Liebt deutschsprachigen Rap und Taylor McFerrin. In jeder freien Minute…
Auf das Anläuten reagiert niemand, aber außen an der Haustür steckt der Schlüssel. Ein erstes Anzeichen dafür, wie verträumt Jugo Ürdens und Einfachso manchmal sind. Gemeinsam mit zwei anderen wohnen sie in einer Altbau-WG im siebten Bezirk, mit Lichterkette an der Küchenwand und einem lebensgroßen Piraten im Vorzimmer. Die Begrüßung an sich ist jedoch herzlich, die Zutaten für das heutige vegetarische Gericht liegen bereits am Kühlschrank bereit. „Eigentlich ist das Gericht eher für den Brunch – nur Salz, Öl, Paprika, Tomaten und Schafskäse mit Baguettes“, erläutert Jugo Ürdens das von ihm ausgesuchte mazedonische Rezept. „Am Balkan verwenden wir frisches Gemüse aus der Region, die Tomaten hier schmecken nach nix“, sagt er etwas enttäuscht. Der 22-Jährige wurde in Skopje geboren und ist mit sieben Jahren nach Wien gekommen, wo er mit seinen Eltern erstmal zwei Monate in einem Kabinettzimmer gelebt hat. Auch Einfachso ist nicht in Österreich zur Welt gekommen, mit drei Jahren ist er aus einer polnischen Kleinstadt mit seiner Familie nach Wien gezogen, hat erstmal mit über zehn Leuten in einer Wohnung auf Matratzen am Boden schlafen müssen. Eine Gemeinsamkeit, die den beiden in Medien das Ausländerimage verschaffen hat – auch weil sie selbst in Songs wie „Österreicher“ mit dem Klischee spielen. „Bei Konzerten verlernen manche Leute Deutsch zu reden, wenn sie zu mir kommen, das versteh ich nicht“, wundert sich Jugo dennoch.
Während die beiden Paprika und Tomaten auf Holzbrettern schneiden, erzählen sie über den Ausgang der österreichischen Nationalratswahl. „Es ist ur traurig, eigentlich sollten wir alle weinen“, kommentiert Jugo das Wahlergebnis. Dennoch kann er dem Resultat etwas Positives abgewinnen. Jetzt müsse die Gesellschaft miteinander reden und auskommen, anders gehe das nicht mehr. Im Gegensatz zu Polen, wo die nationalkonservative und rechtspopulistische PiS an der Macht ist, sei der Rechtsruck in Österreich noch nichts, meint Einfachso. Die Frauen mit Kopftuch würden in Polen auf offener Straße angespuckt. Da hakt auch Jugo wieder ein. Bis zum Sommer war Mazedonien – der fragilste Staat der Westbalkan-Region – durch eine politische Krise wie gelähmt und von Korruption zerfressen. „Die autoritäre Regierung hat dafür gesorgt, dass Politiker nicht mehr belangt werden können, haben Monumente für die Regierung errichtet und Geld veruntreut. Da ist die Bevölkerung ausgezuckt und monatelang auf die Straße gegangen, bis die Regierung abgesetzt wurde. Jetzt sind die Roten (die Sozialdemokraten, Anm.) wieder an der Macht und jetzt geht es wieder, ur verrückt“, fasst Jugo die vorerst verfahrene politische Lage in seinem Geburtsland zusammen.
Die österreichische Staatsbürgerschaft hat er – wie man durch den Song „Österreicher“ vermuten könnte – allerdings noch nicht. Und deswegen auch ein wenig Angst vor der anstehenden türkis-blauen Regierung, seine Aufenthaltsgenehmigung muss er nämlich alle paar Jahre am Magistrat erneueren. „Lass nicht so viel über Politik reden!“, wirft Einfachso ein. Politik sei ein furchtbares Thema, über das man nicht rede, genauso wenig wie über Geld. Trotzdem erzählt Jugo noch, wie er aus Neugier ein paar Mal eine Burschenschaft besucht hat. „Wir haben einmal gesoffen, das ist eine Tafelrunde von alten und jungen Typen. Das war recht interessant, aber sie haben ihre alten komischen Lieder gesungen. Wenn du jedoch mit ihnen redest und sie merken, dass du Deutsch kannst, ist das alles wieder anders“, schildert Jugo seine Erfahrungen.
Gelegentlich fährt er noch nach Mazedonien, um Verwandte zu besuchen oder auch einen Auftritt im bekannten Frühstücksfernsehen zu absolvieren. Das sei „crazy“ gewesen. Die Moderatorin hat ihn gefragt, ob er vom Rappen leben könne und wollte den Unterschied zwischen HipHop und Rap wissen. „Ich habe gesagt, das darfst du mich nicht fragen, ich mache Popmusik“, erzählt Jugo grinsend. Aber von der Musik kann er leben, wenn genug Konzerte sind. Sein WU-Studium liegt derzeit auf Eis, einmal wöchentlich ist er allerdings babysitten, was ihm viel Freude bereitet, da er mit dem Schüler schon Jahre gemeinsam Dinge unternimmt.
Während die Paprika in der Pfanne vor sich hindüsten, nimmt sich Einfachso ein Bier aus dem Kühlschrank. Jede Menge Red Bull gibt es darin auch. Obwohl die beiden Musiker keine vertraglich fixierte Kooperation mit dem Salzburger Getränkehersteller haben, bekommen sie oft Dosen zugeschickt, um diese dann eventuell in ihren Insta-Storys unterzubringen. „Bei Leuten, wo sie (Red Bull, Anm.) denken, es kann funktionieren, sind sie von Anfang an dabei. Sie haben uns eine Woche Musikmachen in einer Almhütte bezahlt, im Februar können wir in den Red Bull Studios in Amsterdam aufnehmen“, erzählt Jugo, dem man aber gleichzeitig anmerkt, dass er dem multinationalen Konzern auch kritisch gegenübersteht, möchte er sich doch etwas Unabhängigkeit wahren. Musikalisch sind die beiden beim Wiener Label Futuresfuture, das unter anderem von Gerard gegründet wurde, verortet. Neben Popmusikern wie Naked Cameo oder den Schlagersternchen von den Schönbrunner Gloriettenstürmern repräsentieren sie mit Edwin den deutschsprachigen Rap, da ist eine Kollabo-EP mit Edwin nicht ausgeschlossen. Dennoch orientieren sich die beiden musikalisch gerade neu, Jugo Ürdens bastelt neben Texten auch unter seinem Produzentennamen jue an Beats, die Einfachso wiederum als Soundunterlage dienen.
„Lass uns kurz ins andere Zimmer rübergehen, ich muss euch was zeigen!“, wirft Jugo Ürdens während des Gesprächs hastig ein. Neben seiner Euphorie für das neue Moneyboy-Video zeigen die beiden, woran sie gerade arbeiten. Bilderbuch-Hommagen und ein Feature mit Namensvetter Voodoo Jürgens sind angedacht, Einfachso setzt neben seinem technoiden „Ich nehm’s dir„-Song auf einen aus einem Grindergeräusch gebauten Beat oder ein A capella auf einen Grime-Tune. „Ich will unbedingt Grime machen, das fehlt auf Deutsch noch“, sagt Einfachso. Es gäbe keinen, der das gut kann, „außer vielleicht ein Dardan, was aber auch schon wieder eine Trap-Autotune-Mischung ist und nicht Untergrund-London.“
Die Antworten auf die Frage, ob die beiden auch Musik aus ihren Geburtsländern beeinflusst, fällt unterschiedlich aus. Einfachso hört zwar ein bisschen polnischen Rap, aber was dort jetzt modern sei, habe die 187 Strassenbande bei uns schon 2012 gemacht: Brust und Bizeps trainiert, Jogginghose, Glatze. In Warschau gäbe es noch ein paar Hipsterrapper, die die Amis kopieren, aber das sei Plastik. „Die Polen sind einfach zu spät in der Zeit“, sagt er. Normalerweise hört man das nur über die Wiener sagen. Ob etwas gerade modern ist, ist Jugo hingegen egal. Er ist jugoslawischen Balladen verfallen, das Cover seines kommenden Albums wird Referenzen zu diesem speziellen Genre aufweisen. Dabei hat seine Verwandtschaft in Mazedonien noch ganz andere musikalische Anknüpfpunkte. Sein Onkel Dragan hat in seinem Haus in Skopje einen Discoraum errichtet, besitzt eine schier unendliche Sammlung an Funkplatten und bucht Künstler wie Bootsy Collins und George Clinton, um dann gemeinsam mit ihnen bei Jugos Großmutter zu chillen.
„Können wir jetzt endlich essen?“, fragt Einfachso ungeduldig. Normalerweise sind die beiden ja Lieferservice-Stammkunden, gekocht wird nur selten. Beim Essen erzählt der 19-Jährige über seine Erfahrungen bei Freestylebattles. Neben seiner Teilnahme beim Dreistil hat er auch bei den Wien-Ausgaben von Rap am Mittwoch mitgemacht, das letzte Mal aber ordentlich „kassiert“. Auch bei der vergangenen Veranstaltung von DLTLLY hätte er mitmachen sollen, aber 1,5 Monate waren ihm zu wenig an Vorbereitungszeit. „Battles sind zu viel Aufwand für zu wenig Aufmerksamkeit“, sagt er. Außerdem sei das Niveau bei Dreistil und RAM mittlerweile am Boden. Leute würden sehen wollen, wie man gepuncht wird. „Aber wenn mir mein Gegner nichts anbietet, bin ich gezwungen, Standardpattern zu bringen, was mich nervös macht“, sagt Einfachso. Das Battlen sei für Jugo Ürdens generell nichts, obwohl seine ehemaligen Crewmitglieder von Sprachsex die Battle-Liga Dreistil in Wien mitaufgezogen haben. Enttäuscht von seinen David Guetta und Amy Macdonald hörenden Mitschülern hat ihn ein damaliger Schulkollege zu einem von Schoko MC veranstalteten Rap-Workshop mitgenommen, wo er erstmals auf Movski, Kaul Kwappen und Simon Epos getroffen ist. „Mit Movski habe ich gleich gefühlte 20 Stunden über HipHop geredet, über Maeckes und Die Orsons. Es gab davor niemanden bei mir in der Schottenbastei, die die kannten“, erzählt er rückblickend.
Etliche selbst gestochene Tattoos später sitzen die beiden nun in der WG-Küche mit zusammengewürfeltem Geschirr und Mobiliar und sinnieren über die kommenden Pläne. Vor dem Sommer wird Einfachso noch sein Mixtape veröffentlichen, Jugo Ürdens plant ein Album im kommenden Jahr. Begeisterungsfähig und aufgeregt sind sie, fallen sich oft gegenseitig ins Wort, weil sie so viel erzählen wollen. Neben dem Musikmachen sitzen sie aber auch gerne zusammen, um Schach zu spielen. Einfachso und Jugo Ürdens rufen sich gegenseitig nicht beim Namen, sondern nennen sich „Bruder“. „Oft rufe ich ihn vier Mal am Tag an und habe ihm noch immer nicht alles erzählt“, sagt Einfachso und verstärkt damit das Gefühl, das während der gesamten Kochsession bereits entstanden ist: Die beiden jungen Rapper aus Wien verbindet mehr als nur die Musik, es ist Freundschaft. Da passt es auch gut, dass sich die gemeinsame Poolparty („Trainer“) oder das nächtliche mit Jägermeister-Flasche auf Wiens Straßen Herumcruisen („Ajde“) gleich als Musikvideo verpacken lässt.
5 Fragen zum Schluss:
Rezept für Piper i Patlidzan (Paprika und Tomaten)
Jugo Ürdens auf Facebook & Instagram // Einfachso auf Facebook & Instagram // Futuresfuture
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Liebt deutschsprachigen Rap und Taylor McFerrin. In jeder freien Minute verbessert sie, hievt Beistriche wieder auf ihren richtigen Platz und hält die ganze Bande mit liebevoller Strenge zusammen. Nach dem Dienst im KURIER-Newsroom hört sie dann eine Zugezogen-Maskulin-Platte zum Einschlafen.