass Rechtssein wieder salonfähig geworden ist, solange man dazusagt, dass man ja nicht rechts ist, aber alle vergasen will.
Wann war das in den vergangenen Jahrzehnten denn mal anders?
Die Aggression war bei mir verschwunden, als ich letztens einen Typen mit Hang zum Rechtsextremismus kennengelernt hab. Danach hatte ich nur noch Mitleid mit ihm. Wenn man mal im echten Leben in einen Seidl-Film reinkommt und die volle Realität sieht, hat man irgendwie mehr Verständnis dafür, was Menschen dazu treibt, so hasserfüllt zu sein. Dadurch ist bei mir die Wut weg gewesen, die mich die letzten zwei Jahre gefressen hat.
Außerdem war da auch die Unfähigkeit der modernen Hipster-Linken, die Medien, die immer schlimmer geworden sind – zum Beispiel, dass sich ein ServusTV als rechtester Sender der Welt herauskristallisiert – der Umgangston der Medien, die, sobald es um Flüchtlinge geht, die Herkunftsländer und Religion betonen, wenn es kein weißer Christ ist. Die Gesamtsituation hat mich aufgeregt. Ich bin zu der Zeit Vater geworden und wir als Eltern waren jeden Abend auf 180, wenn wir auf Facebook geschaut haben. Populismus, Oberflächlichkeit, Dummheit, Parolen, kein sachlicher Kontext in Gesprächen. Das Schlimmste für mich war, dass der Diskurs komplett verloren gegangen ist. Es hat nur noch Hass auf Hass getroffen. Da wird man natürlich aggressiv. Und das hat mich angetrieben zu schreiben und zu rappen. Für die Leute, denen es genau so geht.
Ist ServusTV wirklich rechts, nur weil der Inhaber rechte Aussagen getätigt hat? Das ist dann doch auch wieder eine Verallgemeinerung, die du sonst immer so anprangerst?
Der Sender versucht zwar, sich anders darzustellen. Aber an der Art, wie Nachrichten berichtet werden, wie Moderatoren und Moderatorinnen mit Gästen umgehen, wie sie rechtes Gedankengut hervorheben … Und das geht an sämtliche Sender. Es wird jede Frage so gestellt, dass man zu der Conclusio kommt, dass der Islam falsch ist. Im Endeffekt wollen sie immer die muslimischen Aktivisten schlechtmachen. Man will es den Österreichern, denen die „Flüchtlingswelle“ nicht passt, recht machen mit dem Fernsehprogramm, anstatt einen sachlichen Diskurs zu führen. Das war immer nur ein Kratzen an der Oberfläche und ein Polarisieren und Provozieren für Einschaltquoten. Aber es ist nie um Fragen und Antworten gegangen. Es ist nur ins Feuer uriniert und masturbiert worden, um das Feuer zu schüren.
„Verbotsdebatten schüren nur Hass“
Welche Fragen sind das beispielsweise, die nicht behandelt wurden?
Wenn man über ein Kopftuchverbot diskutiert, dann sollte man das sachlich machen und nicht verallgemeinern. Das Kopftuchverbot ist für mich das heißeste Thema. Ich finde ein Verbot vollkommen falsch, weil es ein Einschneiden in eine herrschende Religionsfreiheit ist. Nur aus aktuellem Anlass kann man Menschen weder ein Kopftuch, noch eine Burka verbieten. Es gibt Musliminnen, die sich auch selbst dafür entschieden haben. Und solange es Individuen gibt, die einem Klischee widersprechen, kann man keine Thematik verallgemeinern. Ich kann nie sagen: ‚Jeder dieser Religion zugehörige Mann unterdrückt seine Frau.‘ Ich hab viele Freunde aus muslimischen Familien und diese so angeprangerte Unterdrückung herrscht dort nicht. Ich sehe das nicht in meinem Freundeskreis, was als Allgemeinsituation der ganzen Kultur verkauft wird. Solange ich das nicht sehe, werde ich mich straight gegen die Verallgemeinerung wehren. Ich finde es schön, dass die Menschen auf einmal auf Frauenbeschützer tun, aber ich finde es furchtbar, wenn die Menschen nur dann Frauen beschützen wollen, um ihren Hass zu legitimieren. Das ist ein Ablenken einer Thematik. Wie die Rechten auf einmal die großen Frauenbeschützer geworden sind, das war für mich die absolute Höhe. In der Realität werden verschleierte Frauen in Europa mittlerweile angespuckt und vor Bahnen geschubst. Zwangsheiraten, Burka-Zwang und Unterdrückung gehören definitiv kritisch betrachtet, aber diese Verbotsdebatten schüren nur Hass gegen das vermeintliche „Opfer“, das es zu verteidigen gilt …
Aber Religionskritik ist per se etwas Linkes. Wie stehst du dazu, wenn die Kritik von links kommt?
Ich bin grundsätzlich ein Mensch, der keine Religion repräsentiert, weil ich an jeder Kritikpunkte sehe. Aber ich bin auch nicht gegen Religion, wenn diese den Menschen was gibt, was sie woanders nicht finden. Viele Menschen ziehen Kraft aus Religion und sind immer glücklich, da bin ich echt neidisch (lacht). Aber es gibt immer Leute, die Religionen instrumentalisieren. Gerade beim Islam gibt es sehr viele Abspaltungen und die sollte man mal berücksichtigen, bevor alle, die hierherkommen, als Jihadisten bezeichnet werden können.
Wie stehst du zu den Mohammed-Karikaturen, die das französische Satiremagazin Charlie Hebdo gemacht hat? Da gibt es auch diese Diskrepanz zwischen Meinungsfreiheit und Verletzung religiöser Gefühle.
Ehrlich gesagt will ich mich da nicht über meine persönliche Ansicht äußern. Ich hatte einen Track dazu, der ist nicht auf dem Release, da hab ich sechs verschiedene Ansichten zu Charlie Hebdo gespittet und der Track war mir zu hart, ich hab mir den nicht releasen getraut. Ich find, es war zu einem Teil schon respektlos und zu absichtlich provozierend. Aber da bin ich der Einzige in meinem Kreis, da dort die meisten künstlerische Freiheit der Satire über religiöse Dogmen stellen.
Wie weit darf Satire denn gehen?
Die Frage werden wir nie beantworten können. Wenn wir uns zum Beispiel K.I.Z. anschauen: Die haben es als Einzige geschafft, dass linke Feministinnen daheim „Sexismus gegen Rechts“ hören und dann auf ein Rapkonzert in einem Kulturverein gehen und dort einen Rapper, der das Gleiche in Underground macht, verteufeln. Es wird meist gar nicht mehr separiert. Ich weiß echt nicht, wie K.I.Z. das geschafft haben, wahrscheinlich mit übertrieben viel Humor. Ich bin „nur“ gegen die ganz radikale Geschmacklosigkeit. Man sollte misanthrope legitimierbare Satire klar von faschistoidem und hetzerischem Humor separieren.
„Die Kronen Zeitung braucht diese Schein-Objektivität“
Du betonst auf deinen Tracks immer wieder, dass alle Zeitungen lügen. Selbst die Kronen Zeitung hat jedoch positive Meldungen gebracht, dass sich Menschen mit Flüchtlingen solidarisieren, Kleidung sammeln, Nahrungsmittel bereitstellen.
Ich glaube, dass gerade die Kronen Zeitung da sehr tricky ist. Sie müssen das machen. Die Krone kann nicht nur negative Sachen zu Refugees bringen, dafür ist sie zu groß. Sie braucht diese Schein-Objektivität, um weniger angreifbar zu sein. Es ist gut, dass sie das auch berichtet, aber das Problem daran ist, dass die Krone auch sehr viele Artikel gedruckt hat, die furchtbar geschrieben waren: Vergewaltigungsfälle, die gleich am nächsten Tag von Frauen revidiert worden sind. Solche Fälle führen dazu, dass echte Vergewaltigungsopfer an Authentizität verlieren und das ist ein großes Problem. Bei sowas sind die Krone und diese Gratisschundblätter immer am schnellsten, bevor die Fakten eintreffen und das kann man kaum abstreiten. Die Krone wird ständig verklagt und muss Dinge revidieren. Klar ist es für ein Medium schwierig, schnell zu beurteilen, aber nur weil sie manchmal was Positives schreiben, würde ich sie nie in einen positiven Kontext setzen.
Was ich so kritisier an Medien: beim Fernsehen die Einschaltquoten, bei Zeitungen die Käufer, bei Gratis-Zeitungen die Promomaschinerie. Machen wir es allen recht, aber fahren wir unseren Film. Man merkt schon die politische Einstellung der Redaktion. Dem sollte nicht so sein. Aber mir ist auch klar, dass das wegen der Schnelllebigkeit fast unmöglich ist. Da wäre ich dann für einen JournalistInnen-Führerschein. (lacht)
Lösungen für komplexe politische Themen können nur gefunden werden, wenn zwei konträre Seiten aufeinander zugehen und in einem harten Diskurs versuchen Lösungen zu finden. Das heißt, du brauchst eine Gegenseite, um überhaupt weiterzukommen …
Was ich spezifisch kritisieren möchte, ist die Gewalt der Rechten, wobei sie Linken immer so orge Gewalt unterstellen, während die steigende Anzahl von Anschlägen auf Flüchtlingsheime und Ausschreitungen nach Demonstrationen eindeutig aufs Konto der Rechten gehen, worauf sich der Track „Bürgerkrieg“ bezieht. Nach einer längeren Diskussion mit Steril One ist der Track „Unitopia“ auf der Platte entstanden, es war ein Diskurs über moderne Rechte, NWO-Gegner, die sich jetzt mit Nationalismus sympathisieren. Wir sind dann auf die moderne Linke gekommen. Ich komm aus einer ökonomisch kritischen Linken, die eine Haltung gehabt hat. Das Problem sind viele neue Leute, die ‚Refugees welcome‘ brüllen, aber gar nicht mitreden können, weil ihr einziger Lebensinhalt ist, eine Gegenseite zur Rechten darzustellen und sie sonst keine Interessen mehr verfolgen. Das schwächt aber die Linke zunehmend, weil es nur noch ein Gegenpol ist und keine Substanz mehr hat. Wenn man Substanz hat, kann man auch Diskurs führen, so wie wir anfangs über das Kopftuchverbot debattiert haben, gibt es hunderte Aspekte, die man erwähnen muss, um auf einen grünen Zweig zu kommen. Es gilt, ein Thema reflektiert anzugehen und von allen Perspektiven respektvoll auszuleuchten, um Lösungen zu erzielen.
Abgesehen von dir und Kid Pex gab es in der HipHop-Szene nur ganz wenige, die sich dezidiert zu der Flüchtlingssituation geäußert hat. Kannst du dir erklären, warum das so ist?
Weil es zu schwierig geworden ist. Es war früher einfacher, einen politischen Track mit ein paar Verschwörungstheorien zu spitten und zu sagen, dass 9/11 eine Lüge ist. Das war einfach und man ist von der Crowd gefeiert worden, weil die auch so denkt. Dann war auf einmal eine Situation, die ganz Europa, wenn nicht die ganze Welt überfordert hat. Da haben Rapper, die normalerweise ein paar Punchlines schreiben, ein Problem damit, selbst wenn sie sehr belesen sind und bei Demos mitgehen. Das war zu viel bei den Leuten. Deswegen ist es bei mir ein ganzes Release geworden, ich hätte es nie bei dem Track „Zeltstädte“ belassen können.
Was ist zu viel daran, den Mund aufzumachen und zu sagen, dass man so nicht mit Menschen umgehen kann?
Sie waren nicht fähig dazu, es lyrisch zu verpacken. Ich kann ihnen schon unterstellen, dass sie alle Wixer sind, weil sie mich anfangs alleine gelassen haben, bis ich einige eingeladen habe (lacht). Man darf auch Leute wie Texta und T-Ser nicht vergessen, erstere haben auch sofort reagiert auf ihrem „Nichts dagegen, aber…“-Album und zweiterer rappt ständig über seine Identität als Mensch mit afrikanischen Wurzeln in Österreich.
Hättest du dir erwartet, dass ein Ruck durch die Szene, die sich ja doch als linke Jugendkultur positioniert, geht?
Beim Rap hat man gemerkt, dass nicht jeder, wo man geglaubt hat, dass er dieselben Werte vertritt, dies auch wirklich macht. Gerade Absztrakkt ist ein gutes Beispiel, ich hab den Satz „Wenn ich für dich nur ein Nazi bin, bist du für mich nur ein Jude“ damals anders verstanden wie nach dem nationalistischen Rap auf seiner neuen Platte. Auch die linken Rapper, die sich normalerweise geäußert hätten, waren einfach ohnmächtig. Es passiert einfach zu viel. Man weiß ja auch nicht, was wirklich in Köln passiert ist. Darum hab ich den Song „Jo daun red ma“ gemacht, da hab ich jede Woche acht Zeilen nach meinem neuen Wissensstand gerappt. Zu hören ist es jetzt einfach als Song, aber der Song ist aus verschiedenen Perspektiven und hat sich über die Zeit immer mehr aufgebaut.
„Es gibt auch bei uns Unterdrückung!“
Wie bist du auf das Konzept zu „Weisse san Scheisse“ gekommen? Der Titel ist provokant gewählt.
„Weisse san Scheiße“ ist mein Lieblingstrack auf der Platte. Ich habe den aber nur so genannt, damit ihn mehr Leute anklicken. Weil er eine extrem gelungene Nummer ist, in der ich exakt den spezifischen Unterschied zwischen Dschihadismus und Islam im Allgemeinen erkläre. Die Differenz zwischen radikaleren Auslegungen und dem Nachbarn, der nur den Koran liest. Deswegen habe ich dem Track den möglichst plakativsten Titel gegeben. Damit man den Track genau hört und das Gesagte analysiert. Ich will ja gar nicht sagen, dass alle weißen Menschen schlecht sind. Es gibt in jeder Kultur gute und schlechte Menschen. Es wird gerne gesagt: Das arabische Wertebild ist falsch, unseres ist richtig. Weil bei uns angeblich keine Frauen unterdrückt werden. Aber es gibt auch bei uns Unterdrückung! Wir unterdrücken Frauen konkret mit häuslicher Gewalt, in der Wirtschaft, noch immer gibt es keine gleiche Bezahlung. Die Forderungen aus den 90er-Jahren müssen endlich durch- und das alte Volksbegehren umgesetzt werden. Auch gesellschaftlich gibt es viel zu verbessern: Wenn ich an die Mädchen denke, die an Bulimie erkranken, weil ihnen ein bestimmtes Schönheitsideal von der Gesellschaft vorgegaukelt wird. Dieses Wertebild bei uns ist genauso unterdrückend, nur auf einer anderen Ebene. Man muss sehr kritisch gegenüber dem Patriachat stehen – in jeder Kultur. Wir sollten aber zuerst vor unserer eigenen Haustüre kehren, bevor wir andere kritisieren. Oder gleichzeitig alle kritisieren und global anstatt regional denken.
Dieses globale Denken wäre auch in der sogenannten „Flüchtlingskrise“ notwendig. Man muss hinterfragen, was sie uns gelehrt hat. Das thematisiere ich auf der Platte. Diese war absehbar aber hat zunächst keinen interessiert. Und dann war es zu spät. Man muss einfach absehen, wo demnächst etwas passiert. Demnächst werden auch einige Kurden und Kurdinnen kommen, weil Kurdistan brennt. Aber wie wird darauf reagiert werden? Wahrscheinlich mit Zäunen. Aber man darf nicht vergessen: Die Regierung handelt so, wie es von einem Großteil der Bevölkerung verlangt wird. Die Bevölkerung muss aufgeklärt werden, was eigentlich die Aufgabe der Medien wäre. Aber alle Seiten haben darin versagt, in dem sie das Leid der Menschen als Instrumentalisierungsprozess missbrauchen.
Hast du einen Vorschlag, wie Europa auf die nächste Flüchtlingskrise, die sich absehbar zeigt, reagieren soll?
Nicht wirklich. Aber ich bin kein Politiker. Ich mache selber einen politischen und geistigen Entwicklungsprozess durch. Deswegen sage ich nicht, dass ich eine Lösung für das Problem habe. Es gibt aber viele ambitionierte Leute, die dieses Thema aufgreifen und gute Ideen haben und wahrscheinlich müssen wir beim Wording beginnen und nicht mehr von Krisen sprechen, sondern von Lösungsvorschlägen!
Hier spielt die Zivilgesellschaft eine wichtige Rolle, die schon während der Flüchtlingskrise im Sommer 2015 viele Aufgaben des Staates übernommen hat.
Definitiv. Ich finde es schade, dass dieser „Hype“ nachgelassen hat. Den Leuten ist irgendwann leider die Energie ausgegangen und die wenigen, die noch immer aktiv sind, bekommen kaum Unterstützung.
Gibt es eine Belastungsgrenze innerhalb der Bevölkerung?
Die darf es schon geben. Aber zuerst müsste viel in und mit der Bevölkerung diskutiert werden. Einen Wert willkürlich festzulegen, wäre auf jeden Fall falsch. Umverteilung von Kapital würde aber realistische Lösungsvorschläge bringen.
„Nestlé kann man von Österreich aus nicht stürzen“
Wie soll die Umverteilung aussehen?
Die Umverteilung sollte nicht nur bei den Multimillionären, die zwei Prozent der Bevölkerung ausmachen, aber 90 Prozent des Vermögens besitzen, greifen. Sondern auch bei denen, die etwas weniger verdienen als diese Multimillionäre. Wobei eine stärkere Besteuerung der Mittelschicht zwar möglich und sinnvoll wäre, aber auch Probleme mit sich bringen würde. Oft wird es am Verständnis dafür mangeln. Beispielsweise dass jemand, der 2600 Euro verdient, weil er hart arbeitet, einen höheren Teil abgeben muss, um andere damit zu versorgen. Vor allem wird er das nicht verstehen, wenn er zu einer rechten Einstellung tendiert. Aber ich sehe ein verbindendes Element bei rechts und links – beide kritisieren die Reichsten, die viel mehr haben als alle anderen. Die Reichen müssen selbst den ersten Schritt machen und für Umverteilung sein. Und die sogenannten „volksnahen“ Parteien müssen endlich stärker für die Besteuerung von Großkonzernen eintreten.
Das kann aber nur EU-weit funktionieren.
Sicher. Nestlé kann man von Österreich aus nicht stürzen. (lacht) Die verfügen über die besten Anwälte der Welt. Die Rechtsprechung könnte jedoch durchaus etwas bewirken. Leider gibt es neben vielen guten auch viele schlechte Richter. Das hängt alles zusammen und ist sehr komplex zu betrachten. Aber es gibt erste Schritte, die einen weiteren Diskurs ermöglichen würden. Diese Entwicklung zeichnet sich auch in meinem Release ab: Zunächst habe ich Rechte als Idioten beschimpft – und am Schluss keine einzige Beleidigung mehr gebracht. Ich wollte den Track „Die Mitte“ sogar „Kornblumengerechtes Intro“ nennen. (lacht)Weil ich da nichts Beleidigendes sage. Aber das habe ich dann wieder so überheblich gefunden gegenüber den Rechten. Weil die Rechten hassen an uns, dass wir uns gegenüber ihnen überlegen fühlen. Und wir hassen an den Rechten, dass sie sich als Weiße gegenüber anderen Kulturen überlegen fühlen. Dass ein sinnvoller Diskurs stattfindet, ist daher besonders wichtig.
Im „Intro“ ist Anja Reschke vom Norddeutschen Rundfunk zu hören, die meinte, man sollte sich empören über radikale Äußerungen von Rechten. Aber auf einem anderen Track meinst du, man sollte selbst radikaler werden. Wie ist das zu verstehen?
Das ist bei mir anders gemeint, nämlich zu Selbstverteidigungszwecken. Ich sage: ‚Ich schätze, wir müssen auch ein bisschen radikaler werden‘ – mit einem lachenden Ton. Weil ich im Track zuvor sage, dass sich die Rechten schon für den Bürgerkrieg bewaffnen und wir nur darüber lachen. Aber wenn die Ersten rausgehen und anfangen, auf einer Studentenparty auf Gutmenschen zu schießen, anstatt Möchtegern-„Performancekunst“ zu inszenieren, ist es zum Bürgerkrieg nicht weit.
„Vergewaltiger und die Pädophilen sind für mich die Todfeinde“
Bist du grundsätzlich für eine Politik der „offenen Grenzen“?
Ja, schon. Aber da gibt es viele Aspekte, die man berücksichtigen muss. Ich will mich nicht zu diesen Fragen konkret äußern, weil ich keine Antworten darauf habe. Aber trotzdem bin ich gegen eine Politik der geschlossenen Grenzen. Grenzen verschließen ist das Schlimmste – weil der Mensch prinzipiell das Recht hat, ein anderes Land zu suchen um dort zu leben, wenn das Leben in seinem Heimatland nicht sicher ist. Oder aus wirtschaftlichen Gründen, wenn es zum Beispiel in deinem Land nicht möglich ist, leistbar zu leben, nur die Gesetze sind zu ambivalent. Siehe zum Beispiel Dublin vs. Menschenrechtskonvention.
Da gibt es so viele juristische Widersprüche. Die gibt es auch in meiner Platte. Aber die sind menschlich. Ich wollte die Platte nicht als perfektes politisches Handbuch gestalten. Ich konnte auch kein freiwilliger Helfer sein, weil ich Vater geworden bin. Mein Leben hat das nicht zugelassen, ich konnte mich nur mit Sachspenden beteiligen. Mein Mittel zum Widerstand war immer Rap. Das Leid der Menschen macht mich verrückt, deswegen mache ich Musik und so eine Platte wie „RAF“. Die kannst du deinen Freunden und Freundinnen, die schon zu Rechts tendieren, zeigen und vielleicht ein Umdenken anstoßen. Das positive Feedback auf „Zeltstädte“ war dahingehend sehr motivierend und brachte mich dazu, mehr zu dem Thema zu machen. Gleichzeitig muss ich mir bei allen politischen Songs meine Privilegien bewusst machen: Ich bin ein weißer, heterosexueller Mann. Ich kann gar nicht richtig über Unterdrückung sprechen, ich habe keine Erfahrungen in dieser Hinsicht. Das finde ich bei vielen Aussagen seltsam. Wenn Männer über die Ängste von Frauen sprechen und glauben, sie könnten sich mit Ängsten von Frauen identifizieren. Es muss einfach mehr umgedacht werden. Man kann sich nicht in jeden hineinversetzen, nur sie in ihrem Kampf unterstützen. Und das wollte ich mit der Platte machen. Die sollte ein Gegenpol sein – gegen alle Vorurteile. Eigentlich wollte ich „Weisse san Scheisse“ gleich nach den Terrorattentaten bringen, aber dann dachte ich mir: ,Es ist zu früh, die Leute würden das nicht verstehen‘. Ich habe immer weiter an der Platte gearbeitet, die nun eine Dokumentation ist. Und jedem Individuum ist überlassen, was er mit der Platte anfängt. Ich wollte kein simples „Refugees Welcome“-Album machen, sondern verschiedene Aspekte thematisieren. Auch Vergewaltigungen in Flüchtlingsheimen, wo Geschlechtertrennung meines Erachtens notwendig ist. Und gleichzeitig betonen, dass ich Vergewaltigungen in keiner Kultur legitimiere. Die Vergewaltiger und die Pädophilen, die sind für mich die Todfeinde. Alles schwere Thematiken, die erklären, warum ich mir für das Album zwei Jahre Zeit gelassen habe, um nichts Naives zu releasen. Kein wichtiger Punkt darf ausgelassen werden oder nur unreflektiert belichtet werden.
„Klischees stehen über allem“
Du meintest in unserem letzten Interview, dass dir nichts wichtiger ist als Rap mit Message. Siehst du das heute noch genauso?
Ja, aber nicht nur. Es muss Rap mit Message geben, damit die anderen Spielarten eine Existenzberechtigung erhalten. Ein Rapper hat schließlich schon viel Macht. Er hat in kurzer Zeit mehr Delivery als jeder Sänger, er kann in fünf Minuten mehr sagen als jeder andere Musiker. Darum finde ich es wichtig, dass der Rapper seine Message auch nutzt, wenn er sie hat. Ich bin aber dagegen, dass Rapper, die unreflektierte Ansichten haben, eine Message droppen. Das ist jedoch kein immerwährender Zustand, Menschen können ihr Bewusstsein erweitern und sich ändern. Ich bin ein Beispiel dafür. Ich war früher furchtbar (lacht). Jetzt werde ich von manchen als Vorbild betrachtet. Aber ich will gar nicht heroisiert werden, da Heroisierung in direktem Kontrast mit meinen Ansichten beziehungsweise Equality steht! Ich hasse es auch, wenn Leute mich Stimme der Refugees nennen, obwohl Refugees selber Stimmen haben, nur man hört sie kaum, weil sie der Öffentlichkeit ferngehalten werden und ihnen keinen Plattform geboten wird. Ich mache das schließlich nicht für mich, sondern als Solidarität für alle Menschen, denen Leid widerfährt.
Und da geht es wieder um die Position. Ich als weißer, heterosexueller Mann: Worüber soll ich reden? Unterdrückung als am wenigsten unterdrücktes Konstellation der Menschheit? Das war ein wiederkehrender innerer Gedankenprozess, der mich fast darin gehindert hat, die Platte zu vollenden. Aber dann meinten einige in meinem Freundeskreis, dass ich gerade diese Position nutzen kann, um auf das Leid anderer aufmerksam zu machen. Das hat mich motiviert und ich halte es für ganz besonders wichtig, in Zeiten wie diesen Zeichen zu setzen.
„RAF“ ist vor allem stark vom Anliegen durchdrungen, Vorurteile entkräften zu wollen …
Das war am wichtigsten. Klischees stehen nämlich über allem – und doch sind die alle widersprüchlich: So heißt es zum Beispiel auf der einen Seite, Flüchtlinge klauen uns die Jobs, auf der anderen Seite sind Flüchtlinge aber alle arbeitsfaul. Je nach Statistik wird die Meinung geändert. Das ist für mich schon dumm, Schrägstrich unreflektiert. Aber nach „RAF“ werde ich für eine längere Zeit nicht mehr politische Tracks, sondern wieder ein paar Punchlines droppen – für meine Hörer und Hörerinnen, die mich von „I gib kan Fick“ kennen. Ich bin in dieser Hinsicht ebenfalls eine konträre Persönlichkeit, wie fast alle Rapper. Seitdem ich zwei Töchter habe, entwickle ich mich jedoch in eine Richtung, bei der das Überleben des Globus und Nachhaltigkeit wichtiger sind als ein paar coole Punchlines, was nicht heißt, dass ich nicht beides weiterverfolgen werde.
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Liebt deutschsprachigen Rap und Taylor McFerrin. In jeder freien Minute verbessert sie, hievt Beistriche wieder auf ihren richtigen Platz und hält die ganze Bande mit liebevoller Strenge zusammen. Nach dem Dienst im KURIER-Newsroom hört sie dann eine Zugezogen-Maskulin-Platte zum Einschlafen.