Deschek vom Message. Gebts ma an grünen Avatar heast!
hat Fotografie gelernt, Philosophie studiert, schreibt aber lieber über Rap.
Seit dem vergangenen Austro Round-up hat sich releasetechnisch einiges getan. Über die Alben von Mo Cess & Chrisfader, The Unused Word, Sticky & Sayne One und Cid Rim haben wir bereits gesondert berichtet, aber auch abseits davon sind im Oktober einige Alben und EPs erschienen. Für eine gewohnt umfassende Sammlung an Singles können wir an die neue Ausgabe von WNMR verweisen – diesmal mit Hinterkopf als Interviewgast.
Text: Simon Nowak, Hilde Mayer & Janina Lenz
Christoh – Heavy Heart
Musiker und Produzent Christoph Ertl alias Christoh veröffentliche kürzlich sein Debütalbum „Heavy Heart“ mit 13 Tracks und stolzen neun Featuregästen, darunter Miss Lead, Meydo, Aunty und W1ZE. Bisher hauptsächlich als Sänger/Frontmann der Band Gospel Dating Service in Erscheinung getreten, lässt sich Christoh kaum einem spezifischen Genre zuordnen – zu hören bekommt man auf dem Album eine grandiose Mischung aus Lo-Fi, Hi-Fi, Pop und Experimental. Christoh: „Ich wollte meinen eigenen Sound kreieren und dabei habe ich mich in den letzten beiden Jahren sehr weiterentwickelt„. Die letzten beiden Jahre repräsentieren auch den Inhalt von „Heavy Hearts“, mit hochpersönlichen Texten und Geschichten: Eine frische Liebe und Höhenflüge, der Break-Up und Trauer, zusätzlich untermalt von Lockdowns in Pandemiezeiten – es hätte kaum mehr Ups and Downs geben können. Das dadurch entstandene Werk ist somit ein musikalisches Tagebuch geworden.
Der gebürtige Salzburger ist momentan jedoch nicht nur durch sein eigenes musikalisches Werk ein nicht wegzudenkender Artist der Wiener Musiklandschaft, sondern auch dank seines 2020 gegründeten Tonstudios „Fiakka Studios„, mit dem er Künstler*innen einen Raum zum Schreiben und Aufnehmen geschaffen hat. „Heavy Hearts“ erschien über Assim Records.
Yugo – Schweben
Yugo ist mit einer neuen EP zurück und liefert darauf in gewohnter Manier ab. Namensgeber für das Release ist die bereits zuvor erschienene Single „Schweben“, in der der Wiener seine persönliche Liebeserklärung ans Skaten und die damit einhergehende Freiheit verarbeitet hat. Auch auf dem Song „Nichts“ beschäftigt sich Yugo weiter mit dem Thema der Freiheit und der Frage nach dem, was er eigentlich will. Ob der Deal ein Fehler war, ob die Bestätigung auf Touren wirklich das wahre Glück ist? All diesen Fragen stellt er sich im Feature mit Rapper Longus Mongus, auch bekannt von BHZ. Auch Slav ist natürlich wieder auf der EP vertreten und unterstützt auf dem Track „Geb Aus“.
All in all: Eine EP mit dem typischen Yugo-Vibe, die aber auch ein paar neuere Sounds liefert, zum Beispiel auf der bereits zuvor erschienenen Singleauskopplung „Bell Pants“, einem Lovesong in dem der Rapper HipHop-Elemente mit 2000er-Rock verbindet.
Atlas of the Alps – Illusion
In Graz längst kein Unbekannter mehr ist Atlas of the Alps, der etwa schon als Mitorganisator regelmäßiger noedge-Cyphers oder neben Ban Dan als Rapper in der Live-Band Hip Hop Kapelle in Erscheinung getreten ist. Und dann wären noch seine Solotracks – früher unter dem Namen NameLessPsychoPath (NLPP). Nach einem 2014 erschienenen Mixtape ist „Illusion“ sein zweites größeres Soloprojekt. „Die Herangehensweise war, altes abzuschließen und dem Neuen Raum zu geben“, schreibt Atlas. Eine Reise durch innere Illusionen, um eine klare Essenz auf die Dinge zu gewinnen. Er reflektiert über sich und die Welt, wühlt in den Untiefen der eigenen Psyche oder widmet sich auf „Matriachat“ sehr bildlich dem Sexismus-Thema. Der häufige Wechsel zwischen Hochdeutsch, Mundart und Englisch kommt nicht von ungefähr. „Da ich auf Reisen und dreisprachig aufgewachsen bin, konnte ich oft etwas in einer Sprache nicht adäquat ausdrücken und tat es eben in einer anderen. Meine Frau wuchs in Südafrika auf und unsere Tochter wächst international auf, wir leben diesen Sprachmix“.
Auch die Beats sind schön ausproduziert, erhalten ihren Raum. Drei stammen von Atlas selbst, einer von Def Ill, die weiteren von grapejcs, NC Pete, Eiß, Calvin Green und DJ Geefboon aka FlexiWonda. „Ich wollte den Grazer Untergrund repräsentieren. Es gibt viele dope Produzenten, die vor den Cyphers zu keinen Rappern gekommen sind und ich hab das Privileg, an der Front zu stehen.“ Ein interessantes Mini-Album, erschienen über Kopfhandherz. Weitere Releases sind bereits geplant: Das einst angekündigte Album „Tagebuch eines Wahnsinns“ ist laut Atlas noch in der Schublade, als nächstes möchte der Rapper aber ein Album Namens „Privat“ – angelehnt ans gleichnamige Programm von Josef Hader – fertigstellen.
Diskoromantik – Diskoworld
Diskoromantik sind wie sie sind. Was das heißt, das erklärt die Band direkt im ersten Song ihrer neuen EP „Diskoworld“, auf der sie sich in neuen Sphären bewegen. Neben den beiden bereits zuvor veröffentlichten Singles „Stern“ und „Wir sind Wir“ finden sich auch zwei neue Songs auf der EP.
Wie schon auf ihrem ersten Album „Besoffene Lover“ dreht sich textlich viel um zwischenmenschliche Beziehungen – allerdings mit ein bisschen weniger Herzschmerz und dafür umso mehr Disko. Abgerundet wird das Ganze durch Features mit JerMc und Dirtysanchez, sowie durch den Produzenten food for thought. Synthie-Sounds in Kombination mit 4-to-the-Floor-Beats ziehen sich durch alle vier Songs der EP, das allgemeine Soundkonzept driftet immer weiter in Richtung Clubmusik ab, klingt dabei aber immer noch besonders und ganz und gar nach Diskoromantik – sie sind eben wie sie sind.
Grandmaster Flow & Lenny420 – Kopf oder Zahl
Haben sich bisherige Releases aus dem Bluntkartell oft die Waage zwischen Boombap- und Newschool-Vibes gehalten, stehen Zweitgenannte auf „Kopf oder Zahl“ deutlicher im Fokus. Grandmaster Flow und Lenny420 setzen auf Melodien, viele gesungene Passagen und Einflüsse aus Dancehall, Reggaeton und R’n’B. Mit der Vorab-Single „Letzter Joint“ und dem Crew-Track „Jaja“ angekündigt, handeln die fünf Tracks vor allem vom Ausbruch aus dem Alltag – naturgemäß in erster Linie übers wegbuffen, aber auch mit wegfliegen in paradiesische Sphären oder wegfeiern im Club. Der highe Lifestyle wird jedenfalls ausgiebig zelebriert.
Vom Sound, Inhalt und den Flows her lassen sich natürlich durchaus Parallelen zu manchen Rappern ziehen, die einen ähnlichen Film auf Deutsch gefahren sind. Aber da handelt es sich generell viel eher um einen Style-Import als um Biting. Die Beats stammen diesmal nicht ausschließlich von Grandmaster Flow, auch der Salzburger Produzent Zillagod hat sich beteiligt. Neben diversen vertretenen Bluntkartell-Kollegen hat auch der Linzer Latino-Sänger/Rapper Pedro Style einen Part beigesteuert.
Mamma Fatale – Mamma Fatale
2019 ursprünglich nur für ein Konzert in der Linzer Stadtwerkstatt ins Leben gerufen, entwickelte sich Mamma Fatale am Ende doch zu einer Band – zu gut sei die improvisierte Liveshow verlaufen. Ihren Ideenreichtum hat die siebenköpfige Formation (bestehend aus sechs Frauen und einem Mann) heuer in ein selbstbetiteltes Debütalbum gegossen, das bereits im Juni erschienen ist, uns aber erst kürzlich erreicht hat. Mamma Fatale scheinen ihr Rezept gefunden zu haben: Alle Mitglieder bringen eigene Kompositionen zu Sessions mit, die in weiterer Folge zu Tracks verarbeitet werden.
Der Sound fällt zugänglich und tanzbar aus und bewegt sich fließend zwischen Pop-, Jazz, Electronic- und HipHop-Einflüssen. Zu schematisch oder vorhersehbar wird es nie, zumal die Tracks sehr spielerisch ausgestaltet und bieten einige Überraschungen. Die Texte, teils auf Englisch, teils auf Deutsch, wirken mal abstrus, mal ernster, banal wird es aber nie. Das Debütalbum macht Mamma Fatale zu einer der kreativsten und interessantesten Band-Neuentdeckungen des Jahres – für uns zumindest, denn mit dem „Hubert von Goisern“-Kulturpreis ist die Band schon vor dem Albumrelease ausgezeichnet worden.
Samt – Raptape
Gleich 23 Tracks hat Samt auf seinem „Raptape“ versammelt. Heillos überladen, könnte man meinen. Oder ein Zeugnis davon, wie ernst es der Vorarlberger Rapper meint. Beginnend mit der Leadsingle „Lucifer“ dringen immer wieder Höllenmetaphern durch, während sich Samt im Heimatdialekt einiges von der Seele rappt. Dabei unterstützen ihn lokale Features wie Diggerue, die Beatbangers oder der Sänger Nehewirg, neben eigenen Produktionen auf Beats von Dextah und Morpheuz Beatz. Vom Sound her meist im 90er-Boombap-Spektrum verortet, findet Samt darauf immer wieder klare Worte. Seien es Representer-Tracks wie „Handmade“ und „Alte Schule“, heftige Geschichten wie „Mord“, persönliche Enttäuschungen, gesellschaftliche Entwicklungen oder politische Akteure, Samt gibt sich direkt und impulsiv.
Das klappt über weite Strecken gut. Samt kann sein lyrisches Talent zeigen, liefert emotionale und zu Herzen gehende Tracks und vermittelt glaubhaft, dass ihm diverse Ungerechtigkeiten gegen den Strich gehen. Oft pointiert, teils vielleicht eine Spur übers Ziel hinaus. Der wohl heftigste Track ist „Wenn Mütter koksen“: Eine sehr herausfordernde Situation – ähnlich wie im österreichischen Film „Die beste aller Welten“ dargestellt –, in der das Wohl des Kindes oberste Priorität haben muss, wie Samt es einfordert. So verständlich seine Enttäuschung gegenüber der beschriebenen Mutter ist, so diskutabel ist die Formulierung einiger Lines. Denn eine Drogenabhängigkeit ist in erster Linie eine Krankheit und eher keine angestrebte Sache. Aber verlieren wir uns nicht in Details, denn insgesamt ist das „Raptape“ eine sehr stabile Angelegenheit.
STSK – Schrei an
Im Sommer nach längerer Pause mit „Traunicht“ auf die Bildfläche zurückgekehrt, möchte sich STSK in nächster Zeit auf Singles fokussieren. Zuletzt veröffentlichte der Wahlwiener „Schrei an“. Die dezent gehaltenen Klänge verbindet STSK mit nachdenklichen, ehrlichen Lines. Schön verpackt setzt er sich mit seinen inneren Widersprüchen auseinander: Unzulänglichkeiten, Ambivalenzen, dem Gefühlschaos im Kopf. Seine Entwicklung zum eigenständigen und gereiften Rapper und Produzenten geht damit in die nächste Runde – abgerundet durchs Mastering von Dexter und ein Video von Simp.
Fate – Zeit|Geld
Nach seinem vielversprechenden Album „Milch für die Fliegen“ ist Fate mit einer neuen Single zurück. Wie der Name schon vermuten lässt: Es geht um Zeit und zwar um alle Facetten davon. Fate rappt von schöner, von freier Zeit und auch vom Umtausch eben jener Zeit gegen Geld. Dabei beweist der Grazer Rapper, der mittlerweile in Berlin lebt, erneut sein textliches Geschick, diesmal auf einem Beat von Windshadow. Locker heruntergerappt nimmt er das westliche Leistungsideal auseinander, in dem nur mehr Arbeit und Geld zählen – Umtausch ausgeschlossen.