"The hardest thing to do is something that is close…
Es ist kaum möglich, das Schaffen von Vandalismus, vormals Degenhardt, zu kategorisieren. Seine Musikstücke sind sprachgewaltige Kunstwerke, vorzugsweise mit nerdigen B-Movie-Schnipseln verziert. Auch das jüngste, im September 2020 erschienene Album „Gloria & Schwefel“ bleibt trotz poppigeren Anstrichen dieser Linie treu. „Gloria & Schwefel“ ist ein Album voller starker Statements, die man in dieser Form im Deutschrap selten findet. Dass die Inhalte des Albums nicht von der Person dahinter zu trennen sind, zeigt Vandalismus im Interview mit The Message. Ein Gespräch über Geschlechterrollen, „Cancel Culture“ und HipHop-Journalismus.
The Message: Im Track „Maskulina“ setzt du dich mit dem Thema Männlichkeit auseinander. Was hat dich dazu veranlasst?
Vandalismus: Ich habe mich schon immer mit meinen Befindlichkeiten in Songs auseinandergesetzt. Momentan geht mir der ganze Sexismus sehr auf den Sack. Ich habe immer Angst, dass so ein Song etwas berechnend daherkommt. Deswegen halte ich mich auch bei politischen Äußerungen in den sozialen Medien zurück. Aber da ich so genervt davon bin, was in bestimmten Bereichen abgeht, war es für mich selbst okay, so einen Song zu machen.
Welche Bereiche meinst du hier konkret?
Im musikalischen Bereich, vor allem im Deutschrap, hat man oft das Gefühl, dass es als witzig empfunden wird, wenn man sich noch beschissener in punkto Frauenverachtung oder Gleichberechtigung positioniert. Klar, Provokation gehört dazu, aber dass jemand versucht, mit noch sexistischeren Texten oder Aussagen zu punkten … (überlegt) … das würde jetzt in einer Hassrede enden, so eklig finde ich das.
Hat sich in der Rap-Szene in den vergangenen Jahren etwas geändert?
Die Schere geht weiter auseinander, das Mittelfeld fällt weg. Die, die schon immer cool waren und immer eine gute Meinung hatten, werden jetzt aktiver und positionieren sich. Die, die schon vorher beschissen waren, werden noch beschissener. Man muss sich nur die Kommentare unter manchen Videos durchlesen. Da möchte man oft mit dem Flammenwerfer durch die Welt laufen. Das ist wirklich grauenhaft, was sich im Rapkosmos an Schmodder herumtreibt.
Welche Strategien gibt es gegen diesen „Schmodder“?
(überlegt) Es nützt keinen etwas, Menschen, die ein tendenziell schlechtes Bild oder schlechte Meinung haben, in eine Märtyrerrolle zu drängen. Dann werden sie sich noch eher verhärten und damit wohlfühlen. So wird man nichts erreichen. Man wird wenige Menschen durch brutales Vor-den-Kopf-Stoßen verändern. Wenn man etwas verändern will, müsste man allen Leuten die Hand reichen. Demos und Positionierung sind gut, damit die eigenen Reihen gestärkt werden und die Grauzonen-Sympathisanten einen Schub bekommen, sich zu positionieren. Gegen den Feind ist es hingegen kontraproduktiv. Ein AfD-Wähler wird sich durch eine Anti-AfD-Demo nicht abgeschreckt, sondern vielleicht noch stärker in die „Jetzt erst recht!“-Märtyrerrolle gedrängt fühlen.
„Es gibt nichts typisch Männliches, typisch Weibliches mehr“
Was macht einen Mann im Jahr 2020 aus?
Gar nichts, es gibt nichts typisch Männliches, typisch Weibliches mehr. Einen Menschen 2020 macht aus, dass er offen ist, sich umguckt und zuhört. Der Rest ist alles Bullshit.
Haben Geschlechterzuordnungen gegenwärtig noch einen Sinn?
Das darf jede*r für sich selbst entscheiden, ob man sich als Mann oder Frau fühlt, ob man kategorisiert sein will. Es darf so bunt und breit sein, wie es nur geht. Je bunter und diverser, desto besser, weil man so den Leuten diese Rollenbilder aberzieht.
Bringen Frauenquoten wie bei der Tapefabrik etwas, um die Diversität im Deutschrap zu steigern?
Als Übergangslösung bringen die etwas, weil man damit Leute zu ihrem Glück zwingt. Aber das kann nicht die endgültige Lösung sein. Wichtig ist, dass sich etwas bewegt.
Die sogenannte „Cancel Culture“ ist in den vergangenen Wochen zu einem großen Thema geworden. Wie stehst du dazu, wenn Festivals Künstler*innen aufgrund ihrer Handlungen ausladen?
Eine solche Positionierung ist wichtig. Grundsätzlich muss „Cancel Culture“ aber gut überwacht werden. „Cancel Culture“, die 80 Prozent des Austauschs platt macht, ist genauso falsch. Es braucht immer einen begleitenden Diskurs. Es ist nicht gut, eine*n Künstler*in von einem Gespräch auszuladen. Ich würde jede*n Künstler*in in eine Diskussionsrunde einladen, selbst wenn es Hitler persönlich wäre. Diese Runde muss natürlich gut moderiert werden, sie muss ausgeglichen sein und es muss Notbremsen geben.
Kannst du etwas mit dem Argument anfangen, dass extreme Meinungen keine öffentliche Plattform bekommen sollten, da sie durch solche Auftritte ihren Schrecken verlieren könnten?
Ich bin kein Freund von Verallgemeinerungen und Schemata. Ich würde natürlich gucken, wie weit das ausartet und ab wann kein Gespräch mehr möglich ist. Ich würde es dennoch anbieten und haben wollen. Wenn man aber merkt, dass eine*r nicht willens ist, in den Diskurs hineinzugehen, dann kann man die Sache auch sein lassen. Das ist auch ein Statement, wenn man die Diskussion dann abbricht, wenn sie nichts bringt. Es gibt Leute, bei denen man weiß, dass das nichts bringt. Aber ich würde dem immer noch die Chance geben. Genauso wie ich Menschen einen Fehlerquotienten zugestehen würde – dass Menschen die Möglichkeit haben, sich zu revidieren.
„Der Personenkult ist in unseren Zeiten pervers wie noch nie“
In den vergangenen Jahren rückte die Künstler*innenperson bei der Rezeption von Kunst immer stärker in den Vordergrund. Verändert sich dadurch unser Verständnis von Kunst?
Das ist schon immer so gewesen. Auch wenn man nicht wusste, wie die Menschen privat waren, ging es immer um den Personenkult. Der Personenkult ist in unseren Zeiten pervers wie noch nie. Natürlich steht hinter jedem Kunstwerk ein Privatmensch. Die Künstler*innen nutzen das auch aus. Es geht immer um eine Person dahinter, die teilweise größer ist als das musikalische Schaffenswerk. Und das muss immer miteinbezogen werden. Wenn es etwa um Fehlverhalten wie Missbrauch geht, muss die Musik sofort mit der Person in den Zusammenhang gebracht werden. Das ist das Maß, wo eine „Cancel Culture“ für mich Sinn macht.
Eine Frage, die bei umstrittener Kunst immer wieder auftaucht, ist die nach den Charakteristika von Satire. Wo liegt der Unterschied zwischen Beleidigung und Satire?
Es gibt einen gesellschaftlichen Mittelwert. Dieser zeigt, dass so etwas wie K.I.Z. offensichtlich eine Satire ist. Wenn sich ein Serdar Somuncu früher hingestellt hat und etwas Satirisches darstellte, was der Großteil der Menschen so sah, dann ist das ja gut, dann scheint es die Mehrheit verstanden zu haben. Wenn er sich heute hinstellt und verallgemeinert, und man sieht, dass es nur um Provokation geht, dann darf das medial und menschlich kritisiert werden. Das kann man den Menschen überlassen. Das muss man nicht schematisch vorher eingrenzen. So wie bei Kunst. Kunst darf ziemlich viel, nicht alles, aber viel mehr, als es den Menschen guttut. Wie man in zweiter Instanz damit umgeht, das ist das Entscheidende. Ein*e Satiriker*in darf beschissene Hitler-Witze machen – aber die Menschen können dann sagen, dass das furchtbar scheiße ist. Wir müssen davon wegkommen, alles verbieten zu wollen. Das kann nicht Sinn der Sache sein. Das geht in Richtung Diktatur. Wir müssen vielmehr den Diskurs stärken und den Umgang mit schlechter und anrüchiger Kunst lernen. Wie man Dinge medial zerreißt, das muss besser funktionieren.
Im Musikbereich hatten früher die Musik-Medien die Rolle der Kontrollkonstanz. Mittlerweile haben diese doch stark an Bedeutung eingebüßt.
Das sehe ich nicht so. Es wird zwar so kommuniziert. Die Musik-Medien begeben sich gerne in die Opferrolle. Es kann zwar jede*r seinen Instagram-Account selber pflegen und es kann sein, dass die Künstler*innen die Medien nicht zur Promo brauchen. Es stimmt aber nicht, dass gute Medien keine Bedeutung mehr haben. Manche Rapmedien haben lange Zeit mit dünnem Content und dem Wohlwollen der Künstler*innen existiert, und diese können jetzt leicht durch Instagram ersetzt werden. Aber gleichzeitig gibt es Medien wie ALL GOOD, The Message, Machiavelli, die einen anderen Zugang wählen. Der beinhaltet natürlich viel mehr Arbeit, aber das zahlt sich dann aus. Ein individuelles, attraktives HipHop-Medium zu sein, ist 2020 ein Knochenjob. Wenn ich ein gutes Magazin habe, dann lesen das die Leute. Das Magazin kann bestehen und hat dann Relevanz.
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