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„Der Sexismus im Deutschrap ist grauenhaft“ // Vandalismus Interview

„Der Sexismus im Deutschrap ist grauenhaft“ // Vandalismus Interview

Alle Fotos: Quinten Quist

Deutschraps Untergrund-Held Degenhardt hat es wieder getan und seinen Künstlernamen geändert. Sogar fundamental, erschien sein jüngstes Album „Freunde lügen nicht“ im November 2019 unter dem Namen Vandalismus. Damit aber nicht genug der Veränderung, ist „Freunde lügen nicht“ auch musikalisch und inhaltlich eine Abkehr von den bisherigen Degenhardt-Projekten. Zwar nicht so radikal wie die Veränderung des Künstlernamens, aber dennoch. „Freunde lügen nicht“ ist das Produkt eines persönlichen Reifeprozesses, der sich bei Degenhardt/Vandalismus in den vergangenen Jahren vollzogen hat. Ein Gespräch über Kartenhaus-Konstrukteure, #MeToo und Wohlstandskommunisten. 

Die erste Auffälligkeit der neuen Platte ist der Künstlername. Früher hast du zwar immer wieder mit dem Namen Degenhardt herumgespielt, nun aber einen komplett anderen Künstlernamen gewählt. Wie kam es dazu? 
Nach dem letzten Degenhardt-Ding („Das Handbuch des Giftmischers“, 2017, Anm.) habe ich eine längere Pause gemacht. Danach wollte ich bei der Musik nur relativ unbedarft an die Sache herangehen und mir keinen Kopf über irgendetwas machen. Da ich es immer mag, mit Namen und Logos herumzufricklen, habe ich mich einfach umbenannt. Audiolith fand das logischerweise zwar nicht so schlau, aber da es mir wichtig war, standen und stehen die da hinter mir, weil die super sind. Mir ging es nur darum, etwas „unbelegter“ Musik machen zu können. Ich hatte ja schon immer im Kopf, Musik unter einem komplett anderen Namen zu machen. Irgendwann habe ich das Wort „Vandalismus“ in einem Buch gelesen. Ich fand das Wort plump, aber ein bisschen geil. Passt ja zu den anderen Hobbys, die ich habe (lacht).

Hast du diese Rap-Auszeit als schöpferische Pause genützt?
Es war zunächst eine Gesamtruhe, einmal komplett raus sein. Ich habe immer relativ hohen Output gehabt und noch eine Punk-Band nebenher. Irgendwann kam der Punkt, an dem ich mir sagte: „Jetzt ziehe ich mich mal raus.“ Ich habe zwar immer wieder einzelne Sachen geschrieben, aber das war alles sehr unverkopft, was selten bei mir der Fall ist. Das hat sich sehr gut angefühlt. 

In welchem Zusammenhang stehen deine Punk-Band und deine Rap-Sachen?
Ich mache schon länger Punk-Mucke. Ich bin mit klassischem Deutsch-Punk, mit Oi, groß geworden, das ging nebenher zum Rap. Angefangen habe ich mit Rap-Mucke, dann kam die Band. Das hat sofort Mega-Spaß gemacht. Für die Band habe ich zunächst klassische Punk-Songs geschrieben, Songs übers Biertrinken oder Spielplatzmörder. Jetzt habe ich angefangen, bisschen mehr Quatsch zu schreiben, weil wir keine klassischen Straßenpunks sind. Einfach nur Punchlines und lustige Lines. So fließt es dann wieder rüber: Auf dem Vandalismus-Album sind deutlich mehr lustige Sprüche zu hören, es ist weniger Biografisches enthalten, es ist mein unpersönlichstes Album. Da gibt es schon eine Grätsche. Und der Spaß und die kindliche Begeisterung: Bei der Band spielen wir teilweise vor zehn Leuten, davon kennen uns zwei, die quer durch das Land zu unseren Auftritten reisen. Es hält sich überhaupt nicht die Waage, was wir reinstecken und was dann herauskommt. Das kannst du nur machen, wenn du einen kindischen Spaß daran hast. Das ist bei meinen Rapsachen und bei meiner Band der Fall. 

Abseits dieses kindischen Spaßes: Was treibt dich weiterhin an, Musik zu machen?
Kreativ sein. Ich gehe nicht in die Kneipe und hänge nicht mit Leuten einfach so herum, sondern beschäftige mich immer kreativ. Ich bin ein kleines bisschen Rampensau, aber das muss auch so sein. Das ist bei mir sehr wankelmütig, zwischen Vollrampensau und megaschüchtern. Das andere ist Texte schreiben. Das macht mir am meisten Spaß. Mir Gedanken machen, herumlaufen, Sachen einbauen, herumformulieren und dann freuen über einen Spruch, den man selbst gut findet und den sonst gar keiner rafft – irgendwelche Insider, die sonst keiner kennt. Und das normale Fan-Sein. Ich bin Mega-Fan von Mucke. Das Geile ist, diese Mucke selbst zu machen. Beim Rap-Ding war zu Beginn ein wenig ein Schamfaktor dabei. Bei der Band sah ich die Instrumente, es klang alles megaräudig, aber es war laut und geil und fühlte sich unfassbar gut an. Dieses Gefühl, zu sagen: „Ich kann das machen, was ich selber seit 1000 Jahren bei anderen Leuten toll finde“ ist eines der Hauptantriebe. 

„Inhaltlich ist es einfach schlecht“

Auf „Freunde lügen nicht“ gibt es auffällig oft Kritik am gegenwärtigen Deutschrap zu hören. Was stört dich so daran? 
Es ist seltsam, dass immer viel darüber gesprochen wird, wie dumm und platt der momentane Deutschrap ist – aber auch, wie erfolgreich er ist, ohne dass dabei ein Zusammenhang gezogen wird. Das ist einfach panne. Es ist noch nie etwas so dummdreist reproduziert worden wie bei diesem „Le Le Le“-Ding, diesem deutschen R’n’B, der plötzlich als Deutschrap schlechthin gilt. Wenn einer Bock hat, einen Song über Ferraris zu machen, dann ist das voll in Ordnung. Wenn es alle Leute reproduzieren, wenn ihnen nichts Besseres einfällt oder sie es nur machen, weil es funktioniert, dann ist es unfassbar scheiße und muss aufs Übelste diskreditiert werden. Inhaltlich ist es einfach schlecht. Dieser deutsche R’n’B ist ein Teilbereich, und das gestehe ich dem zu. Ist nicht mein Geschmack, ich finde das megasinnlos und belanglos und schlecht. Ist okay. Aber es darf nicht als der Rap schlechthin gelten.  

Ist es schwierig, solche Kritik zu äußern, ohne dabei verbittert zu klingen?
Kommt darauf an, wie man’s macht. Ich würde das ja eigentlich nicht ausformulieren (lacht)  – was ich trotzdem gerade gemacht habe. Man muss es ja nicht breittreten. Ich gestehe ihnen ja die Koexistenz zu, die können gerne „Le Le Le“-Songs machen. Aber ich finde es dann besser zu sagen: „Lass uns die Sparten stehen lassen!“ Dann müssen wir das Ganze nicht mehr so dramatisch diskutieren. Es ist ja ganz klar, dass ein Prezi (Prezident, Anm.) nicht das Gleiche ist wie ein Capital Bra. Dann mach doch einen Artikel über R’n’B und über polternden Untergrund-Rap, aber vermenge das nicht. 

Bei AllGood hast du 2017 über deinen Lieblingsrapper grim104 geschrieben – und gleichzeitig über Kool Savas, den du metaphorisch mit einem Modell-Eisenbahnfan verglichen hast, zu dem er deiner Meinung nach wurde. Wie kann man als Rapper sich dagegen wehren, spießig zu werden?
Gar nicht. Das ist ein Naturell, das hat etwas mit dem Charakter zu tun. Wenn du ein spießiger Mensch bist, ist das in Ordnung. Das gibt’s überall, das gibt’s bei Skatern, bei Sprayern, bei Rappern. Wäre ja supereklig, wenn jemand, der vom Herzen ein bisschen konservativer ist, versucht, das umzuändern. Du sollst es einfach machen, wie du’s magst, sonst wäre es ja falsch. Anpassen wäre ja fake. 
Ich muss es ja nicht gut finden: Wenn jemand Bock hat, ein 14-stöckiges Kartenhaus zu bauen, dann ist das sein gutes Recht. Aber mein gutes Recht ist es, als Beobachter/Zuhörer zu sagen: „Boah, alter, was soll das? Ist ja schön, dass du dir so viel Arbeit gemacht hast, aber mir gibt das überhaupt nichts.“ So habe ich in dem Artikel Savas verglichen. Für mich ist das künstlerisch unfassbar dünn. Das ist so ähnlich wie mit DJ-Battles: Die sind so unfassbar aufwendig und schwierig, aber das ist irgendwie nur Fachidiotie, gemein ausgedrückt. Ich kann die Arbeit wertschätzen, wenn jemand das 14-stöckige Kartenhaus gebaut und dafür vier Tage gebraucht hat. Gibt mir halt nur zwei Prozent und die zwei Prozent sind Respekt vor der Arbeit. Aber kreativ und künstlerisch … gibt mir das nichts.  

Bei den Vorab-Singles zu „Freunde lügen nicht“ fällt dein Faible für japanische Pop-Kultur auf. Welche Rolle spielt japanische Pop-Kultur für dich als kreativer Impuls?
Mir ist meine ganze Pop-Kultur wichtig, die japanische ist davon ein entscheidender Teil. Es war schon immer so, dass mein Nerdtum stark in meine Mucke hineingeflossen ist, egal, ob das japanische, koreanische oder russische Sachen waren. Ich bin ein großer Fan und Sammler und habe das immer in der Mucke propagiert. Das Japanische war schon sehr früh da, und als ich in Japan das erste Mal war, hat sich das noch einmal im Gesamten verfestigt, weil ich diese Kultur dort so toll und imposant fand. Die Reise hat mich bewogen, dass ich über Mangas und die regulären Filme hinausgegangen bin. Das Anime-Faible hat sich zu einem Gesamtkulturfaible entwickelt.

„Durch den Klima-Wandel habe ich eine Hemmschwelle“

Muss man die Kultur direkt vor Ort  erleben, um sie richtig zu verstehen?
Es ist toll, das zu machen und dort hinzureisen. Das klingt aber ein bisschen wie „Das muss man auf Englisch gesehen haben, sonst kann man das nicht beurteilen.“ Wenn man die Chance hat und das möchte, dann ist das natürlich geiler. Weil man seinen Horizont dadurch erweitert. Ich fand das ganz toll und würde das gerne noch mehr machen. Aber durch den Klimawandel habe ich eine Hemmschwelle. 

Hängt dieses Bewusstsein für den Klimawandel mit einem persönlichen Reifeprozess zusammen?
Natürlich hat sich das Bewusstsein mit dem Alter verstärkt. Ich war einmal ein größerer Dilettant, was meine Einstellung zu allen möglichen Sachen angeht. Das ist beides okay. Man war einmal 19 und hat auf alles geschissen, und man war einmal 25 und hat begonnen zu überlegen: über den Gebrauch gewisser Wörter, gewisse Einstellungen oder dem Verhalten der Umwelt gegenüber. Ist aber super, dass es schon 15-Jährige gibt, die so reif sind und das gleich machen, aber ich meine das grundsätzlich, ob man jetzt noch gewisse Wörter sagen darf, ob man sich gut dabei fühlt, „Hurensohn“ zu sagen, oder ob man sagt: „Das fühlt sich heute nicht mehr so cool an.“ Ich würde heute nicht mehr „Fotze“ sagen. Aber ich finde es vollkommen okay, das einmal gesagt zu haben, und heute zu sagen: „Ich finde das überhaupt nicht cool, ich fühle mich richtig schlecht damit.“

„Da bin ich ein Verfechter der #MeToo-Kampagne“

Sexismus im Deutschrap ist in den vergangenen Monaten zu einem viel diskutierten Thema geworden. Wie gehst du damit um? 
Der Sexismus im Deutschrap ist grauenhaft, ganz ganz grauenhaft. Ich akzeptiere auch diese Floskel-Ausrede, dass Deutschrap nur ein Spiegel der Gesellschaft sei, nicht. Das mag zwar zu einem Punkt stimmen, aber das habe ich schon bei der Zweimillionsten-Ticker-Geschichte als billige Ausrede abgelehnt. Deutschrap hat sich vor der Autotune-Ära in ein so hart ekelhaftes Frauen- und Männerbild reinbugsiert, das ist immer noch da und ist immer schlimmer geworden. Ich habe für mich selber gesagt: „Ich höre nix von dem Zeug!“ Ich habe da keine „Guilty Pleasures“. Sexismus muss ganz klar gefrontet werden. Was Sexismus angeht, da bin ich sehr schnell auf 180. Wenn ich dem begegne, würde ich sehr schnell eingreifen und sehr energisch werden, weil ich das so schlimm finde. 

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Wie sieht das bei Rap-Battle-Formaten aus, zum Beispiel „Rap am Mittwoch“? Dort sind sexistisch zu wertende Zeilen allgegenwärtig.
Finde ich auch dort scheiße. Das ist keine Sache, die ich gefeiert habe. Außer früher die Karate-Andi-Sachen, weil er es mit seinen Punchlines und der Attitüde ein bisschen ironischer gemacht hat. Aber generell geben mir diese Battles nicht viel. Den Part, der ins Sexistische reingeht, den finde ich verachtenswert. Wenn man Bock hat sich zu beleidigen – wenn man charmant beleidigt, so wie Karate Andi, wenn man das Sexistische abzieht – ist das okay. Aber die meisten Sachen sind unfassbar sinnlos und scheiße. 

Hat #MeToo für ein neues gesellschaftliches Bewusstsein im Umgang mit Sexismus gesorgt?
Die #MeToo-Kampage war für die ganzen Grautöne, für die Feinheiten wichtig. Wie du Frauen anlaberst, dafür wurde eine Sensibilität geschaffen – und da bin ich Verfechter der #MeToo-Kampagne. Dass eine Vergewaltigung schlecht ist, das haben die meisten schon in den 80ern gerafft. Aber für die Feinheiten war lange Zeit kein Bewusstsein da. Nun kann man hoffen, dass jemand in der Disko Zivilcourage zeigt, wenn er einen Übergriff bemerkt, auch wenn es „Kleinigkeiten“ wie ein paar „blöde“ Sprüche sind. 

Im Track „Alle hassen R’n’B“ sprichst du von „Wohlstandskommunisten“. Was verstehst du unter „Wohlstandskommunismus“ ?
Du willst mich unbedingt noch in die Marcus-Staiger-Diskussion reinbringen (lacht). Das ist ein großes Fass. Das Wort basiert auf Beobachtungen, dass man immer das haben will, was man gerade nicht hat. Ich komme aus einem sozialistischen System (DDR, Anm.), Sozialismus ist in der Punk-Szene sehr verbreitet, es gibt dort die verschiedensten Anarcho-Gruppen, ich hatte früher mit Leuten von den Falken (Sozialistische Jugend Deutschlands – Die Falken, Anm.) zu tun. Ich hatte ein Schlüsselerlebnis durch eine Erzählung meines Tätowierers. Der war selber aktiv bei den Falken. Die sind einmal bei einer Gemeinschaftsfahrt nach Russland gefahren – junge, motivierte, hochpolitische Punks im Eifer ihrer Spätpubertät –, um sich dort mit den vermeintlich ähnlich Gesinnten zu vereinen und den Kommunismus am lebendigen Menschen zu erleben. Das war für die eine ultimative Farce. Die sind dort hingekommen – und die Russen fragten nur nach Nikes. Die dachten, dass das irgendwelche Wessis sind mit Kohle, die haben gar nicht gerafft, dass das Punks sind mit ihren frischen Doc Martens und frischen Ideologie und dass die sich dort richtig hart ins Zeug legen wollten. Die fanden das alles total scheiße. Das ist ein leichter Seitenhieb, in die Richtung: „Ich komme aus dem behüteten Elternhaus und habe eine neue Ideologie, die will ich jetzt leben, obwohl ich aus einer ganz anderen Ecke komme und mich nur halbherzig damit beschäftigt habe.“ Jeder der sich ernsthaft mit Politik auseinandersetzt und aktiv ist, ist damit nicht angesprochen.   

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