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Wienpop

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Wienpop CoverRezension: Jan Braula

So viel Mühe hat sich bisher noch niemand gemacht, um die Wiener Popgeschichte zusammzufassen. Von den Fünfzigern bis zur Jahrtausendwende reicht das Spektrum des 400 Seiten Wälzers, über Folk bis New Wave über HipHop bis Noise und Erzählungen vom „Tanztee für die junge Generation Ottakring“, bis zu den illegalen Raves der 90er. Oder anders ausgedrückt: Der Begriff „Wienpop“ wird sehr breit ausgelegt. Dabei werden die zu einer stimmigen Interviewcollage verdichteten Erzählungen der zu Wort kommenden Musiker, Organisatoren, Journalisten und sonstigen Aktivisten durch rund 600, teils bisher unveröffentlichte Abbildungen von Releases, Bandfotos und Flyern untermalt.

Die vier Kapitel teilten sich Thomas Miessgang (50er&60er), Walter Gröbchen (70er), Gerhard Stöger (80er) und Florian Obkircher (90er) untereinander auf, was aber stilistisch nicht weiter auffälllt, da sie sich selbst nur in zweiseitigen Einleitungen ihres Popjahrzehnts zu Wort melden. Ansonsten gehört das Wort den Protagonisten der Wiener Popgeschichte, wobei die Palette der Interviewpartner von Wolfgang Ambros bis Katharina Weingartner reicht. Teilweise widersprechen sich dabei die subjektiven Erinnerungen der Interviewpartner, zum Teil kritisieren sich die Befragten auch gegenseitig. Schließlich war es auch, wie es der Mastermind der Buchveröffentlichung Gerhard Stöger im The Message Interview (Anm.: erscheint Anfang nächster Woche) ausdrückte, ein maßgebliches Ziel: „Geschichte auch über Gschichtln zu erzählen“. Auch wenn es sich um keine Lobhudelei handelt, wird deutlich, dass hier nicht nur akribische Journalisten, sondern auch euphorische Fans am Werk waren. Die Wiener Popgechichte wird nämlich als Erfolgsgeschichte erzählt. Es ist von den Millionenverkäufen von Ganymed, Kruder&Dorfmeister, und DÖF mit Codo und internationalen (Beinahe-)Durchbrüchen die Rede, während völlig gescheiterte Popexistenzen weniger thematisiert werden.  Gleichzeitig werden auch etliche Wiener Rare Grooves und heute vielleicht nicht mehr so bekannte, aber verdiente Labels wie zum Beispiel Schallter, Panza Platte oder Uptight aus den verschiedensten musikalischen Bereichen zur Sprache gebracht.

Weiters werden zum Teil bereits öfters medial thematisierte Geschichten wie jene der Arena Besetzung 1976 oder die des Drahdiwaberl-Wahnsinns neu erzählt, in vielen Fällen handelt es sich aber um bisher noch kaum bis wenig Dokumentiertes oder gar komplett in Vergessenheit Geratenes. Hierbei werden auch einige der einst richtungsweisenden Lokale vom Folk-Club Atlantis bis zum alten Meidlinger Flex in Erinnerung gerufen. Auch nicht zu kurz kommen Anekdoten über Plattenläden (Why not, Black Market, Dum Dum), Fanzines (Der Gürtel, Chelsea Chronicle, Flex’s Digest) und Konzerte, wobei hier die Bandbreite von The Clash 1977 im Porrhaus bis zu Public Enemy und LL Cool J 1987 in der Kurhalle Oberlaa reicht.

HipHop Spezifisches gibt es auch sonst nicht gerade wenig: auf gut 30 Seiten wird unter anderem der Geschichte der Moreaus, den Austrian Flavors, den Anfängen von Tribe Vibes und dem Duck Squad Label gehuldigt. Und auch hier geht es nicht ohne Schmäh und Augenzwinkern zur Sache. Während sich Peter Kruder erinnert, dass Rodney Hunter im Gegensatz zu seiner Wenigkeit keinerlei Talent für den Friseuersberuf hatte und nur gut Haare waschen konnte, erwähnt Skero, dass seine erste, freilich nie veröffentlichte Nummer den programmatischen Titel „I newer wash my hair again“ trug. Weiters erzählt Peter Kruder, dass Richard Dorfmeisters Ähnlichkeit zu Art Garfunkel ihn auf die Idee brachte, mit Dorfmeister eine gemeinsame Platte aufzunehmen. Dies passierte in der Wiener Grundsteingasse und gipfelte in „G-Stoned„.

Gründe zum Schmunzeln findet man in „Wienpop“ zuhauf. Nichtsdestotrotz ist das Buch auch aufgrund der Vielzahl der thematisierten Tonträger äußerst informativ. Der interessierte Leser wird während der Lektüre nicht daran vorbeikommen, immer wieder Discogs unsicher zu machen. An den angefügten Kurzbiographien der befragten Protagonisten lässt sich ablesen, dass der Großteil der befragten Personen nach wie vor im Musikbereich aktiv ist. Vereinzelte mischen heute aber auch in ganz anderen Gefilden, wie zum Beispiel im Politik- und Finanzwesen, mit. Manche Namen, wie etwa Hans Salomon, Hans Platzgumer oder Oliver Kartak, kann man zwar in jenem Personenverzeichnis vermissen, nichtsdestotrotz ist dem Autorenteam die bislang wohl kompletteste und interessanteste Darstellung der Wiener Popgeschichte geglückt.

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Das Buch „Wienpop“ ist unter anderem hier erhältlich.