Dass der diesjährige Red Bull Soundclash nicht unbedingt unter den besten Sternen steht, ist schon im Vorhinein klar. Mit RAF Camora als Gegner und Visa Vie als Moderatorin, die beide krankheitsbedingt ausfallen, fehlen zwei wichtige Komponenten. Apache 207 springt für RAF ein, das sorgt für Freude seitens der Fans. Dennoch – Bausa als heutiger Hauptdarsteller erntete in jüngster Vergangenheit viel Kritik, auch bei uns. Anmerken muss man jedoch, dass mit Loredana, Juju und Lena Meyer-Landrut der Frauenanteil hochgehalten wird, was in den vergangenen Jahren definitiv nicht so war. Unter Anbetracht des aktuellen Erfolges der Künstlerinnen sollte diese Tat jedoch eigentlich nicht explizit gelobt werden, vielmehr als selbstverständlich angesehen werden. Einen auffallenden Unterschied im Vergleich zu den Vorjahren gibt es noch: Anstatt zwei separaten Bühnen schmückt die Schleyer-Halle hier in Stuttgart eine einzige, riesige, lange Bühne.
Die Halle ist ausverkauft, über 14.000 Leute sind heute Abend hier, um das Spektakel live zu verfolgen. Es dauert nur einige wenige Minuten, bis die ersten Menschen auf den Rängen von ihren Plätzen aufspringen und mitsingen, mittanzen. Teilweise bebt es förmlich auf der Tribüne, es wird gesprungen, gekreischt, gerappt. „Sag der zugekoksten Bitch ich will mein‘ Blow“ ist immer noch keine moralisch vertretbare Line, die 14.000 Zuschauer hier stört dies aber in dem Moment weniger.
Azet, Zuna, Summer Cem, Lena, Loredana, Juju und Apache 207 wurden als Gegner Bausas angekündigt, schnell wird jedoch klar, dass dieser Soundclash weniger im typischen Battle-Format stattfinden soll, vielmehr als gemeinsames Konzert der Hit-Giganten. Als Loredana mit „Jetzt rufst du an“ die Bühne betritt, kann nahezu jeder Einzelne hier in der Halle jede Textzeile mitsingen, als Juju direkt im Anschluss „Live Bitch“ performt, nimmt die Stimmung nochmals um einen Grad zu. Selbst das bisschen Playback kann der Stimmung nichts anhaben, so formt sich der erste Moshpit des Abends.
Die zweite Runde startet – „The Cover“, Lena legt mit „99 Luftballons“ los. „Alle Rapper wollen mich daten, bleib zuhause alleine / hab 99 Optionen, aber Bausa ist keine“, rappt sie und sorgt damit dann doch für ein kleines Battlerap-Feeling. Bei Bausa werden aus den 99 Luftballons einfach „99 Schuhkartons“ – „Lena kriegt vielleicht ein Paar, obwohl ihr Cover scheiße war“. Nach dem Cover hält Baui sein Versprechen und überreicht Lena ein Paar extra für sie angefertigte weiße Sneakers. Herzlich Willkommen im Deutschrap 2019. Juju singt auf „Was kostet mich deine Liebe“, Bausa übernimmt Hennings Part auf „Vermissen“. Es scheint, es sorge die Cover-Runde für die größten Highlights, Überraschungsmomente. Neue Stimmen auf altbekannten Melodien, neue Texte, gelungene Neuinterpretation von bereits nahezu totgehörten Songs. Insbesondere Baui, der mal am Klavier, mal an der E-Gitarre und sogar am DJ-Pult werkelt, zeigt sich im Laufe des Abends so musikalisch vielseitig wie selten zuvor. Mal rappiger, mal poppiger, mal rockiger – Bausa sprengt die Genre-Grenzen, bricht aus und verlässt sich zur Gänze auf seine musikalische Begabung.
„Ich hab Bitches in der ganzen scheiß Republik“, rappt Summer Cem. „In der ganzen Republik sagst du? Auch hier, Stuttgart? Okay, kannst du nachher in mein‘ Backstage bringen? Auch die hässlichen?“, kommt von Bausa. Es wirkt wie ein einstudierter Sketch. Schade, dass scheinbar niemand im Vorhinein Bausa über den ekligen Sexismus in diesem Sketch informiert hat, schade, dass sich Baui mal wieder auf ein Neues durch sexistische Aussagen ins eigene Knie schießt. Die Stimmung wird dadurch nicht getrübt, unbeeindruckt findet der Song sein Ende. Der Sexismus schleicht sich im Laufe des Abends immer wieder in die Schleyer-Halle ein. „Du bist eine Bitch, doch ich glaub nicht, dass du’s weißt“ – Das laute Gekreische der Fans, als Rin für „Keine Liebe“ die Bühne betritt, übertönt den Song. Negatives Echo findet heute kein Gehör.
Apache 207 kann erneut live durch sein Talent, genauso immer noch durch das Mysterium seiner Kunstfigur überzeugen. „Für mich ist es ein absolutes Privileg, hier zu sein. Ich danke meinem Labelchef Bausa, dass er mir das ermöglicht hat“, will sich Apache noch schnell vor dem Start der finalen Runde bedanken. Diese darf er auch direkt eröffnen – Arm in Arm hüpfen Baui und Apache die lange Bühne entlang, während Apache „Roller“ performt und die gesamte Halle mal wieder zu beben anfängt.
Fazit: Der jährliche Hype um das gigantische Spektakel des Red Bull Soundclashs fand auch heuer wieder seine Berechtigung, was nicht zuletzt an den hochkarätigen Akteuren lag. Die klassische Battlerap-Attitüde schlich sich zwar hin und wieder ein, blieb jedoch größtenteils aus. Durch Überraschungsgäste, Neuinterpretationen und einem gelungenen dramaturgischen Aufbau der Show strotzte diese vor Highlights, Moshpits und Gänsehautmomenten. Genreübergreifend zeigten sich die Artists von neuen und altbekannten Seiten, zogen das Publikum bereits ab den ersten Minuten in ihren Bann. Problematische Songs und sexistische Textzeilen hingegen prallten an den über 14.000 Menschen hier in Stuttgart einfach ab, zu sehr brodelte die Schleyer-Halle vor Partystimmung.
„Alle gegen Bausa“, das diesjährige Motto, wurde schlussendlich schnell zu „Alle mit Bausa“. Dass man sich von dem klassischen Konzept der vorigen Jahre verabschiedet hat, wirkt durchdacht, zeitgemäß. Denn egal, ob Labelchef, gute Freunde, Feature-Partner oder wohl eher flüchtige Bekannte, die Artists des heutigen Abends hielten alle zusammen, bildeten eine Einheit, sorgten gemeinsam für einen stimmungsvollen Abend, der sich zwischendrin immer wieder neu übertrumpfte. Es ist ein Line-up der Höchstklasse, der Spitze der deutschen Musiklandschaft. Auf einen gelungenen Abend, aber vor allem und hoffentlich darauf, dass genau dieser Zusammenhalt neben einer ausgelassenen Stimmung auch ganz schnell dafür sorgen wird, dass wir alle die Sexismus-Problematik in den Griff bekommen werden.
Den Red Bull Soundclash 2019 kannst du hier nachschauen:
Ähnliche Posts
- Der Feature-Part mit dem bitteren Beigeschmack // Trettmann live
Normalerweise setzt sich das Fundament meiner Konzert-Reviews einerseits aus meinem persönlichen Empfinden, andererseits aus der…
- Die Geister, die Wien rief // OG Keemo live
Fotos: Alex Gotter Dem vorweihnachtlichen Wien stattet OG Keemo, der gerade erst sein Debütalbum "Geist"…
- Momente, die unendlich lang währen // Tua live
Fotos: Daniel Shaked Der Abschiedsschmerz war von kurzer Dauer. Nur wenige Wochen nach dem umjubelten…
- Liebe hat die Form von Mittelfingern // Antifuchs live
Das Publikum ist noch recht überschaubar, NULLZWEIZWEI sind aber bereits in vollem Gange und bereiten…
- Wienale // Joshi Mizu live
Gestern war neben Bausa und Apache 207 auch Joshi Mizu live in Wien zu sehen.…
- Keine Macht der Whacksualität // Gigolo D & JerMc Interview
Am Freitag haben Gigolo D & JerMc ihr zweites Album „Eher tiaf, aber eh ganz…
- Ein Meister seines Fachs // Quelle Chris live
Die achte Ausgabe der von Selbstlaut und dem Kulturverein FOMP initiierten Konzertreihe Wetterleuchten führte am…
- Holladiro, wie rappen'S denn do! // Red Bull Gstanzl Battle
Des einen Breakdance, ist des anderen Schuhplattler. Am 15. November findet im republic Salzburg wieder…
- "Gstanzler können besser freestylen" // Red Bull Gstanzl Battle
Die 1000 Tickets fürs „Red Bull Gstanzl Battle" sind innerhalb von Minuten ausverkauft. Wer keinen…
- Live aus dem Riesenrad // Red Bull Music Festival 2018
So breit, wie Red Bull seit langer Zeit im Sport aufgestellt ist, widmet sich der…