Now Reading
Death Grips ist tot. Lang lebe Death Grips.

Death Grips ist tot. Lang lebe Death Grips.

Selbst bei der Bekanntgabe der Auflösung bestritten die Noiserapper von Death Grips unkonventionelle Wege: Nachdem im Juni noch neue Musik („Ni**as on Moon“) veröffentlicht und eine Reihe von  Tourdates bekanntgegeben wurden, teilte die Band ihr völlig überraschendes Ende  der Fangemeinde via Facebook mit. Viele hielten es zunächst für einen Scherz – wie etwa auch den sagenumwobenen Death Grips Film – doch mittlerweile manifestiert sich der traurige Eindruck, dass das Duo/Trio (wie man’s nimmt) es diesmal wirklich ernst gemeint hat. Anlass genug, den Werdegang und die Karriere eines der spannensten Rapprojekte der letzten Jahre noch einmal nachzuzeichnen. R.I.P. Death Grips, der lauteste Mittelfinger an die Musikindustrie in den letzten Jahren.

Text: Thomas Kiebl

Der Anfang

[iframe_loader width=“420″ height=“315″ src=“//www.youtube.com/embed/tYPjdaUOwAg“ frameborder=“0″]

Die wenigsten verbinden Sacramento, die Stadt, in der sich Death Grips 2010 formieren sollten, mit Rap. Klar, es gibt mit den Leftfcoast-Heroes von Blackalicious und Kannibalenrapper Brotha Lynch Hung zwei erfolgreiche und namhafte Vertreter aus der kalifornischen Hauptstadt, doch musikalisch dominieren dort seit jeher ganz andere Töne. So entwickelte sich Sacramento zu einem Zentrum des Dixieland-Jazz, und, vor allem in Hinblick auf Death Grips bedeutsam, zu einem fruchtbaren Boden für Metal-, Alternative- sowie Post-Hardcorebands. Zach Hill, der später bei Death Grips die Drums bedienen sollte, war so schon lange vor 2010 in der Musikszene Sacramentos tätig. Am ehesten dürfte  seine Beteiligung an der Math Rock/Experimental Rock-Band Hella, die er gemeinsam mit Schulkollege Spencer Seim gründete und fünf, von Kritkern durchaus geschätzte Alben, ablieferte, bekannt sein. Hills außergewöhnlicher Drumstil sprach sich schnell nach den ersten Releases von Hella in der überregionalen Musikszene rum; die Folge waren Engagements und Kollaborationen mit Künstlern wie Prefuse 73, Xiu Xiu oder dem Daron Malakian (von „System of a Down„)-Projekt „Scars on Broadway„. Neben seiner Tätigkeit als Musiker erregte Zach Hill auch als „Visual Artist“ Aufmerksamkeit, besonders die „Poltergeist„-Exhibiton 2006 gilt als erster Höhepunkt seines künstlerischen Schaffens in diesem Metier.

Während Hill fernab der Drums szeneinterne Bekanntheit erlangte, verbrachte Rapper Stefan Burnett seine Zeit in den Hörsälen der Hampton University, einer Privatuniversität in Virginia. Nach seiner Zeit als Kunststudent verwirklichte sich  Burnett ebenfalls als Musiker; zusammen mit seinem Bruder schraubte er an einem „sehr experimentellen Rapprojekt“. Doch nach dessen Heirat war erstmal Schluss, Burnett versuchte sich anschließend, unter dem Alias MxlPlx, noch mit zwei weiteren Rappern aus Sacramento im Projekt „Fyre“. Den großen Wurf bedeutete dies aber nicht; weder künstlerisch und schon gar nicht kommerziell. Glücklicherweise lebten Hill und Burnett nicht weit von einander entfernt – und so mussten sich die Wege dieser beiden Charaktere irgendwann einfach kreuzen. Dritter Member der neuen Band wurde Produzent Andy „Flatlander“ Morin, der jedoch zumeist gar nicht in Erscheinung trat – gerüchteweise, aber das gilt wirklich als besonders vage, da von Death Grips selbst gestreut – soll er sich für längere Zeit im Gefängnis aufgehalten haben. Ob’s stimmt, lässt sich nicht wirklich überprüfen.

Die Anfangstage waren auch davon geprägt, dass niemand so wirklich von der Band Notiz nahm. Die erste EP, die noch 2010 erschien und neben der Single „Full Moon“ (Death Classic) noch fünf weitere Tracks beinhaltete, stieß nicht wirklich auf große Resonanz. Selbige sollte erst mit dem Mixtape „Exmilitary“ eintreten.

Exmilitary und der „Epic“-Deal

[iframe_loader width=“100%“ height=“450″ scrolling=“no“ frameborder=“no“ src=“https://w.soundcloud.com/player/?url=https%3A//api.soundcloud.com/playlists/738927&auto_play=false&hide_related=false&show_comments=true&show_user=true&show_reposts=false&visual=true“ frameborder=“0″]

Death Grips Devise bestand zunächst darin, sowenig wie möglich  über die einzelnen Bandmitglieder der Öffentlichkeit preiszugeben. Zach Hill konnte seine Identität zwar nicht geheim halten, aber über Burnett und Flatlander herrschte für mehr oder weniger lange Zeit Rätselraten. Zunächst noch kein Problem, weil sich noch niemand richtig für die Band interessierte, wendete sich das Blatt mit dem „Exmilitary„-Mixtape. Der Free-Download schlug ein wie eine Bombe, die Fachpresse zeichnete sich überwältigt vom brutalen Sound des Tapes. Und in der Tat: Tracks wie „Guillotine“ sind nichts für schwache Nerven, Nate Patrin von Pitchfork beschrieb das Tape mit folgenden Worten: „Exmilitary, their free mixtape, is a bludgeoning slab of hostility that plays like both sides of a circa-1987 Cro-Mags b/w Just-Ice home tape bleeding through each other.“  Mit dem ersten großen Hype, den Death Grips besonders dem Internet und diversen Blogs zu verdanken hatten, stiegen auch die Begehrlichkeiten der Majorindustrie, sich mit der Band aus Sacramento ein ganz heißes Eisen zu sichern. Schließlich gelte es doch, die Rapversion von Trent Reznors Nine Inch Nails unter die eigenen Fittiche zu bekommen.

Die Wahl fiel schließlich auf Epic Records, Death Grips waren plötzlich Labelkollegen von Ciara, Nicole Scherzinger, Olly Murs, Avril Lavigne oder Sean Kingston. Das passte etwa so gut zusammen wie die englische Fußballnationalmannschaft und Elfmeterschießen. Also gar nicht. Warum Death Grips mit „The Money Store“ dennoch künstlerisch sich sogar weiterentwickeln konnten, lässt sich nicht so leicht erklären.  „The Money Store“ baute direkt auf „Exmilitary“ auf, einzelne Schwachstellen des Vorgängers wurden jedoch gekonnt ausgemerzt, ohne dabei an der rohen Punkattitüde einzubüßen. Die Fachwelt reagierte, wie schon bei „Exmilitary„, euphorisch. Mike Fantano vom YouTube-Blog „The Needle Drop“ kam gar nicht mehr aus dem Schwärmen heraus und verpasste dem Album ein 10/10-Wertung, Robert Christgau bewertete es mit „A-„, und selbst die Berufsnörgler von Pitchfork waren regelrecht euphorisiert: „Granted, The Money Store is about as intellectual an experience as a scraped knee. But it’s just as good at reminding you that you’re alive“, fasste Jayson Greene die energieladene Vorstellung der Band zusammen; am Ende landete „The Money Store“ in den Top10 der Pitchfork-Jahresbestenliste. Dem nicht genug, enternten Death Grips sogar die Billboard 200.

Die Jungs machten also sehr viel richtig – doch die Euphorie hielt nicht lange an, schon bald kriselte die Beziehung zu Epic. Als erstes Anzeichen gilt die – ja, das machten sie auch später immer wieder gerne – Absage der großen Nordamerika-Tour im Mai 2012. Begründet wurde der Schritt mit den intensiven Arbeiten am „The Money Store„-Nachfolgealbum, welches noch im selben Jahr, wieder über Epic, erscheinen sollte. Aber es kam ganz anders.

Penis am Cover

[iframe_loader width=“100%“ height=“450″ scrolling=“no“ frameborder=“no“ src=“https://w.soundcloud.com/player/?url=https%3A//api.soundcloud.com/playlists/2553694&auto_play=false&hide_related=false&show_comments=true&show_user=true&show_reposts=false&visual=true“ frameborder=“0″]

Im September 2012 wurde die nächste außergewöhnlichen Zusammenarbeit verkündet – und zwar mit dem Popsender MTV. Die ungewöhnliche Kollaboration mündete im interaktiven Video zu I’ve Seen Footage von der „Money Store“-LP: Der Betrachter hat hierbei dei Möglichekeit, einer Poolparty beizuwohnen – in welcher Rolle kann er selbst festlegen. Nette Idee. Doch ein Monat später interessierte sich kaum jemand mehr für das Video, denn Death Grips lieferten auf andere Weise Schlagzeilen. „No Love Deep Web„, das neue Album, landete im Oktober im Netz. Einfach so, als Free Download, begleitet von den Tweets: „The label wouldn’t confirm a release date for No Love Deep Web ‚till next year sometime“ und „The label will be hearing the album for the first time with you.“ Der Grund für diesen drastischen Schritt: Epic wollte, nicht wie vorgesehen, „No Love Deep Web“ im August 2012, sondern erst im ersten Quartal 2013 veröffentlichen. Passte aber der Gruppe rund um Zach Hill so gar nicht. Damit aber nicht genug – Sittenwächter (und von denen gibt es in den USA noch so einige) stießen sich besonders am Artwork. Zach Hill hatte nämlich die brilliante Idee, seinen erigierten Penis – versehen mit dem Schriftzug „No Love Deep Web“ – auf das Cover zu packen. Die Message dahinter? Darüber kann nur gerätselt werden, die gängigste Interpretation lautet, dass Death Grips einfach einen Weg suchten, Epic Records massenmedial ein riesiges „Fuck You“ entgegenzuwerfen. Was ja wohl ganz gut geglückt ist.

Epics Reaktion war nicht überraschend, das Label droppte Death Grips. Doch selbst das ging nicht ganz normal über die Bühne, und auch hier spielte Facebook eine wichtige Rolle. So veröffentlichte die Band wütende Emails von Epic, die nach der ungeplanten Veröffentlichung von „No Love Deep Web“ in dem Mailordner einprasselten. Death Grips kommentierte die Mails mit „treat bitch“ und „HAHAHAHAHAHAHA NOW FUCK OFF„. Epic nahm  einen Tag darauf in einer Pressemitteilung noch einmal Stellung zur Causa: „Epic Records is a music first company that breaks new artists. That is our mission and our mandate. Unfortunately, when marketing and publicity stunts trump the actual music, we must remind ourselves of our core values. To that end, effective immediately, we are working to dissolve our relationship with Death Grips. We wish them well“ .

Krems, Ray Ban, Film und Third Worlds

[iframe_loader width=“560″ height=“315″ src=“//www.youtube.com/embed/bGw7Wy6D4-M“ frameborder=“0″]

Der Verlust des Labeldeals tat dem Hype um Death Grips keinen Abriss – im Gegenteil, wie sich bei der Tour (ja, die wurde diesmal wirklich wahrgenommen) zeigen sollte. Für einen Gig schauten die Jungs auch nach Österreich, genauer gesagt beim Donaufestival, vorbei. Manch einer wird sich wohl jetzt noch mehr ärgern, den Gig in der Stadt an der Donau und die Möglichkeit, den Wahnsinn mal hautnah mitzuerleben, verpasst zu haben. Denn Death Grips live bedeutet kein ödes Arm-rauf-Arm-runter-Massaker, sondern Moshpit-Action in feinster Hardcore/Beatdown/whatever-Tradition. Überraschungen inkludiert. Für die SSXW-Show in Austin, die von Ray Ban gesponsort wurde (natürlich trug MC Ride, wie  sich Stephen Burnett als Rapper nannte, keine Brille von Ray Ban, sondern ein alternatives Modell),  verzichtete man  sogar auf die physische Anwesenheit Zach Hills: Dieser spielte die Drums via Skype. Zudem gab es bei besagtem Konzert auch Flatlander erstmals seit langer Zeit wieder auf der Bühne zu bestaunen. Bei der Ankündigung, Chief Keef würde MC Ride auf der Bühne unter die Arme greifen, war allerdings nichts dran. Ähnliches trifft wohl auch auf dem Film zu, der ebenfalls als weitere Facette des schrägen Humors der Band eingestuft werden kann. Obwohl die Idee ja eigentlich gar nicht so abwegig ist, machte doch Zach Hill als „Visual Artist“ einige Erfahrung – warum allerdings  „Twilight„-Star Robert Pattinson (auch wenn ein gemeinsames Foto mit Pattinson, Beyoncé, Zach Hill, Flatlander und MC Ride existiert) und Tom Hanks‚ Sohn Colin Hanks darin mitspielen sollten, erscheint fragwürdig. Im Endeffekt bekamen wir nichts, aber auch wirklich nichts von diesem geplanten Projekt zu sehen. Schade eigentlich.

Selbiges dürften sich auch jene gedacht haben, die auf der Aftershow des Lollapalooza-Festivals (ihr kennt das von den „Simpsons„) in Chicago auf den angekündigten Gig der Band warteten. Die Band sagte diesmal nicht kurzfristig ab, sondern hatte von Vornherein nicht die Intention, dort jemals aufzutreten. Stattdessen wurde ein Übungsdrumkit, vor der Projektion des Abschiedsbriefes eines Death Grips-Fans, der Selbstmord begangen hatte, platziert. Die wartende Meute zerstörte übrigens das Drumkit. Was der Band allerdings nicht weiter jucken sollte.

Die hatte auch aus den Labelkapriolen gelernt und mit „Third Worlds“ ihr ganz eigenes Ding am laufen. Okay, ganz eigen nicht, denn völlig sollten Death Grips den Majors nicht den Rücken zuwenden: „Third Worlds“ inkludierte eine Partnerschaft mit Capitol und Harvest. Eine sehr strange Konstellation. Musik gab’s natürlich weiterhin  – ohne irgendwelche Ankündigungen droppte die Band das Tape „Governmental Plates„. Ein äußerst seltsames Werk, bei dem ganz klar Zach Hill im Mittelpunkt steht und die Grenzen von Musik mit aller Macht umgenietet werden sollen. Der Unterschied zwischen Lärm und Musik kann hier nicht mehr wirklich festgemacht werden. Aber immerhin gibt es einen Track mit dem Titel „You Might Think He Loves You For Your Money But I Know What He Really Loves You For It’s Your Brand New Leopard Skin Pillbox Hat“ und zu jedem einzelnen der elf Tracks ein Video zu bestaunen. Die Kritiker (und auch wir) waren sich allerdings nicht ganz sicher, was sie davon halten sollten….

See Also

Björks Liebesgeständnis und das Ende

 Vor wenigen Wochen droppte mit „Ni**as on the Moon“ der erste Teil des letzten Projektes von Death Grips, welches den Titel „The Powers That B“ trägt. Das Besondere: Jeder Track enthält ein Sample der isländischen Künstlerin Björk. Die Verbindung Björk – Death Grips ist keine neue, remixte doch die Gruppe schon die Tracks Sacrifice“ und „Thunderbolt“ für deren „Biophilia Remix Series II„. Björk selbst fühlte sich geehrt, einen wesentlichen Bestandteil von „The Powers That B“ darzuustellen, wie sie  über Facebook kommunizierte: „i am proud to announce my vocals landed on the new death grips album ! i adore death grips and i am thrilled to be their „found object“ ! i have been lucky enough to hang and exchange music loves w/ them and witness them grow !! epic : onwards !!“ 

Ni**as on the Moon“ weiß dabei weitaus mehr zu Gefallen als „Governmental Plates„. Wenn der zweite Teil also nicht komplett in die Hose geht, liefern Death Grips noch ein richtig gutes und ihrer Karriere würdiges letztes Album ab. Denn die Band ist seit dem zweiten Juli Geschichte. Wieder über Facebook wurde das Foto eines Zettels gepostet, auf dem folgende Wörter geschrieben stehen:

we are now at our best and so Death Grips is over. we have officially stopped. all currently scheduled live dates are canceled. our upcoming double album „the powers that b“ will still be delivered worldwide later this year via Harvest/Third Worlds Records. Death Grips was and always has been a conceptual art exhibition anchored by sound and vision. above and beyond a „band“. to our truest fans, please stay legend.

Ein Abschied, der irgendwie, so schmerzlich er auch ist, perfekt zur Historie der Band passt. Death Grips brachten Industrial im Hip-Hop back. Sie – und jetzt lehne ich mich etwas aus dem Fenster, ich weiß – bereiten den Weg für Kanyes „Yeezus“ vor. Sie zeigten endgültig, dass Genregrenzen als Erscheinung von gestern abgetan werden können. Und sie beweisen, welche Möglichkeiten das Internet für kreative Köpfe bietet. Für all das sollte man Death Grips dankbar sein. Death Grips ist tot. Lang lebe Death Grips.

DISKOGRAFIE:
Death Grips EP (2011)
Exmilitary (2011)
The Money Store (2012)
No Love Deep Web (2012)
Government Plates (2013)
The Powers That B (2014)

FEATURES UND REMIXE:
Björk
– „Sacrifice/Thunderbolt“ – auf Biophilia Remix Series II (2012)
The ProdigyFirestarter“ (Death Grips Remix) (2012)
The Bug –„F*ck A B*tch“ – auf „Angels & Devils“ (2014)