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Mission Zeitlosigkeit: Casper mit „Alles war schön und nichts tat weh“ // Review

Mission Zeitlosigkeit: Casper mit „Alles war schön und nichts tat weh“ // Review

Es ist eine Krux mit der Langlebigkeit im Deutschrap. Denn allzu oft gleicht das Haltbarkeitsdatum eines Deutschrap-Albums dem einer Packung Milch. Ein paar Tage genießbar, dann nur noch zum Wegschütten beziehungsweise, im Fall von Musik, Weiterskippen geeignet. Es gibt aber Alben, die den harten Test der Zeit bestehen. Kamp & Whizz Vienna mit „Versager ohne Zukunft“ (2009), Tua mit „Grau“ (2009) und Marteria mit „Zum Glück in die Zukunft“ (2010) gehören zu dem Kreis zeitloser Deutschrap-Platten. Und auch Casper mischt hier mit. Dem ist das vor allem mit „XOXO“ (2011) gelungen. Nach elf Jahren ist dieses Album immer noch sehr gut genießbar, sieht man von manch weniger gut gealtertem Kalender-Spruch ab.

Auch auf dem neuen Album „Alles war schön und nichts tat weh“ geht Casper auf Mission Zeitlosigkeit, die er in seiner Musik eigentlich schon immer anstrebte. Die Rahmenumstände haben sich nur immer wieder verändert. Während etwa sein Durchbruch-Album „XOXO“ ein aus Druck geformter Diamant eines gefühlten Newcomers war, der sich das Ziel setzte, alles einfach einmal schön auf den Kopf zu stellen, ist das bei seinem mittlerweile fünften Solo-Album anders. Auf das Savas’sche „Muss ich euch wirklich noch was beweisen?“ folgt hier ein entschiedenes „Nein!“. 2022 hat sich Casper längst zu einer Instanz im deutschen Musikgeschäft etabliert, die tun und machen kann, was sie will. Mehrere Jahre für ein Album benötigen? Kein Problem (der Vorgänger „Lang lebe der Tod“ wurde 2017 veröffentlicht). Trends sind beim Bielefelder schließlich zum Ignorieren gedacht. Daher ist es wenig überraschend, dass Casper bei Interviews im Vorfeld seine Verehrung für den australischen Gothic-Barden Nick Cave ausdrückte. Der geht auch seit jeher seinen ganz eigenen Weg.

„Alles war schön und nichts tat weh“ mit dem hübschen Kurt-Vonnegutt-Zitat im Titel ist tatsächlich kein Zeitgeist aufsaugender Schwamm geworden. Eigenständigkeit und kein musikalisches Fast Food sind hier die Ansprüche, die sich auch in den Texten ausdrücken. Die sind eine Kontrastfolie zu den Spotify-Schnellschüssen, die jeden Freitag unbequem wie Hagelkörner im Sturm auf einen niederprasseln. Folgerichtig gibt es lyrisch auf „Alles war schön und nichts tat weh“ einige der stärksten Tracks in der bisherigen Diskografie des 39-Jährigen zu hören.

Empathisch und Emphatisch

Empathisch und emphatisch zeigt sich Casper auf Tracks wie dem Veteranen-Drama „Bille Jo“, dessen Dramaturgie man dank des dritten Parts fast in das Reich der Fiktion verorten möchte. Den Plot der PTSD-Aufarbeitung könnte einer Folge von „Criminal Minds“ entnommen sein, von seiner Emotionalität erinnert der Track an den viel zu unbeachteten Tech-N9ne-Song „The Noose“ (2011). Nur hat sich dieses auf dem ersten Blick zutiefst amerikanische und bei näheren Hinsehen doch universelle Thema – Prinz Pi behandelte 2011 ein ähnliches Sujet mit „Drei Kreuze für Deutschland“, verortet in Deutschland – tatsächlich im familiären Umfeld Caspers zugetragen. Das Leben schreibt die schlimmsten Horrorgeschichten.

Noch anschlussfähigeren Horror hat Casper im Outro-Track „Fabian“ verpackt – seit Tuas „Vater“ hat sich niemand im Deutschrap-Kosmos dem Thema Krankheit/Tod auf solch berührende Weise gewidmet. Wobei „Fabian“ glücklicherweise nicht mit dem Tod endet, sondern mit einem Happy End. Casper zeichnet hier den Leidensweg seines titelgebenden Freundes Fabian nach, der an Leukämie erkrankte – und seinen Leidensweg als Freund, der sich für seine Hilflosigkeit und Ohnmacht schämt: „Und ich denk‘ mir noch so/Wie sing‘ ich heute ‚Lang lebe der Tod’/Und was ein blöder Idiot/Nennt ein Album auch ‚Lang lebe der Tod'“. Aber am Ende wird alles gut, und Casper entlässt die Hörenden mit einem „Stärker als der Tod“. Ein gewohnt epochales Outro.

Auszüge seiner Beobachtungsgabe sind die Fortführungen seiner auf „XOXO“-begonnenen „Die Vergessenen“-Reihe; wobei der Fokus hier unterschiedlich scharf eingestellt ist: Die Abgehängten-Charaktierisierung „Zwiebel & Mett (Die Vergessenen Part 3)“, ein wildes Eigenschaften-Konglomerat amerikanischer und deutscher Modernisierungsverlierer, wirkt gar bisschen holzschnittartig und versteift sich in Stereotypen, soll aber ausdrücken, dass es den gleichen Schlag Menschen überall gibt – was der Bowling-Verein des einen jenseits des Atlantik ist, ist der Kegelverein des anderen diesseits des Atlantik. In Kombination mit der „Und wir fahr’n zur Hölle“-Hook dennoch eine etwas konfuse Angelegenheit. Deutlich klarer ist Casper auf „Das bisschen Regen (Die Vergessenen Part 4)“ unterwegs, eine textliche Aufarbeitung der Geschehnisse rund um Hurrikan Katrina (2005), bei dem einen sofort Kanye Wests „George Bush does not care about black people“ in den Sinn kommt. Und obwohl sich die Handlung des Songs im New Orleans der 00er-Jahre abspielt, kommt man nicht dabei herum, Parallelen zur Gegenwart zu sehen.

Casper kann verdammt gut rappen, wenn er rappen mag

Ein Gutteil der Songs auf dem Album handelt von unglücklichen Beziehungen. Während „Wo warst du?“ einem das Gefühl gibt, diesen Track schon einmal von Casper so gehört zu haben, erweisen sich „TNT“ und „Mieses Leben/Wolken“ als frische Angelegenheiten – wohl auch wegen der Features. Für beide Tracks holte sich Casper mit Tua und Haiyti Hook-Unterstützung. Während Tua auf „TNT“ den High-Class-Crooner gibt, überlässt die nicht gecancelte Haiyti (nach Homophobie-Vorwürfen gab es in sozialen Netzwerken diesbezügliche Forderungen) Casper ihren Song. „Mieses Leben/Wolken“ hat somit Remix-Charakter, fügt sich aber nahtlos in das Album ein. Und wie Casper über den Beat gleitet, ist eine wahre Freude. Er kann einfach verdammt gut rappen, wenn er denn rappen mag.

Das beweist er auch mit dem Representer-Track mit viel Lokalkolorit, „Lass es Rosen für mich regen“, auf dem auch eine Huldigung der Arminia-Bielefeld-Legende Fabian Klos nicht fehlen darf. Ein ziemlich geradliniger HipHop-Track, trotz der Stadion-Hook von Provinz. Zudem beteiligt: Die 2010er-Song-Contest-Gewinnerin Lena, die ganz dezent im Outro auftritt. Auf Nummer sicher geht Casper mit „Gib mir Gefahr“, eine weitere Kollaboration mit Felix Brummer: Der Track mit Iggy-Pop-Referenz im Titel ist eine Bank fürs Live-Geschäft. Riskanter hingegen der Bon-Iver-meets-Low-Verschnitt „Euphoria“ mit Teute (Arnim Teutoburg-Weiß von den Beatsteaks), der weder musikalisch noch textlich richtig zündet.

See Also

Solche Ausfälle kommen auf dem Album nicht oft vor. In erster Linie, weil sich Casper und Produzent Max Rieger (bekannt von der Post-Punk-Band Die Nerven) hervorragend ergänzen. Mit Rieger hat Casper einen Partner mit ähnlicher Detailversessenheit und breitem musikalischen Horizont gefunden. Einer, der Mut hat, verschiedene Dinge auszuprobieren: hier ein Banjo, da Gospel-Piano, hier Synthie-Overkill, da trockener Indie-Rock, hier laut-leise Post-Rock der Marke Caspian oder Mogwai, da Emo-Rock wie The World Is a Beautiful Place & I Am No Longer Afraid to Die oder Imagine-Dragons-Stadion-Rock mit viel Bombast. Beide füllen ihre Räume zur Gänze aus. Das Resultat sind große Songs – Songs, auf denen die Mission Zeitlosigkeit ziemlich sicher geglückt ist. Das kann man jetzt schon sagen.

Fazit

Casper liefert mit seinem fünften Streich „Alles war schön und nichts tat weh“ ein detailverliebtes Stück Musik ab, auf dem er vor allem mit seinen Storytelling-Skills überzeugen kann. Große textliche und musikalische Ambitionen sind erkenntlich, das meiste davon geht auch tatsächlich auf. Daher stehen hier bezüglich Haltbarkeit die Chancen gut, dass man sich „Alles war schön und nichts tat weh“ auch in zehn Jahren ohne Bauchschmerzen zu Gemüte führen kann.

4 von 5 Ananas