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Kann denn Porno-Rap kein Sexismus sein? // Porno Mafia Review

Kann denn Porno-Rap kein Sexismus sein? // Porno Mafia Review

Cover zu "Kings of Bass" von Porno Mafia
(Bassboxxx/Soulfood/VÖ: 30.08.2019/Fotoquelle: Label)

Fünfzig „Gegrüßet sei’s du, de Beauvoir“ verlange das Hören der Jay-Z-Nummer „Big Pimpin'“. Das meint die irakisch-britische Autorin und She-DJ Amanda Barokh in ihrem exzellenten Essay „How I Learned to Stop Worrying and Love ‚Big Pimpin‘“, der 2018 im Sammelband „Under My Thumb“ erschienen ist. Barokh übertreibt nicht, trieft die Misogynie bei „Big Pimpin’“ aus allen Poren. Es gibt aber Fälle, da reichen fünfzig Gebete an die große französische Feministin nicht aus. Im deutschsprachigen Raum zählen die Arbeiten von Frauenarzt und King Orgasmus One (beziehungsweise Orgasmus) unbestritten dazu.

13 Jahre nach dem Kollabo-Einstand haben sich die beiden 2019 wieder auf Albumlänge als Porno Mafia zusammengeschlossen. Mehr als ein Jahrzehnt, nachdem sie auf Miami-Bass-Beats zwischen Strip-Club-Romantik, Sex-Basar-Sessions und Puff-Eskapaden triebgesteuert umherwanderten. Die Reise führte sie auch zum Straßenstrich – und zum Schluss nicht nur auf den Index, sondern sogar in Richtung bundesweiter Beschlagnahmung, die 2009 erfolgte. Der Zeitpunkt der Reunion, die unter dem Titel „Kings of Bass“ erscheint, ist durchaus pikant: Als Folge der #MeToo-Bewegung bewegt sich Deutschrap gegenwärtig langsam dazu hin, eine Sensibilität für Sexismus in der Szene zu entwickeln. Und nun wieder Porno Mafia. Uff. Simone de Beauvoir, steh‘ uns bei!

Den Beistand Simone de Beauvoirs braucht es auf dem Album einige Male. Luden-Prahlerei wie in „Mafia“ hat 2019 einen schweren Stand. „Mafia“ ist dabei ganz in der Tradition der Erzählungen des Rotlicht-Poeten Iceberg Slim gehalten. Der gab seinen Sexarbeiterinnen am Strich beispielsweise den Tipp, zwischen den Regentropfen zu gehen, wenn sie nicht nass werden wollen. „Ware verkaufen, Nutten am Laufen/Denn unsre Mädchen steh’n Tag und Nacht draußen“, heißt es folgerichtig nicht minder sympathisch bei den Berlinern.

Auch Orgasmus‘ Teenie-Schwärmerei auf „Pussy Club“ ist befremdlich und kommt direkt aus dunklen Pornhub-Ecken; dort, wo sich auch einige Zeilen heimisch fühlen, die er im asozialen „Titten raus 2“ loslässt. Aber das ist keine große Überraschung, soll die Anhängerschaft wohl nicht den Eindruck bekommen, Orgasmus würde seiner „Berlin bleibt hart“-Schiene abschwören.

„Kings of Bass“ trotz genannter Songs und weiterer platter Porno-Tracks wie dem Flatrate-Puff-Werbesong „All You Can Fuck“ als einzige humorlose Macho-Parade abzustempeln, würde aber deutlich zu kurz greifen und wäre viel zu oberflächlich. Schließlich streuen Frauenarzt und Orgasmus immer wieder Töne und Songs ein, die mit dem Macho-Gehabe auf erstaunliche Weise brechen. „Sexkino“, ein Loblied auf die Pornokinos, die sich heutzutage meist in den urbanen Schmuddelecken hinter fahlen Fassaden mit ausgebleichten Schildern verstecken, ist so ein Beispiel. Wie die Hauptfigur in Gaspar Noés „Menschenfeind“ marschieren Frauenarzt und Orgasmus im Song ins Pornokino, um sich dort der eigentlich sehr einsamen Handlung der Masturbation hinzugeben.

Das kommt ebenso unerwartet wie der Song „Sex Roboter“, eine Ode an Sexpuppen mit künstlicher Intelligenz. Die Porno Mafia zeigt sich damit als Trendsetter-Gespann: In Barcelona gibt es bereits ein Bordell mit Sexpuppen, und David Levy, amerikanischer Experte für Künstliche Intelligenz, prognostiziert, dass 2050 Sex mit Robotern zum Standard gehören wird. Also Zukunftsmusik, die hier geboten wird, so unglaublich und tabuisiert es heute noch erscheint. Ein Tabu, zumindest im konservativen Deutschrap-Kosmos, ist auch der Cunnilingus. Ausgiebig widmen sich Frauenarzt und Orgasmus diesem in „Facesitting“. Ein Song als nicht intendierte Antwort auf all die Gangsta-Rapper, die ihre Konkurrenz als Ausführende dieser Sexualpraktik degradieren. Frauenarzt und Orgasmus outen sich hingegen selbstbewusst als solche.

Das sind nicht die einzigen Stellen, die einen aufhorchen lassen. Besonders Frauenarzt kann immer wieder verblüffen. Nicht nur durch mehrsilbige Reime, mit denen er sein „Keep It Simple!“-Credo ein wenig aufweicht. Ein wenig, rappt der Südberliner technisch oft immer noch wie vor 20 Jahren, aber daran will er wohl gar nichts gravierend ändern. Allerdings wirkt Frauenarzt im Gesamten mittlerweile reflektierter, nicht mehr wie der berüchtigte, von RTL bekannte Porno-Rapper Mitte der 00er-Jahre (sieht man von seinem Verhältnis zu HipHop-Journalisten ab). Vielleicht ist das auch eine Folge des großen Erfolgs, den er in den vergangenen Jahren mit Die Atzen feierte.

Dass er ein durchaus intelligenter Typ ist, davon kann man sich in den sozialen Medien oder in Interviews immer wieder überzeugen. Auf „Kings of Bass“ entzieht er seinem Porno-Rap teils raffiniert den sexistischen Charakter. Dafür bezeichnet er sich in „Pussy Club“ schon einmal als „Fotze“ („Die geilste Fotze hier bin ich“). Ein auffälliger Versuch, die Bedeutung eines sonst abfällig gebrauchten Begriffes zu verändern. Hinzu kommt, dass Frauenarzt in „Pussy Club“ lyrisch beim Sexual-Akt die passive Rolle einnimmt, die Macht also abgibt. Das sind bemerkenswerte Zeilen für männlichen Porno-Rap.

Und das sind nicht die einzigen Stellen, an denen Frauenarzt Sexismus-Vorwürfen entgegnet. In „Wir machen was wir wollen“ stellt er klar, dass sich Pornografie und Sexismus kein bisschen gleichen würden („Ihr seid zu verklemmt und habt noch immer nicht gepeilt, dass Pornografie und Sexismus sich kein bisschen gleicht“). Eine gar nicht so steile These, die sich auch bei der PorYES-Bewegung findet – und mit der sich Frauenarzt in die Nähe der Autorin Charlotte Roche begibt, die ebenfalls eine Pornografie-Befürworterin ist. Nicht die einzige Gemeinsamkeit, bricht Roche genauso gesellschaftliche Tabus wie das Porno-Mafia-Duo mit Songs über Sex-Puppen und Masturbation.

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Musikalisch knüpft „Kings of Bass“ an den ersten Teil an. Miami-Bass ist weiterhin Frauenarzts Spielwiese, die 808 quasi Teil seines Körpers. Tiefe Bässe, die in die Magengrube einschlagen, bilden das Gerüst,  passenderweise ist der letzte Song wie auf dem ersten Teil ein „Bass Test“. Auch die Beats vom 2-Live-Crew-Produzenten Mr. Mixx („Twerk den Booty“) und von DJ Reckless („Sex Roboter“) mischen sich ohne stilistische Auffälligkeiten unter Frauenarzts Produktionen. Die weisen stellenweise einen DieAtzen-Einfluss auf, driftet etwa „Private Dance“ in die Richtung eines technoiden Dancefloor-Stampfers ab.

Der Atzen-Einfluss ist auch bei einigen Hooks bemerkbar, die doch ein wenig nerven („Wir machen was wir wollen“ sowie „Extra Ordinär“) oder etwas hingeklatscht, wie jene auf „Sex Roboter“, wirken. Als einziges genanntes Feature tritt Antifuchs in Erscheinung, die auf „Freaks“ einen soliden Part abliefert und die Hook beisteuert. Ihre Beteiligung erinnert an She-Raw, die auf dem ersten Teil auf zwei Tracks zu hören ist. Eine solche Reminiszenz oder der Track „Auf zum Straßenstrich“, der an „Lange Nächte“ anschließt, können nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich beim Porno-Mafia-Duo doch etwas getan hat. So bietet „Kings of Bass“ mehr als plumpen Sexismus, sondern manch tiefgründige Erkenntnis über das gegenwärtige Männlichkeitsbild. Das können nicht viele Deutschrap-Alben von sich behaupten.

Fazit: Die Rückkehr der Porno Mafia stand unter schwierigen Vorzeichen. Umso erstaunlicher, dass Frauenarzt und Orgasmus ein Porno-Rap-Album kreieren konnten, das oft nicht wie ein Wurf aus der Steinzeit klingt. Barokh kommt bei „Big Pimpin'“ zu dem Schluss, dass auch Männer Opfer eines Systems sind, das sie zwingt, Verletzlichkeit und Zärtlichkeit zu verneinen. Ultra-Machismo ist dann nicht mehr als ein Schutzschild. Diese Gedanken kommen zwar bei einigen Tracks auf „Kings of Bass“, die sich hart an der Grenze bewegen. Allerdings sind es auch Frauenarzt und Orgasmus, die auf dem Album mit Männlichkeitskonventionen brechen. Für „Kings of Bass“ sind daher gar nicht so viele Gebete an Simone de Beauvoir nötig wie zunächst angenommen.

3,5 von 5 Ananasse