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Keine große Kunst: „Testing“ von A$AP Rocky // Review

Keine große Kunst: „Testing“ von A$AP Rocky // Review

(A$AP Worldwide/Polo Grounds Music/RCA Records/VÖ: 25.05.2018)

Knappe zehn Jahre hat es gedauert, bis A$AP Rocky jenen berüchtigten Satz fallen ließ, der sonst arrivierteren Genrevertretern nach der künstlerischen Midlife-Crisis vorbehalten ist. Gegenüber GQ meinte Rocky im Oktober, dass er auf seinem neuen Album nicht bloß rappe, sondern tatsächlich Musik mache. Worte, die man von A$AP Rocky aber irgendwann einfach erwartete. Da bei ihm der Hang, sich nicht auf die Rolle eines Rappers limitieren zu wollen, seit Anbeginn seiner Karriere besteht.

Das Verlangen nach Anerkennung zieht bei ihm deswegen auch ungewöhnlich weite Kreise. Rocky drängte als Marke mit Nachdrang in die Mode- und Kunstszene. Dort, wo Klassismus und Rassismus nicht nur hinter verschlossenen Türen stattfinden. Dort, wo es einem afroamerikanischen, aus ärmlichen Verhältnissen stammenden, ehemaligen Crackdealer ungemein schwerfällt, Fuß zu fassen.

Nun ist das A$AP Rocky aber zum Teil gelungen. Für die 2016er Herbstkollektion des französischen Luxuslabels Dior Homme mimte er das Aushängeschild, sein Style wird millionenfach imitiert, Fashionblogs in aller Welt haben längst einen Narren am kommerziellen Oberhaupt des A$AP Mobs gefressen. Und die noch viel versnobtere Kunstszene? Ist noch nicht ganz in seinem Bann, aber den Release seines neuen Albums „Testing“ zelebrierte er auf eine Weise, die mit Rapalben der gewöhnlichen Art selten in Verbindung gebracht wird und den gemeinen Kunstleuten gefallen dürfte.

Präsentiert wurde das Album nämlich mit einer Performance Art in der Zentrale des weltbekannten Sotheby’s-Auktionshaus in New York, womit er sich der „hohen Kunst“ ein weiteres Mal annäherte. „Lab Rat“ nannte sich die Performance, die live via YouTube rund um den Globus verbreitet wurde. A$AP Rocky trat darin als Gefangener in einer Glasbox auf; eine Metapher für das Gefühl großer Beunruhigung, das er in der Zeit vor „Testing“ verspürte. Doch seine Performance sollte nicht die Sicht auf das Wesentliche, die Musik, verstellen. Die soll endlich als das begriffen werden, wonach er vehement trachtet: als hohe Kunst.

Kara Walker, Kehinde Wiley, Kerry James Marshall, David Hammons oder Hank Willis Thomas ist daher die Riege, zu welcher Rocky künftig dazuzählen will. I’m the greatest contemporary artist of all-time“, meinte dieser auch vor nicht allzu langer Zeit.  Das alles dank einer Art Musik, die frei ist von Berührungsängsten zu anderen Genres. Das neue Album soll nun die bislang stärkste Rapemanzipation darstellen und sich in gänzlich neuen Sphären bewegen. Er habe unglaublich viel experimentiert, verkündete er im Vorfeld. Nachdem sein stilsicheres Auftreten ihn zur Modeikone machte, war es durchaus plausibel, dass Rocky mit dem gleichen Ethos nun auch die sehnsüchtig herbeigesehnten Lorbeeren in der Kunstszene einheimst. „Testing“ soll als Kunstwerk begriffen werden. Eine Prämisse, wie ein Damoklesschwert über das Album schwebend.

„Testing“ beginnt dabei höchst appetitlich: „Distorted Records“ überzeugt durch verzerrtem Basssound und hartem Drum-Set, über die Rocky nicht nur der Exfreundin eine Zeile mitgibt, sondern auch Trump im Visier hat. „Everything I do groundbreak“, rappt er bereits im Opener. Eine Zeile, die man ihm sofort abkauft, so bedeutsam klingt „Distorted Records“, obwohl lyrisch A$AP Rocky keinerlei Bedeutsamkeit dem mächtigen Beat entgegenstellt. Der Sound nimmt die ganze Aufmerksamkeit für sich in Anspruch. Das Gefühl wiederholt sich beim folgenden „A$AP Forever Remix“, auf dem weder A$AP Rocky noch Kid Cudi dem Song Konsistenz verleihen können. Diese Rolle kommt hier Mobys „Porcelain“-Sample zu, das in seiner ganzen Opulenz unangenehm zahnlos wirkt.

Viel besser gefällt hingegen „Tony Tone“ mit Puff Daddy im Schlepptau: Auf einem Beat mit dreckigem Gitarrenriff im Zentrum schildert A$AP Rocky gewohnt selbstsicher, wie egal ihm all seine Hater und Neider sind: „I could give a fuck about a list, ya heard?/I could give a fuck about a diss, ya heard?“, heißt es so in der Hook. Unter den Augen von Puff Daddy, der ein paar Wortspenden zum Song beiträgt, fährt Rocky zu seiner stärksten Rapleistung auf „Testing“ auf, die mit einer Referenz an „My Mic Sounds Nice“ von Salt-N-Pepa geschichtsbewusst beginnt.

Doch nach einem starken Song lässt A$AP Rocky immer wieder einen schwachen folgen: Auf „Fukk Sleep“ mit der zwar pittoresk singenden, aber gnadenlos verschenkten FKA twigs (M.I.A. kennt das Gefühl) rappt A$AP Rocky fast im Halbschalf, während er sich danach auf „Praise the Lord (Da Shine)“ mit Skepta wieder wacher zeigt: Rasselnde Hi-Hats, dominantes (sehr dominantes) Flöten-Sample aus „Rome: Total War“ und DMX-Anleihen in der Hook sowie in den Rapparts – das sitzt und lässt locker darüber hinwegsehen, dass hier Style klar Vorrang vor Inhalt hat.

Eingeläutet mit „Calldrops“ nimmt die Anzahl an Highlightmomenten im Verlauf des Albums jedoch stark ab. Das Beste an „Calldrops“ ist das Sample aus Scarfaces „Money and the Power“ in der Gebrauchsversion der ewig unterschätzten Memphis-Legende DJ Squeeky. Der Rest ist Einschlafmaterial, was nicht nur am reduzierten Beat mit heiterer Gitarre aus Dave Bixbys „Morning Sun“ liegt. A$AP Rockys „Fukk Sleep“-Credo bleibt auf „Calldrops“ bestehen und die Idee, dass der inhaftierte Kodak Black seinen Part via Telefon abliefert, klingt nur in der Theorie aufregend. Kodak Black ist insofern ein bemerkenswertes Feature, da A$AP Rocky sich vor Kurzem noch um eine Distanzierung von A$AP Bari, dem ähnliche Schandtaten vorgeworfen werden wie jene, die Kodak Black hinter Gitter brachten, bemühte. Doppelmoral? Egal, wenn die Kunst es will.

Das bassstarke „Gunz n Butter“ gefällt dann zwar durch seinen starken Memphis-Bezug mit Samples der Memphis-Kapazunder Tommy Wright III und Project Pat sowie Features von Juicy J und Project Pat, funktioniert aber als Song nur bedingt, da alles als zu chaotisch zusammengewürfelt wirkt. Das trifft auch auf die äußerst persönliche und thematisch spannende Nummer „Changes“ mit Charles-Bradley-Sample zu. Dem Track, der vom Gefühl persönlicher Veränderungen in Liebesbeziehungen handelt, fehlt schlichtweg eine klare Linie, das Drumherum verstellt viel zu sehr den Blick auf die eigentliche Essenz dessen, was Rocky hier ausdrücken will.

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Ein Durcheinander der gleichen Art ist auch der Abschlusstrack mit Rappart von Frank Ocean und Sample von Lauryn Hill, „Purity“: Textlich durch eine starke persönliche Schlagseite interessant, aber musikalisch macht die Nummer mit Akustikgitarre den Eindruck, als hätte man sich nicht für eine Idee der musikalischen Umsetzung entscheiden können und stattdessen alles in einem Topf geworfen. Ungemein wirr. Als einzig wirklich gelungener Track steht auf der zweiten Hälfte des Albums nur „OG Beeper“ auf der Habenseite, das wieder einmal durch die Sampleauswahl (bei Tommy Wright III und 2nd Family geht jedem Südstaaten-Puristen das Herz auf) und durch den bösen Kopfnickerbeat, an dem unter anderem die Berliner Electro-Größe Boys Noize beteiligt war, besticht. Purer Style, der ruhig noch ein paar Sekunden länger anhalten hätte dürfen. Und das alles trotz der ziemlich törichten Line „My whole life I just wanted to be a rapper/Then I grew’d up and the boy became a rapper“ (dazwischen war nichts?) zu Beginn. Doch wie an so vielen Stellen des Albums wurde auch hier eine falsche Entscheidung getroffen.

Den Stempel des Experimentellen kann man „Testing“ nicht ganz abstreiten, zumindest, was die Songstrukturen anbelangt. Das Rad wird hier dennoch sicher nicht neu erfunden. „Testing“ ist in erster Linie ein zu viel an allem: Das fängt bereits mit den Effekten an, die auf Rockys Stimme übergestülpt werden. Autotune hier, heruntergepitcht da, und Reverb noch obendrein. Rücksicht, ob das zur jeweiligen Stelle passt? Fehlanzeige. Dass textlich nicht viel bei einem A$AP-Rocky-Relase hängenbleibt, ist zu verschmerzen. Er hat andere Qualitäten, die vor allem die Wahl der Instrumentals betreffen. Doch auch die teils psychedelischen Beats lassen diesmal oft aus. Das Soundbild wirkt unentschlossen, zumeist gefallen nur die vielen Referenzen und Samples. „Testing“ ist das erste Album, das ohne die prüfenden Ohren von A$AP Yams veröffentlicht wurde. Leider hört man das.

Fazit: Mit „Testing“ wollte A$AP Rocky ein Kunstwerk schaffen, ein mittelmäßiges Rapalbum ist es schließlich geworden. Einige Tracks wie der Opener, „Tony Tone“ oder „Praise the Lord (Da Shine)“ holen einen uneingeschränkt ab. Doch auf der zweiten Hälfte verflacht das Niveau, das Album verliert sich in Belanglosigkeiten. Man weiß zwar, wo Rocky mit diesem Album hin will. Aber in jene Zirkeln der Kunst, in denen er sich auf der Releaseparty zu „Testing“ bewegte, schafft es das Album nicht.

2,5 von 5 Ananas