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MoTrip Interview: „Da läuft gehörig was schief“

MoTrip Interview: „Da läuft gehörig was schief“

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Sein Booking sorgte bei einigen für Unmut. Dabei ging es weniger um seine Person als um die Tatsache, dass er als Ersatz für den abgesprungenen Talib Kweli zum Beat the Fish Deluxe eingeladen wurde. Tragisch für manche, erfreulich für andere. Zum Beispiel für die, die Motrips kürzlich erschienenes Album „Mama“ (hier findet ihr unser Review zum Album) nur zu gern schon mal vor seinem Tourstopp in Wien (am 28. Jänner) live hören wollten. Es sei dahingestellt, ob Motrip diesen Unmut mitbekam, er spielt trotz allem eine souveräne und fette Show (auch wenn ein paar verbitterte „Musikjournalisten“ in Österreich das nicht wahrhaben wollten)  für die – zu diesem Zeitpunkt – noch bescheidene Crowd am Arena-Gelände. Kurz davor besuchten wir ihn im Backstage-Bereich und begegnen einem ruhigen und sympathischen Kerl. Diese Eigenschaften, die ihm manchmal auch negativ angerechnet werden, kommen uns an diesem heißen Tag äußerst gelegen. Auch sein langjähriger Weggefährte Joka gesellt sich zu uns. Es entwickelt sich ein interessantes und herzliches Gespräch über das Außenseitertum, das Überangebot im deutschen Rap und die misslungene Asylpolitik. Dabei beginnt das Gespräch gar nicht mal so „nett“.

Interview: Jérémie Machto
Fotos: Niko Havranek

MoTrip: Ich hab ein bisschen Hate auf eurer Seite entdeckt. (Hintergrund)

The Message: Das stammt von meinem Kollegen.
Natürlich. Wer das schreibt kommt auch nicht her (lacht).

Aber er ist trotzdem ein großer Fan.
Easy. Ich fand ja eher, dass er KC (KC Rebell, Anm.) damit angreift. Hab mich eigentlich nicht so angegriffen gefühlt. Meinungsfreiheit soll gestattet sein, um Gottes Willen, aber ich fand’s irgendwie ein bisschen giftig.

Ja?
Ja, KC gegenüber schon. Er wurde da als richtig schlecht dargestellt.
Joka: Aber Diggah, die Review ist so wie sie ist.
MoTrip: Ja ich sag ja sogar, dass KC in dieser Review eher beleidigt wurde. Aber das ist auch nicht wirklich sein allerbester Song. Trotzdem fand ich’s (den Post, Anm.) irgendwie komisch.

Und wie hat es der Song „So wie du bist“ in die Schweinsteiger-Werbung geschafft?
Da war ich genauso überrascht als diese Anfrage kam. Es ist einfach nur geil. Aber das war für mich auf jeden Fall nicht abzusehen. Die werden das gehört haben und dann wohl in irgendeine Auswahl genommen haben. Dann war paar Wochen nichts mehr und plötzlich hieß es: „Der Song ist genommen worden“.

Ist das ein Beweis für dich, dass das Ganze eine größere Masse erreichen kann als bisher?
Offensichtlich ja, auch wenn ich es definitiv nicht gemacht habe, um einen Beweis zu haben. Ich war tatsächlich sehr überrascht darüber. Aber ja, es zeigt mir schon, dass es vielen Leuten zu gefallen scheint. Da freut man sich als Musiker definitiv.

Also kannst du dich mittlerweile freuen? Du meintest ja mal, dass du deine Erfolge nicht feiern kannst.
Ich hatte – wenn man ehrlich ist – noch kaum messbare Erfolge, auf die man sich irgendwas einzubilden hätte. Das wär ja auch komisch. Ich sehe Leute, die kaum was nachzuweisen haben, aber sich extrem abfeiern. Das ist vielleicht nicht ganz meine Art, aber natürlich freue ich mich vollkommen, wenn so etwas passiert. Ich mache das leidenschaftlich und bin selber als Musikfan da reingerutscht. Und zu sehen, wie die eigene Musik funktioniert, freut einen natürlich. Ich fahr aber definitiv nicht nach Hause und keul mir einen darauf (lacht). Ganz klipp und klar.

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Du sprichst im Album auch viel über das „Außenseitertum“, vor allem in „Malcolm Mittendrin“. In welcher Phase deines Lebens hast du dich besonders als Außenseiter gefühlt?
Hm… so richtig? Ich würd sagen nie. Weil ich immer ‘nen starken Freundeskreis hatte. Aber Zugehörigkeit zu gewissen Kreisen kam mir irgendwann abhanden. Das ist jetzt nicht auf die Schulzeit bezogen, denn ich war nicht der Unbeliebte, der keine Freunde hatte, eher das Gegenteil. Es gab schon Zeiten, in denen ich mich nicht mehr so „abgeholt“ gefühlt habe. Man hat viel gemacht und es kam nicht alles so zurück, wie man es sich vielleicht vorgestellt hatte. Dabei ist es ganz normal, dass man auch Tiefphasen hat, wenn Sachen mal nicht ganz so funktionieren. In der Schule war ich kein Außenseiter.

Was hat dich dann dazu gebracht, diesen Song zu schreiben?
Ich habe das Gefühl gehabt, man muss einen Song für Außenseiter machen und das ist eher die Intention gewesen.

Hast du das Gefühl, dass sich dieses „Außenseitertum“ mit dem Aufkommen des Internet bzw. Social Media verändert hat? Einerseits ist es einfacher, Menschen auszugrenzen (wegen der Anonymität z.B.), aber andererseits gibt es auch das Gefühl, dass dieses „nerdig“ sein jetzt auch cool sein kann, siehe „The Big Bang Theory“, 9Gag …
„The Big Bang Theory“ ist zwar ein Hollywood-Kalkül, trotzdem finde ich es gut, dass „normal sein“ oder „komisch sein“, auch als normal angesehen wird. Ist ja auch so. Durch das Internet hat es sich aber verändert. Früher gab’s gar nicht die Möglichkeit, so viele andere so öffentlich zu kritisieren. Du konntest es im Freundeskreis machen oder höchstens in einer Klasse. Was schon schlimm genug ist für einige. Heute schaffst du es, wenn du „cool“ genug bist und genug Idioten mitziehen kannst, fast öffentlich jemandem das Leben zur Hölle zu machen. Das wird auch ausgenutzt und das ist schon eine scheiß Entwicklung. Deshalb meine ich, dass so etwas wie „Malcolm Mittendrin“ sein muss.

Soll das im Idealfall auch ein Motivationsschub für solche Leute sein?
Würde ich mir wünschen. Ich kann den Außenseitern nicht die Kraft damit geben, aber ich kann vielleicht Leute dazu bringen, an ihre eigene Kraft zu glauben. Es wär schon tatsächlich was Schönes, wenn ich wüsste, dass jemand das hört und es etwas verändert. Ich kriege soviele Mails: Wenn ich immer wüsste, dass die wahr sind, dann ist das der Wahnsinn! Was Songs mit den Hörern bzw. Fans machen. Wenn das wirklich so ist, dann ist das das Schönste, was wir mit Mucke machen können.

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Du hast angesprochen, dass der Titel „Mama“ auf Mutter Natur bezogen war. Bist du umweltbewusst? Steckt in dir ein kleiner Greenpeace-Aktivist?
Ne. Also richtig Mittelfeld. Auf keinen Fall Greenpeace. Das darf ich mir nicht auf die Fahne schreiben, weil es einfach nicht so ist. Ich bin kein Aktivist und verbringe nicht genug meiner Freizeit damit, die Umwelt zu beschützen. Aber in meinem eigenen Umfeld bin ich das definitiv. Ich versuche, keinen Müll auf die Straße zu werfen. Ach, was heißt Straße! Die Straße an sich ist schon sehr belastend für den Planeten. So viel Beton überall ist das viel größere Problem. Ich denke viel über so etwas nach. Ich bin auch sehr empathisch. Das hat manchmal Vor- und manchmal Nachteile.

Wie meinst du?
Mich nehmen Sachen schnell mit bzw. lassen mich nicht so kalt. Wenn ich Leid sehe, dann fühle ich mich schnell betroffen. Keine Ahnung, warum das so ist. Und deswegen fühle ich ein bisschen mit, wenn ich sehe, wie wir unseren Planeten behandeln. Es gibt viele, die so denken wie ich und trotzdem auch keine Aktivisten sind. Man müsste Wege finden, damit jeder in seinem Umfeld alles tut was er kann. Egal, wie sehr man die Welt liebt, die wenigsten gehen irgendwo hin und tun aktiv etwas. Man müsste da mehr einen Fokus drauf kriegen.

Fühlst du dich aufgrund solcher Ansichten als Conscious Rapper, weil es per Definition „gewissenhafter“ Rap sein soll?
Das bringt’s dann leider mit sich, weil wenn ich ein Zahnarzt oder Dachdecker wär, dann wäre ich halt ein „Conscious-Zahnarzt“ oder ein „Conscious-Dachdecker“ (lacht). Und das ist eine Sache, über die ich mich freue – um das kurz nochmal aufzugreifen. Es ist eine Sache, auf die ich gewissermaßen stolz bin, weil ich mein eigenes Ding durchziehe und mich an keiner Stelle irgendwie verbiegen muss. Ich mache das einfach, weil es so ist. Wenn ich ‘nen anderen Beruf hätte, würde das noch immer meine Meinung sein. Es ist oft eher ein Problem in der Musikszene. Weil man will oft – auch wenn man einen getrunken hat oder so – einfach auf die leichte Kost hören. Zu viel ins Gewissen reden ist da eigentlich gar nicht so erwünscht. Deswegen ist das ehrlich gesagt auch nichts Kalkuliertes, sondern das ist meine Einstellung und die fließt dann automatisch in die Texte ein.

Und woher glaubst du, kommt dann der schlechte Ruf des „Conscious-Rappers“?
Naja, „schlechter Ruf“… aber ist doch ganz klar von der Hand abzulesen. Von der Zeit, wo Gangsta-Rap „in“ wurde und die die „Nerds“ und die „Ottos“ waren (lacht). Und dadurch, dass sich da auch keiner bzw. die wenigsten groß zur Wehr gesetzt haben, gab es dieses „Nerd sein ist cool“-Denken nicht. Die waren noch nicht so versammelt und vereint. Eine Gruppe ist stark. Wenn es viele „Nerds“ gibt, dann ist es auch irgendwann okay, einer zu sein. Dann kamen die „bösen“ Gangsta-Rapper und die „Conscious-Rapper“ waren dann uncool. Selbst in der HipHop-Szene hat man das ein bisschen belächelt. Ich will keine Namen nennen von früher, aber es gab immer den Straßenrapper, den Battlerapper, den Harten und dann so „diesen einen Conscious-Rapper“. Also ja, Conscious Rap hat durchaus nicht den besten Ruf.

Weil du eben „Conscious-Rap“-Themen aufgreifst und es in Europa ein großes Thema ist – vor allem mit #merkelstreichelt und in Österreich mit der Zeltproblematik (mittlerweile auf die desaströse Lage in Traiskirchen ausgeweitet, Anm.): Wie siehst du die ganze Flüchtlingsproblematik auch im Hinblick darauf, dass du selbst aus dem Libanon nach Deutschland geflüchtet bist?
Es ist schwer zu beantworten, weil meine tatsächliche Erfahrung von meiner Meinung dazu abweicht. Ich muss sagen: Meine Familie und ich hatten sehr wenige Probleme mit Rechts in unserem Leben in Deutschland. Eher in Österreich sogar. Auf zwei Klassenfahrten.

Was war da los?
Nichts Großes. Da waren Jungs, die uns überhaupt nicht in ihrer Gegend sehen wollten. Wir waren in so einem Skigebiet. Wo waren wir da um Gottes Willen? Dass ich mich daran nicht erinnern kann, ist echt peinlich. Aber zwei Mal ist das Ganze passiert. Wir waren da wirklich auf der Wache und hatten Ärger mit Rechten.

Und wie ist es in Deutschland?
In Deutschland ist mir das echt selten passiert. Außer die Blicke: Die kennen wir natürlich alle. Oder, dass ein Busfahrer einfach weiterfährt und dir die Tür nicht aufmacht, das habe ich auch schon erlebt. Aber ich hab auch Positives erlebt. Zwei meiner Cousinen sind vor wenigen Jahren nach Deutschland gekommen, haben hier studiert und abgeschlossen, die Sprache gelernt usw. Es gibt also definitiv offene Türen. Aber es gibt viele Menschen, die erstens nicht geduldet werden und zweitens sogar von der Bevölkerung und der Gesellschaft nicht akzeptiert werden. Da wurden die Heime beschädigt, angezündet oder belagert. In meinem Umfeld ist das aber nicht passiert. Vielleicht habe ich in Aachen Glück. In anderen Städten gibt es das schon und natürlich halte ich nichts davon.

Wie sollte deiner Meinung nach mit den steigenden Flüchtlingsströmen umgegangen werden?
Ich habe nicht die politische Lösung, wie man da was machen könnte, aber meine Meinung ist ganz klar: Aus Ländern, wo es Krisen gibt, wo Leben bedroht sind, wo Menschen wirklich in Not sind, musst du – als Land, dass sich das leisten kann – diese Menschen aufnehmen. Faktisch, vom Platz, vom Geld und von den Ressourcen her können wir uns das leisten. Das ist ein Segen und für manche ein Fluch, aber wir müssen das in erster Instanz mal tun. Wer dann bleibt, wie lange und in welcher Form, ist natürlich auch etwas, worüber man sprechen kann. Aber es gibt genug Menschen, die durch’s Meer schwimmen, weil sie nicht wissen wohin. Und da könnte man definitiv mit den Möglichkeiten, die wir haben, mehr machen. Ich wiederhole nur, ich kenne den genauen und richtigen Weg nicht, ich weiß keine Lösung, aber da läuft gehörig was schief. Auch wenn ich betonen muss, dass ich in meinem Umfeld eher positive Erfahrungen gemacht habe.

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Kommen wir vielleicht zurück auf das Musikalische: Du hast vor einem Jahr so gut wie ein ganzes Album „verworfen“?
Kein ganzes, aber so ziemlich.

Was war da drauf, das dir nicht gefallen hat bzw. wie schwer ist die Entscheidung, einfach ein ganzes Projekt abzublasen und bei null anzufangen?
Ich wollte nach „Embryo“ möglichst unschwere Songs machen. Embryo war recht dunkel, weil es so persönlich war. Ich wollte einfach ein bisschen Sonnenschein reinlassen und das war irgendwann dann einfach nicht mehr echt. Es ist nicht so, als ob ich morgens aufgewacht bin und mir gedacht hab: „Boah, das ist richtig scheiße“. Ich war beim Label damit und die haben auch nicht gesagt: „Was ist das für ‘ne Scheiße, was willst du damit machen?“. Aber alle haben mit etwas anderem gerechnet als das, was ich dann in der Hand hatte. Dann war für mich persönlich einfach ganz klar: „Das werde ich auf gar keinen Fall raushauen, egal wie lange es noch dauert was anderes zu machen.“ Dann haben wir uns quasi noch einmal von null rangesetzt. Daraus ist eine ganze Stange Songs entstanden und dann wurden ca. 80 Prozent von der „ersten“ Platte verworfen und der Rest ist neu entstanden. Aber das war nicht leicht. Ich hatte schon anderthalb Jahre auf dem Buckel, in denen man quasi „nur wartet“ und hab mich dann noch mal ein Jahr rangesetzt. Ich hatte schon Bedenken, dass es zu lange dauert. Aber Gott sei Dank habe ich mich noch mal rangesetzt.

Diesbezüglich hast du in einem Interview gesagt: „Die Songs, die man nicht rausbringt, sind fast wichtiger als die Songs, die man rausbringt.“ Wie meinst du das?
Eben das. Hätte ich sie rausgebracht, um Songs zu haben, um Quantität zu schaffen, dann wäre ich jetzt definitiv unglücklich damit. Das denke ich mir nicht nur, das weiß ich. Ich mochte die schon kurz darauf echt nicht mehr und ich hab mir nicht vorstellen können, die auf der Bühne zu rappen, zumindest den größten Teil davon. Sie sind meiner Meinung nicht schlecht, aber sie sind nicht ganz „echt“. Und wenn du manchmal wie Joka, der hier bei uns sitzt, oder ich mal auf andere Ufer schaust, andere Genres hörst und auch mal mit anderen schreibst, dann ist es auf jeden Fall eine gute Übung. Also da war nichts umsonst. Und deswegen habe ich auch im Endeffekt „Mama“ geschrieben. Selbst die Songs, die du nicht rausbringst, bringen dir persönlich viel. Vielleicht nur Selbsterkenntnis, aber es bringt dir auf jeden Fall etwas.

Gehören dazu auch die Songs, die du im Zuge deiner Tätigkeit als Ghostwriter für andere geschrieben hast? Ich hoffe, das Thema ist dir nicht leidig, aber ich denke das ist für viele faszinierend. Zumindest für mich, weil es in meiner Realität als Fan lange nicht existiert hat, dass andere Rapper für andere Rapper Texte schreiben.
Ich kann nur so viel sagen: Ghostwriten ist ein bisschen anders, weil du meistens Songs mit jemandem zusammen schreibst. Also du schreibst selten – auch wenn es mal vorkommt –  alleine Texte für einen, sondern mit jemandem. Und vor allem schreibst du aus einer ganz anderen Perspektive. In diesem Fall aus der Perspektive deines jeweiligen Gegenübers. Deswegen denke ich, dass das Sachen sind, die du alleine nie machen würdest. Ich würde mich wahrscheinlich nicht alleine hinsetzen und aus der Sicht einer singenden Frau schreiben. Es macht aber unheimlich Spaß, zusammen Texte zu schreiben. Man hat zwei Gehirne, die über eine Sache reden und nachdenken. Diese Synergie kriegst du mit deiner eigenen Energie nicht hin. Natürlich kannst du gute Texte auch alleine schreiben, aber hast dann vielleicht weniger Spaß dabei. Und keinen Austausch, keine Interaktion.

Denkst du dir manchmal, wenn du eine Zeile für wen anderen geschrieben hast und sie dann am fertigen Song hörst: „Ah, die hätt ich doch lieber für mich benutzen sollen!“?
Ganz selten bis nie. Da es meistens andere Künstler sind, sind das oft Sachen, die man selber nicht sagen würde. Aber ja: hier und da gibt’s coole Sätze, wo man sich denkt: „Das hätte ich auch selber rappen können“.

Hast du irgendwie mitgekriegt, dass zwischen der Zeit, in der du „Embryo“ gemacht hast und dem Release von „Mama“, sich etwas in der Szene bzw. im „Game“ verändert hat oder überhaupt in der Art, wie man eine Platte releasen muss?
Also erstmal muss man ganz klar sagen: Es gab ein Überangebot. Das passiert auch in jeder anderen Branche. Wenn es zu viel von etwas gibt, verliert es an Wert. Natürlich kann man das nicht steuern. Es gibt einfach zu viele Rapper und die bringen was raus. Ich will das auch nicht kritisieren, aber es ist nun mal ein Fakt. Es gab sehr viele Releases und es ging nicht immer um die Musik, die darauf war. Mittlerweile vermarkten das Rapper sehr oft mit der Person, was auch nicht ganz verwerflich ist. Das passiert halt, dass manche so eine Kultfigur werden. Aber natürlich kommt man als Musiker dann oft ins Grübeln, wenn man sieht, dass Leute charten, die man wahrscheinlich nur einmal hören kann. Das ist wie ein Witz, den man einmal erzählt hat, der dann vielleicht auch lustig ist oder sogar sehr lustig, aber er ist dann erzählt und aus.

Gibt es dafür einen „Schuldigen“?
Die „Schuld“ liegt nicht auf einer Seite. Vielleicht gab es ein Überangebot, vielleicht vermarkten das manche auch eklig und vielleicht gibt es auch viele Konsumenten oder Fans, die das wollen. Die Schuld liegt irgendwo in der Mitte. Weil es gibt auch Leute, die das kaufen, die das wollen und darauf eingehen. Es gibt definitiv eine Veränderung, aber die Kurzlebigkeit, dass ein Album nur gefühlt einen Monat oder zwei Wochen hält und danach schon wieder was anderes interessant ist, ist meiner Meinung auch nicht mehr ganz so. Ich hab das Gefühl, dass Alben die vor zwei bis drei Monaten oder länger produziert wurden, wie das von Ali As (Review) zum Beispiel oder sogar das von KC Rebell, trotzdem immer noch Wirkung haben und immer noch interessant sind. Und das ist schön, weil das vor ein, zwei Jahren noch nicht so war. Alben haben eine sehr kurze Halbwertszeit.

Manche greifen in ihrer Vermarktung auch gerne auf Disses und Beef zurück. In „Wut“ rappst du: „Ein echter Rapper regelt das mit Texten und zwar live“. Interessierst du dich für die Live-Battle Szene?
Dort mitzumachen kann ich mir nicht vorstellen. Aber verfolgen tu ich es absolut. Ich bin einer der größten Fans. Sowohl von Don’t let the label label you, als auch von Rap Am Mittwoch. Ich hab mir fast alles angesehen bei DLTLLY und bei Rap Am Mittwoch ebenfalls. Ich find’s sehr cool, auf welchem Level Deutschland ist, aber auch unsere österreichischen und Schweizer „Brüs“, und was die mittlerweile auf die Beine stellen können. Es hat teilweise internationale Züge, das ist echt gut und hochprofessionell. Bei Rap am Mittwoch gab’s ne Zeit, da wurde alles sehr bizarr und es ging nur noch um „Wer ist alles tot?“ und „Wen können wir noch schänden?“. Das geht mir dann manchmal doch zu weit, weil es geht um unsere heilige Rapkunst und nicht nur um’s sinnlose Beleidigen. Man kann jemanden wunderschön ohne Schimpfwörter fertig machen und das ist die Kunst.

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In Hype bezeichnest du dich als „lebende Legende“. Was macht dich oder überhaupt jemanden zur „lebenden Legende“?
Also ich würde die Frage, ob ich eine Legende bin, auf jeden Fall mit „Nein“ beantworten. Raptechnisch – und so ist es auch gemeint – würde ich schon sagen, dass ich einen Weg hingelegt habe, der mich selbst einfach immer wieder überrascht hat. Ich hätte es nie für möglich gehalten, dass wir einen so weiten Weg gehen können. Das fing schon grandios an. Ich wurde mit 16 oder 15 von meinem allergrößten Idol (Kool Savas, Anm.) entdeckt und durfte direkt mit ihm rappen. Auf der Bühne, auf Alben, ich war überall mit dabei. Das war unfassbar. Dadurch wollten sehr viele andere mit mir rappen und ich bin sehr schnell in diese Szene reingerutscht. Ich bin mit meinem ersten Album direkt in die Top 10 gegangen, womit ich überhaupt nicht gerechnet habe. „Embryo“ ist für viele Leute unter den Lieblingsalben. ICH hab Lieblingsalben von Rappern, weißt du? Ich versteh nicht wie meins jetzt unter Lieblingsalben von anderen ist. Das sind Sachen, über die ich mich schon sehr freue. Und wenn ich dann sehe, wie „Mama“ ankommt, dann freu ich mich. Und raptechnisch würde ich sagen, dass es nicht viele gibt, die das so hingelegt haben. Und das ist nicht eitel gemeint, sondern einfach faktisch. Ich habe so jung angefangen und es ging so schnell und gut los, darüber bin ich einfach froh. Wenn ich heute darauf zurückblicke, würde ich schon sagen, dass das nicht alltäglich ist.

Als abschließende Frage: Das Album heißt „Mama“. Welchen Track würdest du deiner Mutter nicht vorspielen?
Ich würde ihr jeden Track vorspielen. Jeden einzelnen. Also auch „Wie ein Dealer“. Sie hat es sogar gehört und das Video gesehen. Auch Haftbefehl’s Part auf dem Titeltrack „Mama“ hat sie gehört. Meine Mutter versteht es erschreckend gut und sie sagt sogar, dass sie schon einen Unterschied zu den anderen Sachen hört, wenn sie es zuhause im Radio hört. Kann aber auch sein, dass sie das nur sagt, weil sie meine Mutter ist. Ich glaube schon, dass sie es wahrnehmen kann. Sie wird jetzt nicht sagen: „Boah, deine Triple-Rhymes“ oder „dein Beat war fett.“ Aber es ist auch ein Gefühl – um noch mal den Bogen zu „So wie du bist“ zu kriegen – das da ist. Mir ist bewusst, dass es Leute gibt, die es nicht wegen der Raptechnik hören. Aber es gibt ein unbewusstes Gefühl, dass einen dazu bringt, es zu mögen.  Manchmal kann man nicht genau erklären, woran es liegt. Cro rappt doch am Ende auch und kommt bei allen so an. Das passiert einfach, weil er ein Gefühl überträgt. Und da kommt kein Opa und sagt: „Boah, seine Rhymes sind fett.“ Und so geht meine Mutter auch an Musik. Sie analysiert nicht die Texte, sie fühlt’s einfach.