"The hardest thing to do is something that is close…
Die Schnittmenge zwischen Rappern mit tiefer Verwurzelung im Untergrund und Rappern, die sich als „Grammy-Gewinner“ bezeichnen können, ist eine kleine. Evidence gehört aber zu diesem exklusiven Personenkreis. Seit 20 Jahren ist „Mr. Slow Flow“ integraler Bestandteil der Westküsten-Indie-Rap-Szene, egal, ob er im Verbund mit DJ Babu und Rakaa als Dilated Peoples, gemeinsam mit dem „Brother from Another Mother“ The Alchemist oder auf Solopfaden unterwegs ist. Einen Namen machte sich der Fotoliebhaber aus Venice Beach aber nicht nur auf Grund seiner Tätigkeiten am Mic, sondern auch dank elaborierter Producer-Fertigkeiten – und genau diese brachten ihm einen Grammy ein. Wirkte er an Kanye Wests Debütalbum „College Dropout“ mit, das 2006 mit einem Award für das „Best Rap Album“ ausgezeichnet wurde.
Eine Evidence-Beteiligung an einem Kanye-West-Album erscheint heute angesichts des Kardashian-Wahnsinns, in dessen Epizentrum sich seit mehreren Jahren Yeezy befindet, fast surreal. Aber um die 2000er-Jahre hatte West eine Rucksack-Phase, in der sein Körper anstelle von Louis Vuitton in LRG gehüllt war. In diesen wilden Jahren fand sogar eine Zusammenarbeit mit den Dilated Peoples statt. Doch trotz unbestrittenen Hitpotentials brachte „This Way“ (2004) der Truppe um Evidence nicht den Durchbruch in den Massenmarkt. Während Mr. West in den folgenden Jahren die ganze Popindustrie beeinflussen sollte, verharrten die Dilated Peoples in ihrer Untergrund-Schiene. Dort, wo es keinen Pop-Glamour, aber Respekt und Anerkennung von der Szene gibt.
Das trifft auch auf die Solo-Ausflüge von Evidence zu. Große Charterfolge gab es bislang nicht. Aber Liebe vom Untergrund, wo Evidence mit seinem grundsympathischen, nach Ostküste klingenden, aber von der Westküste stammenden BoomBap-Sound nach Reinheitsgebot alle Herzen gewinnt, die gibt es nicht zu knapp. Nach der „The Weatherman LP“ (2007), der EP „The Layover“ (2008) und seinem Rhymesayers-Debüt „Cats & Dogs“ (2011) präsentiert Evidence nun den nächsten Solo-Streich, der seinen Status untermauern soll. Natürlich wieder mit Wetteranspielung im Titel, der Bezeichnung als „Weatherman“ will er schließlich treu bleiben. „Weather or Not“ weist jedoch auch auf eine Zeile aus dem Dilated-Peoples-Song „Guaranteed“ hin: „Others think I’m the one who makes too many references to weather … or not“, rappt Evidence im 2000er-Track aus „The Platform“. Nicht die einzige Stelle mit Nostalgiefaktor auf „Weather or Not“, das beispielsweise Verweise an den Dilated-Track „Marathon“ oder an die Brüder im Geiste, den Artifacts, enthält.
Daran lässt sich schon erkennen: „Weather or Not“ ist eine Scheibe für HipHop-Liebhaber im traditionellen Sinne. Also jene, die vergnüglich in die von der HipHop-Kultur durchfluteten Gedankenwelt von Evidence eintauchen. Herausstechende Merkmale des Albums sind dabei die Vortragsweise – „Mr. Slow Flow“, nomen est omen – und ein stilsicheres musikalisches Gewand, das als Projektionsfläche für die lyrischen Schnappschüsse aus dem Leben des Rappers dient. Die Beatauswahl erweist sich mit ganz wenigen Ausnahmen als tadellos, vor allem auf den alten Homie Alchemist ist Verlass, der mit „Throw It All Away“ und „Powder Cocaine“ zwei der stärksten Tracks des Albums produzierte und gleichzeitig seine musikalische Vielfältigkeit unter Beweis stellt. Denn während auf der „Was kostet die Welt?“-Nummer „Throw It All Away“ samplebasierter BoomBap der klassischen Schule kredenzt wird, taucht das Instrumental für „Powder Cocaine“ in psychedelische Gefilde ab und erinnert damit an jene Ayahuasca-geschwängerten Produktionen, die Alchemist sonst gemeinsam mit Oh No als Gangrene produziert. Unabhängig, welche Schlagrichtung der Beat einnimmt: Auf Alchemist-Beats fühlt sich Evidence hörbar besonders wohl. Seine Zeile „I write to Alchemist ’cause others don’t inspire me“ aus „Throw It All Away“ ist sicher mehr als bloßes Gerede.
Dass Evidence, der drei Beats selbst produzierte, allerdings auch mit Premo-Instrumentals etwas anzufangen weiß, ist seit den Dilated-Tracks „Clockwork“ und „Good As Gone“ sowie „You“ aus „Cats & Dogs“ bekannt. Für „10,000 Hours“ spannte DJ Premier den Bogen zwischen Ost- und Wüstenküste, indem der gebürtige Texaner für seinen Trademark-Sound die Cuts aus „Nuthin‘ But a G Thang“ bezog. Nicht sonderlich gewagt, aber eben passend. Das trifft auch auf die Nottz-Produktion „Jim Dean“ zu, die mit ihrem markanten Vocal-Sample und harten Drums auf jede Dilated- und Umfeld-Platte seit 2000 passen würde. Als sperrigstes Instrumental entpuppt sich Samiyams jazziges „To Make a Long Story Shorter“, Vorlage für einen, wieder einmal, außerordentlich starken Part von Jonwayne.
Jonwayne spielt in dieser Hinsicht jedoch keine Sonderrolle, bewegen sich die meisten Features auf einem hohen Niveau, wie Slug in „Powder Cocaine“ oder Rapsody und Styles P, die Evidence in „Love Is a Funny Thing“ assistieren. Ebenfalls mehr als solide die Leistung von Defari, der sich mit Evidence in „Don’t Hate“-Manier die Bars zuwirft („Runners“) und stilistisch gar etwas an Slick Rick erinnert. Die geglückte Featurewahl sorgt nicht zuletzt dafür, dass auf „Weather or Not“, trotz der bekannt monotonen Vortragsweise von Evidence, keine Langeweile aufkommt – die wenigen Filler im Mittelteil, wie das spannungslos dahinplätschernde „Sell Me This Pen“, einmal ausgeklammert.
Seine stärksten Momente als Soloartist lieferte Evidence bisher weniger mit typischen Battletracks ab, sondern bei der musikalischen Umsetzung persönlicher Inhalte wie auf „Chase The Clouds Away“ oder „I Still Love You“ von der „The Weatherman LP“. Mit „By My Side Too“, zugleich der Abschluss des Albums, plaudert er erneut tief aus seinem Inneren und thematisiert bewegend die Krebserkrankung seiner Lebensgefährtin. Das rührt zu Tränen. Leider drückt sich, ähnlich wie bei der Evidence-Produktion „Delilah“ für Rakaas Solo-Release, das Vocal-Sample viel zu stark und auf anstrengende Weise in den Vordergrund. Schade, da der Track inhaltlich keinen kalt lassen kann und eigentlich den idealen Schlusspunkt eines gelungenen Albums aufbietet, auf dem zwar nichts neu erfunden, aber nur wenig verkehrt gemacht wird.
Fazit: Evidence wird mit seinem dritten Soloalbum bestimmt keinen Grammy gewinnen, aber er liefert erneut ein grundsolides Indie-Rap-Release ab, das sich nahtlos in seine Diskografie einfügt. Auf „Weather or Not“ wagt er keine großen Experimente, vieles klingt vertraut – aber dennoch entgeht Evidence der Falle der Langeweile. Nach diesen langen Jahren im Rapgeschäft keine Selbstverständlichkeit. „Weather or Not“ ist sicherlich kein wegweisendes, revolutionäres Stück Musik. Aber ein Hochleben des traditionellen BoomBap-Sounds auf frische Art und Weise, was alles andere als eine Selbstverständlichkeit im Jahr 2018 darstellt. Wenn das aber jemand kann, dann der Hobby-Meteorologe Evidence.
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