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Spannungsarmes „Rennen“ von SOHN // Review

Spannungsarmes „Rennen“ von SOHN // Review

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(4AD/Beggars Group (Indigo)/VÖ: 13.01.2017)

Auf welch diffuse Weise die Tätigkeit des Rennens Einfluss auf die persönliche Weiterentwicklung nehmen kann, wurde bis dato am treffendsten vom japanischen Schriftsteller, ewigen Literaturnobelpreis-Anwärter und Hobby-Läufer Haruki Marukami beschrieben. Gilt bei ihm Rennen nicht nur als körperformendes, sondern in erster Linie als mentales Training, das sich vor allem durch ein Verlangen nach Leistungssteigerung und Veränderung ausdrückt. Gedankenspielereien, die sich ungemein treffend für die derzeitige Karrieresituation des ehemaligen Wahl-Wieners SOHN erweisen, da bei ihm reichlich Anknüpfungspunkte zu der weisen Metaphorik Marukamis bestehen. In den vergangenen Jahren nahm die Karriere des Electro-R’n’B-Künstlers auch die Fasson von Veränderung, Weiterentwicklung und Leistungssteigerung an. Weswegen die Benennung seines zweiten Albums mit dem reichlich interpretierbaren Titel „Rennen“ als gut durchdachte, dialektische Wahl erscheint.

Der immense Karrierefortschritt des Christopher Taylor, so SOHN bürgerlich, wird umso deutlicher, wenn seine ersten Gehversuche mit dem „Indielectro Angst-Pop“-Projekt Trouble over Tokyo in Erinnerung gerufen werden. Dessen musikalisches Konzept schon damals ausgereift wirkte, die Massen aber nicht begeistern konnte. Anders Taylors Soloprojekt SOHN, das nicht nur dank eines 4AD-Deals für Furore sorgt, sondern im Vorfeld zu „Rennen“ einem Millionenpublikum zugänglich gemacht wurde. Immerhin trat SOHN als Show-Act bei Jimmy Kimmel auf und flimmerte so über Millionen US-Bildschirme. Eine große Ehre, sicherlich – aber auch ein Zeichen des hohen künstlerischen Standings, das Taylor international genießt. Diesen Erfolg jedoch nur auf seine Soloreleases zuzuschreiben, wäre kurzsichtig. Denn ebenso bedeutend sind seine Tätigkeiten als Produzent für Popkünstler wie BANKS und Lana Del Ray oder Songwriting-Dienste für Größen wie Rihanna. SOHN hat die kontemporäre Popmusik schlichtweg mehr geprägt als man gemeinhin annehmen würde.

Der Titel „Rennen“ ist allerdings nicht nur spiegelbildlich für die Veränderungen als Musiker, die sich in den vergangenen Jahren ergaben. „Rennen“ weist in gleicher Linie auf das veränderte Privatleben Taylors hin. Tauschte er nach dem Debüt „Tremors“ nicht nur die neue alte Heimat Wien mit der zivilisatorischen Einsamkeit der nordkalifornischen Wälderlandschaft, sondern gründete auch eine Familie. Neue Gefühlslagen, die wenig überraschend ihre Spuren auf „Rennen“ hinterlassen mussten.

Dementsprechend ist das Album ein Abgesang an die Sorglosigkeit vergangener Tage und ein permanentes Abspulen von ernsthaften Überlegungen, mit einem Hang zum Malen eindringlicher Angst- und Bedrohungsbilder. Gedankengänge, die wohl in Zusammenhang mit der neuen Rolle väterlicher Verantwortung stehen. Anders als auf „Tremors“ wagt sich SOHN diesmal auch verstärkt in politische Gefilde vor. So wird mit „Conrad“ gebannte „Fünf vor zwölf“-Lyrik über den Klimawandel geliefert, mit „Proof“ Systemkritik geübt und auf „Primary“ der Menschheit jegliche Weiterentwicklung in den vergangenen achtzig Jahren entsagt („I thought we were past this, I thought we’d grown/It’s just 80 years since we did this before“). SOHNs Worte neigen zur Dramatik, zur Überspitzung – sind aber weit von vorwurfsvoller Panikmache entfernt. Der Herr macht sich einfach Gedanken über eine Welt, die aus den Fugen geraten ist. Und findet glücklicherweise dafür sogar die richtigen Formulierungen.

Trotz starker politischer Konturen ist „Rennen“ kein durchgängig politisches Album. So dient der bluesige Opener „Hard Liquor“ als Auseinandersetzung mit dem Alkoholismus, die aber aufgrund stumpfsinniger Zeilen wie „My baby don’t need a song/My baby won’t sing along/She don’t need my muscle/’Cause her liquor’s strong“ an Wirkung einbüßt. Tracks wie „Rennen“ oder „Still Waters“ sind Produkte neugewonner väterlicher Reflexion, während SOHN mit einer Ballade wie „Signal“ in bekannte Gewässer schippert, ohne den Anschein einer leidigen Routineübung zu erwecken. Das Album zeigt daher eine Vielzahl interessanter textlicher Konzepte, deren Stärke auch in einer sorgsam eingestreuten Verwendung maritimer Referenzen liegt: Wasser ist in unterschiedlichen Ausformungen auf „Rennen“ präsent, wie die Songtitel zeigen. Bei dieser leidenschaftlichen Detailversessenheit lässt sich über manch wenig einfallsreiche Hook, wie sie SOHN etwa auf „Falling“ präsentiert, hinwegsehen.

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Einen Kontrapunkt zur überwiegend gefälligen textlichen Komponente bietet jedoch die Musik. Zwar gibt es an SOHNs Falsett wenig einzuwenden, die Krux liegt allerdings in den Beats begraben. Gänzlich unerwartet, liegt doch im Produzieren die Kernkompetenz des Briten. Umso fragwürdiger, warum SOHN für sein Album ein solch impulsarmes Gebilde, dem zu oft jegliche Form eines Spannungsmomentes entbehrt, zusammenstellte. Die Nutzung ungewöhnlicher Perkussionsinstrumente wie Gläser oder Küchenutensilien mag zwar den Anschein erfrischender Unkonventionalität erwecken, die jedoch nur bruchstückhaft auf „Rennen“ enthalten ist. Zu oft geht SOHN den sicheren Weg und baut seine Songs nach dem gleichen Prinzip auf. Die Idee, einen Titel mit einem wuchtigen Crescendo zu beenden, ist beim ersten Mal zweifelsfrei eine gute. Vielleicht auch noch beim zweiten Mal. Wenn dieses Mittel aber redundant durch die Hälfte des Albums durchgezogen wird, macht sich der Künstler berechenbar, mit Eintönigkeit als logische Konsequenz. Eine der wenigen abwechslungsreichen Momente bietet der Piano-Loop auf dem Titeltrack, aber bei einem Künstler seines Kalibers, der gerne in eine Reihe mit James Blake gestellt wird, darf man doch etwas mehr erwarten.

Fazit: Textlich zeigt sich SOHN auf „Rennen“ gereift und hinterlässt damit einen positiven Eindruck. Seine Routineübung in Form der Produktion kantiger Beats fällt aber ins Wasser. Nach starkem Beginn verflacht das Album, mit Ausnahme des Titeltracks, zusehends. Schlimmer noch: Die Instrumentals versinken in Irrelevanz. Schade, da sich SOHN so um die Lorbeeren seiner Kunst bringt. „Rennen“ bietet, um ganz bei Marukami zu bleiben, durchaus ein stimmiges Bild der künstlerischen Weiterentwicklung von SOHN. Sein musikalisches Ziel hat er aber noch nicht erreicht. Doch bekanntermaßen gehören Rückschläge beim Rennen dazu – und dass SOHN sich in der Mitte seiner Karriere befindet und noch zu künstlerischen Höchstleistungen auflaufen wird, ist wahrlich nicht ausgeschlossen.

2,5 von 5 Ananas