"The hardest thing to do is something that is close…
„I’m not saying I’m gonna change the world, but I guarantee that I will spark the brain that will change the world.” Als Tupac besagte Zeilen während eines MTV-Interviews von sich gab, befanden sich auf der Geburtstagstorte von Kendrick Lamar gerade einmal sieben Kerzen. Aber dennoch hat es den Anschein, als hätte Kendrick die Weisheit seines Idols mit der Muttermilch aufgesaugt. Auch er, so viel scheint nach „To Pimp a Butterfly“ klar, hegt das immense, fast schon hippie-eske Bedürfnis nach Veränderung, nach Verbesserung, nach mehr Gerechtigkeit. Was umso wichtiger erscheint, wenn man sich die Ereignisse der letzten Zeit, die Amerika, aber insbesondere die „Black Community“ bewegten, ins Gedächtnis ruft: Ferguson dient dabei als Versinnbildlichung des Umstandes, dass trotz eines schwarzen Präsidenten und mehr als 50 Jahre nach Ende der Apartheidspolitik Rassismus in Teilen der Gesellschaft weiterhin einer festen Verankerung widerfährt. Diese Umstände sollten eigentlich in der Rapszene auf Widerhall stoßen; so wie es früher der Fall war, damals, als Chuck D. Rap als „Black America’s CNN” bezeichnete. Doch komischerweise kümmerte sich der US-Rap-Mainstream nicht sonderlich um Ferguson, um den latenten Rassismus, um die alltäglichen Diskriminierungen. (Mainstream-) Rap scheint der politische Charakter abhanden gekommen zu sein, so die eingängige Meinung. Und tatsächlich: Nicht selten erfasst einen der Eindruck, dass viele der „großen“ Rapper lieber ein paar Zeilen über Versace droppen, als sich mit Polizeigewalt in den Südstaaten auseinanderzusetzen. Letzteres ist ja auch deutlich unbequemer.
„Critics want to mention that they miss when hip hop was rappin’/
Motherfucker if you did, then Killer Mike’d be platinum“
(Kendrick Lamar, „Hood Politics“)
Doch Kendrick Lamar setzt genau dort an. Beim Unbequemen, beim Nicht-Konformen, und bringt mit „To Pimp a Butterfly“ die Politik wieder in den US-Rap zurück. Dabei beschränkt er sich nicht auf ein paar hohle Phrasen, sondern verwebt seine Messages in einem dichten Storyteppich, der schon einige Hördurchgänge benötigt, um jede Faser des Konstruktes zu verstehen. Denn an Metaphern sowie politischen und kulturellen Anspielungen mangelt es dem dritten Album K. Dots beileibe nicht: Wirkt wie die musikalische Umsetzung von David Lynchs „Mullholland Drive“ – nur mit einer mehr oder weniger linearen Handlung, die zum Schluss aufgelöst wird.
Die Story, um die sich „To Pimp a Butterfly“ dreht, basiert dabei im Wesentlichen auf der klassisch biologischen Entwicklung einer Raupe hin zum Schmetterling. Unter dieser Entwicklungsebene lassen sich die Songs eingliedern, die zwar auch einzeln gut („King Kunta“ z.B. ist sicher einer der Tracks des Jahres), aber großartig erst als Gesamtwerk funktionieren, was vor allem am roten Faden des Albums liegt. Aber das ist bei Kendrick nichts Neues, man denke nur an „Section.80“ und „good kid, m.A.A.d city”, deren Tracks sich auch als Teile einer größeren Geschichte einfügten. Im Vergleich zu den Vorgängern gestaltet sich hier die Sache jedoch als weitaus verkopfter, Kendrick hat den Schwierigkeitsgrad seiner Lyrics ordentlich hochgeschraubt. Das beginnt schon mit dem ersten Track „Wesley’s Theory“ (der Titel weist auf Wesley Snipes‘ Steueraffäre hin), in dem Kendrick einerseits aus Sicht eines schwarzen Künstlers, andererseits aus Sicht des kapitalistischen Amerikas rappt, und erreicht mit „These Walls“ seinen Höhepunkt: Kendrick behandelt darin zunächst mit „Walls“ eine Vagina, dann die Wände einer Gefängniszelle und abschließend die der eigenen Psyche. „These Walls“ endet mit einem Gedicht, dass zugleich als Übergang in die nächste Phase der Schmetterlings dient:
„I remember you was conflicted/
Misusing your influence/
Sometimes I did the same/
Abusing my power, full of resentment/
Resentment that turned into a deep depression/
Found myself screaming in a hotel room“ (Kendrick Lamar, „These Walls“)
In den Songs bis „U“, „Wesley’s Theory“, „For Free“, „King Kunta“, „Institutionalised“ und „These Walls“ wird die Raupe gepimpt – nicht ohne Folgen. Selbstzweifel und eine depressive Haltung, die sogar zu Suizidgedanken führt, machen sich anschließend breit. Im post-depressiven „Alright“ scheint das Schlimmste überstanden, doch dann erscheint Lucy, besser bekannt als Luzifer, der im nächsten Interlude „For Sale?“ Faust-ähnlich Kendrick in die Versuchung führen will. Doch die Raupe, abgeschottet und zurückgezogen von der Umwelt und in einen Kokon geschlüpft, findet wieder in die Spur und begibt sich zurück zur „Momma“:
„The evils of Lucy was all around me/
So I went runnin‘ for answers/
Until I came home“
(Kendrick Lamar, „For Sale?“ (Interlude))
Ob Kendrick dabei Compton oder Afrika meint, ist dabei nicht eindeutig festzustellen, spielt aber für den Fortlauf der Geschichte keine Rolle. „How Much a Dollar Cost?“ bildet anschließend eine weitere wichtige Etappe in der Reise Kendricks, begegnet er hier doch Gott; eine Begegnung, die in tiefen Schuldgefühlen Kendricks endet. In den Tracks „Complexion (A Zulu Love)“ und „The Blacker The Berry“ erzeugt Kendrick erneut eine Dichotomie, Liebe und Selbsthass, bezogen auf die Hautfarbe, stehen hier nebeneinander. „You Ain’t Gotta Lie“ und „i“ führen schließlich zur endgültigen Verwandlung der Raupe in einen Schmetterling. „i“ könnte dabei schon als perfekter Schlusspunkt dienen, handelt es sich hierbei doch um den einzigen positiven Track auf der Platte, noch dazu in einer Live-Version. Abgeschlossen wird „To Pimp a Butterfly“ aber mit dem Predigt-ähnlichen „Mortal Man“, inklusive 2Pac-Interview. Passender geht es eigentlich gar nicht.
Wäre die Story nicht schon anfordernd genug, greift Kendrick auch noch auf eine ungewöhnliche Melange aus Sounds zurück, die im zeitgenössischen US-Rap nicht (mehr) auf der täglichen Speisekarte stehen: Eine wahnwitzige Soul und Funk-Mischung, die u.a. Flying Lotus (plus dessen Dauerkollaborateur Thundercat), Terrace Martin, Sounwave und Pharrell Williams zubereiten, irre Basslines und ein schräges Stimmen-Wirr-Warr miteingeschlossen. Eingängig geht zwar anders – aber genau darin liegt die hohe Anziehungskraft des Soundbildes. Und dieses passt perfekt zu Kendrick, der hier jeden, und sei er noch so wild, Beat zu zähmen weiß. Das ist schon richtig große Klasse.
„A war that was based on apartheid and discrimination/
Made me wanna go back to the city and tell the homies what I learned/
The word was respect/
Just because you wore a different gang colour than mine’s/
Doesn’t mean I can’t respect you as a black man/
Forgetting all the pain and hurt we caused each other in these streets/
If I respect you, we unify and stop the enemy from killing us/
But I don’t know, I’m no mortal man, maybe I’m just another ni**a”
(Kendrick Lamar, „Mortal Man“)
Kendrick Lamar liefert mit „To Pimp a Butterfly“ also einiges ab: „To Pimp a Butterfly“ ist ein politisches Album, ein Werk für die „Black Community“, eines, das Amerika wie kaum ein anderes jetzt benötigt. Ein moderner Klassiker, der wahrscheinlich nicht die Welt verändern wird, aber vielleicht diejenigen beeinflusst, genau das zu machen. Was sich Tupac einst wünscht, wurde von Kendrick aufgenommen, der dieses Erbe weiterträgt. Besser lässt sich die Größe des Albums nicht beschreiben.
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