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Beatshizzle (Juni/20) // Beats & Instrumentals

Beatshizzle (Juni/20) // Beats & Instrumentals

In dieser Reihe widmen wir uns monatlich den neuen Releases der Beat- und Instrumental-Szene. Das Meer an großartigen Beats wird von Tag zu Tag größer und nur die wenigsten Produzenten erhalten gerechtfertigte Credits. Darüber hinaus gibt es regelmäßige Instrumentalreihen – viele der Projekte gehen allerdings in der Flut an Releases einfach unter und werden nicht mit eigenen Artikeln gewürdigt. Dennoch sind sie relevant genug, um ihnen eine Plattform zu bieten. Gesondert haben wir bereits über Flips spätes Instrumentaldebüt „Experiences“ berichtet.

Text: Simon Huber & Simon Nowak

Tek.lun – The Oppression Olympics

Ursprünglich fürs Frühjahr vorgesehen und wegen der Pandemie verschoben, releast Tek.lun am 27. Juli sein House/Dance-Album „Know Pressure“. In der Zwischenzeit hat der Produzent aus Maryland mit „The Oppression Olympics“ ein ambitioniertes Instrumentalalbum vorgezogen. Die Veröffentlichung am 19. Juni, dem „Juneteeth“, kommt nicht von ungefähr. An diesem Tag hat Bandcamp – wie in den Vorjahren – 100 Prozent der Einnahmen an den Legal Defense Fund der einflussreichen Schwarzen US-Bürgerrechtsorganisation NAACP gespendet. Seit 2016 in der Entstehung, widmet sich das Album thematisch den Spaltungen der schwarzen Community, die einer Vereinigung mit der Diaspora im Weg stünden.

Auch auf Sound-Ebene sticht „The Oppression Olympics“ stark aus der Masse an Instrumental-Releases heraus. Die Tracks haben experimentellen HipHop/Electronic-Charakter, sie sind mit viel Gespür für Soundästhetik produziert und bauen trotz einer überschaubarer Menge an Vocal-Samples ein gehöriges Maß an Spannung auf. Stilistisch kommt dabei einen breit gefächerter Mix – inklusive orchestralen Sequenzen, tanzbaren Passagen und Industrial-Flair – zur Geltung. Am Juneteenth hat Tek.lun übrigens mit „Now that‘s what I call a Tek.lun Remix“, „Colors“ und „Best of“ parallel noch eine Menge Remixes, ältere Singles und B-Sides vereint. Macht also insgesamt vier Alben mit 114 Tracks auf hohem Level – wenngleich sich das Potenzial, die Hörer vom Hocker zu reißen, vor allem auf „The Oppression Olympics“ beschränken dürfte.

Mounika. – I need space

Der Franzose Mounika. hat über die vergangenen Jahre seinen Trademark-Sound gefunden und wird unverwechselbar mit seinen ruhigen, melancholischen Beats verbunden. Nicht zuletzt sein als moow veröffentlichtes Album „I can’t tell you how much it hurts“, das auf Discogs zu horrenden Preisen kursiert, hat seine Außenwahrnehmung geprägt. Auch vorher kann er eine umfassende Diskographie vorweisen, die allerdings zumindest auf Bandcamp leider nicht mehr abrufbar ist. Nun folgt mit „I need space“ ein neues Mini-Album und zugleich das erste, das unter dem eigentlichen Künstlernamen auf Vinyl erscheint, nachdem es beim Vorgänger „How are you?“ immer wieder zu Verschiebungen gekommen ist, bis schlussendlich die Veröffentlichung komplett gecancelt wurde. Besonders die Tracks „oBli“ und „25h12“ stechen hervor und sind ein Zeichen für die individuelle Herangehensweise von Mounika.

Tokalah – Sequences

Bislang unbemerkt von unserer eigentlich doch recht großen Bandbreite agiert seit 2018 das Label Pueblo Vista aus Innsbruck. Stilistisch ganz klar an Labels wie Chillhop angelehnt, gibt es größtenteils Lo-Fi-Stuff und „Beats to study to“ mit eigenem 24/7-YouTube-Stream, Animeästhetik und Releases allerhand größtenteils unbekannter Namen aus aller Welt. Der Belgier Tokalah feiert im Juni nach etlichen digitalen Releases sein Vinyldebüt mit „Sequences“, einem Sammelsurium aus Trip-Hop, Boombap und Jazz-Anleihen. Gastbeiträge kommen dabei von den Produzenten Eto Paranoia & Siga sowie den Rappern Robin und Malev da Shinobi, was einen durchaus aufhorchen lässt. Insgesamt ein rundes Ding.

Soudiere & Roland Jones – Game is Tight

Wenn Soudiere und Roland Jones aufeinandertreffen, ist die Erwartungshaltung bei Fans von Memphis-Beats hoch. Der Franzose und sein in Russland lebender Kollege liefern mit laufenden Releases harmonischen Phonk auf hohem Level, ihre Kollektive Purpleposse und Always Proper sind längst Qualitätsinstanzen. Das dürfte den beiden auch bewusst sein, zumal sie ihr gemeinsames Tape „Game is Tight“ getauft haben. Dieses bietet altbewährten, meist mit düsteren Jazz-/Funk-Samples und Chopped-and-Screwed-Vocals bespickten Sound, wobei einige der neun Tracks erhöhtes Banger-Potenzial aufweisen. Das Rad neu erfinden? Nein, nicht nötig, denn die beiden haben ihre Nische zweifellos gefunden.

Nyctophiliac – Everyday Existence

Alleine der Künstlername und die Farbgestaltung seiner Cover zeugen von Nyctophiliacs Faible für düstere Klänge. Die Charakteristik zieht sich durch seine bisherigen Releases. Mit „Everyday Existence“ knüpft der Produzent aus Skopje nahtlos ans 2018 erschienene „Dig Deeper“ und dessen Vorgänger an. Monoton erscheinen die 12 Tracks deshalb aber noch lange nicht. Zwischen Neckbreakern und entspannten Klängen, Boombap, Dark Jazz und Trip-Hop ist eine Menge Platz, den Nyctophiliac auszunutzen weiß. Arrangiert mit dichten Drums, Trompeten- und Saxofon-Klängen, Cuts und Scratches von DJ Плащ und vereinzelten Vocals der Sängerin Sleuth, bringt er ein abwechslungsreiches Programm unter. Viel 90er-Flavour, letztlich aber mit einer klaren Handschrift.

Singularis – Insouciance

Wer auf verspielte Rhythmen, dominante Bässe und Trap-/Electronic-Einfluss steht, wird bei Singularis schnell fündig. Der Niederländer konzentriert sich auf smoothe, zugleich clubtaugliche Banger. Er brachte bereits drei Ausgaben seiner „Club Edits“ heraus, bearbeitete dabei einige Tracks amerikanischer Rap-/R’n’B-Größen wie Tyler, The Creator, Denzel Curry, Lil Baby oder Missy Elliott. Mit „Insouciance“, übersetzt Sorglosigkeit, gibt es seinen Signature-Sound nun auch in Instrumentalform. Der Titel könnte einem unbekümmerten Motto von Singularis beim Produzieren entsprechen, trifft aber auch gut auf die fertigen Tracks zu. Ruhig im Sessel kleben bleiben erscheint bei den druckvollen, von eingängigen Rhythmen getragenen Beats jedenfalls kaum möglich zu sein – aber immerhin bietet „Insourance“ auch einige entspanntere Sequenzen.

Ras G – Raw Fruit Vol. 5 & 6

Knapp ein Jahr ist es mittlerweile her, dass Ras G im Alter von nur 39 Jahren verstorben ist. Kurz vor seinem Ableben hat er die Teile fünf und sechs der „Raw Fruit“-Beattape-Reihe fertiggestellt, die im Juni gekoppelt erschienen sind. Ursprünglich plante der Kalifornier das Release für den 04. April ein, um seiner geliebten SP-404 Ehre zu erweisen. Im Vergleich zu den abstrakteren „Ghetto-SciFi“-Projekten erweisen sich die neuen „Raw Fruit“-Beats als ziemlich geradlinig. Die 26 Tracks basieren auf teils bekannten Samples und sind mit dominanten Bass-Layern ausgestaltet. Kann das Intro mit deutschsprachigem Vocal-Sample noch zum Schmunzeln anregen, wird es beim Hören von „Snow (Spacebase RMX“) mit Vocals des 2015 Sean Price paar Tracks später besonders weh.

Dezi-Belle

Gleich drei neue Releases gab es im Juni wieder aus dem Hause Dezi-Belle. Anatolian Lover schafft mit „Root Section“ ein kurzes, aber hörenswertes Release zum Entspannen, während WOX & Baronski mit „Mind the Gap“ eher zum Kopfnicken oder gar Tanzen („Half-Cut“) animieren. Am meisten sticht jedoch Fed Nance mit „Midnight Hiss“ heraus, das komplett ohne Samples auskommt und dafür allerlei selbst eingespielte Instrumente in eine Kombination aus HipHop und modernem Freejazz vereint.

Illogic – Beats for You: Volume 1 & 2

„Just some beats for you to groove too“ – mit diesen unprätentiösen Begleitworten hat Illogic kürzlich seine ersten beiden Beattapes auf Bandcamp geladen. Schon seit rund 20 Jahren aktiv, trat der US-Amerikaner bis dato in erster Linie als Rapper in Erscheinung – etwa gemeinsam mit Aesop Rock, Slug, Eyedea und auf Produktionen von Blockhead oder DJ Criminal. Auf „Beats for You“ kann er zwar bei weitem nicht an die Finesse der Blockhead-Beats anknüpfen, daran scheint er sich aber auch nicht zu messen. Der Einfluss ist zumindest im Ansatz erkennbar. Illogic versucht merklich, den Aufbau der Tracks interessant zu gestalten, laufend neue Elemente einzustreuen und die Tracks teils in abstrakte Sphären gleiten zu lassen. So bleibt auch bei scheinbar simplen Beattapes die Spannung hoch. Der zweite Teil erscheint sphärischer, das Gesamtprodukt lässt sich aber schwer in vorgefertigte Genreschubladen stecken – keine schlechte Eigenschaft.

See Also

Marcus D – Kirin

In Seattle aufgewachsen, lebt Marcus D seit vielen Jahren in Tokio, wo er das Label Absolutzero leitet. Dass sich Einflüsse von Nujabes und generell der japanischen Kultur durch seine Produktionen ziehen, erscheint da nur logisch. „Kirin“ ist besonders deutlich davon beeinflusst. Der Titel bezieht sich auf ein Fabelwesen der ostasiatischen Kultur, das Frieden und Güte verkörpert. Dementsprechend wohlig fallen die zehn Tracks aus, die smoothen, melodischen Chillhop-Sound mit knackigen Drums und durchdringenden japanischen Samples/Instrumenten bieten. Ein einfaches Rezept, eben gut umgesetzt.

Small Professor – A Jawn Supreme (Volume 1)

Fans von US-Underground-Rap wohl dank gemeinsamer Alben mit Guilty Simpson und Sean Price bekannt, konzentriert sich Small Professor primär auf Instrumentalreleases. Seit zehn Jahren veröffentlicht der Produzent aus Philadelphia regelmäßig Beattapes – meist als „Jawns“ betitelt. Mit „A Jawn Supreme“ startete er kürzlich ein Projekt, für das er einige seiner Lieblingsproduktionen wählt und sie neu interpretiert. Dass der Ende Juni erschienene erste Teil überwiegend bedrückt klingt, ist auch auf die Verarbeitung der Ereignisse des laufenden Jahres und der generellen Beschäftigung mit sozialer Ungleichheit verbunden. Vielleicht haben die nächsten Ausgaben, die im August und Oktober erscheinen und dann zusammen mit Teil eins als Tape erhältlich sein sollen, ja einen etwas positiveren Charakter.

NitreX – RefleXions

„RefleXions“ von NitreX ist das aktuellste Release von POSTPARTUM. Anders als manch andere PP-Releases baut es nicht auf brachialen Boombap, sondern besticht durch seinen Abwechslungsreichtum, der in über 20 Tracks zur Geltung kommt und auch mal ruhigere Töne anschlägt.

Mo Fingaz – Gusto

Mo Fingaz ist seit einer gefühlten Ewigkeit als DJ in ganz Europa unterwegs und bekannt für abwechslunsgreiche Sets aus allen möglichen Genres. Dieser Fundus an Musik ist auch eine großartige Stütze für sein Instrumentaldebüt „Gusto“, bei dem er dem Namen ensprechend Geschmack beweist und das in vielerlei Hinsicht. Jeder Song huldigt seinem Einfluss aus diversen Genres, sei es das Dancehallfeeling in „Boooj“ oder das oft benutzte und hier gut verstecke Yuji Ohno-Sample in „Uptown“, in diesem über die letzten zwei Jahre entstandenen Album scheint echt jede Sekunde durchdacht zu sein.

Handbook – Rewind

Als A&R für das Instrumental-Label Aviary Bridge Records tätig, tritt Handbook seit zehn Jahren auch selbst musikalisch in Erscheinung. Zuletzt zeigte sich der Brite besonders aktiv, mit „Anahata“, „Blurred Horizons“ und „Directions“ veröffentlichte er heuer bereits drei EPs. Bislang allerdings konstant an unserem Radar vorbei. Tja, soll auch den nerdigsten Beat-Liebhabern mal passieren. Gut, dass er im Juni mit dem Album „Rewind“ nachgelegt hat und sein altbewährter Sound auch diesmal gut zur Geltung kommt. Bedeutet: Soulige Samples treffen auf kräftige Basslines und harmonisch ausgestaltete Instrumental-Layer, nebenbei sind drei Tracks durch Vocals ergänzt. Aus der Kombination ergibt sich wohliger Boombap-Sound mit optimistischer Schlagseite – und einer gesunden Portion Pathos.

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