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Immer ein Oktoberkind // Sesa Interview

Immer ein Oktoberkind // Sesa Interview

Der 28. Oktober hat für Sesa eine besondere Bedeutung. An diesem Tag im Jahr 1998 erblickte er in Lienz als Sohn kurdischer Migranten das Licht der Welt. Exakt 25 Jahre später veröffentlichte der Rapper sein Debütalbum „Oktoberkind“. Seit ein paar Jahren ist Sesa insbesondere in der Grazer Rapszene vernetzt. Jener Stadt, in der er zurzeit lebt. Im Interview spricht er über seinen Werdegang, prägende Werte seines Vaters, seine Rap-Anfänge, die Rolle von Provokation in seinen Texten und mehr.

The Message: Du hast im Vorgespräch gemeint, dass du willst, dass man dich durch die Tracks besser kennenlernt. Ist das nicht der logischste Zugang? Oder gab es Hürden beim Schreiben?
Sesa:
Ich kann nur für mich sprechen. Es ist easy gegangen, weil ich mir nicht wirklich etwas ausdenken musste. Es ist alles zu hundert Prozent ehrlich. Teilweise ist es mir fast schon zu ehrlich geworden.

An welchem Punkt?
Als der Song „Kalter Wind“ fertig war und ich ihn am nächsten Tag nochmal gehört habe. Da habe ich realisiert: Das wird dann halt jeder hören. Ich habe meine Zweifel gehabt, mich dann aber erinnert, dass mich als Fan solche Tracks am meisten berühren. Jetzt ist er auf Spotify einer der beliebtesten Songs.

Direkt vor dem Song platziert ist das „Kalter Wind Interlude“, bei dem ein Mann auf Türkisch spricht. Dein Vater?
Ja, genau. Ich habe ihn heimlich aufgenommen.

Warum heimlich?
Er hält mein ganzes Leben lang schon immer wieder Reden und Predigten. Ich habe mir immer vorgenommen, dass ich ihn mal dabei aufnehme. Es war eine lange Aufnahme, zehn Minuten oder so, da habe ich die Stelle rausgeschnitten.

Was sagt er sinngemäß?
Sein Glaube an Gott ist sehr stark. Er sagt, dass er jeden Tag zu Gott betet. Dann zählt er viele Sachen auf: Gib uns Gesundheit, Geduld, Frieden, Liebe und so weiter, und dann das Materielle. Wenn du uns das Materielle gibst, aber die anderen Sachen nicht, dann soll das Materielle auch nicht sein. Dann erzählt er von manchen Menschen, die alles Materielle der Welt haben, aber mit einer Narbe leben müssen. Als Beispiele nennt er einen Gelähmten, einen Blinden, einen Tauben und einen, der nichts essen kann.

Inwieweit hat dich sein Zugang zu Religion und zum Leben geprägt?
Fast zu hundert Prozent. Er ist mein größtes Vorbild. Wie gesagt, ich höre mir seine Reden ja schon mein ganzes Leben lang an.

Kannst du ein Element hervorheben?
Ehrlichkeit, weil sie für ihn das Allerwichtigste ist.

In einem Track sagst du, dass du mit Freunden, die schlechte Einflüsse waren, rumgehängt bist und dadurch irgendwann selbst zum schlechten Einfluss geworden bist. Um was ist es da gegangen?
Ich kann mich an einen Moment erinnern, an dem ich gemerkt habe, dass ich plötzlich der schlechte Einfluss bin. Ich habe mich schlecht gefühlt. Aber ich habe nie jemanden gezwungen und jeder trifft seine eigenen Entscheidungen. Deshalb geht die Zeile auch so: „Tut mir leid, tut mir nicht leid. Ist alles geschrieben, so soll es sein.“ 

Foto: Saskia VonderWiese

Du rappst auch ein bisschen von Panikattacken.
Es ist wie eine Gesprächstherapie mit mir selbst. Ich glaube, dass jeder Mensch jemanden braucht, der zuhört. Wenn du zum Beispiel zum Psychologen gehst, geht es gar nicht so darum, dass der Psychologe dir einen Ratschlag gibt, der dein Leben verändert, sondern dass er einfach zuhört. Und dass man dadurch, dass man viel von sich erzählt, auf viele Dinge draufkommt. Ich schreibe schon lange Texte, immer sehr ehrlich und persönlich. Oft passiert es, dass ich es mal rauslasse, irgendwann später den Song höre und mir so bewusst werde, womit ich mich anscheinend beschäftige. Auf „Der Junge der schrieb“ sage ich: „Drohte von der Schule zu fliegen, wurde zum Jungen MC und es wurd‘ vom Jungen, aus dem nie was wird, der Junge, der schrieb. Sesa, bin Jung, Appetit ist vergangen, der Hunger er blieb. Blut auf den Beat, wollte nur cool sein, irgendwann wurd’s Therapie“.  

Wann hast du angefangen zu Rappen? Und was war der erste Antrieb?
Ich war elf, zwölf Jahre alt und wollte einfach nur cool sein. Irgendwann habe ich gemerkt, dass es mir voll hilft. Ich habe sehr deepe Songs gehört, viel Azad und Eminem, sowas hat mich immer am meisten berührt.

Wie ist es nach Azad und Eminem weitergegangen?
Der allererste Bezug war eigentlich 50 Cent. Er war für mich zu dem Zeitpunkt der coolste Mensch, den ich je gesehen habe – genauso wollte ich sein. Dann habe ich Eminem entdeckt, „When I’m Gone“ war ein sehr wichtiger Song für mich. Da habe ich gemerkt, wie sehr das therapiemäßig funktionieren kann. Man sieht es ja im Video mit der Selbsthilfegruppe, wo er alles rauslässt. Das habe ich sehr gefühlt. Auf Deutsch, wo ich alles verstanden habe, waren Azad und Sido die wichtigsten Einflüsse. Kool Savas habe ich auch gehört. In weiterer Folge habe ich viel Deutschrap gehört. Seit einem halben Jahr aber generell wenig Rap. Ich wollte in der Albumentstehungsphase nicht zu viel Rap hören, damit es was Eigenes wird.

Was ist dir das Wichtigste bei deinen Tracks? Wenn du an Bausteine wie Message, Technik, Style und so weiter denkst.
Das Allerwichtigste ist die Authentizität. Die macht auch das Gefühl. Ein King-Rapper ist jemand, der alles auf einem hohen Level vereinen kann. Ich habe dazugelernt. Früher war das Technische viel wichtiger, aber ich habe mittlerweile viele Songs gehört, die nicht so sauber sind, wo das Gefühl überwiegt und es auch passt. Aber natürlich kommt es schöner ins Ohr, wenn es technisch fein ist, Wörter und Reime aufeinanderpassen. Dann nimmt man es vielleicht leichter auf oder kann es besser nachfühlen.

Hast du mit Freestyles begonnen oder zuerst ganze Tracks nachgerappt?
Ich habe Texte von Azad und Eminem nachgerappt, um Rappen zu lernen. Das Texten hat ein paar Jahre später begonnen, mit 15 oder 16. Es waren eher einzelne Zeilen. Ich habe lange gefreestylt, bevor ich die ersten Songs geschrieben habe. Die ersten Aufnahmen sind ungefähr fünf Jahre alt, da war ich Anfang 20 und bin nach Graz gezogen.

Hat es in deinem Lienzer Umfeld andere Leute gegeben, die gerappt haben, oder hast du allein im Kinderzimmer gefreestylt?
Im Kinderzimmer vorm Spiegel (lacht). Es hat andere gegeben, die gerappt haben, die mich auch inspiriert haben, aber die waren alle knapp zehn Jahre älter. Die kennt man nicht wirklich außerhalb von Lienz.

Du bist mit 20 nach Graz gegangen. War es easy, dort zu connecten?
Ich habe Glück gehabt, es ging viel schneller als gedacht – innerhalb von ein paar Wochen. Ich habe begonnen, den Zivildienst in einer Kunst-HTL zu machen. Das Schulbuffet wird von der Lebenshilfe organisiert. Dort habe ich einen meiner heutigen besten Freunde, Philo, kennengelernt. Er ist Teil von 020 Athletics. Über ihn habe ich Grapejce kennengelernt, der zu dieser Zeit damit begonnen hat, HipHop-Beats zu machen.

Du bist später trotzdem wieder nach Lienz gegangen, oder?
Genau. Ich war wieder in Lienz, habe letztes Jahr auch für ein paar Monate in Wien gelebt, jetzt bin ich aber wieder zurück in Graz. Da fühle ich mich auch am wohlsten.

Auch auf der Bühne fühlt sich Sesa wohl. Foto: Saskia VonderWiese

Typische weiblichen Abwertungen wie „Bitch“, „Hoe“ oder auch „Pussy“ kommen bei deinem Album wiederkehrend vor. Wäre vor zehn Jahren kein großes Thema gewesen, aber in der heutigen Zeit hat das bisschen einen Beigeschmack. Hast du darüber nachgedacht? Braucht es das?
Echt? So oft hätte ich es gar nicht wahrgenommen (lacht).

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Die Line „Ich komm in den Hals deiner Bitch und trink’ dabei einen Tee“ zum Beispiel.
Ich habe zwei Nachrichten gekriegt von Leuten, die mir explizit wegen der Zeile geschrieben haben und gesagt haben. Es ist ihre Lieblingszeile.

Wie viel bewusste Provokation ist dabei?
Es ist schon auch absichtlich. Ich weiß ja, in welcher Zeit wir leben. Ich habe die Line lustig gefunden und polarisiere gern. Früher noch viel mehr, jetzt bin ich eh schon ein bisschen reifer und älter geworden. Ich finde, es gehört auch dazu. Ich will das nicht lassen. Es ist wenig, aber ein bisschen was in die Richtung wird bei mir wahrscheinlich immer dabei sein.

Muss Rap für dich etwas Provokantes beinhalten?
Er muss nicht, aber kann es sehr gern und hat es auch sehr oft und immer schon gehabt. Es kann natürlich nur Party oder nur Selbsttherapie sein, aber ich persönlich feiere es sehr, wenn es auch ein bisschen provokant ist. Klar, nicht nur stumpfe Provokationen.

Im Pressetext steht, dass du auch auf Osttirolerisch rappst. Ich hätte es nicht rausgehört. Welche Stelle konkret?
Es ist auf „Heute gut morgen gemma“ nur eine ganz kurze Stelle. Da sage ich: „Ich bin nicht St. Martin, mein Name ist Sesa, meine Eltern Middle Eastern, aber der Serhat is’ a Lienzna“. Also nur das Ende.

Kannst du dir vorstellen, ganze Parts oder Tracks im Osttiroler Dialekt zu rappen?
Ich habe schon einmal probiert, im Osttiroler Dialekt zu rappen, weil ich eher so spreche als Hochdeutsch. Es war wirklich schwer, ich habe es ehrlich gesagt auch nicht so gefühlt. Dazu kommt, dass man es auf Hochdeutsch besser versteht.

Osttirolerisch ist ein Dialekt, in dem kaum jemand rappt. Also puncto Alleinstellungsmerkmal und Authentizität sicher ein interessanter Zugang.
Stimmt, das habe ich auch noch nie wirklich gehört.

Anderes Thema: Du hast zwei jüngere Geschwister, oder?
Genau, eine kleine Schwester und einen kleinen Bruder.

Hast du ihnen das Album vorgespielt? Oder auch deinem Vater, der ja vertreten ist?
Ich habe es meinen Geschwistern vorgespielt, sie haben es voll gefeiert. Meinem Vater habe ich es das Album, als ich es hochgeladen habe, geschickt. Ich habe ihm gesagt: „Ich bin mir nicht ganz sicher. Ich habe dich da heimlich aufgenommen. Gefällt es dir? Kann ich’s aufs Album packen?“ Er hat es glaube ich gefühlt. Er zeigt seine Gefühle nicht so gern, aber hat gesagt: „Wenn du willst, dann mach das.“

Es gibt die Line „Meine Mama gab für mich mein Leben“. Wie ist das gemeint?
Nicht so, wie man denken könnte. Sie ist gesund und gottseidank ist alles okay. Sie hat ihr ganzes Leben für die Kinder gegeben, sich so für uns eingesetzt. So wie viele Mütter.