Einige alte Bekannte und das ein oder andere frische Gesicht vereint das neue Austro Round-up. Die vergangenen zwei Wochen bieten auf Release- und Singleebene ein abwechslungsreiches Programm.
Text: Simon Nowak & Hilde Mayer
Releases
Big J – Retro Future
Der Name „Retro Future“ ist Programm: Big J möchte sein viertes Album musikalisch in keine Schublade stecken lassen, Altes und Neues verbinden. Produziert von Typho, bewegen sich die Tracks flüssig zwischen 808s und Sample-Sound, gepaart mit Rap und Singsang. Auch textlich sorgt der Linzer für Abwechslung. Zu laidback gerappten Representer-/Prahler-Nummern gesellen sich einige Tracks, mit denen er diverse persönliche Geschichten und Emotionen verarbeitet. Dass Big J kürzlich bei FM4 Tribe Vibes „Papa“ als seine bisher deepste Nummer bezeichnete, kommt nicht von ungefähr. Er rappt über seinen verstorbenen Vater, der zu Lebzeiten nie da war – und ihm damit letztlich einiges für die eigene Vaterschaft mitgegeben hat. Sehr emotional ist auch „Leerer Blick“ mit Gesangshook von Jamin, dem einzigen Featuregast des Albums, wo es um die Trennung nach einer langen Beziehung geht. Aus einem anderen Grund sticht „Spinner“ heraus. Es ist der einzige Track, bei dem Big J auf Mundart rappt.
Cimon Finix – Bes Bes Bes
Neben dem Schauspielern weiterhin musikalisch aktiv ist Cimon Finix, einigen noch bekannt als Smaug von der Crew MA 21. Nach einigen Soundcloud-Tracks ist die „Bes Bes Bes“-EP die erste „richtige“ Soloveröffentlichung des Wiener Rappers und Produzenten – und damit ein erfüllter Traum. Die Texte der beiden Rap-Tracks stehen klar in Verbindung mit dem Lockdown, der Hassliebe zu den eigenen vier Wänden und den darin durchlebten Kreativitätskrisen. Der Titel, die Tracknamen und Voice-Einwürfe wie „Heast oida, i was ned wo i bin“ sind gesammelte Aussagen aus der „San City“, dem Strebersdorfer Umfeld von Cimon Finix. Eintönig wird’s aber nie, die Beats fallen stark gelayert und oft trippig aus, versammeln zahlreiche weitere Vocal-Samples.
Als Orientierungspunkte dienten neben den Wiener Beat-Größen Brenk, Saiko und Fid Mella auch US-Acts wie EL-P, Cannibal Ox und aktuell besonders JPEGMAFIA. „Deren Beats und Texte haben mich schwer beflügelt und beeinflusst. Mich hat es immer schon fasziniert, wenn Menschen Musik machen, die ich beim ersten Mal nicht komplett erfassen kann und deshalb immer wieder hören will. Ich liebe Produktionen (und Texte) mit vielen Layern. Darauf hab ich mit „Bes Bes Bes“ abgezielt“, sagt Cimon Finix gegenüber The Message zur EP. Mit MA 21 werkelt er aktuell übrigens auch wieder an neuen Tracks.
Skofi & Skyfarmer – 0.03
Zwischen melancholischen Sounds und härteren Beats liefern Skofi & Skyfarmer mit „0.03“ den krönenden Abschluss ihrer EP-Trilogie. Skofi singt und rappt bei den drei neuen Songs wie gewohnt auf Skyfarmers LoFi-Beats – oft eher sanft, fast melancholisch, auf „Nachtschicht“ werden dann aber auch härtere Töne angeschlagen. Es entstehen laid-back Sounds, die zum Entspannen und Verweilen einladen und die perfekt an die Vorgänger „0.01“ und „0.02“ anschließen.
„Hätte es vorher nicht gedacht, doch unsere Kombi ist Magie“ singt Skofi im Abschlusstrack „Zähne & Blut“ und besser könnte man ihr Zusammenspiel mit Skyfarmer wohl kaum beschreiben. Das Ende der Drei-Track-EP dürfte noch lange nicht das Ende der Zusammenarbeit der beiden Acts bedeuten – gut so.
Lawrenco – Repetitive Beats
Eigene Beats, eigene Vocals, eigenständiger Sound und viel Attitude – Lawrenco deutet ab dem ersten Track seiner Debüt-EP „Repetitive Beats“ an, sich musikalisch und textlich vom Playlist-Einheitsbrei abheben zu wollen. Lieber die Musik machen, auf den man auch wirklich Lust hat, denkt sich der Wiener Musiker wohl – und das hört man.
Neben Kopfnicker-Sound gehen Lawrenco Beats auch mal tief in Synthwave- und Techno-Sphären hinein und bieten feine Vorlagen für seine Vocals. Während anfangs Punchlines dominieren, folgen Nightlife-Hommagen und einige emotionalere Texte. Lawrencos Lines mögen teils roh und hingerotzt klingen und einen manchmal zum Schmunzeln bringen, doch wirken zu jeder Zeit authentisch und haben ihren Reiz. Mit „909“ ist Anfang Juni nach „Elton John“, „Neon City“, „Chill“, „Never“ und „Auf 100“ bereits die sechste Videoauskopplung der Zehn-Track-EP erschienen.
Singles
Azman – Nacht, Tränen und Tod (Shaw u Grian u Marg)
„Im März 1991 flohen hunderttausende Kurden aus ihrer Heimat. Darunter meine Eltern und ich. Dies ist unsere Geschichte“, schreibt Azman zum Track „Nacht, Tränen und Tod (Shaw u grian u marg)“. Der Wiener Rapper, der die Flucht vor den Truppen des Diktators Saddam Hussein als Kleinkind miterlebt hat, rappt dabei erstmals größtenteils auf Kurdisch, wobei einige deutsche Lines und im Video englische Untertitel ergänzen. Als textliche Basis dient ein Gedicht über die Flucht und die damit einhergehenden Umstände, verfasst von seinem Großvater Hasib Qaradaxi – einem der bedeutendsten Dichter und Schriftsteller im kurdischsprachigen Raum. Entsprechend emotional fällt das Ganze aus. Auch weil Azman begleitend Videoarchive durchgesucht hat und einige Szenen aus dieser Zeit zusammengetragen hat. Er möchte das Video allen Menschen widmen, die ihre Heimat aufgrund eines Krieges verlassen mussten: „Ihr werdet nie Vergessenheit geraten. Wir Menschen streben nach Freiheit und Frieden. Also lasst uns in Frieden leben“. Dem gibt es nichts mehr hinzuzufügen.
Svaba Ortak – Illusion (Part III)
Erst kürzlich im Trio mit Orychinal und Seila in Erscheinung getreten, switcht Svaba Ortak nun wieder in Solosphären. Als dritte Auskopplung seines für 02. Juli angekündigten Albums „Atlas Oder Nada“ präsentiert der Rapper aus Wien-Landstraße „Illusion [Part III]“ – mit dabei einige serbische Lines und ein Hint auf den Albumtitel: „Du warst mal mein Atlas doch jetzt nada, nada // sta je se to desilo sa nama, nama“. Ein Song über die verflossene Liebe also, bei dem Svaba Ortak aber nicht nur den alten Zeiten nachtrauert – zu groß ist die persönliche Enttäuschung, zu schwer scheinen die seelischen Narben zu wiegen. Ein durchaus stimmiger Herzschmerz Pop-Rap-Song, produziert mit Doni Balkan & PMC Eastblok.
Da Staummtisch – Sonnenbraund Flava
Die ersten sommerlichen Tage sind endlich da, die Urlaubspläne geschmiedet. Da muss niemand mehr an „Sonnenbank Flavour“ und künstliche Bräune denken – Da Staummtisch setzt ohnehin lieber auf den Süden. Egal ob am Strand von Patong, am Campingsessel in Dalmatien oder an der Strada del Sole, die Vorfreude ist Roleee Solo, Antrue, Freistil und Concept anzumerken. Ein gelungener Sommerhit. Dabei sticht besonders Freistils Part heraus, der sich am Aufzähler-Style des Originals bedient – und gleich die wichtigsten Vokabeln für Bella Italia in Erinnerung ruft.
Diskoromantik – Risiko
Glück im Spiel, Pech in der Liebe? Diskoromantik scheinen es in beiden Disziplinen drauf zu haben und stellen das in ihrer neuen Single „Risiko“ unter Beweis. Im für HipHop Joshy, Jonas Herz-Kawall und Melonoid typischen „trashy 80s Style“ setzen die Jungs im neuen Track alles auf eine Karte, denn im Spiel haben sie nichts zu verlieren. Die Mischung aus Disko- und Italo-Sounds erschafft einen tanzbaren Hit, der diesen Sommer neben dem ein oder anderen Auftritt auch sicherlich noch den ein oder anderen Spieleabend aufmischen wird. Das Risiko hat sich hier auf jeden Fall gelohnt.
CHiLL iLL – Quadratschädel
Viereckate Augen im Quadratschädel – die Horrorvorstellung, mit der Eltern Kinder vom stundenlangen Starren ins Manderlradio abhalten wollten, hat sich wohl nicht nachhaltig eingebrannt. Die Geräte und das Seitenverhältnis mögen sich teils verschoben haben, aber das ändert an der Sache wenig, wie auch CHiLL-ill weiß. Als Rapper und Produzent – der diesmal auch Video und Artwork beigesteuert hat – ist er obendrein mehrfachbelastet. Da kann man schon mal aufs Essen vergessen, wie seine Lines mit Augenzwinkern unterstreichen. Unterstützt durch einen elektronischen Boombap-Beat mit einigen Samples, Cuts, Synths und 808-Bass stimmt der St. Pöltner/Linzer auf sein 3. Soloalbum ein, das noch heuer erscheinen soll. Dazu gesellt sich ein, natürlich, Smartphone-optimiertes Hochkant-Glitch-Video und der Relaunch der Künstlerwebsite.
Boardallein – Babyshampoo
Mithilfe von „Babyshampoo“ das Patriarchat zerstören zu wollen klingt zunächst vielleicht nach einer seltsamen Idee, gelingt Boardallein in seinem neuen Song aber ausgesprochen gut. Auf einem für den Beatmaker ungewöhnlich harten Beat inklusive zahlreichen Adlips und Trompetensolo rechnet der Musiker so mit etablierten Männlichkeitsbildern ab und stellt dabei auch sein eigenes Verhalten in patriarchalen Strukturen in den Fokus. Mit Lines wie „Ich brauch nicht zu weinen, aber könnte das tun“, bricht er so mit typischen Stereotypen und regt auch zur Selbstreflektion an. Eine Buchempfehlung gibt´s anbei auch noch dazu: Inspiration zur Reflektion hat der Rapper nämlich aus Bell Hooks Buch „The Will To Change“ gezogen. Bordalleins Fazit daraus: Fuck Patriarchy!
Christoh – Your Stage
Das Dasein als Künstler kann manchmal ganz schön belastend sein, wie auch Christoh weiß. Den Kehrseiten widmet sich der Sänger und Produzent auf „Your Stage“. Sinngemäß behandelt er mit Zeilen wie „Sucked up fucked up faces, sometimes I felt related“ den Präsentationszwang, die Entblößung und Zurschaustellung der eigenen Person – und damit einhergehend den ständigen Kampf, dem eigenen Weg treu zu bleiben und sich selbst zu vertrauen. Mit starken Autotune- und weiteen Stimmpielereien versehen, fällt der Sound auf HipHop-Drums ziemlich eingängig aus. Die Single stimmt auf Christohs Debütalbum „Heavy Heart“ ein, das für Oktober 2021 angekündigt ist und via Assim Records erscheint.
Weiteres
Releases
D-One – „Back to the Roots“
Videos
Aygyul – „I’m coming home“
BIBIZA & Ski Aggu – „Kosmonauten“
Hardy X & Dyin Ernst – „Auf der Strecke“
Hesi – „mon ami“
Merca feat. YMS & Pablo Pirelli – „Paradise“
ShemA – „Alles für mich“
Schoko MC & Ali Capone – „Parkkingz“
Tracks
Ape – „Ah fuck“
flo – „Malibu“
Jonny Wolf & Sparrow – „Criss Cross“
Key Jersie – „Envelope Blue“
Lira, Mace & Moned „Ohne Grund“
Palavra – „Atemzug“
T-Ser – „Chaos“
Vorsicht feat. Kinetical & P.tah – „Hang Loose“
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