"The hardest thing to do is something that is close…
Stunden vor Lockdown Nr. 4 gab sich Kummer aus Chemnitz die Ehre in einem rappelvollen Gasometer. Über ein Abschieds-Konzert in Zeiten von Corona.
Es ist ein Déjà-vu der unerfreulichen Art: Zu dem Zeitpunkt, an dem dieser Artikel erscheint, befindet sich Österreich im vierten Lockdown. Eine verhasste, aber rational gut begründete Maßnahme – am Tag des Konzerts wurden über 14.000 Corona-Neuinfektionen in nur 24 Stunden gemeldet. Die vierte Welle ist da, das Licht am Ende des Tunnels war wohl nur eine optische Täuschung. Expert*innen empfehlen daher eine Kontaktreduktion um 30 Prozent – und das kann nur mithilfe eines Lockdowns funktionieren. Macht es anhand dieser Umstände also Sinn, den Sonntag noch einmal dicht gedrängt bei einem Konzert zu verbringen, mit hunderten grölenden Musik-Liebhabern gemeinsam im Schweiß zu baden?
Liest man sich die Reaktionen auf der Facebook-Seite zum Konzert des Kraftklub-Frontkerls Kummer durch, bekommt man ein eindeutiges Bild. Etliche wünschen sich eine Verlegung, ebenfalls aus guten Gründen. Abseits gesundheitlicher Bedenken ist ein solches Event auch moralisch heikel, gehen hunderte Kilometer von Wien entfernt die Intensivstationen über. Doch auch der Veranstalter hat gute Gründe, das Konzert stattfinden zu lassen. Eine weitere Verschiebung würde einen Rattenschwanz an organisatorischen Herausforderungen in diesen unsicheren Zeiten nach sich ziehen. Dann lieber den Rattenschwanz an organisatorischen Herausforderungen eines Konzerts knapp vor Lockdown. Das bedeutet: strengste Einlass-Kontrollen. Ein Corona-Cluster will niemand.
Kein 2G+, keine Party
2G+ lautet der Konzert-Rettungsring, sprich: Ohne den Nachweis, genesen oder geimpft zu sein sowie ohne zusätzlichen negativen PCR-Test führt der Weg nicht in das Gasometer-Ufo, sondern nach Hause. Die Schlange vor dem Eingang ist dementsprechend lang, die Securitys handhaben die Kontrollen freundlich, aber streng – vorbildlich. Es ist ihr Verdienst, dass sich die Wartezeit in der November-Kälte in Grenzen hält.
Musikalisch kommt im Ufo gegen 20 Uhr Bewegung ins Spiel. Kummer wird von der Band Blond unterstützt, die qualitativ hochwertigen deutschen Indie-Pop macht und von ihrer Attitüde ein bisschen wie die 2020er-Jahre-Version von 80er-Jahre Bands wie Malaria! oder Xmal Deutschland wirkt. Die Schwestern Nina und Lotta Kummer, zu denen sich noch Johann Bonitz am Synthesizer und Bass dazugesellt, fallen durch starke Statements, eingängige Melodien, gekonnte Kostümwechsel und generell viel Berlin-Spirit auf. Dabei kommen sie gar nicht aus Berlin, sondern aus der ehemaligen Karl-Marx-Stadt; die weiblichen 2/3 der Band sind zudem die Schwestern des Haupt-Acts. Familiensache also, die auf der Bühne des Gasometers kredenzt wird. Durchaus sehens- und hörenswert.
Der freundliche Nachbar
Danach gibt es als Pausenfüller Indie-Pop-Dudelei, bis der Halogen-Monolith auf der Bühne steht. Nachdem Lana Del Rey ihre „Summertime Sadness“ vom Band geleiert hat, betritt Felix Kummer die Bühne. Oliv-grüne Bomberjacke, Bluejeans, weiße Sneaker, Standardfrisur – der Mann, dem heute die Bühne gehört, wirkt wie der freundliche Nachbar, der keine Probleme damit hat, während deiner Abwesenheit deine Pakete zu übernehmen (in Lockdown-Zeiten sehr gefragt).
Kummer taucht ohne rap-üblichen Back-up auf. Den braucht er auch nicht. Das Geschehen auf der Bühne beherrscht er auch alleine wie aus dem Rolex-losen Handgelenk. Das wird schon beim ersten Song „9010“, eine Widmung an Chemnitz, klar. Kleine Pannen wie ein nicht funktionierendes Mikrofon werden humorig überspielt. So spielt sich Kummer routiniert durch sein Set, vorwiegend bestehend aus Tracks seines trap-lastigen, überwiegend von BLVTH-produzierten Albums „KIOX“, das vor Corona veröffentlicht wurde.
Überraschungen gibt es auch: Für „Aber nein“ holt Kummer neben seinen Schwestern KeKe auf die Bühne, die Rap-Queen aus dem 15. Bezirk. „Randale“, ein Kraftklub-Evergreen, darf in der Setlist ebenso nicht fehlen wie der neue Hit „Der letzte Song (Alles wird gut)“, der kürzlich auf der Pole-Position der deutschen Single-Charts gelandet ist und eine Zusammenarbeit mit Fred Rabe von der gehypten Art-Pop-Band Giant Rooks darstellt.
Keine Überraschung, aber definitiv ein Highlight ist die Darbietung von „Wie viel ist dein Outfit wert?“, das angesichts der vielen, vielen Erstwähler*innen-Stimmen für die FDP bei der jüngsten Bundestagswahl seit Release sicherlich nicht an Bedeutung verloren hat. Eine Persiflage auf neoliberale Heilsversprechen, dem vor allem Teile der Millennials verfallen, gibt Kummer auch mit seiner Ansage vor dem Song „500K“ ab; hier sind Krypto-Währungen das Ziel seiner Ausführungen.
Das laute Ende vollzieht Kummer mit der Zugabe „Der Rest meines Lebens“. Via Band singt ein anderer Rabe die Hook: Dieser heißt mit Vornamen Max, der Nachname schreibt sich mit zwei „a“ – also Raabe –, und gilt als Deutschlands Lieblings-Dandy. Zu den Fans des Bariton-Sängers aus Berlin zählt neben Marilyn Manson eben auch Kummer, der Raabe für die Hook zum melancholischen Abschieds-Song engagiert hat. Der Song markiert einen Abschied in mehrerer Hinsicht: Denn mit „Der Rest meines Lebens“ endet nicht nur das heutige Konzert, möglicherweise das letzte in diesem Jahr. Auch für Kummer war es (vorerst?) das letzte Wien-Konzert – schließlich hat er angekündigt, den Peter Fox zu machen und seine Solo-Karriere zu beenden. Den letzten Solo-Ausflug Richtung Wien hat er erfolgreich gemeistert.
Fazit: Kummer ist eine außergewöhnliche Erscheinung im deutschen Musik-Geschäft, obwohl oder vielleicht weil er gar so gewöhnlich wirkt. Musikalisch war sein Solo-Abschiedskonzert in Wien eine feine Sache – einen Könner seines Fachs, der es liebt, auf der Bühne zu stehen, konnte man am Sonntagabend bei der Arbeit zusehen. Kummer hat mit seiner Show allen Anwesenden die Möglichkeit für ein bisschen Eskapismus verschafft, bevor es wieder in das Lockdown-Grau zurückgeht. Danke dafür.
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