Das finale Teilnehmer*innenfeld der The Message Awards 2021 nimmt Form an. Nachdem wir im vergangenen Artikel die acht Kategorien inklusive einer Longlist mit den je zehn Nominierten Acts/Releases präsentiert haben, wird das Teilnehmer*innenfeld nun im Zuge eines zweiten Votings halbiert. Die jeweils fünf Nominierten, die diese Runde überstehen, bilden die Shortlist und haben damit im Finale die Chance auf einen Message Award. Die Verkündung der Gewinner*innen erfolgt am 13. Februar ab 17 Uhr via Livestream. Mehr Details dazu erfahrt ihr in Bälde.
Wie schon bei der Wahl der Longlist haben einige knappe Entscheidungen und Stichwahlen über ein Weiterkommen bestimmt. Dass neuerlich einige Namen trotz starker Releases weggefallen sind, unterstreicht das durchaus hohe Qualitätslevel der infrage kommenden Künstler*innen. Wir geben jeweiligen Nominierten nach Kategorien gegliedert bekannt. Dieser Artikel wird täglich aktualisiert und erweitert, bis die Shortlist komplett ist.
Act des Jahres
Bibiza
Mit zwei neuen Alben und zahlreichen Singles startete Bibiza 2021 wieder voll durch und lieferte eine Menge an neuen Songs, die nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ überzeugen. Der Wiener begann bereits als 13-Jähriger an Texten und Beats zu bauen, startete später als Teil der Crew Kellerkinder durch. Heute setzt Bibiza seinen Weg außerhalb seines Kellers fort und schafft es auf seinen unzähligen neuen Songs, immer wieder neue Soundbilder zu kreieren, ohne sich zu wiederholen. Ein Künstler, der immer wieder überrascht.
Def Ill
Def Ills Geschichte im Rap-Business ist lang, bereits mit sieben Jahren begann der Linzer zu rappen, veröffentlichte 2005 seine erste Demo-CD „Milk“ im Eigenvertrieb. Zahlreiche Singles und Alben später, drückt Def Ill in der österreichischen HipHop-Szene auch heute noch Standards und ist aus der Musiklandschaft kaum mehr wegzudenken. Auch 2021 veröffentlichte der Rapper einige neue Songs, mal mit irsinnig hohem Tempo gespittet, meist mit viel Message gerappt. Def Ill setzte seinen Politaktivismus munter fort und bleibt auch nach Jahren in der Szene relevant. Obendrein produziert der Linzer für etliche befreundete Artists, etwa für Zion Flex und diverse C.O.C.-Rapper*innen.
Eli Preiss
Bereits mit elf Jahren nahm die Wienerin ihre ersten Songs auf, 2018 erreichte Eli Preiss mit ihrer Single „I Want You To Know“ bereits erstmals größere Mengen. 2020 folgte dann der Wechsel von der englischen zur deutschen Sprache, auch die HipHop-Elemente in ihren Songs wurden zunehmend hörbarer. Neben ihrem Tape „F.E.L.T.“ veröffentlichte die Sängerin im letzten Jahr unter anderem auch die EP „Wie ich bleib“, auf der sie teils sehr persönliche Einblicke in ihr Leben preisgibt. Eli Preiss überzeugt mit ihrer ganz eigenen Mischung aus HipHop und R’n’B, sowie mit Geschichten, denen man gerne zuhört.
JerMc/Dyin Ernst
JerMc wird in der Kategorie als bester Act in gewissem Sinne gleich zwei Mal aufgeführt, einmal als Act mit Releases als JerMc und einmal unter seinem Alter Ego Dyin Ernst. Unter beiden Pseudonymen war der Wiener Rapper auch 2021 sehr produktiv, veröffentlichte als JerMC gemeinsam mit food for thought das Album „Most süß 2: Mehr als nur süß“, sowie als Dyin Ernst die EP „Gilbert Jonas“. Vormals mehr durch Battle-Raps und humorvolle Selbstzweifel-Lines aufgefallen, hat der Wiener Rapper und Mitbetreiber des Labels Heiße Luft ein süßes Gesamtprodukt auf Albumlänge geschaffen – ein Look, der ihm musikalisch sehr gut steht.
Kerosin95
Ursprünglich eher in anderen Genres ansässig und aus Formationen wie My Ugly Clementine bekannt, startete Kerosin95 2019 den Weg in den Rap, veröffentlichte Songs auf Deutsch, statt wie bisher gewohnt auf Englisch. Die Songs fanden Anklang, es entstand immer mehr Nachfrage und das Konzept ums Solo-Projekt wurde immer größer – 2021 veröffentlichte Kerosin95 nun das Debütalbum „Volume 1“ – ein musikalisch facettenreiches Album, das sich auch thematisch zwischen Leichtigkeit und härteren Themen bewegt. Kersoin95 gelingt es so nicht nur, musikalisch in HipHop-Gefilden Fuß zu fassen, sondern auch gesellschaftspolitisch klare Kanten zu zeigen.
Producer des Jahres
Brenk Sinatra
Steht ein Award an, führt in der Produzentenkategorie gewöhnlich kein Weg an Brenk Sinatra vorbei. Das gilt auch für 2021, das für den Wiener ein weiteres sehr produktives Jahr war. Er hat nicht nur sein neues Instrumentalalbum „Boss Spieler University“ veröffentlicht, sondern auch zwei musikalische Großprojekte ins Leben gerufen: Den Drum- und Samplekit-Shop Hi-Hat Hu$tle und das Label Wave Planet Records, bei dem Brenk als Hausproduzent fungiert und Artists wie Donna Savage und Syc Tyson auf ein neues Level hievt.
food for thought
Bei Heiße Luft verwurzelt, produzierte food for thought nicht nur eine Menge der 2021 übers Label veröffentlichten Singles und Teile der Dirtysanchez-EP „Aua“, sondern auch das aktuelle JerMc-Album „Most Süß 2: Mehr als nur süß“. Der in Wien lebende Luxemburger liefert beständig eingängigen und ästhetischen Sound mit viel Hit-Potenzial – mittlerweile auch übers engste Camp hinaus, war er etwa an Produktionen für Slav & T-Ser, Verifiziert und Kitana involviert.
Nik Dean
Hierzulande ist Nik Dean kaum jemandem ein Begriff, obwohl er seit ein paar Jahren Beats, Samples und Melodien bei einigen der größten Fische in der US-Musikwelt platziert. Seine Credits finden sich etwa in Hits von Tory Lanez, G-Eazy, Kodak Black oder French Montana wieder. Durch sein Beat-Placement auf „25k Jacket“ aus dem aktuellen Gunna-Album „DS4Ever“, das es auf Platz eins der US-Charts geschafft hat, darf sich der Margaretener mittlerweile Doppel-Platin-Produzent nennen. Da kann es schon mal vorkommen, dass jemand wie Kenny Beats anklopft und nach einem Beat-Feature fragt wie 2021 für „Get Off My Dick“ auf dem Album von Zack Fox. Für Nik Dean Normalität.
prodbypengg
Seit ein paar Jahren produziert prodbypengg für Artists aus seinem Umfeld Hits am Fließband. 2021 war aber ein besonders intensives Jahr für den Wiener, der immer mehr zu einem Beat-Aushängeschild der hiesigen Szene wird und die Produktionen des Swift Circle prägt. Egal ob Bibiza, Eli Preiss, Brown-Eyes White Boy, Okfella oder beslik meister – alle setzen auf den Sound von prodbypengg, teils auch auf EP- und Albumlänge. Dass er nicht nur Rap-Banger und gefühlsbetonten Rap/R’n’B, sondern auch indieskere Beats draufhat, zeigt das teils von ihm produzierte neue Bibiza-Album „Lebe wie ein Hippie“.
Skyfarmer
Einst übers Klavier spielen zum Produzieren gefunden hat Skyfarmer. Nach Chillhop-Beats und ersten gemeinsamen Beat- und Aufnahme-Sessions mit Skofi hat das Werkl für den Klosterneuburger Produzenten in den vergangenen Jahren gehörig an Fahrt aufgenommen. 2021 hat er nicht nur mit Skofi an Tracks der gemeinsamen EPs geschraubt, sondern etwa auch die Planlos-EP von Bacardy52 und einige Solo-Beats veröffentlicht. Skyfarmer pendelt spielerisch zwischen smoothen, melodischen HipHop-Klängen und elektronischeren Einflüssen und scheint in diesem Feld immer mehr zu seinem charakteristischen Sound zu finden.
Rap-Album des Jahres
Azman – Alles Wien
Nach Anfängen in Transdanubien und einer längeren Auszeit meldete sich Azman 2021 zurück. Mit dem Touch eines motivierten Newcomers legte er ein Album hin, das mit den Narrativen der gängigen Straßenrap-Releases bricht. Reflexionen, Sichtweisen und starke Erzählungen, die Bilder zeichnen, machen das Album aus. Mit den Produktionen von Smokey Eyes scheint der Wahlfavoritner seinen Deckel gefunden zu haben.
DJ Sticky & Sayne One – RambaZamba
Der Name ist Programm und das Rezept so einfach wie bewährt: funky Samples und Reime direkt und voll in die Fresse von Whack-MCs. Auch Sayne One ist nach einer längeren Auszeit zurück und feuert – unterstützt von DJ Sticky, der als Produzent mehr als Aufzeigt. Die Kombination aus klassischer Soundästhetik und dem Rotzfaktor österreichischer Mundart macht das Album zu einem Highlight heimischen Dialekt-Raps. Obendrein runden viele hochkarätige Featuregäste mit Parts ab.
Fate – Milch für die Fliegen
Ausgeflogen aus Graz nach Berlin/London, um die Weite der Welt zu spüren. Oder einfach darüber nachzudenken, ob man dieselbe Welt spürt. Wenn Reflexion zum Diskurs auf Albumlänge und Rap zur Wortkunst erhoben werden, ist auch das Lob des deutschen Feuilleton nicht weit. Erinnerungen an drogengeschwängerte Momente jugendlichen Leichtsinns auf steirischen Feldern wechseln sich ab mit Gedanken an die Nichtigkeit des eigenen Seins und Strebens. Weltschmerz inkludiert.
Kardinator – Rasenmäher
Die Charakteristik der Rasens nach dem Mähen in den warmen Monaten ist, dass die Halme einen Kopf kürzer werden. Doch Kardinal Kaos sieht die heimische Szene nicht als seinen Kleingarten vor dem Reihenhaus, die alle niedergemäht werden müssen mit seinen lyrischem Rotorblättern – nein, der österreichischen Gesellschaft als solche wird dabei immer wieder der Klo-Spiegel der Selbsttäuschung vorgehalten. Im Mostviertler Dialekt, versteht sich. Auf scheppernden Beats von Alligatorman.
Mo Cess & Chrisfader – Klåmm
Einmal Tirol, Wien und wieder zurück. Thematisch verarbeitet Mo Cess auf Klåmm nicht die Abgründe der Landschaften Tirols, sondern viel mehr die Mentalität und die sich immer wieder auftuenden Abgründe der eigenen Psyche. Gepaart mit den zusammen mit Chrisfader kreierten Klangwelten zeichnet sich ein Hörbild der Eigentherapie im Wandel vom Jugendlichen zum jungen Erwachsenen.
Message des Jahres
Azman – Nacht, Tränen und Tod | Heimat
Ein Ex-Innenminister und mittlerweile amtierender Bundeskanzler schiebt mitten in der Nacht ein junges, in Österreich aufgewachsenes Mädchen in ein ihr fremdes Land ab. Gleichzeitig brennen Flüchtlingsheime, wir nehmen niemanden auf, denn „Österreich hat schon genug getan„. Wer nicht davon betroffen ist, kann sich nicht einmal annähernd vorstellen, wie es sein muss zu flüchten – und Heimat, Familie und Freund*innen zurückzulassen, sie zu verlieren. Es entstehen Traumata, die in Familien und Generationen nachwirken. Azman hat 2021 mit „Nacht, Tränen und Tod“ erstmals größtenteils auf Kurdisch und basierend auf einem Gedicht seines Großvaters die Erfahrungen der Familie aufgearbeitet. Auf „Heimat“ setzt er sich erneut eindrucksvoll mit diesem Thema auseinander. Beide Tracks widmet er Menschen, die sich aufgrund von Krieg, Hunger und Armut auf der Flucht befinden.
Eine besondere honorable mention geht an Nenda mit „Borders“. Der Track hat es leider knapp nicht in die Shortlist geschafft, ist aber nicht weniger wichtig und ebenfalls unfassbar gut umgesetzt.
Def Ill & Fate – Chemtrailidylle
Bedenklich reicht nicht zur Beschreibung dessen, was seit Beginn der Pandemie in der Gesellschaft passiert. Es nimmt gefährliche Ausmaße an: Personen aus dem rechten Rand der Gesellschaft mobilisieren Tausende und schließen sich zusammen mit alternativen Milieus. Gemeinsam verbreiten sie wüste Falschmeldungen und Theorien. Auf den Demos sehen wir Identitäre, Alt- und Neonazis oder Holocaust-Verharmloser*innen. Wir sehen Menschen, die nach einem Miteinander schreien und dabei öffentlich Regenbogenfahnen zerreißen. In den Bewegungen der Corona-Leugner*innen und Verweigerer*innen bündeln sich sämtliche Verschwörungstheorien, gepaart mit Hass. Wenig überraschend sind es Def Ill & Fate, die genau das mit „Chemtrailidylle“ auf den Punkt bringen und einen Track schaffen, der die letzten Monate nicht besser einfangen könnte. Wirklich, ihr habt nicht die Welt durchschaut, ihr verbündet euch mit Rechten und fordert „Friede, Freiheit und keine Diktatur„.
Donna Savage – Blutwiese
Donna Savage hallt mit „Blutwiese“ seit der Veröffentlichung im Oktober ordentlich nach. Statements von Künstler*innen wie Eli Preiss oder Verifiziert zu Beginn des Videos verstärken das nur noch mehr. Stimmen und Debatten um #metoo sind noch längst nicht verstummt und haben unlängst auch den Deutschrap-Kosmos erreicht. Es geht nicht um ein paar Männer, die halt nicht wissen, wie man sich benimmt. Im Schnitt ist jede fünfte Frau in Österreich körperlicher und/oder sexueller Gewalt ausgesetzt. Dahinter stecken tief verankerte Strukturen in der Gesellschaft, die diese Gewalt verharmlosen und normalisieren. Nach wie vor haben FLINTA*-Personen eben nicht per se überall in der Gesellschaft oder in (Sub-)Kulturen Platz, geschweige denn, dass ihnen mit Respekt begegnet wird. Donna Savage feuert zu Recht und mit massig Druck entgegen. Das sind Botschaften, die wir brauchen und Diskussionen, die wir führen müssen.
An dieser Stelle auch eine besondere Erwähnung für CHRISTL mit „Objetcs of Desire“. Dieser Track ist pure Gänsehaut, aber hat es knapp nicht in die Shortlist geschafft.
Ms Def – Kartenhaus
Wer immer noch glaubt, Klimawandel is not a thing, hört sich nun schleunigst „Kartenhaus“ von Ms Def an. Während der Generation Z verhältnismäßig wenig zugetraut wird, hat sie eine Bewegung hervorgebracht, die unüberhörbar nach einem längst überfälligen und notwendigen Systemwandel fordert. Fridays for Future ist kein Treffpunkt für Schulschwänzer*innen, gegen den man gerichtlich vorgehen muss. Der Klimawandel ist da und er ist global, ob wir das wollen oder nicht. Nicht nur greift Ms Def das gesellschafts- und sozialpolitische Thema schlechthin auf – mit Blick auf unsere Longlist, ist sie die einzige, die es in einem Ausmaß tut, das über einen bloßen Track hinausgeht. Auf ihrer „Moment“-EP finden sich mehrere Tracks zu diesem wichtigen Thema. Eloquent und mit dem richtigen Flow ist Ms Def eine Stimme, die in diesem Zusammenhang lauter gehört werden muss.
RAN DMC – Depression
Psychische Gesundheit und psychische Erkrankungen werden immer noch oft als Tabuthema behandelt – und sehr oft gar nicht. Vor allem bei jungen Menschen, aber tatsächlich durch Alters- und Gesellschaftsgruppen hindurch, gehen mit der Pandemie massive Verschlechterungen der psychischen Gesundheit einher. Die anhaltende gesellschaftliche Stigmatisierung macht es nicht einfach, darüber zu sprechen, schon gar nicht öffentlich. Psychische Erkrankungen sind nicht immer sichtbar, werden deshalb nicht immer ernst genommen und sehr oft fehldiagnostiziert. Mit dem Album „Depression“ hat RAN DMC nicht nur auf sich und seine inneren Dämonen aufmerksam gemacht, sondern in Form eines unglaublich starken Albums vielen eine Stimme und Repräsentation gegeben, die nicht gehört und leicht übersehen werden. Wir sprechen seit zwei Jahren verstärkt über Körperlichkeiten – und jetzt lasst uns das endlich in mindestens gleichem Maße auch über psychische Gesundheit tun.
Newcomer des Jahres
Donna Savage
Keine halben Sachen mehr, sondern Rap als vollwertiges Standbein neben der bildenden Kunst – mit diesem Anspruch hat Donna Savage 2021 nach einer längeren Kreativpause inklusive Namenswechsel einen Neustart gewagt. Auf den frischen Tracks spittet die Wiener Rapperin mit markant-rauchiger Stimme und Punchlines straight in die Gosch’n. Und das auf Beats von Brenk Sinatra. Von seinen Brettern dürfte Donna Savage auch heuer einige berappen, denn sie ist neben Syc Tyson, Giani und dem produzierenden Labelboss ein Aushängeschild des jungen Labels Wave Planet Records.
Kitana
Ebenfalls längst kein unbekanntes Gesicht mehr in der hiesigen Rapszene ist Kitana. Auch sie startete vergangenes Jahr neu und sorgte für viel frischen Wind. Nicht mehr im Rap-Duo mit Atsche, dafür solo, mit neuem Namen und professionellen Strukturen im Rücken ist die Wahlwienerin mit bosnisch-kärntnerischen Wurzeln auf die Bildfläche zurückgekehrt. Dass sie eine sehr stabile Rapperin ist, konnte sie schon vorher andeuten. Nun scheint sie auch das passenderes Gesamtkonzept gefunden zu haben – egal ob Freestyles auf 90er-Beats, deepe Zeilen oder Representer-Tracks auf modernerem Sound, in Sachen Flow, Textgefühl und Attitude macht dem MOM I MADE IT-Neuzugang hierzulande kaum jemand was vor.
Mahino
Eine „17“ tätowiert, das eigene Debütalbum „18“ betitelt – Mahino macht keinen Hehl daraus, stark vom viel zu früh verstorbenen US-Rapper XXXtentacion beeinflusst zu sein. Auch der Wiener Künstler hat einst mit Sadi auf Englisch zu rappen begonnen, ist aber schnell auf Deutsch geswitcht. Einige Jahre später vereint er auf den acht Tracks des Minialbums sehr persönliche Texte mit musikalischem Talent. Dass für Mahino die Musik auch ein Ventil ist, intime Gefühle zu verarbeiten, ist seinen Tracks anzuhören. Auch gut drei Jahre nach seinem ersten offiziellen Auftritt, als er beim Cro-Konzert in der Wiener Stadthalle spielte, ein heißer Anwärter auf den Newcomer-Award. Zumal Mahino damals zwar schon viel Musik gemacht hat, aber noch kaum damit nach außen gegangen ist. Das hat sich im Vorjahr geändert. Gut so.
Nikita Brale
Schon 2019 ließ Nikita Brale mit seinem Debüt-Track „Wien is am Start“ sein Talent erstmals aufblitzen. So richtig seine Duftmarke hinterlassen konnte er aber erst im vergangenen Jahr. Der serbischstämmige Wiener brachte unzählige Tracks bzw. Features raus und gewann den ersten WNMR-Contest mit Freshmaker-Beat („Motorola“) als Belohnung. Obendrein war er Dauerthema in den „Nice oder scheiss“-Reactionvideos von Mois, Manuellsen und Gästen wie Celo & Abdi – auch wenn diese sich neben lobenden Worten für ihn als Rapper in erster Linie über seine Lines abgehaut haben. Das passt zum Style von Nikita Brale, der mit einer Kombination aus einem humorvollen Zugang, tiefen Punchlines und einem speziellem Flow aus der Masse heraussticht.
Roko von der Tanke
Dem Umfeld von Lent entspringt Roko von der Tanke – er trat erstmals als Featuregast auf dessen Track „6. Dezember“ sowie als Back-up bei Live-Shows auf einer größeren Bühne in Erscheinung. Seither konnte sich der junge Trauner Rapper und Produzent zunehmend selbst einen Namen machen – allen voran im Duo mit O.T. hat er den speziellen Tankensound kreiert, den es etwa auf der ebenfalls nominierten „Gas“-EP zu hören gibt. Auf allen Ebenen ein beachtenswertes Produkt – raptechnisch stark umgesetzt, mit melodiösem Zugang, Attitüde und satten, durchwegs von Roko produzierten Beats.
Future Sound des Jahres
adaolisa – Banana Island
Schon nach ihren ersten Single-Releases war klar, dass in Österreich künftig an der R’n’B-
Front ein neues Talent die Runde machen wird. 2021 veröffentlichte adaolisa ihre erste EP
“Banana Island” und überzeugt darauf mit ausgereiftem Sound und ihrer sanften,
unverwechselbaren Stimme. Angehaucht von den unterschiedlichsten Vorbildern der Black-
Community, ist auf ihren Tracks eine Mischung aus R’n’B, HipHop, Pop, Afrofunk und
Neo-Soul zu hören – eine Kombo, mit der man sich gerne zu jeglicher Tages- und
Jahreszeiten berieseln lassen kann.
Cid Rim – Songs of Vienna
Scheitern ist vorprogrammiert, wenn man versucht Cid Rim in eine klassische Schublade der
Musikindustrie zu stecken, denn seine musikalische Herangehensweise ist hybridartig und
damit auch einzigartig. Über die Grenzen Österreichs hinaus hat sich der Schlagzeuger und Produzent in den vergangenen Jahren einen Namen aufgebaut. Auf seinem 2021 erschienen Album “Songs of Vienna” setzt er erstmals auch seine Stimme prominent ein und erweitert damit seine progressiv-elektronischen Jazz-, Pop- und HipHop-Sounds.
Kerosin95 – Volume 1
Kerosin95 kann austeilen und dissen, mit Achselhaaren flexen und sich dazwischen verletzlich und gefühlsbetont zeigen – manchmal alles davon in einem einzigen Song. Diese Offenheit und Ehrlichkeit zeigt sich auch im Sound, der ein Kraut-und-Rüben-Mix aus Pop, Indie und Rap. Einem lautem Start in die Rap-Szene folgte die Entwicklung eines vielseitigen Projekts, das heute nicht mehr aus der österreichischen Musikszene wegzudenken ist.
Savi Kaboo – Rebirth
Savi Kaboo steht für Peace and Love – so wie Bob Marley, aber da hört es mit den Vergleichen auch schon wieder auf. Seit ihrem musikalischen Blitzstart 2020 hat die Sängerin und Produzentin immer mehr auf ihren einzigartigen Signature-Sound hingearbeitet. Rap trifft auf Gesang, HipHop und R’n‘B auf Drum’n’Bass und elektronische Musik. Mit charmanter Hippie-Attitude tobt sich Savi Kaboo aus und die Liebe zur Musik zeigt sich nicht zuletzt an ihrem laufenden Output. Dabei gelingt es ihr, Quantität und Qualität auf einen Nenner zu bringen.
The Unused Word – Undanger
The Unused Word kennt man nicht nur als Solokünstlerin, sondern auch von zahlreichen anderen Projekten wie beispielsweise dem Duo Nødstop mit Testa. Mit ihrer Musik schwebt sie weg vom Mainstream und traut sich, neue Klang- und Gefühlswelten zu erobern. 2021 releaste sie ihr Debüt-Album “Undanger”. Schon der Titel zeichnet den Sound des Albums – sanfte, ruhige Downtempo-Klänge und tiefgründige Texte, die unter die Haut gehen.
Rap-EP des Jahres
Brown-Eyes White Boy – Graue Tage
Mitten im eigentlich sonnigen Sommer veröffentlichte Brown-Eyes White Boy seine EP „Graue Tage“, mit der er Einblicke in seine Gedankenwelt gewährt. Die Stimmung des gebürtigen Salzburgers bewegt sich irgendwo zwischen Selbstzweifeln und Selbstliebe. Unsichere Gedanken werden genauso transportiert wie Aufforderungen, mehr an sich selbst zu glauben. Dadurch beweist Brown-Eyes White Boy ein neues Level an textlichem Können, tritt tiefgründiger auf als auf früheren Tracks und liefert seine bisher persönlichste EP. „Ich zeige jeden Tag was ich fühle, genau das macht mich zum Mann“ rappt er so auf dem Track „Da sein“ und unterlegt diese neuen, persönlicheren Tracks statt mit harten 808s unteranderem mit Klavier- und Gitarrenmelodien.
Dyin Ernst – Gilbert Jonas
Mit „Gilbert Jonas“ ließ JerMC sein Alter Ego Dyin Ernst wieder auferstehen und lieferte eine der hervorstechendsten EPs des Jahres. Passend zum Vorgänger „Paul Verlaine“, bezieht sich auch diese EP wieder auf eine Literaturvorlage. Zurückgehend auf eine Kurzgeschichte von Albert Camus rapptDyin Ernst über verschiedene Seiten des Traumfilms, in dem er sich gefangen fühlt. Zwischen Euphorie und Selbstzweifeln entsteht eine EP, die auf allen vier Tracks überzeugt. Unterstützung erhielt Dyin Ernst von Melonoid, food for thought, DiskoJürgen und HARDY X, die die Songs mit detailreichen Sounds unterlegen.
Eli Preiss – Wie ich bleib
Eine Sammlung verschiedener Emotionen, Moods und persönlicher Erlebnisse teilte Eli Preiss auf ihrer EP „Wie ich bleib“. Nach ihrem Wechsel vom Englischen ins Deutsche und von R’n’B-Sounds, die sich immer mehr in Richtung Rap und HipHop bewegen, zeigt spätestens diese EP, warum an Eli Preiss so schnell bald keiner mehr vorbei kommt. Auf „Wie ich bleib“ reihen sich gleich mehrere Hits mit bekannten Features aneinander – so sind unter anderem makko und beslik meister auf Songs vertreten, als Produzent war Tausendsassa prodbypengg mit am Start. Eine starke EP, die Eli da geliefert hat.
Roko von der Tanke & O.T. – Gas
Ihr erstes größeres Release veröffentlichten Roko von der Tanke & O.T. im vergangenen Jahr mit der EP „Gas“. Die jungen Rapper aus Traun beweisen damit, warum man sie auf jeden Fall im Auge behalten sollte. Trappige und technoide Beats sind auf der EP ebenso zu finden, wie die für die Rapper typische Lowlife-Attitude, die sich durch die acht von Roko produzierten Tracks zieht. Eine stark umgesetzte EP, die die Spannung auf künftige Projekte der beiden aufbaut.
Skofi & Skyfarmer – 0.01/0.02/0.03
Auf insgesamt drei EPs verarbeiten Skofi & Skyfarmer den Prozess des Schlussmachens – eigentlich kein schönes Thema, von den Musikern allerdings umso schöner musikalisch verpackt. Skofi rappt und singt auf den EPs erstmals auf Deutsch, Skifarmer untermauert die Texte mit LoFi-Beats, die die jeweiligen Abschnitte einer Trennung eindrucksvoll einfangen. Es entstehen ehrliche Songs, die straight aus dem Herzen kommen und die von dort aus direkt ins Ohr gehen. „Hätte es vorher nicht gedacht, doch unsere Kombi ist Magie“ singt Skofi im Abschlusstrack der dritten EP „Zähne & Blut“ – und besser könnte man ihr Zusammenspiel mit Skyfarmer wohl kaum beschreiben.
Instrumentalrelease des Jahres
Brenk Sinatra – Boss Spieler University
Bosshafter Blick, bosshafter Sound. Brenk Sinatra ist ein Meister seines Handwerks, seine Beats über jeden Zweifel erhaben. Nach den bisher zweiteiligen Instrumentalreihen „Gumbo“ und „Midnite Ride“ startete der Wiener im Sommer 2021 mit „Boss Spieler University“ ein neues Instrumentalkapitel – und sorgte gleichzeitig eine Fortführung des entspannten „Midnite Ride“-Sounds. Die 17 Tracks skizzieren den Lifestyle eines „Boss Players“, wie es in Down South- und Westcoast-Ära der 90er zuhauf getan wurde. Ein rundum gelungener Soundtrack für entspannte Tage, ganz egal ob bei Sonnenschein oder Schneegestöber.
Jules Hiero & Antonio Neves – Nove Midén
Was rauskommen kann, wenn sich ein Wiener Produzent und ein brasilianischen Jazz-Musiker auf ein Packl hauen, zeigen Jules Hiero & Antonio Neves mit ihrer gemeinsamen EP. Entstanden bei gemeinamen Sessions in Rio de Janeiro, ist „Nove Midén“ eine gelungene Hommage an organische Klänge vergangener Jahrzehnte, ohne dabei austauschbar zu klingen. Auf Basis jazziger Samples und staubiger Drums sorgen die beiden für groovigen, reichhaltig instrumentalisierten Sound zwischen Boombap und brasilianischen Musikeinschlägen.
Mieux – Rulers
Rund ein Jahrzehnt haben sich Christoph Prager und Felix Wolfersberger Zeit gelassen, ihr erstes gemeinsames Album zu veröffentlichen. Dass Mieux zu den interessantesten Produzenten Österreichs zählen, haben sie schon vorher andeuten können. Keine vermessene Ansicht also. Mit „Rulers“ haben sich die beiden ausgetobt und ihre spezielle Version von Electronic Dance Music kreiert. Diverse Einflüsse laufen durch den UK-inspirierten, basslastigen Mieux-Filter, der auf „Rulers“ etwa auch unkonventionell gespielte E-Bass-Klänge und ein britisches Grime-Feature beinhaltet. Zweifellos eines der interessantesten Instrumentalreleases anno 2021.
Restless Leg Syndrome – Totem
Als Ergebnis der vier übers Jahr verteilt erschienenen EPs „Venom“, „Falcon“, „Spirit“ und „Fool“ haben Restless Leg Syndrome im Sommer die Doppel-LP „Totem“ veröffentlicht – und damit wieder einmal eine instrumentale Reise. Standen auf „Dabkeh“ libanesische Samples und Melodien im Vordergrund, erstrecken sich die neuen Tracks von Chrisfader, Testa & d.b.h. über die gesamte MENA-Region zwischen Nahost und Nordafrika. Gewohnt verpackt in eingängige und clubtauglich-tanzbare Beats mit Turntablism-Elementen und der ein oder anderen Überraschung. 20 Tracks mit hohem Suchtfaktor. Restless Leg Syndrome did it again.
Tomá – Atom
Der Überraschungskandidat in dieser Liste? Zumindest war Tomá selbst in der Beatszene vor 2021 kaum jemandem ein Begriff. Das änderte sich im Sommer schlagartig, als der Linzer Produzent, Gitarrist und Komponist sein – von Warp, Brainfeeder und Konsorten inspiriertes – Debütalbum „Atom“ veröffentlicht hat. Tomá setzt bei seinen Tracks auf harmonische, kontrapunktische Soundelemente und einige improvisierte, mit diversen eingespielte Passagen. Die Kompositionen sind oft klassisch angehauchte, die Arrangements teils komplex, die Stimmung mitunter schwermütig. Trotz der großen stilistischen Bandbreite ergibt sich am Ende ein homogenes Soundbild.
In einer Stichwahl nur knapp am Weitergekommen gescheitert sind übrigens byyrd mit „Nesting“ und Gashtla mit „Flight Mode“.